DIE KOLONISTEN ist – zumindest laut Schachtelaufdruck – ein „Kennerspiel“. Eine Partie zu zweit über alle Epochen dauert inklusive Auf- und Abbau mal locker viereinhalb Stunden ... was für mich das klare Merkmal eines „Expertenspiels“ wäre. Aber darüber kann man natürlich streiten, und jeder darf die Begriffe anders definieren als ich. Auf jeden Fall ist mir nun verständlich geworden, warum Lookout sein vom Expertenspiel zum Kennerspiel vereinfachtes AGRICOLA als „Familienspiel“ ansieht.
Wie geht DIE KOLONISTEN? Wie in einem PC-Aufbau-Strategiespiel bauen die Spieler ihre Welt. Beginnend mit ein paar Bauernhäusern, errichtet man Produktionsstätten und Lager für Rohstoffe, dann weitere Bauernhäuser, um Arbeitskräfte zu gewinnen, dann Produktionsstätten für Nahrung, dann Bürgerhäuser, dann Gewerbe, in denen die Bürger arbeiten, sowie schließlich Wohnhäuser und Arbeitsplätze für Kaufleute.
Nebenbei wächst ein Spielfeld aus sechseckigen Aktionsfeldern. Es beginnt mit einfachen Feldern, die beispielsweise erlauben, zwei Holz zu nehmen oder Holz in Bretter zu verwandeln oder für ein Werkzeug und zwei Holz einen Lagerschuppen zu errichten. Passend zur Epoche kommen im Laufe des Spiels weitere Felder mit fortgeschrittenen Möglichkeiten hinzu. Wer am Zug ist, bewegt seine Figur drei Mal ein Feld weit und führt sämtliche Aktionen aus. Damit man nicht in Sackgassen hängen bleibt, gibt es Marktfelder. Zu diesen darf man von jedem beliebigen Ort direkt springen.
Außer durch die Reichweite ihrer Figur sind die Spieler limitiert durch die Zahl ihrer Arbeitskräfte, durch die Zahl der Grundstücke auf ihrem Tableau sowie durch Lagerkapazitäten. Bei Spielende zählen vor allem die Gebäude sowie Arbeiter in Lohn und Brot Punkte. Spielende ist, je nach Geschmack und Zeitbudget, nach zwei, drei oder vier Epochen, also nach 20, 30 oder 40 Spielzügen pro Person.
Was passiert? DIE KOLONISTEN hat genau den Reiz aller Aufbauspiele: Es geht immer weiter, es gibt immer was zu tun, das eigene Imperium wächst und wächst und wächst. Ob Mitspieler dabei sind, spielt fast keine Rolle. Jeder optimiert für sich. Man spielt nebeneinander her, aber zu zweit ist das immerhin etwas unterhaltsamer als allein. Mit mehr als zwei Spielern würde ich DIE KOLONISTEN nicht mehr spielen wollen. Es dauert dann einfach nur viel länger, sonst nichts.
Weil Arbeiter in Produktionsstätten und Lagern eingesetzt werden müssen und dort in unmittelbarer Nachbarschaft neben den kleinen Warenplättchen stehen, die wiederum auf Gebäudeplättchen liegen, wird es auf dem eigenen Tableau bald ziemlich frickelig. Zumal man die Güter auch noch zwischen Speicher, Zwischenspeicher und Lager verschieben muss.
Das recht komplexe Lagersystem provoziert Spielfehler und verschlingt nach meinem Gefühl unnötig viel Denkzeit. DIE KOLONISTEN wäre sicherlich knackiger, könnten sich die Spieler mehr auf Ausbau und Entwicklung ihres Reiches konzentrieren statt auf Verwaltungskram. Vermutlich ist dies aber so gewollt. Nicht umsonst steht „Das epische Aufbauspiel“ auf dem Cover.
Auf dem Schachtelboden steht ebenfalls etwas Spannendes, nämlich: „Worker Movement! Worker Placement war gestern.“ Und gerne räume ich ein, dass der Aktions-Mechanismus neu und interessant ist. Doch auch hier komme ich zu dem Ergebnis: Effektiver wäre es, die Figuren gezielt einzusetzen. In DIE KOLONISTEN überquere ich auf meinem Weg zu dem eigentlich angepeilten Aktionsfeld immer wieder Felder, die mich kaum interessieren. Klar, das erhöht die Anforderungen. Logo, ich muss meine Route planen. Und drittens: Ja, es soll sicher so sein, wie es ist, um sich von anderen Spielen zu unterscheiden. Nur wieder habe ich das Gefühl, dass mich Unwesentliches vom Wesentlichen abhält. Neues ist nicht automatisch besser, weil es neu ist.
DIE KOLONISTEN ist wie ein Film mit bewusst langen Einstellungen und wenigen Schnitten. Nichts für Ungeduldige, da sich die vergleichbare Handlung anderer Spiele auf die doppelte Spielzeit ausdehnt.
Was taugt es? DIE KOLONISTEN haben vieles, was in ein Spiel hineinzieht: Ich baue etwas auf, ich muss planen, ich treffe Entscheidungen, es gibt viele Möglichkeiten und Wege, die ich noch lange nicht ausgetestet habe ... aber wohl auch nicht austesten werde. Denn in derselben Spielzeit könnte ich zwei verdichtete Spiele spielen, die Ähnliches bieten.
DIE KOLONISTEN ist eine sehr lange Optimierungsaufgabe. Wer gut abschneiden will, muss sich ganz genau überlegen, ob er zwölf Holz in sechs Bretter oder lieber nur zehn Holz in fünf Bretter umwandelt. Ein paar Minuten später könnte sich nämlich herausstellen, dass genau ein doofes Holz fehlt, und dann muss man einen oder zwei Spielzüge dazwischen schalten, bis die Försterei nachproduziert hat. Vielleicht kriegt man daraufhin auch Probleme mit der Lagerkapazität oder lässt den ursprünglichen Plan fallen und macht nun ganz etwas anderes. Und solche Fragen stellen sich vier oder mehr Stunden lang. Mir fehlt da als zusätzliche Motivation eine spürbare Dramaturgie.
DIE KOLONISTEN sind ein sauber konstruiertes Spiel, das mit sehr guten Regeln und imposanter Ausstattung daher kommt. Die Entwicklungs- und Testarbeit muss enorm gewesen sein. Was man während einer Partie tut und was man in verschiedenen Partien tut, fühlt sich allerdings gleichförmig an.
Was mir auffällt: In dem epischen Tun reizt es mich am meisten, Anschaffungskarten zu ziehen und auszuspielen. Ob das für mein Fortkommen produktiv ist? Keine Ahnung. Und egal. Denn die Karten bringen im Kleinen das, worin es DIE KOLONISTEN im Großen mangelt: Überraschungen.
DIE KOLONISTEN von Tim Puls für einen bis vier Spieler, Lookout Spiele.