Wer gewohnheitsmäßig die ehrenvolle Aufgabe übertragen bekommt, die Spiele des Abends erklären zu dürfen, wird bei TERRA MYSTICA einmal mehr mit der Nase darauf gestoßen, welch gute Arbeit der Grafiker Dennis Lohausen doch macht – insbesondere bei den regelintensiveren Spielen: Fast alles, was die Spieler wissen müssen, findet sich bildlich auf dem Spielplan und den Tableaus wieder. So kann ganz wunderbar entlang des Materials erklärt werden.
Zufällig bin ich übrigens genau so einer, der dauernd das Erklären an der Backe hat. Und deshalb sage ich: Danke, Dennis Lohausen!
Wie geht TERRA MYSTICA? TERRA MYSTICA ist ein Ausbreitungsspiel ohne Krieg. Völker können sich nur auf Felder ihrer Farbe ausdehnen. Um einen Bauplatz zu gewinnen, muss Gelände in der Nachbarschaft oft umgewandelt werden. Die Entfernung der Farben in einem Farbkreis bestimmt dabei die Kosten. Je größer der Abstand, desto teurer das Terraforming.
Vier Währungen sind im Spiel: Geld, Arbeiter, Priester und Macht. Macht ist am originellsten. Sie wird im Gegensatz zu den drei anderen nicht einfach bar ausgezahlt, sondern sammelt sich erst mit gewisser Verzögerung in der Schatulle, weil die Machtsteine auf dem Spielertableau zunächst einen Weg durch drei Schalen zurücklegen müssen. Macht gewinnt man unter anderem, wenn ein Mitspieler in direkter Nachbarschaft baut. Wer Macht will, siedelt also bevorzugt in der Nähe der Gegner. Allerdings schränkt genau das die weiteren Ausbreitungsmöglichkeiten ein.
In der Schlusswertung gibt es Punkte für eine große zusammenhängende Siedlungsfläche sowie für den Aufstieg in vier verschiedenen Kulten. Die Gebäude selbst zählen keine Punkte. Jeder Bau schaltet allerdings Ressourcen frei, die man in der nächsten Einkommensphase erhält. Wohnhäuser bringen Arbeiter, Tempel bringen Priester etc.
TERRA MYSTICA geht über sechs Runden. In jeder gilt ein zu Spielbeginn ausgeloster Bonus. Er könnte beispielsweise besagen: Wer in dieser Runde ein Wohnhaus baut, bekommt zwei Punkte dafür, und bei Rundenende gibt’s für je vier Schritte im blauen Kult einen Priester.
Was passiert? Die Interaktion bei TERRA MYSTICA ist indirekt. Spieler schnappen einander bestimmte Felder oder bestimmte Vorteile weg. Bin ich am Zug, darf ich genau eine Aktion ausführen. Entscheidend ist das Timing. Aktionen, bei denen mir jemand zuvorkommen könnte, sollten Priorität besitzen. An diesem Punkt entsteht in TERRA MYSTICA die meiste Spannung.
Jeder Spieler führt ein Volk mit unterschiedlichen Eigenschaften, Baukosten und Boni. Die Stärken des eigenen Volkes will man natürlich nutzen, trotzdem stellt sich stets die Frage, ob man Spezialeigenschaften gleich bei der ersten Gelegenheit freischaltet oder zuvor noch einige der Rundenboni anpeilt. Und ob es die Eigenschaften des Volkes und die Spielsituation erlauben, auf Ausdehnung oder Kultaufstieg oder auf beides zu spielen.
TERRA MYSTICA erweist sich in vielen Details als sehr verzahnt und ausgeklügelt. Eine der reizvollen Ideen ist beispielsweise die, dass jeder Spieler pro Runde eine Bonuskarte mit bestimmten Vorteilen bekommt. Wer passt und damit aus der Runde aussteigt, legt seine Karte in den Pool zurück und wählt eine der dort verfügbaren Karten. Die zurückgelegte Karte steht allen nun anderen Spielern zur Verfügung. Ist man auf einen ganz bestimmten Vorteil scharf, wird somit auch der Zeitpunkt des Passens zu einer taktischen Angelegenheit.
Was taugt es? Ich habe ein paar Partien gebraucht, um die Faszination von TERRA MYSTICA zu erfahren. Vieles wirkt herkömmlich und vieles ist auch herkömmlich; deshalb sind es anfangs vor allem die 14 verschiedenen Völker, die einen Reiz ausüben und auf weitere Partien neugierig machen. Wie sich später erweist, sind die Völker nicht bloß Showeffekt, sondern tatsächlich eine spielerische Herausforderung. Ebenfalls zeigt sich, wie geschickt die Mechanismen in TERRA MYSTICA verwoben sind. Sie bieten Tiefe und Entscheidungsnöte, ohne den beliebten Trick anzuwenden, Komplexität durch Überkonstruktion und Überforderung zu erzielen. Was mir an TERRA MYSTICA trotzdem zum Spitzenspiel fehlt, ist das gewisse Etwas: also entweder ein fesselndes Thema oder eine große leitende Idee, die TERRA MYSTICA über das rein Handwerkliche hinaushebt.
TERRA MYSTICA von Helge Ostertag und Jens Drögemüller für zwei bis fünf Spieler, Feuerland.