Donnerstag, 31. März 2022

Gern gespielt im März 2022

DIE SCHLACHT VON RUNEDAR: Karten schmieden, solange sie heiß sind.

CASCADIA: Double Layer ist im Puzzlespiel angekommen.

IMPERIUM - KLASSIK: Den Spielgedanken, dass Völker danach streben, die Barbarei endlich hinter sich zu lassen, finde ich durchaus tröstlich.

JEKYLL VS. HYDE: Unter den uuunzähligen Stichspielen mit Jekyll-and-Hyde-Thema, die ich so kenne, könnte dieses glatt das zweitbeste sein.

SHAMANS: Nachdem sich herausgestellt hat, wie gut Stichspiel zu Kooperation passt, stellt sich nun heraus, wie gut Stichspiel zu Social Deduction passt. (Hm … ob Stichspiel gar zu Deckbau passt?)


UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM MÄRZ:

LIVING FOREST: Gerade nach mehreren Besuchen im Harz ist lebendiger Wald eine faszinierende Abwechslung.






Freitag, 25. März 2022

Dungeons, Dice & Danger

Obwohl ich Dungeons sogar ausgenudelter finde als Mittelalter oder Antike, begrüße ich das Thema in DUNGEONS, DICE & DANGER sehr. Denn oft bleiben Roll-and-Write-Spiele abstrakt. Und wenn eins, wie hier, mal schlüssiger daherkommt, geht es schon mal mit einem Pluspunkt an den Start. Oder besser: „ging“. Denn der Pluspunkt kam wieder abhanden.

Wie geht DUNGEONS, DICE & DANGER? Wir spielen auf einem Ankreuzplan, der einen Dungeon mit zahlreichen Kammern und Räumen zeigt. In einigen sind Monster (zum Verhauen), in einigen Schätze (zum Verstauen).
Räume darf ich von Nachbarräumen aus betreten, außerdem benötige ich die passende Würfelsumme. Wer am Zug ist, rollt vier weiße Würfel. Wie bei CAN’T STOP kombiniert man immer zwei davon. Anders als bei CAN’T STOP machen das alle; nicht nur, wer gewürfelt hat. Und ebenfalls anders als bei CAN’T STOP wurde noch ein schwarzer Würfel mitgeworfen, der statt eines der weißen benutzt werden darf: von der aktiven Spieler:in immer, von den passiven Spieler:innen nur dreimal pro Partie.
Bei alldem geht es um Punkte. Schätze zählen Punkte, getötete Monster zählen Punkte (mit Bonus, wenn ich dabei anderen zuvorkomme). Obendrein gibt es in jedem der vier Level zwei Besonderheiten, die ebenfalls Punkte zählen.
Schätze sammle ich sofort bei Betreten des Raumes. Monster erfordern mehr Vorarbeit. Im einfachsten Fall benötige ich dreimal, im härtesten Fall 21-mal eine bestimmte Augensumme, um die Kreatur zu verhauen und damit endlich den Raum zu erobern. Vorher ist mir der Zugang versperrt. Die Augenzahlen, um Monster zu verwunden, sind teils vorgegeben, teils schaltet man sie sich frei, üblicherweise indem man das Viech aus mehreren Richtungen umzingelt.
Minuspunkte kann es übrigens auch geben: wenn man Lebenspunkte verliert. Das passiert immer dann, wenn man Würfelergebnisse verfallen lassen muss, weil man sie nirgends ankreuzen kann.


Was passiert? Im Gegensatz zu vielen anderen Roll-and-Write-Spielen und auch anders, als das Thema verheißt, ist DUNGEONS, DICE & DANGER kein Spiel, das man mal so eben runterkreuzt. Wer keine Lebenspunkte vergeuden will, muss planvoll agieren. Das bedeutet: nicht immer auf den erstbesten Schatz oder das erstbeste Monster losstürmen, sondern sich Ankreuzmöglichkeiten für die Zukunft eröffnen.
Das Erschließen des Plans spielt in DUNGEONS, DICE & DANGER eine große Rolle. Ein Feld zu wählen, das mir keine Punkte bringt und keine neuen Ankreuzmöglichkeiten eröffnet, ist wenig effektiv … aber natürlich immer noch besser als der Verlust eines Lebenspunktes. In einem interessanten Widerspruch zu der Anforderung, langfristig Gelände zu gewinnen, steht die Punktwertung, die kurzfristige Ergebnisse in Form toter Monster verlangt.
Die Kehrseite dieser Anforderungen: Man kann DUNGEONS, DICE & DANGER kaum aus dem Bauch spielen. Um die wirklich beste Option zu finden, muss und sollte man eine Weile den Plan absuchen. Insbesondere Züge, bei denen man über einen soeben betretenen Raum gleich den nächsten erobert, sind nicht sofort ersichtlich.
Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass nicht jede:r die fünf Würfel so gut überblickt, um im Kopf alle möglichen Paare zu bilden. Bei CAN’T STOP erleichtern sich das manche, indem sie die Würfel auf dem Tisch verschieben und gruppieren. (Und in CAN’T STOP ist sogar viel offensichtlicher, was man braucht und was nicht.) Fummelt jemand in DUNGEONS, DICE & DANGER an den Würfeln herum, stört das die anderen, weil sie ja dasselbe Würfelergebnis im Kopf verarbeiten müssen. Oft entstehen erhebliche Wartezeiten.


Was taugt es? DUNGEONS, DICE & DANGER gefiel mir mit zunehmender Partienzahl weniger gut. Die vier verschiedenen Spielpläne schienen andere Abenteuer zu versprechen, andere Strategien, andere Erlebnisse. Tatsächlich aber fühlen sich die Level trotz Regelmodifikationen ähnlich an. Und: Es bleibt weiterhin mühsam.
Auch Fortgeschrittene müssen ihren Spielplan absuchen, müssen systematisch ihre Würfel durchchecken. Wer mehr Sorgfalt investiert, findet oft auch ein besseres Ergebnis. Möglichkeiten zu suchen, nimmt in DUNGEONS, DICE & DANGER mehr Raum ein, als Möglichkeiten abzuwägen. Manchmal gibt es auch gar nicht viel abzuwägen, weil alle Varianten bis auf eine den Verlust eines Lebenspunktes verursachen würden. Dann besteht das Spiel nur darin, diese Variante zu finden. Und das ist am Ende recht wenig Spiel.
Auch grafisch finde ich DUNGEONS, DICE & DANGER nur mittelprächtig. Die Grafik mag Atmosphäre schaffen, Übersicht schafft sie nicht. Selbst das Ausrechnen der Punkte ist hier unnötig unkomfortabel, weil man Zwischenrechnungen anstellen muss, für die gar kein Platz vorgesehen ist.


*** mäßig

DUNGEONS, DICE & DANGER von Richard Garfield für eine:n bis vier Spieler:innen, alea.

Montag, 21. März 2022

Fort

Tja, so läuft das auf REZENSIONEN FÜR MILLIONEN. Ist der Mechanismus gut, wird am Thema herumgemäkelt. Gibt es beim Thema nichts zu meckern, findet sich das Haar in der Suppe beim Mechanismus. FORT hat übrigens ein ganz tolles Thema, womit der Rest eigentlich schon verraten wäre.

Wie geht FORT? Wir sind Kinderbanden und bauen Forts. Die Fertigstellung des Forts ist eine der Möglichkeiten, das Spiel zu beenden, und bringt für die Schlusswertung einen schönen Batzen Punkte. Zusätzliche Punkte sammeln wir durch Aktionen während der Partie, und am Ende besitzen wir höchstwahrscheinlich noch eine „Erfundene Regel“, also eine geheime individuelle Schlusswertung.
Die Abschnitte des Forts bauen wir mit stets größer werdenden Kombinationen aus Spielzeug und Pizza. Weshalb man dieses „Zeugs“ (im Spiel tatsächlich so schön benannt) also stets ansammelt und wieder ausgibt.

FORT ist darüber hinaus ein Deckbuilding-Spiel. Mit fünf oder weniger Handkarten beginne ich meinen Zug. Sie zeigen meine Freund:innen, und mit einigen von ihnen darf ich nun „spielen“: Ich lege eine meiner Karten und führe ihre bis zu zwei Aktionen aus. Beispielsweise bekomme ich nun Pizza oder tausche Pizza gegen Spielzeug. Einige Aktionen können verstärkt werden, indem ich als Multiplikator weitere Karten mit demselben Symbol spiele.
Bevor mein Zug endet, dürfen andere Banden eine meiner Aktionen kopieren, indem sie eine Karte mit demselben Symbol spielen. Und nun muss ich alle diesmal nicht zum Einsatz gekommenen Freund:innen in meinen „Garten“ legen. Das ist eine Zone vor meinem Spielbereich. Am Ende meines Zuges ziehe ich nicht nur auf fünf Karten hoch, sondern werbe vorher noch ein neues Bandenmitglied an. Entweder aus der Bank oder aus den Gärten anderer Banden.


Was passiert? Das Thema erklärt diesen Mechanismus sehr gut. Freund:innen, mit denen ich nicht spiele, sind natürlich enttäuscht und schauen, ob sie in anderen Banden unterkommen können. Manchmal gelingt das, zum Beispiel weil jemand oft Skateboard-Aktionen multipliziert und deswegen weitere Skateboard-Symbole gebrauchen kann. Manchmal gelingt es nicht, weil ich natürlich mit meinen wertvollsten Freund:innen spiele und die tendenziell verzichtbaren im Garten versauern lasse.
Weil das Fort nicht nur Punkte zählt, sondern dessen Stufen auch Vergünstigungen freischalten, hat FORT Wettlauf-Charakter. Schnelle Baufortschritte sind oft eine gute Idee, auch um das Lager zu räumen und später wieder befüllen zu können. Dessen Plätze sind nämlich begrenzt. Ein leeres Lager macht Züge, in denen ich Zeugs raffe, effektiver, weil ich mehr Zeugs auf einmal raffen kann.


Was taugt es? Was in FORT passiert, ist herkömmlich: Zeugs sammeln, Sachen bauen. Verfeinert wird es durch Nebenschauplätze wie das Baumhaus (in dem man Multiplikator-Karten ansparen kann) oder den Rucksack (ein zweites Lager für Zeugs, das etwas anderen Regeln folgt). Und viel Charme gewinnt FORT durch die Grafik und die Spielgeschichte. Karten heißen hier „Hüpfburg“ oder „Raufen“ oder „Klebrige Finger“ und sind eine ganze Ecke witziger als das, was uns in Mittelalter- oder Architektur-Spielen begegnet.
Der Charme von FORT wird spielerisch allerdings zu teuer bezahlt. FORT ist mühsam mit seinen Kleinregeln und vielen Symbolen, die man erst mal erarbeiten und verstehen muss. Spielfluss kommt nur langsam auf, mit Neulingen am Tisch sehr langsam. Und letztlich macht man doch nicht viel anderes als in herkömmlichen Bauspielen, es wird nur anders verkauft und komplizierter dargeboten. Daran hat auch die knapp gehaltene Anleitung ihren Anteil, die ein paar mehr Beispiele gut hätte gebrauchen können.
Die in der Theorie faszinierende Idee fluktuierender Decks (Freund:innen wandern ab und kehren zurück) verursacht mehr Aufwand, als spielerischer Ertrag daraus gewonnen wird. Der neuartige Mechanismus bleibt weitgehend wirkungslos. Letztendlich ist mir nicht mal klar geworden, wo generell der spielerische Reiz von FORT stecken soll. Mit jeder Partie verschwindet ein Stück der anfanglichen Themenbegeisterung, zum Vorschein kommt ein spannungsarmes Spiel, das nichts hat, worauf man weiter neugierig wäre.


** misslungen

FORT von Grant Rodiek für zwei bis vier Spieler*innen, Leder Games.

Donnerstag, 17. März 2022

Kokopelli

Von einem gewissen Kokopelli hatte ich vor KOKOPELLI noch nie etwas erfahren. Man könnte also sagen, Spielen bildet. Jedoch: Auch durch KOKOPELLI erfahre ich über den Kokopelli eigentlich nichts.

Wie geht KOKOPELLI? Wir legen Karten aus. Jede:r besitzt dafür vier Slots, in jeden darf eine Kartensorte. Es gibt aber zehn Sorten, weshalb man nicht jede Art gleichzeitig bei sich ausliegen haben kann. Als Ausweichmöglichkeit darf man je zwei Ablageplätze der Nachbar:innen mitbenutzen, aber nur um anzulegen, nicht um dort neue Farbreihen zu eröffnen.
Es ist erstrebenswert, immer mal wieder die Hand leerzuspielen. Dann bekommt man nicht nur einen Punkt, sondern zugleich drei neue Karten und spart sich Aktionen fürs Nachziehen. Ein schneller Kartendurchsatz ist in KOKOPELLI gut; die Schlusswertung belohnt, bei Spielende möglichst wenig Karten übrig zu haben.
Bis zu vier Punkte bringt es, wenn man in einen Slot die vierte Karte legt. Diese Karten werden dann abgeworfen, hier kann nun eine neue Sammlung begonnen werden.
Manchmal sehne ich das trotzdem gar nicht so dringend herbei. Denn jede bei mir ausliegende Kartensorte verändert – solange sie liegt – für mich die Spielregeln. Rosa Karten besagen zum Beispiel, dass ich immer einen Punkt erhalte, wenn ich fremde Reihen verlängere. Braune Karten besagten, ich bekomme statt einem sogar drei Punkte, wenn ich meine Hand leerspiele. Warum sollte ich solch schöne Privilegien aufgeben?
Erstens: Um handlungsfähig zu bleiben. Wenn ich meine Karten von der Hand auf den Tisch bekommen will, muss ich irgendwann alle und nicht nur meine Lieblingsfarben spielen. Zweitens: Weil ich mich dazu genötigt sehe. Besser, ich beende eine Sammlung, bevor es wer anders für mich tut und auch noch die Punkte dafür kassiert.


Was passiert? Nachbarschaft wird in KOKOPELLI großgeschrieben. Nicht nur weil es ein Substantiv ist. Auch weil das Spiel viel Interaktion erzeugt. Niemand darf eine Farbreihe eröffnen, die schon anderswo in Reichweite liegt. Also will ich bei den von mir als attraktiv empfundenen Farben meinen Nachbar:innen zuvorkommen, damit die angestrebte Regeländerung mir gilt und nicht ihnen.
Gleichzeitig lege ich auch gerne mal bei anderen an, um das Abschaffen ihrer Sonderregeln voranzutreiben. Wobei ich wiederum nicht gerne anlege, wenn ich damit nur die Vorlage gebe, die Reihe zu vollenden und Punkte einzusacken. Und umgekehrt ist damit zu rechnen, dass andere in meine Reihen hineinpfuschen und sie mir vor der Nase weg abschließen.
Weil von 16 enthaltenen Kartenfarben immer nur zehn mitspielen, sind die Akzente in jeder Partie etwas anders. Manche Farben erhöhen das Tempo, andere schütten mehr Punkte aus, andere machen mich beim Ausspielen flexibler.


Was taugt es? Ich spiele KOKOPELLI gern, weil immer was los ist. Dass ich anderen reingrätschen kann oder sie mir, lässt Emotionen aufkommen. Kann ich Reihen abschließen, werde ich das im Regelfall auch tun. Oft sind meine Züge aber eben nicht so klar und ich muss abwägen, ob ich mit dem arbeite, was ich habe, oder lieber eine Aktion fürs Nachziehen oder Austauschen verwende. Ob ich anderen etwas gönne, um möglichst schnell das Blatt wegzuspielen, oder noch einen Zug abwarte, ob sich Besseres ergibt. Ob es sich lohnt, einen meiner Joker einsetzen, oder ob ich ihn lieber aufspare.
KOKOPELLI erinnert entfernt an Stefan Felds REVOLTE IN ROM, bei dem ebenfalls individuelle (und wechselnde) Kartenauslagen unsere Aktionsmöglichkeiten vorgeben. KOKOPELLI ist weniger konfrontativ, schneller und direkter, indem gespielte Karten nichts kosten und auch nicht erst durch Würfel aktiviert werden müssen.
Ein einfaches Spiel ist KOKOPELLI deshalb aber noch nicht. Es passiert wiederholt, dass Effekte oder Regeln vergessen werden und Mitspieler:innen hinterher auffällt, dass ihnen für irgendwas noch Punkte zugestanden hätten. Oder Farbreihen werden eröffnet, die wegen der Reichweitenregel nicht hätten eröffnet werden dürfen. Intuitiv sind die Regelverflechtungen nicht, und das Thema gibt auch keine Hilfestellung.
Die Vielfalt hat sich als nicht so groß herausgestellt, wie man angesichts der vielen Kartensorten und der damit verbundenen Regelvarianten denken könnte. Die Partien laufen ähnlich ab und fühlen sich ähnlich an. Angesichts des Aufwandes, der zu Beginn einer Partie betrieben werden muss, um mitspielende Kartensorten von nicht mitspielenden zu trennen, und um, nachdem man das alles sortiert hat, die ausgewählten Decks wiederum gründlich zu mischen, hätte ich gehofft, dass manche Partien auch strategisch einen anderen Charakter annehmen. Tatsächlich bleibt KOKOPELLI taktisch und situativ geprägt und damit eher oberflächlich.


**** solide

KOKOPELLI von Stefan Feld für zwei bis vier Spieler:innen, Queen Games.

Sonntag, 13. März 2022

Vor 20 Jahren (111): How-Ruck!

Spiele für zwei waren Ende der 90er-Jahre heiß. Man kann sagen, mit DIE SIEDLER VON CATAN – DAS KARTENSPIEL FÜR ZWEI SPIELER war ein neues Marktsegment eingeführt worden. Zweierspiele bekamen plötzlich sehr große Aufmerksamkeit.

Was war das Neue an diesen neuen Zweier-Spielen? Ganz sicher nicht die Spieler:innenzahlbegrenzung. Go oder Schach spielt man schließlich schon seit Jahrhunderten nur zu zweit. Neu war nun aber, zu zweit eben nicht mehr Schach oder Schachartiges zu spielen. Zum Imagewandel des Zweier-Spiels hatte ich schon bei DVONN zwei, drei Sätze geschrieben. Die (Obacht: Werbung!) brandaktuelle SPIEL DOCH 1-22 widmet sich dem Thema ausführlicher.

Wie alle Wellen begann auch diese irgendwann zu verebben. Die Wahrnehmung wurde eine andere, die Spiele waren nicht mehr so besonders. Das kann an den Spielen selbst gelegen haben, denn es erschien natürlich auch viel Mittelmaß. Allerdings war das in den vermeintlich goldenen Jahren davor nicht anders gewesen; an die Highlights erinnert man sich nur viel besser.

Es erschienen jetzt aber auch insgesamt mehr Zweier-Spiele. Allein im Kosmos-Verlag waren es 2002 vier, 2003 dann noch mal vier. 2003 schließlich stieg obendrein Ravensburger (zu spät) in das Segment ein. Plötzlich gab es ein Überangebot. Und mit diesem Überangebot und einer gewissen Sättigung und dem langsamen Verebben der Welle würde ich mir erklären, warum eins der Spiele aus dem Jahr 2002 unverdient untergegangen ist: Richard Borgs HOW-RUCK!


Heute würde man Bier-und-Brezel-Spiel dazu sagen. Damals sagte man das noch nicht, außerdem ist es sowieso viel eher ein Whisky-und-Seil-Spiel. Zwei Teams messen sich im Tauziehen. Wer dreimal das Whiskyfass auf seine Seite zieht, gewinnt. Pro Zug spielt man eine Karte, meistens eine Personenkarte. Die legt man im eigenen oder im fremden Team an. Farblich passend. In jedem Team gibt es für jede Farbe nur ein Feld. Eine neue blaue Karte überdeckt die vorhandene blaue Karte.

Auf manchen Karten steht zusätzlich „How Ruck“. Jetzt kommt es zum Kräftevergleich. Die Summe der Zahlenwerte beider Seiten besagt, welches Team stärker ist und das Fass entsprechend der Differenz in seine Richtung zieht.

Das ist lustiger, als es taktisch ist. Gute Karten legt man zu sich, schlechte zum Gegenüber. Aktionskarten können alle Bemühungen zunichtemachen, weil sie vielleicht das Seil reißen lassen und alles von vorn beginnt oder ausnahmsweise das schwächere Team ein paar Seilmeter gutmacht.

Es wäre nicht unbegründet, HOW-RUCK! als banal abzutun. Was ich dagegen immer toll fand und immer noch toll finde: In diesem „lockeren Muskelspiel für Zwei“ (Untertitel) passt alles zusammen. Der Anspruch, das Thema, die Aufmachung, das bekloppte Cover, auf dem irgendwer schon kopfüber im Whiskyfass steckt. Die Karten setzen die angestrengten Sportler charmant in Szene. Sportlerinnen sind hier die Joker und oft viel stärker. Und der Superjoker ist Nessie. Mit einem … na ja, unvermeidlichen Restrisiko. Eine Aktionskarte besagt, dass Nessie ihr gesamtes Team auffrisst. Aber keine Sorge, das ist nur ein Jahrtausendereignis. Und wenn es doch mal wieder passiert, hat die Partie einen Höhepunkt erreicht.


Mittwoch, 9. März 2022

Watch

Für Spieleautor:innen sucht man gerne Schubladen: Sind sie eher Uhrmacher:innen? Oder eher Geschichtenerzähler:innen? Um Daniel Newman einzusortieren, genügt ein Blick aufs Cover von WATCH.

Wie geht WATCH? Wir arbeiten in einem Uhrenwerk und schmuggeln obskure Kisten hinaus. Dazu setzen wir Figuren ein. Jede:r besitzt eine. Acht Felder stehen zur Wahl, außer sie sind schon besetzt. Auf vier der Felder wird man die gewünschte Aktion problemlos durchführen können. Die vier anderen Felder aber – und tendenziell sind es natürlich die interessanteren – sind illegal. Pro Runde werden eins bis drei von ihnen überwacht. Welche das sind, hat entweder ein:e Spieler:in oder der Zufall festgelegt. Agiert man auf einem Feld, bei dem sich hinterher herausstellt, dass es bespitzelt wurde, kostet das eine satte Strafe.

Aktionen bringen uns Geld und Zahnräder; das sind die Währungen. Wir dürfen Kisten aus der Fabrik schaffen, was Punkte zählt. Wir erwerben Aktionskarten. Je häufiger ich einen Spielplanbereich besuche, desto stärker wird die Aktion, die ich dort ausführen darf. Wo ich nur selten bin, kann ich auch nicht viel.
Wie viel mein Besitz am Ende zählt, hängt von insgesamt sechs Skalen ab, auf denen wir pro Zug einen Chip einsetzen. Eine Aktion – leider illegal – erlaubt, einen Extra-Chip zu platzieren. Mehr Chips zu haben, wäre gut, denn auf allen Skalen bestimmt eine Mehrheitswertung meinen Schlussmultiplikator. Zum Beispiel multiplizieren zwei der Skalen das Bargeld. Bin ich auf beiden Skalen führend, zählt jede meiner Münzen fünf Punkte. Bin ich nicht mal irgendwo Zweiter, punkten meine Münzen gar nicht.


Was passiert? WATCH spielt sich ganz schön vertrackt. Klar ist, dass man seinen Besitz vermehren sollte. Unklar aber bleibt, wie man das schlau und gezielt anstellt und dann noch mit einer hohen Wertung krönt. Felder auf der Zahnrad-Multiplikations-Skala bringen als Sofort-Ausschüttung Geld. Welches ich dann aber gar nicht so dringend haben will, sondern Zahnräder, um sie zu multiplizieren. Zahnräder wiederum spendiert die Kisten-Multiplikations-Skala. Aber – man ahnt es – wenn ich mich dort engagiere, will ich ja eigentlich Kisten.
Dieser Widerspruch ist einerseits interessant, führt jedoch andererseits dazu, dass man in WATCH nur schwer ein Gefühl dafür entwickelt, welche Aktionen sinnvoll sind und ob der eigene Zug irgendwas gebracht hat.
Ebenfalls trickreich, aber leichter durchschaubar und deshalb von Anfang an reizvoll ist der Einsatzmechanismus. Wir nehmen die Figuren zwischen den Runden nicht vom Brett, sondern hüpfen von Feld zu Feld, was dazu führen kann, dass Aktionen rundenübergreifend blockiert sind, weil die Person, die dort steht, erst ganz am Schluss an die Reihe kommt, ihren Ort zu wechseln.
Diese Zwänge lassen sich taktisch nutzen, um die Möglichkeiten anderer Spieler:innen einzuengen, um gezielt früh oder absichtlich spät an die Reihe zu kommen. Ein Uhrzeiger, der auf dem runden Einsetzplan voranschreitet, bestimmt, in welcher Reihenfolge Aktionen ausgeführt und Figuren versetzt werden. Es lässt sich also vorausberechnen.


Was taugt es? Im Uhrzeigermechanismus, der dem sattsam bekannten Figureneinsatz noch mal einen neuen (haha) Dreh verleiht, steckt die Stärke von WATCH. Und spannende Momente erlebt man immer dann, wenn man etwas Verbotenes wagt. Auch das ist ein ungewöhnliches Element. Angenehm fallen zudem die klare Struktur und die Stringenz des Spiels auf. Die Entscheidungen sind schnell getaktet, WATCH erreicht trotzdem Tiefe.
Aber auch wenn mit Uhrzeigern, Zahnrädern und grau-brauner Optik alles auf Uhrenfabrik in der Sowjetunion getrimmt ist, bleibt das Spiel abstrakt. Man spielt kein Thema, man spielt einen Mechanismus. Es entwickelt sich keine Story, es entwickelt sich allenfalls der Vermögensstand.
WATCH ist ein nüchternes Spiel. Obwohl es in meinen Runden eher positiv überrascht hat, denn die Aufmachung war nicht gerade ein Lockmittel, lässt es am Ende doch kalt. Ein Spiel wird nicht besonders dadurch, dass es mehrere ungewöhnliche Details summiert. Anders als WATCH gelingt besonderen Spielen obendrein eine harmonische übergeordnete Verbindung, sei es in Form einer nachvollziehbaren Geschichte oder eines klaren Spielziels statt nur der Aufaddierung von Punkten in diversen Sammelgebieten.


**** solide

WATCH von Daniel Newman für eine:n bis vier Spieler:innen, PD-Verlag.

Dienstag, 1. März 2022

Wonder Book

„Oniria ist die Heimat einer uralten Drachen-Zivilisation: ein idyllisches Paradies, von Drachen geschaffene Wunderwerke, eingebettet in eine üppige Landschaft. Einst mag dies wahr gewesen sein. Aber Oniria verändert sich und die gesamte Welt wird in ihren Grundfesten erschüttert. Doch es gibt auch noch eine Legende, die besagt, dass einst ein Mensch dem Land in einem schweren Konflikt den Frieden brachte. Jahrhunderte sind seitdem vergangen und Oniria benötigt erneut Hilfe.“
So beginnt die Anleitung von WONDER BOOK, und ich vermute, der Spielspaß korreliert ziemlich stark mit der Einschätzung, ob die Geschichte vielversprechend losgeht oder nicht. Für mein Empfinden beginnt die Geschichte schlecht: Abgesehen von der abgedroschenen Story (Ach, schau, eine Fantasy-Welt benötigt Hilfe aus der realen Welt!) irritiert mich die Sprunghaftigkeit: Erst ist es ein Paradies, dann ist es doch kein Paradies mehr, dann ist es ein Paradies in Veränderung. Die Veränderung erschüttert die Welt, und man fragt sich: Unsere? Dann kommt eine Legende ins Spiel. Sie handelt zwar von der Vergangenheit, doch offenbar wird vorausgesetzt, dass Geschichte sich wiederholt und wegen dieser Legende Hoffnung für die Gegenwart besteht.


Wie geht WONDER BOOK? WONDER BOOK nennt sich selbst „Pop-Up-Spiel“, und tatsächlich: In der Mitte des Spielplans steht ein großer Pop-Up-Baum. Gespielt wird größtenteils auf der Fläche um den Baum herum, teilweise auch im Baum selbst, teilweise auf oder mit Objekten, die erst später zum Vorschein kommen.
Sechs Kartenstapel leiten durch die sechs Spiel-Kapitel. Wir beginnen bei der obersten Karte, lesen und bekommen nach und nach neue Regeln mitgeteilt oder die Geschichte wird weitererzählt oder wir werden angewiesen, bestimmte Karten oder Edelsteine an verschiedenen Stellen des Spielplans auszulegen.
Immer wieder müssen wir uns zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Wollen wir jemandem trauen oder sind wir vorsichtig? Wollen wir Schätze an uns nehmen oder eine uralte Schrift lesen? Entsprechend unserer Entscheidungen müssen wir bestimmte Schlagworte aufschreiben, und später in der Geschichte hängen die weitere Handlung sowie Strafen oder Belohnungen davon ab, was wir notiert haben.
Spielmechanisch im Vordergrund stehen die Würfelkämpfe gegen unsere Feinde, die Wyrms. Hier kann man etwas taktieren, wo man sich positioniert und wie man seine Held:inneneigenschaft einsetzt; ansonsten entscheidet der Zufall.
Ebenfalls wiederkehrend ist die Anforderung, bestimmte Felder zu erkunden, also hinzulaufen und die oberste Karte von einem Stapel zu ziehen, um Informationen oder Boni zu erhalten oder das Spiel voranzutreiben. Oft stören dabei die Wyrms und müssen erst mal wieder weggekämpft werden.
WONDER BOOK bindet das Pop-Up und dessen Illustration ins Geschehen ein. Man muss nach Objekten suchen, grafische Details beachten, man darf geheime Mechanismen öffnen, man muss geschickt sein.
Nach sechs gewonnen Partien ist WONDER BOOK vorbei. Man kann es aber noch mal spielen, und es wird nicht komplett identisch verlaufen, sofern man an den Story-Weichen andere Entscheidungen trifft.


Was passiert? Trotz unserer Wahlmöglichkeiten fühlt sich WONDER BOOK gradlinig und stark gescriptet an. Denn natürlich steht schon vorab fest, wann welche Pop-Up-Elemente zum Einsatz kommen. Das Drehbuch ist längst für uns geschrieben.
Zu keiner Zeit habe ich mich in die Erzählung hineinfinden können. Sie wirkt aus Fantasy-Versatzstücken zusammengeklöppelt, wie man es gerade brauchte. Figuren ploppen auf und heißen „Hüter des Baums der Träume“ oder „König Eidolons Berater“. Doch weder diese schönen Titel noch die Figuren selbst werden mit Leben gefüllt. Sie sind nicht im Spiel enthalten, weil es die Geschichte verlangt. Sondern sie sind in der Geschichte enthalten, weil es das Pop-Up verlangt. Davon fühle ich mich als Rezipient nicht erst genommen.
Dauernd werden viele Worte gemacht, beispielsweise um zu erklären, warum fünf Edelsteine auf dem Spielfeld platziert werden und aus welchem magisch-mystischen Grund wir sie einsammeln sollen. Aber am Ende: würfeln wir gegen die Wyrms.


Was taugt es? Spielerisch finde ich WONDER BOOK herkömmlich. Raufen, raffen, rennen. Es ist wie ein Dungeon Crawler. Nur mit langatmigen Textpassagen. Hin und wieder sind auch Regelanweisungen nicht ganz klar, und die Gruppe muss interpretieren, wie es gemeint sein könnte. Und wiederholt reicht die Bemessung der Spielfelder nicht aus, um im Schlachtgetümmel alle erforderlichen Figuren zu platzieren.
Bei allem, was mir nicht gefällt, hat WONDER BOOK aber einen ganz großen Trumpf: die sehr erstaunlichen Pop-Up-Elemente. Was WONDER BOOK da alles hervorzaubert, überrascht. Das Objekt kann mehr, als man denkt. Und auch wenn vieles eher dekorativ bleibt, ist das Bemühen der Autoren spürbar, das Pop-Up auf vielfältige Weise ins Spiel einzubeziehen. WONDER BOOK beschert uns spielerische Momente, die wir so noch nicht hatten. Es ist ein auf seine Weise einzigartiges Spiel, von dem man sich verzaubern lassen kann. Mich hat es wegen zu viel schlechtem Beigeschmack allerdings nicht verzaubert.


*** mäßig

WONDER BOOK von Martino Chiacchiera und Michele Piccolini für eine:n bis vier Spieler:innen, Abacusspiele / dV Games.