Mittwoch, 31. Mai 2023

Gern gespielt im Mai 2023

HEAT: Die Sinnhaftigkeit von Autos wurde in jüngster Zeit etwas in Zweifel gezogen. Gerade noch rechtzeitig kommt HEAT mit einem wichtigen Pro-Argument: Mit Autos kann man ganz hervorragend im Kreis herumfahren!

GET IT: Was starrt ihr mich alle so an?

THAT’S NOT A HAT: Der Titel lässt sich nicht beanstanden. Die meisten Karten zeigen tatsächlich keinen Hut. Beanstanden lässt sich die fehlende Möglichkeit, dieses Wissen gewinnbringend anzuwenden.

CHALLENGERS: Mein Motto-Deck „Die gelbe Gefahr“ mit gleich drei Verkäuferinnen musste kürzlich leider erfahren, warum der Bösewicht „Bösewicht“ heißt.

CODENAMES DUETT: In Kapstadt gewesen, in Sydney, in Tokio. Und das alles auf Juist.






UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM MAI:


DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER: Und wenn ich noch irgendwann herausfinde, warum Händler:innen kein bisschen miteinander interagieren, sage ich Bescheid.



Samstag, 27. Mai 2023

Cartaventura

Es kann natürlich sein, dass die Illustrationen auf den kleinen quadratischen Schachteln mich neugierig gemacht und positiv eingestimmt haben. Ich fürchte jedoch, die entfernte Ritter-Sport-Anmutung hat mich unterbewusst noch viel mehr eingefangen.

Wie geht CARTAVENTURA? „Zur See fahren? Den Gouverneur treffen? Wie werdet ihr entscheiden?“ Die Schachtelrückseite von CARTAVENTURA verdeutlicht schon recht genau, worum es geht: Wir versetzen uns in eine Person, erleben ihre (Reise-)Geschichte nach und treffen Entscheidungen, die die Handlung in die eine oder andere Richtung bewegen.
Hin und wieder sind noch Ressourcen im Spiel, von denen es abhängt, ob uns bestimmte Wege offenstehen oder nicht. In LHASA ist dies beispielsweise Geld, das wir während der Reise verdienen können und an anderer Stelle einsetzen müssen, um weiterzukommen.

Unsere Entscheidungen führen dazu, dass wir Karte XY ziehen und lesen sollen, dass wir Karten zu einer Landkarte kombiniert auf dem Tisch auslegen, dass wir Teile der Landkarte auf ihre Rückseite drehen dürfen, wodurch sich neue Orte offenbaren, die wir fortan ansteuern könnten. Und so weiter.
Irgendwann kommt die Geschichte an ihr Ende. Genauer: an eines ihrer fünf möglichen Enden, das sich mehr oder weniger befriedigend anfühlt. Das Spiel verzichtet auf eine Wertung, ob das erreichte Ende das „richtige“ ist. Wer will, kann gleich noch einmal spielen und schauen, ob und mit welchen anderen Entscheidungen ein anderes Finale erreicht wird.

Was passiert? Weil deutlich mehr gelesen als entschieden werden muss, ist CARTAVENTURA wie ein Buch mit ein bisschen Spiel: Möglichkeit A oder Möglichkeit B? Manchmal gibt es zusätzlich eine Möglichkeit C oder gar D. Man kann da seinem Gefühl folgen, wird aber kein System oder keine Taktik finden, um die Fälle gut zu absolvieren, zumal es ja, anders als bei Escape-Spielen, auch keine Lösung gibt, die ganz unbedingt erreicht werden muss.


Was taugt es? In CARTAVENTURA liegt die Konzentration auf dem Erzählinhalt. Und im Gegensatz zu so vielen anderen Spielen wirken die Geschichten realistisch und authentisch. Dass Historiker:innen beratend mitgearbeitet haben, zahlt sich aus.
Wir spielen auch nicht die üblichen abgenudelten Szenarien nach, denen man schon zig Mal begegnet ist. CARTAVENTURA wählt historische Personen und Ereignisse abseits dessen, was man aus dem schulischen Geschichtsunterricht kennt.
In KARAWANEN reisen wir auf den Spuren von Ibn Battuta, der als bedeutendster arabischer Reisender des Mittelalters gilt, von dem ich zuvor aber trotzdem noch nichts gehört hatte. In LHASA geht es um die mir bis dato ebenso unbekannte Reiseschriftstellerin Alexandra David-Neel, in OKLAHOMA um Bass Reeves, der als ehemaliger Sklave der erste afroamerikanische Deputy U.S. Marshal westlich des Mississippi River wurde.
Allerdings: Bei keiner der vier Boxen hatte ich Lust, mich so häufig damit zu beschäftigen, bis ich tatsächlich sämtliche Enden erreichte. Irgendwann wiederholt es sich. Unter spielerischen Gesichtspunkten bietet CARTAVENTURA nichts Besonderes. Vergleichbares gab es schon etliche Male, auch ausgefeilter und abwechslungsreicher.
Trotzdem finde ich die Reihe gelungen, weil sie Geschichte ernst nimmt und sich bemüht, unübliche Geschichten zu erzählen und verklärte oder klischeehafte Bilder zu vermeiden. Ich wünschte, mehr Spielen gelänge es, auf Realität und Historie so seriös Bezug nehmen wie CARTAVENTURA.


**** solide

CARTAVENTURA: LHASA / OKLAHOMA / VINLAND / KARAWANEN von Thomas Dupont für eine:n bis vier Spieler:innen, Kosmos.

Dienstag, 23. Mai 2023

Hennen

Hallo, hier spricht Huhni! Kennt ihr mich noch? Ich wollte so gerne HENNEN für euch spielen, aber Hahni hat gesagt, ich darf das nicht, weil ich mir nur die vielen tollen Hühner-Pin-ups angucken will, und das kommt gar nicht in die Tüte, hat Hahni gesagt. Deswegen hat Udo gespielt. Aber der hat sich die Bilder gar nicht mal richtig angeguckt.

Wie geht HENNEN? Mit zwölf Hennenkarten bilde ich eine Auslage, die viele Punkte zählen soll. In jedem Zug lege ich angrenzend eine Karte. Deren Nummer muss von sämtlichen Nachbarkarten um exakt eins abweichen. Außer die Nachbarkarte hat dieselbe Farbe, dann darf ich auch unabhängig von ihrer Nummer legen.

Weil das Anlegen zunehmend knifflig wird, brauche ich eine gewisse Kartenauswahl – und die habe ich. Mit vier Karten starte ich meinen Zug. Dann ziehe ich zwei weitere: entweder vom verdeckten Stapel oder den offenen Stapeln meiner Mitspieler:innen. Anschließend lege ich eine Karte aus und werfe eine Karte auf meinen offenen Ablagestapel. Von dem ich übrigens nicht ziehen darf.
Punkte zählen die unter den Hennen abgebildeten Eier, jedoch nur in meiner größten Farbgruppe und zusätzlich in der Farbgruppe mit meiner Hahnenfigur. Den Hahn muss ich bei Halbzeit des Spiels auf eine meiner Karten setzen. Und der Hahn darf tunlichst nicht in meiner größten Gruppe landen, weil die nicht doppelt gewertet werden darf. Aber groß soll die Hahnengruppe trotzdem werden, damit viele Eier drin sind.
Punkte zählen außerdem Medaillen. Sie auf den Hühnerkarten der selteneren Farben abgebildet. Und weitere Punkte gibt es für zwei zu Beginn ausgeloste Bauaufträge, die für alle Spieler:innen gleichermaßen gelten. Beispielsweise sollen wir mindestens vier verschiedene Farben auslegen oder mindestens eine Zeile unserer Auslage mit ausschließlich unterschiedlichen Farben bestücken.


Was passiert? Die Legeregeln einzuhalten, erweist sich als Herausforderung. Man muss im Blick haben, welche Karten überhaupt noch kommen können und welche schon in den Auslagen verbaut sind. Auch den Hahn sollte man nicht auf gut Glück setzen, sondern mit einer realistischen Idee, wie sich die Auslage wohl weiterentwickelt. Anfänger:innen scheitern öfter mal, weil sie das Ausmaß der nötigen Überlegungen unterschätzen.
Wer keine Hühnerkarte regelkonform platzieren kann, legt als Ersatz einen Hühnerstall, der minus zählt. Um diesen Unfall zu vermeiden, muss man mehrere Züge vorausplanen und die für später vorgesehenen Karten auf der Hand sammeln. Das allerdings blockiert die Hand. Sehr gerne würde man ja auch Karten aufbewahren, die man seinen Gegner:innen nicht gönnt. Vielleicht geht ja beides? Das Blatt zu managen und mit den Ablagestapeln zu taktieren, fordert heraus und macht Spaß.

Was taugt es? HENNEN ist oft bis zum Schluss spannend, weil man noch auf das Auftauchen einer bestimmten Karte hofft. Auch mittendrin schon kann das Vorankommen an einer einzigen Karte hängen. Gut, wenn man dann die Auslage so flexibel gestaltet hat, dass man noch ein paar Verlegenheitszüge einstreuen und den Platz für die ultimative Karte freihalten kann.
Die Aufträge geben eine Richtung vor, weil man auf deren Punkte schwerlich verzichten darf. Und weil die Wertung belohnt, große Hennengruppen gleicher Farbe zu bilden, ist man recht bald auch festgelegt, welche Farben man sammelt und welche nicht. Somit ergibt sich früh im Spiel, wie der Aufbau am Ende aussehen soll. Das Konzept umzuschmeißen, ist meistens schlecht. Die wesentlichen Weichen stellt man bei Beginn, der Rest der Partie besteht darin, sich zum angestrebten Ergebnis hinzutaktieren.
Die schönen Illustrationen machen HENNEN sympathisch. In dem Spiel steckt mehr Tiefe, als man aufgrund seiner Anmutung annehmen würde. Planungsfehler lassen sich nicht mehr korrigieren. HENNEN ist rundes, schnörkelloses Taktik- und Strategiespiel, dessen Zielgruppe mir allerdings nicht so deutlich ist. Trotz der Hennen ist es rein abstrakt.


**** solide

HENNEN von Giampaolo Razzino für eine:n bis vier Spieler:innen, Little Rocket Games / Fun Bot.

Montag, 15. Mai 2023

Starship Captains

Ich bin kein Trekkie, sorry! Star Trek und Star Wars sind für mich quasi dasselbe, und der Weltraum als solcher fasziniert mich auch nicht sonderlich. Natürlich entgehen mir durch meine Ahnungslosigkeit in STARSHIP CAPTAINS sämtliche Anspielungen, andererseits erspare ich mir auch enttäuschte Erwartungen. Weil ich schlichtweg gar nicht genau weiß, was mich eigentlich erwarten sollte.

Wie geht STARSHIP CAPTAINS? Als Kommandant eines Raumschiffs besitze ich eine Crew, deren Mitgliedern ich nach und nach bestimmte Aufgaben zuweise. „Personaleinsatz“ nennt man diesen Mechanismus, und man begegnet ihm häufiger.
Wir nehmen uns keine Aktionen weg; die Einsatzorte für meine Figuren befinden sich ausschließlich auf meinem eigenen Raumschiff. Die meisten Aktionen erfordern ein Crew-Mitglied einer bestimmten Farbe. Die Figur ist anschließend erschöpft und begibt sich in den Pausenbereich. Zu Beginn der nächsten Runde kommen meine Figuren von dort zurück – mit Ausnahme der letzten drei. Durch die Reihenfolge meiner Aktionen bestimme ich also, welche Figuren mir in der nächsten Runde zur Verfügung stehen.

Wir starten mit gleicher Ausgangslage, aber weil Aktionen dazu führen, dass ich mein Raumschiff ausbaue und meine Crew schule oder umfärbe, unterscheiden sich unsere Möglichkeiten bald. Unterhalb meines Raumschiffes befinden sich sechs Felder, um „Technologiekarten“ darauf abzulegen, wozu ich die Felder allerdings erst mal entmüllen, also von Schadensmarkern befreien muss. Die Technologien erweitern dann meine Fähigkeiten. Darüber hinaus will ich die Karten so anordnen, dass Symbole an ihren Seitenrändern übereinstimmen. Das bringt mir Boni.
Außerdem besitzt mein Raumschiff einen Ladebereich, wo ich hilfreiche Plättchen aufbewahren kann. Auch der Ladebereich muss entmüllt werden, allerdings kann er durch Beschädigungen bei Kämpfen wieder vollmüllen.
Zu Kämpfen kommt es, weil ich auf dem Weltall-Spielplan Piratenschiffen begegne. Als cooler Typ gewinne ich jeden Kampf automatisch und bekomme eine Belohnung dafür, jedoch erhalte ich auch eine Beschädigung.
Auf dem Spielplan schnappen wir uns gegenseitig „Missionen“ weg. Das sind Karten, die auf Planeten ausliegen. Wer hinfliegt, darf die Karte nehmen. Die Mission zu erfüllen, erfordert dann den Einsatz von bis zu drei Crew-Mitgliedern. Die Belohnung in Form von Punkten und Boni fällt höher aus, wenn meine Crew-Mitglieder überdies die geforderte Farbe haben.


Was passiert? STARSHIP CAPTAINS hat einen für Euro-Games typischen Verlauf: Die ersten Runden gehen noch schnell. Wir besitzen kaum Figuren, bald ist das Pulver verschossen. Mit zunehmender Dauer schaltet man sich Figuren und Dauereffekte frei, hortet Material und hat insgesamt mehr Ressourcen, mit denen sich dann auch mehr anfangen lässt.
Typisch für Euro-Games sind in STARSHIP CAPTAINS auch das Spielziel (sammle in diversen Bereichen möglichst viele Punkte, die am Schluss einfach addiert werden) und die Detailverliebtheit. Alles ist mechanisch eng verknüpft, alles ist voller Symbole, und es gibt diverse Nebenschauplätze. Auf drei Skalen („Fraktionspfade“) kann man Schritte gewinnen, wobei hier und da ein Punkt abfällt sowie hier und da ein Bonus. Aus manchen Boni ergeben sich dann andere Boni und so weiter.
Zu Beginn des Spiels ist man noch mehr damit befasst, das Schiff aufzumöbeln und die Maschinerie ins Laufen zu bringen. Mit zunehmender Dauer mündet STARSHIP CAPTAINS immer mehr in ein Abklappern der Planeten und Abarbeiten der Missionen. Denn die Missionen tragen üblicherweise den größten Teil zur Punktewertung bei.


Was taugt es? STARSHIP CAPTAINS ist ein sauber konstruiertes Spiel. Es fühlt sich in seinem Wesen lediglich sattsam bekannt an. Und das Thema bleibt auch blass. Ja, wir fliegen über einen Spielplan, der sich als All begreifen lässt. Ja, unser Tableau erinnert an ein Raumschiff. Aber letztendlich handelt es sich doch um klassische Optimiererei von Zugfolgen und Ressourcen. Die Raumfahrt ist weder Abenteuer noch Wissenschaft noch Vordringen in neue Welten.
Der interessanteste und sympathischste Mechanismus ist die Rotation der erschöpften und arbeitsbereiten Figuren. Die durchdachte Gestaltung des Boards unterstützt diesen Ablauf sehr gut. Wie überhaupt STARSHIP CAPTAINS gelungen und auch witzig gestaltet ist. In das Spiel ist merklich Herzblut geflossen. Ich hätte mir gewünscht, mehr mit diesem Kernmechanismus beschäftigt zu sein und weniger mit austauschbaren Optimierungsdingen.


**** solide

STARSHIP CAPTAINS von Peter B. Hoffgaard für eine:n bis vier Spieler:innen, Czech Games Edition.

Donnerstag, 11. Mai 2023

Vor 20 Jahren (125): Löwenherz

Nach dem riesigen Erfolg mit CATAN räumte Klaus Teuber der Überarbeitung seiner älteren Werke zunehmend Zeit ein. Im Falle von LÖWENHERZ hatte dies sicher auch damit zu tun, dass die erste Version des Spiels bei Goldsieber erschienen war und das Spiel nun zu Kosmos geholt werden sollte. Generell aber war Klaus Teuber als hauptberuflicher Autor auch schlichtweg erfahrener geworden und hatte ein immer besseres Gefühl dafür entwickelt, wie sich Spiele verbessern lassen.

Oft bedeutete dies: vereinfachen. Denn ein Spiel, das nicht gespielt (weil nicht verstanden) wird, ist leider ein Spiel, das untergeht. Und Überforderung kann schon beim Auspacken beginnen. Alles Material ist anfangs fremd. Man weiß noch nicht, worum es geht und wozu das alles dienen soll. Und jetzt so viel Krams auf einmal! Weil Teuber dies nachfühlen konnte und den Einstieg erleichtern wollte, steckte er viel Zeit in Konzepte wie etwa die „Prof. Easy“-Anleitungen.

Und um Spielklima und Spielgefühl zu verbessern, feilte er an den Mechanismen. Seine Spiele sollten nicht frustrierend sein, nicht zu aggressiv, nicht zu lange dauern. So wurde unter anderem BARBAROSSA UND DIE RÄTSELMEISTER zu KNÄTSEL, LICHT UND SCHATTEN zu TINTENHERZ, ENTDECKER zu IM REICH DER JADEGÖTTIN. Und LÖWENHERZ eben zu LÖWENHERZ.

Im Ur-LÖWENHERZ musste um das Recht auf Aktionen gefeilscht und verhandelt werden. Gewiss war dies eine der Stärken des Spiels gewesen, das neue LÖWENHERZ ließ das Element trotzdem weg. Reihum spielte man nun eine Aktionskarte oder verkaufte eine in die Bank, wo sie sich später wer anders nehmen konnte. Der Kern des Spiels aber, dass wir mit Mauern Gebiete abgrenzen, mit Rittern hochrüsten und uns gegenseitig Land wegnehmen, blieb.

Ich rezensierte das neue LÖWENHERZ damals für die Fairplay und war erstaunt, wie gut ich die Vereinfachung fand und wie wenig ich den Verhandlungsteil vermisste. Wenn ich heute meine 20 Jahre alte Rezension lese, erstaunt mich allerdings etwas ganz anderes. Offenbar war es mir damals nicht möglich, für die Fairplay einen Text zu schreiben, ohne wiederholt die Spiel-des-Jahres-Jury zu bashen. Ich kreiste geradezu darum: Wie finden die das Spiel wohl? Und was halten sie davon, dass so auffallend viele Spiele in Neufassungen erscheinen? Die wollten doch alle offensichtlich nur den Preis gewinnen! Pfui! Und war es nicht eigentlich voll skandalös, dass LÖWENHERZ 1997 nicht gewonnen hatte? Bla, bla, bla.

Nicht alle Werke altern gut. Spiele kann man überarbeiten und neu veröffentlichen. Bei Artikeln hofft man wohl besser, dass die Zeitschriften von früher nicht mehr angerührt werden und so mancher Blödsinn in Vergessenheit gerät.


Sonntag, 7. Mai 2023

East India Companies

„Ja, dass man unserem Spiel einen Kolonialismus-Vorwurf machen kann, ist uns noch aufgefallen. Aber wir hatten dann doch keinen Bock, uns weiter damit auseinanderzusetzen.“
So verstehe ich den Disclaimer am Ende der Anleitung von EAST INDIA COMPANIES. Formuliert ist er aber etwas anders. Nämlich: „EAST INDIA COMPANIES ist in erster Linie ein Spiel ohne politische Hintergedanken. Die historische Kulisse ist lediglich dazu da, die Spielmechanik zu verstärken, die perfekt zu dem Thema passt, das sie umgibt. Es geht in diesem Spiel um eine andere Zeit mit anderen Bezugspunkten als den unseren. EAST INDIA COMPANIES ist ein Spiel, sogar eine Fiktion, aber keinesfalls eine Dokumentation. Und es muss als solches betrachtet werden.“


Wie geht EAST INDIA COMPANIES? Wir kaufen Tee, Gewürze, Kaffee und Seide in Fernost, um sie in Europa teurer zu verkaufen. Wer am Schluss am meisten besitzt, gewinnt.
Der Hauptmechanismus ist Figureneinsatz. Allerdings gibt es zwei Sorten Figuren: Zuerst werden die drei „Gesandten“ eingesetzt. Sie nehmen sich die Einsetzfelder nicht gegenseitig weg, doch wer später kommt, muss denen, die schon da sind, Geld bezahlen.
Außerdem sind die Gesandten etwas unbeweglich. Von Runde zu Runde dürfen sie nur zu Feldern in der Nähe ihres Standortes wechseln. Das schließt etwa 40 Prozent der Felder aus. Zunächst. Sofern ich einen Zug Verzögerung in Kauf nehme, kann letztendlich jeder Gesandte jedes Feld erreichen.
Und später setzen wir dann die zweite Figurensorte: unsere Schiffe. Und zwar nach entweder Indien, Südostasien oder China, wo sie beladen werden wollen. Große Schiffe können mehr Ware aufnehmen. Schnelle Schiffe kommen früher an die Reihe, selbst wenn sie später eingesetzt wurden. Früher an der Reihe zu sein, bedeutet, billiger einzukaufen und – in einem späteren Schritt – teurer zu verkaufen.
Ich beginne das Spiel mit zwei kleinen langsamen Schiffen. Bis zu vier Schiffe darf ich besitzen. Neue kaufe ich mit meinen Gesandten, alte darf ich verschrotten. Um mehr als zwei Schiffe haben zu dürfen, muss ich zuvor noch meinen Hafen vergrößern. Andere beispielhafte Aktionen mit Gesandten: Ich kaufe einen Handelsposten, der mir für den Rest des Spiels in einer der drei Regionen beim Warenkauf einen dauerhaften Rabatt verschafft. Oder ich lege fest, dass ich in dieser Runde eine der Waren teurer verkaufen darf. Oder dass meine Schiffe keine Reisekosten verursachen etc.


Was passiert? EAST INDIA COMPANIES bildet Angebot und Nachfrage schlüssig ab. Generell lässt sich mit jeder Warenart Gewinn machen – aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Je mehr Waren in Asien gekauft werden, desto höher die Preise. Und je mehr die Nachfrage in Europa gesättigt ist, desto niedriger die Erlöse.
Schnelle Schiffe sind also vorteilhaft, aber mit wenig Laderaum bringen sie dann doch nicht so viel. Weil die wirklich guten Schiffe anfangs noch nicht zur Verfügung stehen, kommt es bei allen Investitionen auf das Timing an. Und beim verdeckten Aussenden der Schiffe darauf, die Vorhaben der Konkurrenz zu erahnen.
Doch in der Praxis sind die Entscheidungen nicht ganz so spannend, wie sie in der Theorie klingen. Wer ein Handelshaus in China errichtet hat, wird es sicher auch wiederholt nutzen wollen, im Laufe der Partie also bevorzugt nach China segeln und die dortige Handelsware Seide einkaufen. Darauf kann ich mich einrichten. Und wenn die auf China spezialisierte Person einen Gesandten einsetzt, um verdeckt Einkaufs- oder Verkaufspreise manipulieren, steht zu erwarten, dass dies zugunsten von Seide geschieht. Und auch darauf kann ich mich einrichten.
Dass die Gesandten nicht zu jedem beliebigen Feld ziehen dürfen, klingt wie ein reizvoller Kniff. Tatsächlich habe ich nie erlebt, dass jemand deswegen in Schwierigkeiten geraten wäre. Die Aktionsfelder, die mir am wichtigsten sind, werde ich schon mit irgendeiner Figur direkt erreichen. Und wenn ich mit meiner letzten Figur einen Zwischenschritt machen muss oder nur noch eine mittelmäßige Aktion bekomme, ist das fast schon egal.
Viel Spielzeit fließt in die Abwicklung der Aktionen: Nachdem die Schiffe vor Ort erst mal nach Ankunft sortiert werden, wird dann Schiff für Schiff abgefragt, was und wie viel man kaufen möchte. Die Klötzchen werden aufs Schiff geladen, der Preis ausgerechnet und bezahlt. Nächstes Schiff. Und immer so weiter. Und dann dasselbe im nächsten Markt. Und dann noch mal so ähnlich bei der Rückkehr nach Europa.


Was taugt es? Mir gefällt, dass EAST INDIA COMPANIES mit vergleichsweise wenigen Regeln auskommt. Die Markt-Dynamiken zu erfahren und damit umzugehen, erlebe ich als spannend. Allerdings tragen diese Erfahrungen kein ganzes Spiel von dieser Länge. Nennenswerte Überraschungen blieben in meinen Partien aus, weil man recht häufig immer dieselben Aktionen wiederholt. Die frühen Investitionen geben eine Richtung vor; vieles ergibt sich dann daraus.
Zum Finale ist in meinen Partien die Spannungskurve sogar gefallen statt zu steigen. Die Märkte in Europa waren übersättigt. Großen Profit machte man nun nicht mehr. Die Sache hatte sich schon vorher entschieden – was aber nichts dran änderte, dass man trotzdem noch mal all die langen Abläufe durchexerzieren musste.


*** mäßig

EAST INDIA COMPANIES von Pascal Ribrault für zwei bis vier Spieler:innen, R & R Games / Huch.