„Ja, dass man unserem Spiel einen Kolonialismus-Vorwurf machen kann, ist uns noch aufgefallen. Aber wir hatten dann doch keinen Bock, uns weiter damit auseinanderzusetzen.“
So verstehe ich den Disclaimer am Ende der Anleitung von EAST INDIA COMPANIES. Formuliert ist er aber etwas anders. Nämlich: „EAST INDIA COMPANIES ist in erster Linie ein Spiel ohne politische Hintergedanken. Die historische Kulisse ist lediglich dazu da, die Spielmechanik zu verstärken, die perfekt zu dem Thema passt, das sie umgibt. Es geht in diesem Spiel um eine andere Zeit mit anderen Bezugspunkten als den unseren. EAST INDIA COMPANIES ist ein Spiel, sogar eine Fiktion, aber keinesfalls eine Dokumentation. Und es muss als solches betrachtet werden.“
Wie geht EAST INDIA COMPANIES? Wir kaufen Tee, Gewürze, Kaffee und Seide in Fernost, um sie in Europa teurer zu verkaufen. Wer am Schluss am meisten besitzt, gewinnt.
Der Hauptmechanismus ist Figureneinsatz. Allerdings gibt es zwei Sorten Figuren: Zuerst werden die drei „Gesandten“ eingesetzt. Sie nehmen sich die Einsetzfelder nicht gegenseitig weg, doch wer später kommt, muss denen, die schon da sind, Geld bezahlen.
Außerdem sind die Gesandten etwas unbeweglich. Von Runde zu Runde dürfen sie nur zu Feldern in der Nähe ihres Standortes wechseln. Das schließt etwa 40 Prozent der Felder aus. Zunächst. Sofern ich einen Zug Verzögerung in Kauf nehme, kann letztendlich jeder Gesandte jedes Feld erreichen.
Und später setzen wir dann die zweite Figurensorte: unsere Schiffe. Und zwar nach entweder Indien, Südostasien oder China, wo sie beladen werden wollen. Große Schiffe können mehr Ware aufnehmen. Schnelle Schiffe kommen früher an die Reihe, selbst wenn sie später eingesetzt wurden. Früher an der Reihe zu sein, bedeutet, billiger einzukaufen und – in einem späteren Schritt – teurer zu verkaufen.
Ich beginne das Spiel mit zwei kleinen langsamen Schiffen. Bis zu vier Schiffe darf ich besitzen. Neue kaufe ich mit meinen Gesandten, alte darf ich verschrotten. Um mehr als zwei Schiffe haben zu dürfen, muss ich zuvor noch meinen Hafen vergrößern. Andere beispielhafte Aktionen mit Gesandten: Ich kaufe einen Handelsposten, der mir für den Rest des Spiels in einer der drei Regionen beim Warenkauf einen dauerhaften Rabatt verschafft. Oder ich lege fest, dass ich in dieser Runde eine der Waren teurer verkaufen darf. Oder dass meine Schiffe keine Reisekosten verursachen etc.
Was passiert? EAST INDIA COMPANIES bildet Angebot und Nachfrage schlüssig ab. Generell lässt sich mit jeder Warenart Gewinn machen – aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Je mehr Waren in Asien gekauft werden, desto höher die Preise. Und je mehr die Nachfrage in Europa gesättigt ist, desto niedriger die Erlöse.
Schnelle Schiffe sind also vorteilhaft, aber mit wenig Laderaum bringen sie dann doch nicht so viel. Weil die wirklich guten Schiffe anfangs noch nicht zur Verfügung stehen, kommt es bei allen Investitionen auf das Timing an. Und beim verdeckten Aussenden der Schiffe darauf, die Vorhaben der Konkurrenz zu erahnen.
Doch in der Praxis sind die Entscheidungen nicht ganz so spannend, wie sie in der Theorie klingen. Wer ein Handelshaus in China errichtet hat, wird es sicher auch wiederholt nutzen wollen, im Laufe der Partie also bevorzugt nach China segeln und die dortige Handelsware Seide einkaufen. Darauf kann ich mich einrichten. Und wenn die auf China spezialisierte Person einen Gesandten einsetzt, um verdeckt Einkaufs- oder Verkaufspreise manipulieren, steht zu erwarten, dass dies zugunsten von Seide geschieht. Und auch darauf kann ich mich einrichten.
Dass die Gesandten nicht zu jedem beliebigen Feld ziehen dürfen, klingt wie ein reizvoller Kniff. Tatsächlich habe ich nie erlebt, dass jemand deswegen in Schwierigkeiten geraten wäre. Die Aktionsfelder, die mir am wichtigsten sind, werde ich schon mit irgendeiner Figur direkt erreichen. Und wenn ich mit meiner letzten Figur einen Zwischenschritt machen muss oder nur noch eine mittelmäßige Aktion bekomme, ist das fast schon egal.
Viel Spielzeit fließt in die Abwicklung der Aktionen: Nachdem die Schiffe vor Ort erst mal nach Ankunft sortiert werden, wird dann Schiff für Schiff abgefragt, was und wie viel man kaufen möchte. Die Klötzchen werden aufs Schiff geladen, der Preis ausgerechnet und bezahlt. Nächstes Schiff. Und immer so weiter. Und dann dasselbe im nächsten Markt. Und dann noch mal so ähnlich bei der Rückkehr nach Europa.
Was taugt es? Mir gefällt, dass EAST INDIA COMPANIES mit vergleichsweise wenigen Regeln auskommt. Die Markt-Dynamiken zu erfahren und damit umzugehen, erlebe ich als spannend. Allerdings tragen diese Erfahrungen kein ganzes Spiel von dieser Länge. Nennenswerte Überraschungen blieben in meinen Partien aus, weil man recht häufig immer dieselben Aktionen wiederholt. Die frühen Investitionen geben eine Richtung vor; vieles ergibt sich dann daraus.
Zum Finale ist in meinen Partien die Spannungskurve sogar gefallen statt zu steigen. Die Märkte in Europa waren übersättigt. Großen Profit machte man nun nicht mehr. Die Sache hatte sich schon vorher entschieden – was aber nichts dran änderte, dass man trotzdem noch mal all die langen Abläufe durchexerzieren musste.
*** mäßig
EAST INDIA COMPANIES von Pascal Ribrault für zwei bis vier Spieler:innen, R & R Games / Huch.