Lange Rezension, kurze Einleitung.
Wie geht COUNCIL OF SHADOWS? Wir erkunden und besiedeln den Weltraum, schürfen Rohstoffe, kaufen damit tolle Dinge und gewinnen Punkte, und wer die meisten … Moment!
An dieser Stelle verlässt COUNCIL OF SHADOWS gewohnte Pfade. Zwar ist es ein Wettrennen um Punkte (im Terminus des Spiels: „Energie“) – aber mit unterschiedlich und individuell langer Laufstrecke! Mein Zielmarker startet auf Feld 20, und im Regelfall wird er sich immer weiter vom Nullpunkt entfernen.
Dreimal muss ich mit meinem Punktezähler diesen Zielstein einholen. Dadurch steige ich erst in Level 1, dann 2, dann 3 auf. Und jedes Mal beginnt mein Punktezähler wieder bei Null, während der Zielmarker nicht zurückgesetzt wird, sondern sich wahrscheinlich noch weiter entfernt. Sobald jemand Level 3 erreicht, endet bald darauf das Spiel. Wer das höchste Level erreicht hat, gewinnt. Was nicht bedeuten muss, dass diese Spieler:in insgesamt die meisten Punkte geholt hat.
Wieso rennt mein Zielstein und wie mache ich Punkte? Wir starten mit denselben sechs Karten. Mit jeweils drei davon programmiere ich meinen Zug und führe dann erst Karte A, dann Karte B und schließlich Karte C aus. Die meisten Karten „verbrauchen Energie“ oder anders ausgedrückt: Sie lassen meinen Zielmarker voranpreschen. Je stärker die Aktion, desto weiter. Ich kann (und sollte) Rohstoffe investieren, um mir nach und nach Aktionskarten mit einem besseren Verbrauch-Leistungs-Verhältnis zu kaufen. COUNCIL OF SHADOWS enthält also Deckbau.
Mit meinen Aktionen entdecke ich neue Sonnensysteme, gründe Dependancen auf verschiedenen Planten innerhalb meiner Reichweite und / oder schürfe vor Ort Rohstoffe. Ein entscheidendes Stichwort dabei ist „Reichweite“: Weiter entfernte Galaxien sind erheblich einträglicher. Allerdings sind sie eben auch … nun ja, weiter entfernt. Und bei Spielbeginn komme ich da noch gar nicht hin. Jeder meiner Kartenplätze A, B und C bezieht sich zunächst nur auf den ersten, ganz dicht gelegenen Sektor. Soll eine Karte auch in größerer Entfernung entdecken / siedeln / schürfen können, muss ich den Kartenplatz (mit Rohstoffen) ausbauen.
Am Ende meines Zuges darf ich jede Galaxie, in der ich mich befinde, werten. Besitze ich dort die meisten Siedlungen, gewinne ich viele Punkte. Besitze ich nicht die meisten Siedlungen, zählt es weniger. Doch in beiden Fällen kostet mich die Wertung eine meiner Siedlungen. Damit erleichtere ich es anderen, hier ebenfalls zu Punkten zu kommen. Und ich muss Aktionen aufwenden, um meine verlorene Präsenz wiederherzustellen. Gerade bei Spielbeginn ist das ein erheblicher Tempoverlust. Andererseits: Mit so wenigen Punkten wie bei Spielbeginn wird sich mein Zielstein nie wieder einholen lassen.
Was passiert? Der stetige Wettlauf mit dem eigenen Zielstein verstrickt mich von Beginn an in spannende Widersprüche: Ich will starke Aktionen machen – aber damit bürde ich mir Schulden für die Zukunft auf. Ich kann sparsam agieren – wachse dann aber nur sehr langsam.
Auch wenn ich meinen mehrteiligen Zug im Geheimen austüftle, ist COUNCIL OF SHADOWS kein solitäres Gemümmel: Wir kaufen uns gegenseitig Aktionskarten weg, blockieren Siedlungsplätze und ganze Galaxien, lauern auf Gelegenheiten für leichte Mehrheiten.
Sehr reizvoll sind die Dynamikänderungen, die sich durch Levelaufstiege ergeben. Langfristig fahre ich gut damit, erst mal Besitz anzuhäufen und meine Präsenz auf dem Brett auszubauen. Gegen Ende kann ich das dann in riesige Punktesprünge ummünzen. Aber: Wer in ein neues Level aufsteigt, darf eine von sechs „Dark Tech“-Karten auswählen, die entweder einen sehr starken Sofort- oder einen sehr starken Dauereffekt bringen und damit ein handfestes Argument liefern, vielleicht doch schneller Punkte zu sammeln.
Die Tech-Karten können die Partie drehen und die Konkurrenz dazu zwingen, ihre Spielweisen zu ändern, um gegenzusteuern. Wer COUNCIL OF SHADOWS gut kennt, wird sein Deck und seine Strategie auf eine oder mehrere dieser Tech-Karten ausrichten – wobei es dann trotzdem Glück ist, sie zu bekommen. Nur sechs von acht möglichen sind im Spiel, und bevor man Level 1 erreicht hat, weiß man nicht, welche.
COUNCIL OF SHADOWS bleibt über viele Partien reizvoll, und alle, die meinen, nun alles gesehen zu haben, können anschließend noch zwei enthaltene Module draufsatteln.
Was taugt es? COUNCIL OF SHADOWS ist von seinen Abläufen her kein überkomplexes Spiel. Alles folgt klaren Prinzipien, es gibt kaum Kleinregeln. Das ist gut, denn so liegt die Konzentration nicht auf Paragrafen- und Optimierungsdetails, sondern auf dem Mechanismus, der das Spiel ausmacht. Diese Gradlinigkeit unterscheidet COUNCIL OF SHADOWS von HELIOS, in dem Martin Kallenborn – damals noch gemeinsam mit Matthias Prinz – auch schon einen faszinierenden neuen Mechanismus eingeführt hatte, der jedoch vom großen Drumherum etwas überlagert wurde.
Obwohl also nicht überkomplex, passieren trotzdem Planungsfehler. Vor allem, weil jemand übersieht, auf welche Sektoren sich die Aktionskarten auf den Plätzen A, B und C beziehen. Und so will man eine Aktion irgendwo ausführen, wo es gar nicht erlaubt ist – was vielleicht auch eine etwas unnötige Klippe in diesem Spiel darstellt. Und noch eine zweite Klippe gibt es: die nicht ganz intuitive Symbolik. Sie führt in Erstpartien zu ganz vielen Nachfragen.
Die Komponenten von COUNCIL OF SHADOWS (Deck erweitern, Fähigkeiten ausbilden, Zug programmieren, Mehrheiten bilden) sind als solche unspektakulär. Außerordentlich wird das Spiel für mich durch die übergeordnete Idee, dass mein Punktezähler einem anderen Zähler hinterherläuft, dessen Geschwindigkeit ich steuern kann. Dieser Dreh bewirkt, bekannte Abläufe im Spiel neu denken und bewerten zu müssen. Ich finde den Mechanismus derart stark, dass ich glaube, er könne in Zukunft noch weitere Spiele tragen und zu einem Markenzeichen von Martin Kallenborn und Jochen Scherer werden.
****** außerordentlich
COUNCIL OF SHADOWS von Martin Kallenborn und Jochen Scherer für eine:n bis vier Spieler:innen, alea.