Donnerstag, 31. August 2023

Gern gespielt im August 2023

SCHNITZELJAGD: Beruhigend, dass natürliche Prozesse doch noch funktionieren. Die Tierwelt in SCHNITZELJAGD hat sich an ihre neonfarbene Umgebung vorzüglich angepasst.

MY ISLAND: Jetzt bräuchte ich eine Inselbegabung.

ARKEIS: Ägypten???

PYRAMIDO: Ja!

CHAMPIONS: Am Ende des Turniers stehen oft die Unsympathischen auf dem Podest. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Partyspiel so philosophisch sein kann.




UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM AUGUST:

GREAT WESTERN TRAIL NEUSEELAND:
Schafe, Schafe, Häusle baue.






Sonntag, 27. August 2023

Tribes of the Wind

Gar nicht lange her, da hatten Spiele ganz schrecklich abgenudelte und hergeholte Themen. Da hieß es dann einfach: „Hey, holla, Mittelalter, fruchtbares Land entdeckt, baut neue Häuser dort!“
Mit derart hohlen Settings machte man sich inzwischen lächerlich. Heute reflektieren Spiele als Kulturgüter die Krisenhaftigkeit unserer Gegenwart. Sie haben echte Themen. Themen wie: „Au, oweh, Dystopie, alles kaputt, baut neue Häuser auf!“ Und das hat dann richtig Tiefe.

Wie geht TRIBES OF THE WIND? Au, oweh, Dystopie, alles kaputt, baut neue Häuser auf!
Häuser bauen wir, indem wir die Felder unserer Tableaus zunächst von Umweltverschmutzung befreien, dann Waldplättchen drauflegen, dann mit Pöppeln hinziehen und dann die erforderliche Menge Pöppel gegen ein Haus tauschen.
Das läuft kartenbasiert. Fünf Karten habe ich auf dem Halter vor mir stehen. Meine Mitspieler:innen sehen die farbigen Rückseiten. Und ich wiederum sehe ihre Kartenrückseiten. Das ist wichtig, weil die Effekte meiner Karten teilweise von den Kartenfarben meiner Nachbar:innen abhängen. Manche Karten darf ich sogar nur in Abhängigkeit der Farben meiner Nachbar:innen ausspielen. Beispielsweise kann eine Karte besagen: Hast du mehr grüne Karten als wenigstens eine:r neben dir, passiert x. Hast du sogar mehr als beide, passiert y.

Ausgespielte Karten bewirken, dass ich Pöppel bewege (gelbe Karten), Verschmutzung entferne (rot) oder Geld einnehme (blau), welches ich wiederum benötige, um Waldplättchen zu legen (grün).
TRIBES OF THE WIND ist einerseits als Wettrennen konzipiert: Es zählt einen schönen Punktebonus, zuerst fünf Häuser zu besitzen und damit auch das Spielende auszulösen. Unterwegs will ich möglichst schnell noch zwei individuelle Zwischenziele erreichen (jedes Tableau gibt unterschiedliche Ziele vor), weil ich dann Dauereffekte freischalte, die für den Rest der Partie gelten.
Zweitens geht es in TRIBES OF THE WIND auch um Auftragserfüllung. Aufträge machen in der Schlusswertung den größten Teil aus. Ich darf einen Auftrag auswählen, sobald ich ein Haus fertigstelle. Mehr als vier Aufträge kann ich allerdings nicht in die Wertung einbringen, weshalb ich auch mal auf einen Auftrag verzichte und als Ersatz einen starken Soforteffekt wähle.

Was passiert? Der Kartenmechanismus ist einerseits das Besondere an TRIBES OF THE WIND. Das Taktieren mit den eigenen Karten, wann die beste Gelegenheit ist, um sie zu spielen, in welcher Reihenfolge ich sie spiele, welche Farben ich aufbewahre, welche Farben ich nachziehe und so weiter, ist spannend. Gleichzeitig bremst dieser Mechanismus aber auch.
Meistens werden in Spielen, bei denen alle auf ihren eigenen Tableaus werkeln, Aktionen gleichzeitig abgehandelt. Hier nicht. Weil ich eben davon abhängig bin, welche Karten meine Nachbar:innen auf ihren Haltern haben, muss ich auch längere Kettenzüge abwarten, bis endlich ganz am Schluss Karten nachgezogen werden.

Bei manchen Spieler:innen führt die Tatsache, dass Karten einen optimalen oder auch einen suboptimalen Ertrag haben können, zu einem langen gedanklichen Durchdeklinieren der Möglichkeiten, bis die wirklich beste gefunden ist, in der man nicht mehr das doofe Gefühl hat, leichtfertig auf irgendeinen möglichen Vorteil zu verzichten.
Und die Tatsache, dass sich unspielbare Karten ansammeln, führt hier und da auch zu Frust und zu dem Gefühl, nichts machen zu können. Was allerdings gar nicht stimmt. TRIBES OF THE WIND löst das Problem sogar sehr elegant: Viermal im Spiel darf ich einen Tempel bauen, wozu ich drei meiner fünf Karten austauschen muss bzw. darf. Und weil Tempel Vorteile bringen und sogar Punkte zählen und obendrein Aufträge erfüllen können, ist das mehr als nur ein Notzug.
Statt darauf, aus allen Karten stets das Optimum herauszupressen, kommt es eben auch aufs Timing an: Manchmal ist es geboten, eine Karte zu spielen, die später wohl mehr bringen könnte. Aber wichtiger ist, was sie sofort bringt: dringend benötigtes Geld oder das Erfüllen eines Zwischenziels oder eine vorteilhafte Veränderung meiner Farbkombination, beispielsweise indem ich meine letzte blaue Karte wegspiele, weil eine andere Karte verlangt, dass ich kein Blau haben darf.

Was taugt es? TRIBES OF THE WIND ist mechanisch rund. Alles ist gut miteinander verwoben, ohne dass es irgendwo zu kompliziert oder detailliert wird. Auch die klare Zielvorgabe ist ein Vorteil. Man spielt fokussiert und weiß, wo man hinwill (fünf Häuser bauen), doch Zwischenziele und Aufträge verführen oder nötigen dazu, immer wieder kleine Schlenker zu machen.
Allerdings hat TRIBES OF THE WIND dieses schwer zu beschreibende „Allerdings“. Es packt mich nicht komplett. Auch wenn wir unterschiedliche Tableaus mit dezent unterschiedlichen Ausrichtungen haben, fühlt es sich für mich nach immer demselben Wettrennen mit immer denselben Stellschrauben an. Meine Neugierde auf weitere Partien ebbte bald ab.
Ab vier Personen dauert TRIBES OF THE WIND üblicherweise länger als die angegebenen 90 Minuten, mitunter auch deutlich länger. Aber selbst zu dritt bin ich nicht hingerissener. Wir spielen weitgehend nebeneinander her. Das Thema ist schwach, dem dargebotenen Endzeitszenario stehe ich emotionslos gegenüber, alles ist eben doch nur rein mechanische Eurokost. Die entscheidende Frage für den Wiederspielreiz ist vermutlich, ob man den Kartenmechanismus so stark findet, dass er den herkömmlichen Rest überstrahlt. Ich finde das nicht.


**** solide

TRIBES OF THE WIND von Joachim Thome für zwei bis fünf Spieler:innen, Huch / La Boîte de Jeu.

Mittwoch, 23. August 2023

Duos – Dinge & Tiere

NICHTS auf REZENSIONEN FÜR MILLIONEN geschieht durch Zufall, harharhar! ALLES folgt einem monumentalen, immerwährenden Plan. Und so ist es natürlich auch kein Zufall, dass ich zwei Partyspiele nacheinander bespreche. Sie bilden ein … DUO!
(Außerdem habe ich gerade nicht so viel Zeit, und Partyspiele zu besprechen, geht wegen der Regelkürze echt schneller.)

Wie geht DUOS? Abwechselnd zwölf Abbildungen von Tieren oder Objekten liegen aus. Jede:r bildet geheim hinter einem Sichtschirm vier Paare, von denen man meint, sie passen gut zusammen, und markiert sie mit Farbwürfeln. Beispielsweise könnte ich beschließen, dass die zwei kleinen Fische sich doch recht ähnlich sind und der Hai, der da auch noch in der Auslage mitschwimmt, eher nicht so gut passt.
Nun wird aufgedeckt. In jeder Runde ist jemand anderes als „Ansager:in“ an der Reihe. Bin ich es, werden meine Paare mit denen der Mitspieler:innen verglichen. Bei Übereinstimmungen erhalten wir Punkte: meine Mitspieler:innen für jeden ihrer Treffer; ich hingegen muss in einer Tabelle ablesen, was ich bekomme.


Was passiert? Im Durchschnitt sind etwa zwei Paare relativ offensichtlich (wobei es auch immer wieder Mitspieler:innen mit eher speziellen Ansichten gibt). Um einen Punktevorsprung herauszuarbeiten, kommt es dann auf die beiden anderen an. Ob man sich da nun richtig oder falsch entscheidet, kann einfach Glück sein. Paarbildung A wäre genauso plausibel wie Paarbildung B. Vielleicht habe ich es so gemacht wie die Ansager:in – vielleicht aber auch nicht.
DUOS suggeriert durch seine Wertung, man solle sich speziell in die Gedanken der Ansager:in hineinversetzen. Das geschieht aber nicht. Üblicherweise besteht schlichtweg eine gewisse Grundeinigkeit, was paarfähig ist und was nicht. Bei den Tieren orientierten sich meine Runden oft an den Gattungen, bei den Dingen daran, wo und wie sie zum Einsatz kommen. Und wie sollte ich erahnen, dass irgendwer es für besonders gewitzt hält, Paare gegen alle Erwartungen zu bilden? Kreativ und originell zu denken, lohnt sich gerade nicht, weil man ja auf Übereinstimmungen abzielt. Die Punktestände liegen deshalb üblicherweise sehr eng beieinander.


Was taugt es? Dass man für die Punktwertung eine Tabelle zu Rate ziehen muss, dient vermutlich der Balance (die Ansager:in soll nicht das Vielfache an Punkten machen können), ist aber etwas unelegant. Wenn auch kein Beinbruch. Ansonsten spielt sich DUOS angenehm unproblematisch und zugleich unterhaltsam.
Beim Offenbaren der Einschätzungen ergibt sich je nach Mentalität der Beteiligten ein mehr oder weniger großes Hallo. Manchmal werden die Entscheidungen auch diskutiert. Man hat mit DUOS recht zuverlässig eine gute Zeit, allerdings ohne das Gefühl, etwas Neuartiges oder Außergewöhnliches zu spielen.


**** solide

DUOS – DINGE & TIERE von Niklas Gestrin und Markus Tangring für zwei bis sechs Spieler:innen, Huch / Granna.

Freitag, 18. August 2023

Secret Identity

Wer ist das?



Wie geht SECRET IDENTITY? Erklär’s mit Symbolen! Ich bekomme eine von acht offen ausliegenden prominenten Personen oder fiktiven Figuren zugelost und soll mit bis zu drei meiner Symbolkarten erklären, um wen es sich handelt. Ich darf Symbole auf die grüne Seite meines Tableaus stecken. Das bedeutet dann: Der Hinweis trifft zu. Auf der roten Seite bedeutet es: Hinweis trifft nicht zu.
Meine Mitspieler:innen machen parallel dasselbe. Anschließend raten wir. Jeder Treffer bringt beiden Beteiligten je einen Punkt – also dasselbe System wie etwa bei KRAZY WORDZ, KRAZY PICS oder PICTURES.
Für das gesamte Spiel, das über vier Runden läuft, habe ich nur zehn Symbolkarten zur Verfügung. Zwar sind auf jeder vier Symbole zu sehen, was eine gewisse Auswahl bedeutet. Wenn ich aber in den ersten drei Runden das Maximum von drei Karten verschieße, stehe ich in der letzten Runde ziemlich blank da. Sparsamkeit ist also angeraten.


Was passiert? Man kann Glück, man kann Pech haben. Soll ich „Die Maus“ erklären und habe eine Karte mit einer Maus, erwartet mich zuverlässig ein schöner Punkteregen. Soll ich Nena erklären und besitze ein Mikrofon und einen Luftballon, könnte die Sache ein ähnlicher Selbstläufer werden.
Es gibt aber auch genügend Runden, wo man gar nichts Naheliegendes hat, wo man überlegen und improvisieren muss. Oder sich damit behilft, die darzustellende Person von den anderen sieben ausliegenden irgendwie abzugrenzen.
Je nachdem, ob es anderen genauso ergeht oder nicht, kann es Runden geben, in denen sich die meisten Rätsel blitzschnell lösen lassen. Oder dass es ganz im Gegenteil in Raterei ausartet.
Am besten sind die Runden dazwischen. Jemand hat sich etwas ausgedacht, man muss eine Weile dran knabbern, und dann fällt der Groschen: Jaa! Das ist ein tolles Gefühl. Für beide. Oft ist es auch witzig, wie manche Prominente von irgendwem auf eins, zwei Symbole heruntergebrochen werden. Das Peace-Zeichen und als Negativhinweis eine Kopfbedeckung? Ah, der Dalai Lama! Ein Herz und eine Abwärtsbewegung? Ah, der Typ von der Titanic!

Apropos Titanic: Es sind recht viele Film- und Serien-Charaktere im Spiel. In meinen Runden mussten sie überwiegend aussortiert werden, weil dann doch immer irgendjemand mitspielt, der die Figur nicht kennt. Und es hat wirklich keinen Sinn, die Karten dann drinzulassen. Selbst eine grobe Vorstellung reicht selten aus, weil in den Erklärungen mit Details und Insiderwissen gearbeitet werden muss. Und wenn ich lediglich weiß, dass Marge Simpson irgendwer bei den Simpsons ist, aber ihre Eigenschaften nicht kenne, bin ich raus. In Runden, die SECRET IDENTITY mehrfach gespielt haben, entstand so der Eindruck, alle in Frage kommenden Charaktere schnell durchgespielt zu haben.

Was taugt es? Prinzipiell finde ich solche Spiele super: SECRET IDENTITY ist leicht erklärt, es funktioniert in bunten Runden, man kann ein bisschen kreativ sein, und bei den Auflösungen wird immer mal wieder gelacht.

Allerdings ist man bei SECRET IDENTITY wirklich nur „ein bisschen“ kreativ. Meine Symbole schränken mich ein, und es sind etliche dabei, die so gut wie nie verwendet werden. Andere doppeln sich. Sie sind zwar nicht identisch, sagen aber dasselbe aus und werden für immer dieselben Kategorien eingesetzt, zum Beispiel der Notenschlüssel, die Note oder das Mikrofon immer wieder bei Musiker:innen. Am Ende ist die Vielfalt also gar nicht so groß.
Am meisten missfällt mir das Material. SECRET IDENTITY ist überproduziert. Als unsere Lösungen stecken wir (warum auch immer) nummerierte Pappschlüssel in Tresor-Tableaus. Das ist umständlich, und manchmal fallen die Schlüssel heraus, bevor sie es sollen. Im schlimmsten Fall wird dabei die Lösung verraten.
Mein Spiel ist inzwischen auch total abgerockt. Es war viel im öffentlichen Spieletreff im Einsatz, schätzungsweise 30 bis 40 Partien wurden damit gespielt. Jetzt sind einige Schlüssel ausgefranst und passen kaum noch in die Öffnungen. Mehrere der Magnetverschlüsse sind ausgerissen.
Die eingangs genannten Spiele – zur Erinnerung: KRAZY WORDZ, KRAZY PICS und PICTURES – finde ich allesamt runder und somit besser. Das Spielgefühl ist ähnlich. Wie sie schafft auch SECRET IDENTITY immer wieder Momente, bei denen man sehr lacht, über die man noch länger redet oder die man noch Tage später weiß.
Das Tüfteln macht Spaß. Dass man nicht im luftleeren Raum rät, sondern weiß, dass es eine von acht möglichen Lösungen sein muss, ist die entscheidende Hilfestellung, die das Kombinieren reizvoll statt beliebig macht. Die oben genannten Spiele – ich wiederhole ihre Namen nicht noch einmal – nutzen genau diesen Mechanismus auch.
Rein auf den Spielspaß bezogen, hätte ich „reizvoll“ unter den Text geschrieben, wegen der Materialumsetzung möchte ich SECRET IDENTITY aber nicht zu sehr empfehlen. Als Mittelwert nenne ich das jetzt „solide“, auch wenn der Begriff so gar nicht passt.

(Auflösung des Einleitungsrätsels: Ich!)


**** solide

SECRET IDENTITY von Johan Benvenuto, Alexandre Droit, Kévin Jost, Bertrand Roux für drei bis acht Spieler:innen, Strohmann Games / Funnyfox.

Freitag, 11. August 2023

Evergreen

Jetzt lüfte ich das große Geheimnis: Meine immer rarer gesäten Einleitungen stehen symbolisch für das Waldsterben.

Wie geht EVERGREEN? Wir lassen Wälder wachsen. Am Ende aller vier Runden punktet meine größte zusammenhängende Waldfläche. Außerdem scheint in jeder Runde die Sonne von einer anderen Richtung auf mein Tableau. Und es kommt eine Zählweise zur Anwendung, die man schon aus PHOTOSYNTHESE kennen könnte: Bäume, die von der Sonne beschienen werden, bringen Punkte. Große Bäume sogar doppelt. Allerdings nehmen Bäume anderen Bäumen das Licht weg. Was im Schatten steht, punktet nicht.
Die Wertung kreiert also einen doppelten Widerspruch: Wegen der Flächenwertung will ich meine Bepflanzung eng halten – allerdings verursacht die Enge viel Schatten. Und weil sie mehr Punkte bringen, will ich ausgewachsene Bäume – jedoch nehmen die den anderen besonders viel Licht weg. Und auch für die Schlusswertung will ich große Bäume. Denn dann können sie noch Extrapunkte bringen, abhängig vom Gebiet, in dem sie stehen.

Für jeden Zug liegen Karten aus. Reihum wählen wir eine und nutzen sie. Eine Karte bleibt übrig. Sie wird für die Schlusswertung beiseitegelegt. Ihre Farbe und Symbole geben an, in welcher Region große Bäume am Ende wie viele Punkte zählen. Karten mit Totenkopfsymbol allerdings zerstören gleichfarbige Karten, die bereits für die Schlusswertung auserkoren waren.
Mit der gewählten Karte führe ich zwei Aktionen aus: Eine (ich wähle frei zwischen mehreren Möglichkeiten) muss in dem Gebiet stattfinden, dessen Kartenfarbe ich genommen habe. Bei der anderen Aktion ist es umgekehrt: In der Ortswahl bin ich frei, aber die Aktion wird vom Symbol der Karte vorgegeben.
Aktionen könnten sein: Ich pflanze einen neuen Spross, ich lasse einen Spross zum kleinen Baum oder einen kleinen Baum zum großen Baum wachsen, ich lege einen See an und ringsum werden automatisch zwei Gehölze größer, ich pflanze einen Busch, der keine Punkte durch Sonnenbestrahlung bringt und auch nie wächst, aber bei der Flächenwertung mitzählt. Je häufiger ich dieselbe Aktion ausführe, desto stärker wird sie. Kann ich zunächst mit der Spross-Aktion nur zwei Sprosse pflanzen, können es später bis zu vier sein.


Was passiert? Anfangs ist das alles offenbar recht verwirrend (oder ich erkläre wirr). Jedenfalls kann ich nach der Gesamterklärung, sobald die ersten Karten gewählt werden sollen, die Kartenverwendung gleich noch einmal von vorne erläutern. So richtig intuitiv ist es wohl nicht.
Trotzdem ist EVERGREEN kein schweres Spiel, zumal sich vieles ganz hervorragend durch das Thema erklärt. Auch wenn wir Wohlstandskinder den Bezug zur Natur verloren haben: Eine gewisse Vorstellung davon, wie ein Baum wächst, haben wir schon noch.
Über die optimale Platzierung der Bäume kann man sich lange Gedanken machen. Ich bin aber gar nicht sicher, ob sich das so sehr lohnt. Die Sonne scheint nun mal im Laufe der Zeit aus allen Richtungen. Und ein Baum, den ich für den jetzigen Lichteinfall gut platziert habe, wird, wenn die Sonne weiterwandert, unabänderlich andere Bäume verschatten.
Ich bin stets gut damit gefahren, mehr Mühe in mein größtes Gebiet zu stecken und Bäume dort hochzuziehen, wo die Schlusswertung Punkte verspricht. Das, was in der Wertung vermeintlich an Dilemma stecken könnte, habe ich gar nicht so wahrgenommen. Und leider betrifft es genau den aus PHOTOSYNTHESE stammenden Teil, der thematisch so wunderbar stimmig ist.
Ich will aber gar nicht behaupten, dass der Besitz der größten Baumfläche der unbedingte Schlüssel zum Erfolg ist. Autor und Testspieler:innen werden das sicher gut ausbalanciert haben. Mein Punkt ist ein anderer: Indem sich EVERGREEN nicht auf eine Punktequelle konzentriert, entsteht für mich nicht die große Spannung. Alle Züge sind schon irgendwie ganz gut. Alles fühlt sich ähnlich an, es geschieht wenig Drama, das mich mitfiebern lässt. Klar, es gibt Karten in der Auslage, die ich lieber hätte als andere. Und klar, ich will nicht, dass Totenköpfe Schlusswertungen zerstören, auf die ich hingearbeitet habe. Doch das, was ich hier überwiegend solitär tue und erschaffe, lässt mich trotz Optik und Thema überraschend kalt.

Was taugt es? EVERGREEN sieht sehr hübsch aus, hat sehr gute Double-Layer-Boards und tolles Holzmaterial. Das Thema spricht mich an und ist nicht nur aufgesetzt, sondern findet sich in den Wertungsmechanismen wieder. EVERGREEN ist überwiegend konstruktiv, man nimmt taktisch Einfluss. Die Saat für ein begeisterndes Spiel wäre gelegt.
Doch für mein Empfinden fehlen EVERGREEN Höhepunkte im Spielablauf. Das Spiel erzeugt wenig Reibung, es bleibt lauwarm.


**** solide

EVERGREEN von Hjalmar Hach für eine:n bis vier Spieler:innen, Horrible Guild.

Montag, 7. August 2023

Vor 20 Jahren (128): Europa Tour

Die Erinnerungen an gute alte Spiele sind für mich oft an bestimmte Mitspieler:innen geknüpft. Denn so manches Spiel hat in einer Runde besonders gezündet und wurde in den anderen nur wenige Male gespielt und war dann weg vom Fenster. – Ich darf das nicht beklagen. Ich bin selbst schuld daran, weil ich überall immer wieder neues Zeug angeschleppt habe.

EUROPA TOUR (von Alan Moon und Aaron Weissblum) war über einen sehr langen Zeitraum das Absackerspiel meiner damaligen Montagsrunde, und wir haben über 50 Partien gespielt. Die letzte dürfte allerdings lange her sein, was kein Wunder ist, da sich die Montagsrunde inzwischen ganz anders zusammensetzt. Und mit anderen Menschen entwickeln sich andere Vorlieben.

Dass sich in einer Runde Favoriten etablieren, hat Vorteile. Man muss zum Beispiel keine Regeln mehr erklären, was bei EUROPA TOUR allerdings nicht so dramatisch ins Gewicht fällt. Zusätzlich herrscht eine Grundeinigkeit über das Spiel. Man muss nicht lange überlegen, was aus dem Regal gezogen werden soll, alle haben Lust dazu, keiner nörgelt, keiner findet das Spiel hinterher doof. Man weiß, was einen erwartet, hat schon verschiedene Taktiken ausprobiert, kennt auch die Schwächen des Spiels und akzeptiert sie einfach.

Sehr viele solcher Spiele, die zu irgendeiner Zeit mit bestimmten Menschen besonders gut waren, stehen noch bei mir im Regal. Mit der Idee, sie irgendwann mal wieder zu etablieren. Aber ich fürchte – nein: ich weiß –, dazu wird es nie kommen, denn die Menschen, mit denen ich heute spiele, sind oft andere. Und das Gefühl und die Vertrautheit, die man mit einem Spiel hatte, lassen sich nicht auf neue Konstellationen übertragen. Regelmäßig, wenn ich irgendwo alte Perlen auf den Tisch gebracht habe, wurde ich tendenziell enttäuscht. Es war dann doch nie wie früher oder so wie in meiner Erinnerung von früher. Selbst mit denselben Menschen nicht. Weil nach Jahren auch die Vertrautheit schwindet. Und – man muss es zugeben – weil Spiele auch besser werden und das Neue das Alte alt aussehen lässt.


Das gilt natürlich ganz bestimmt nicht für EUROPA TOUR, was ich jetzt einfach mal ungeprüft behaupte. Zugegeben, die Grafik ist oll. Aber das war sie auch vor 20 Jahren schon. Und okay, die Spielidee ähnelt RACKO, und RACKO ist vielleicht auch nicht mehr taufrisch, sondern sogar älter als ich. Und das gilt ansonsten nur noch für SCHACH und GO.

EUROPA TOUR ist ein etwas komplexeres RACKO. Wir bringen nicht Zahlen in eine Reihenfolge, sondern bereisen europäische Länder. Auf unserem Kartenhalter soll eine Verbindung von benachbarten Ländern oder dazwischengeschalteten passenden Verkehrsmitteln entstehen. EUROPA TOUR ist sozusagen ein völkerverbindendes Spiel. Dass die Realität in Europa 20 Jahre später ganz anders aussehen würde, hätte ich damals nicht gedacht.


Donnerstag, 3. August 2023

Tipperary

Je häufiger ich Plättchenlegespiele spiele, desto mehr gerate ich ins Grübeln: Ist die Erde am Ende doch eine Scheibe? (Ich behaupte nichts. Ich stelle nur Fragen.)

Wie geht TIPPERARY? Aus TETRIS-artigen Plättchen bauen wir ein Minatur-Irland. Weil die Plättchen recht klobig sind (aus maximal sieben Quadraten zusammengesetzt), brauchen wir nicht viele Züge, um ein ziemlich großes Gebilde entstehen zu lassen. Nach zwölf Runden ist das Spiel schon vorbei.
Größe ist wichtig, denn mit Irland wollen wir Punkte verdienen, und die größte geschlossene Fläche macht einen erheblichen Teil der Wertung aus. Ist mein Irland lückenlos sechs mal acht Felder groß, ergibt das multipliziert 48 Punkte – ungefähr die halbe Miete.
Getreidefelder und Destillerien nebeneinander zu platzieren, erzeugt Whisky und somit logischerweise ebenfalls Punkte. Schafe nebeneinander ergeben eine Herde und: Punkte. Auf verschiedene Weisen kann man sich noch mobile Schafe aus Holz verdienen, die den auf Plättchen abgebildeten Schafen hinzugefügt werden können und die Herde weiter vergrößern oder sogar zuvor versprengte Schafe miteinander verbinden.
Zwei Moore zum Schutzgebiet zu vereinen, bringt ein zufälliges Extrateil der Größe eins. Drei Ruinen in Reihe bringen einen Turm, der dazu dient, um ganz am Ende lästige Lücken für die Flächenwertung zu schließen.
Die Prozedur, wie wir an unsere Teile kommen, erinnert an PLANET UNKNOWN, ist jedoch einfacher und schneller: Rund um ein Drehrad liegen Teile in Zweier-Portionen aus. Das Rad wird mit Schwung gedreht. Wo mein Symbol stehenbleibt, nehme ich die beiden Teile, baue eins angrenzend bei mir ein und lege das andere wieder zurück.


Was passiert? Wir spielen alle gleichzeitig, jede:r puzzelt für sich. Das hat den Nachteil, dass ich wenig davon mitbekomme, was die anderen tun (nach jeder Runde wird lediglich verglichen, wer die aktuell größte Schafherde besitzt, um die zugehörige Besitzurkunde zu vergeben).
Es hat aber den Vorteil, dass bei TIPPERARY kaum Wartezeiten entstehen. Und da ich auf das Irland-Gebilde der anderen sowieso keinen Einfluss nehmen kann, empfinde ich die Gleichzeitigkeit hier als Vorteil. Sie gewährleistet, dass TIPPERARY in 30 Minuten gespielt ist, meist sogar schneller, was zu der Tiefe des Spiels sehr gut passt. So trägt der Spannungsbogen bis zum Schluss.
Der Reiz ergibt sich aus den widersprüchlichen Zielen. Ich will viel Fläche machen, also tendiere ich zu großen Teilen. Allerdings sind auf ihnen die eher weniger wertvollen Geländearten abgebildet. Und oft hängt noch irgendein doofer Zipfel dran, der bei mir nicht passt und in meinem schönen Rechteck eine Lücke lässt, die mich zwingt, zur Kompensation Extrateil oder Turm zu erwirtschaften. Wie oft wird mir das in der Folge gelingen und wie viele solcher Lücken kann ich mir also erlauben?
Destillerien will ich nach außen legen, damit ich Getreidefelder anlegen kann. Getreidefelder will ich auch nach außen legen. Moore auch, Ruinen auch. Man ahnt es: Nicht alles kann außen liegen, weil mein Gebiet sonst zerfranst. Und dann sind da noch meine Schäfchen, die ich irgendwie zusammenhalten will. Mit der Wahl eines von zwei Plättchen und dessen Ausrichtung und Platzierung ist man gut beschäftigt.


Was taugt es? TIPPERARY ist nicht gerade ein originelles Spiel. Die wesentlichen Zutaten hat man schon anderswo gesehen. Doch ein Spiel ist eben mehr als die Addition der Elemente, und in dieser Kombination und zusammen mit dem gut gewählten Thema und der gelungenen Illustration ergibt sich ein angenehmes Wohlfühl-Paket.
Weil sich das Besondere des Spiels kaum benennen lässt, hätte ich vielleicht auch „solide“ unter meinen Text schreiben können. Aber die Spielerfahrung war schlichtweg besser: In mehreren Runden wurde nach der ersten Partie gleich noch eine zweite und eventuell sogar dritte hinterhergeschoben. Ruckzuck hatte ich eine zweistellige Partienzahl zusammen, und ich bin immer noch nicht müde, TIPPERARY zu spielen, auch um zu erkunden, was passiert: ob ich nicht doch noch ein größeres Rechteck bauen, nicht noch mehr Whisky brennen oder noch mehr Schafe sammeln kann.
Die Anleitung des Spiels ist sehr gut. Bemängeln lässt sich allerdings der klein geratene Beutel, in den die Bauteile fast nicht hineinpassen. Da ich solch unförmige Plättchen ohnehin nicht mischen wollen würde, geht das trotzdem in Ordnung. Wirklich nicht so gut sind indes die instabilen Türme und die auf den Plättchen sehr unauffällig geratenen Bonusschaf-Symbole, die immer wieder übersehen werden.


***** reizvoll

TIPPERARY von Günter Burkhardt für zwei bis fünf Spieler:innen, Lookout Spiele.