Gar nicht lange her, da hatten Spiele ganz schrecklich abgenudelte und hergeholte Themen. Da hieß es dann einfach: „Hey, holla, Mittelalter, fruchtbares Land entdeckt, baut neue Häuser dort!“
Mit derart hohlen Settings machte man sich inzwischen lächerlich. Heute reflektieren Spiele als Kulturgüter die Krisenhaftigkeit unserer Gegenwart. Sie haben echte Themen. Themen wie: „Au, oweh, Dystopie, alles kaputt, baut neue Häuser auf!“ Und das hat dann richtig Tiefe.
Wie geht TRIBES OF THE WIND? Au, oweh, Dystopie, alles kaputt, baut neue Häuser auf!
Häuser bauen wir, indem wir die Felder unserer Tableaus zunächst von Umweltverschmutzung befreien, dann Waldplättchen drauflegen, dann mit Pöppeln hinziehen und dann die erforderliche Menge Pöppel gegen ein Haus tauschen.
Das läuft kartenbasiert. Fünf Karten habe ich auf dem Halter vor mir stehen. Meine Mitspieler:innen sehen die farbigen Rückseiten. Und ich wiederum sehe ihre Kartenrückseiten. Das ist wichtig, weil die Effekte meiner Karten teilweise von den Kartenfarben meiner Nachbar:innen abhängen. Manche Karten darf ich sogar nur in Abhängigkeit der Farben meiner Nachbar:innen ausspielen. Beispielsweise kann eine Karte besagen: Hast du mehr grüne Karten als wenigstens eine:r neben dir, passiert x. Hast du sogar mehr als beide, passiert y.
Ausgespielte Karten bewirken, dass ich Pöppel bewege (gelbe Karten), Verschmutzung entferne (rot) oder Geld einnehme (blau), welches ich wiederum benötige, um Waldplättchen zu legen (grün).
TRIBES OF THE WIND ist einerseits als Wettrennen konzipiert: Es zählt einen schönen Punktebonus, zuerst fünf Häuser zu besitzen und damit auch das Spielende auszulösen. Unterwegs will ich möglichst schnell noch zwei individuelle Zwischenziele erreichen (jedes Tableau gibt unterschiedliche Ziele vor), weil ich dann Dauereffekte freischalte, die für den Rest der Partie gelten.
Zweitens geht es in TRIBES OF THE WIND auch um Auftragserfüllung. Aufträge machen in der Schlusswertung den größten Teil aus. Ich darf einen Auftrag auswählen, sobald ich ein Haus fertigstelle. Mehr als vier Aufträge kann ich allerdings nicht in die Wertung einbringen, weshalb ich auch mal auf einen Auftrag verzichte und als Ersatz einen starken Soforteffekt wähle.
Was passiert? Der Kartenmechanismus ist einerseits das Besondere an TRIBES OF THE WIND. Das Taktieren mit den eigenen Karten, wann die beste Gelegenheit ist, um sie zu spielen, in welcher Reihenfolge ich sie spiele, welche Farben ich aufbewahre, welche Farben ich nachziehe und so weiter, ist spannend. Gleichzeitig bremst dieser Mechanismus aber auch.
Meistens werden in Spielen, bei denen alle auf ihren eigenen Tableaus werkeln, Aktionen gleichzeitig abgehandelt. Hier nicht. Weil ich eben davon abhängig bin, welche Karten meine Nachbar:innen auf ihren Haltern haben, muss ich auch längere Kettenzüge abwarten, bis endlich ganz am Schluss Karten nachgezogen werden.
Bei manchen Spieler:innen führt die Tatsache, dass Karten einen optimalen oder auch einen suboptimalen Ertrag haben können, zu einem langen gedanklichen Durchdeklinieren der Möglichkeiten, bis die wirklich beste gefunden ist, in der man nicht mehr das doofe Gefühl hat, leichtfertig auf irgendeinen möglichen Vorteil zu verzichten.
Und die Tatsache, dass sich unspielbare Karten ansammeln, führt hier und da auch zu Frust und zu dem Gefühl, nichts machen zu können. Was allerdings gar nicht stimmt. TRIBES OF THE WIND löst das Problem sogar sehr elegant: Viermal im Spiel darf ich einen Tempel bauen, wozu ich drei meiner fünf Karten austauschen muss bzw. darf. Und weil Tempel Vorteile bringen und sogar Punkte zählen und obendrein Aufträge erfüllen können, ist das mehr als nur ein Notzug.
Statt darauf, aus allen Karten stets das Optimum herauszupressen, kommt es eben auch aufs Timing an: Manchmal ist es geboten, eine Karte zu spielen, die später wohl mehr bringen könnte. Aber wichtiger ist, was sie sofort bringt: dringend benötigtes Geld oder das Erfüllen eines Zwischenziels oder eine vorteilhafte Veränderung meiner Farbkombination, beispielsweise indem ich meine letzte blaue Karte wegspiele, weil eine andere Karte verlangt, dass ich kein Blau haben darf.
Was taugt es? TRIBES OF THE WIND ist mechanisch rund. Alles ist gut miteinander verwoben, ohne dass es irgendwo zu kompliziert oder detailliert wird. Auch die klare Zielvorgabe ist ein Vorteil. Man spielt fokussiert und weiß, wo man hinwill (fünf Häuser bauen), doch Zwischenziele und Aufträge verführen oder nötigen dazu, immer wieder kleine Schlenker zu machen.
Allerdings hat TRIBES OF THE WIND dieses schwer zu beschreibende „Allerdings“. Es packt mich nicht komplett. Auch wenn wir unterschiedliche Tableaus mit dezent unterschiedlichen Ausrichtungen haben, fühlt es sich für mich nach immer demselben Wettrennen mit immer denselben Stellschrauben an. Meine Neugierde auf weitere Partien ebbte bald ab.
Ab vier Personen dauert TRIBES OF THE WIND üblicherweise länger als die angegebenen 90 Minuten, mitunter auch deutlich länger. Aber selbst zu dritt bin ich nicht hingerissener. Wir spielen weitgehend nebeneinander her. Das Thema ist schwach, dem dargebotenen Endzeitszenario stehe ich emotionslos gegenüber, alles ist eben doch nur rein mechanische Eurokost. Die entscheidende Frage für den Wiederspielreiz ist vermutlich, ob man den Kartenmechanismus so stark findet, dass er den herkömmlichen Rest überstrahlt. Ich finde das nicht.
**** solide
TRIBES OF THE WIND von Joachim Thome für zwei bis fünf Spieler:innen, Huch / La Boîte de Jeu.