Andrew Carnegie war beruflich Stahlindustrieller, hobbymäßig Wohltäter und Stifter. Ob er mir wohl mal eine Einleitung stiftet? Anfrage geht raus.
Wie geht CARNEGIE? Wir führen ein Unternehmen. Punkte zählen unter anderem die Ausbreitung auf dem Spielbrett und der Ausbau des Bürogebäudes. Sowie Spenden: Ich zahle einen von Spende zu Spende wachsenden Betrag und lege damit für mich eine Bedingung der Schlusswertung fest. Beispielsweise, dass ich dann zwei Punkte für jeden Warenwürfel bekomme, den ich noch übrighabe.
Für die Aktionen benötige ich Personal in den Abteilungen meines Büros. Reihum bestimmt jemand, welche der vier Abteilungen in der aktuellen Runde arbeiten soll. Daraufhin werden alle Figuren, die in den entsprechenden Büroräumen stehen, aktiviert. Grob gesagt ist eine Abteilung für die Ausbreitung auf dem Spielplan zuständig; die nächste forscht und bereitet dadurch die Ausbreitung vor, denn Chips, die ich irgendwann auf den Spielplan legen möchte, muss ich erst freischalten; die dritte Abteilung holt Ressourcen ran und baut neue und stärkere Büroräume; und die vierte erlaubt mir, die Figuren in meinem Büro hin- und herzubewegen.
Was nicht nur deswegen immer wieder nötig ist, weil sich meine Vorhaben verändern. Viele Aktionen bewirken, dass ich Bürofiguren in den Außendienst schicke, also in Regionen des Spielplans. Im Bestfall kommen sie schon im nächsten Zug wieder zurück. Aber dann lungern sie erst mal im Eingangsbereich meines Büros herum und warten darauf, neu auf die Räume verteilt zu werden.
Wenn Figuren aus dem Außendienst zurückkehren, erhalte ich auch Einkommen – ein weiterer Grund, warum ich scharf aufs Heimholen bin. Aber nicht alle kehren zurück. Sondern – wenn überhaupt – nur die Figuren aus jeweils einer der vier Regionen: West, Midwest, East oder South. Welche, entscheidet der oder die Spieler:in am Zug.
Allerdings ist die Entscheidung nicht völlig frei. Man muss dazu auf einem Board, das in jeder Partie etwas anders angeordnet ist, einen von vier Markern vorrücken. Der gewählte Marker bestimmt die Abteilung, und das Feld, auf das er rückt, bestimmt die Heimhol-Region. Man hat also nur die Wahl zwischen vier Kombinationen. Je nach Anordnung des Tableaus könnte es sein, dass beispielsweise South auf längere Sicht nicht an die Reihe kommen kann, East dagegen mehrere Male in kurzer Zeit. Dann wäre es nicht so klug, meine Figuren nach South zu schicken, was sich allerdings auch nicht immer vermeiden lässt, falls ich mich genau dort ausbreiten möchte.
Was passiert? Das Ganze erinnert ein bisschen an PUERTO RICO: Jemand bestimmt die Spielphase, die daraufhin alle durchlaufen. Und genau wie bei PUERTO RICO kann die Reihenfolge der Phasen konstruktiv oder destruktiv gewählt werden. Sind die Abteilungen leer, und jede Menge Figuren in den Empfangshallen gieren darauf, endlich in die Büros laufen zu dürfen, wäre es nett, jemand veranlasste mal die Figurenbewegung. Doch sofern ich den Eindruck habe, dass andere mehr davon profitieren als ich, lasse ich’s bleiben. Und wenn eine andere Aktion an die Heimholung aus Midwest gekoppelt ist, und ich bin der Einzige mit Figuren in Midwest, dann wähle ich vermutlich dies. Selbst wenn mich die Aktion gar nicht so brennend interessiert.
Die Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer lässt CARNEGIE zu einem interaktiven Spiel werden. Allerdings fühlt sich der Spielverlauf nicht immer befriedigend an. Denn CARNEGIE endet grundsätzlich nach 20 Runden. Ob die Aktionen währenddessen konstruktiv oder destruktiv gewählt waren, ist egal. In PUERTO RICO ist das Ende an inhaltliche Bedingungen gekoppelt. Wählen wir Aktionen mit geringem Spielfortschritt, dauert das Spiel eben ein bisschen länger.
Zur Interaktion gehört auch, dass ich zu erahnen versuche, welche Aktions-Region-Kombinationen von anderen Spieler:innen ausgelöst werden. Keine Figuren heimzuholen und somit kein Einkommen zu beziehen, wäre ärgerlich. Deshalb richte ich mein Spiel immer nach den anderen aus. Dass man im Vier-Personen-Spiel dreimal von Entscheidungen anderer abhängig ist, bevor man wieder selbst wählt, macht die Langfristplanung komplex, weshalb sich in meinen Partien eingebürgert hat, die Figuren möglichst auf alle Regionen zu verstreuen, um definitiv dabei zu sein. Und wenn irgendeinem Tropf das aus irgendeinem Grund irgendwo nicht gelingt, wird dieses Pech gern zum Anlass genommen, genau diese Region zu wählen.
Gleichzeitig machen solche Zusammenhänge CARNEGIE spannend. Ich hoffe, dass ich in meinem Zug richtig spekuliert habe, die Figurenbewegung nicht auszulösen, weil sich nun gewiss der oder die nächste Spieler:in genötigt sieht, es zu tun. Ich spekuliere, in welche Abteilung meines Büros ich mehr Leute schicke, weil genau diese Abteilung hoffentlich gleich an die Reihe kommt. Ich hoffe, dass ich noch Chips freischalten kann, bevor sie eingesetzt werden sollen. Und dass ich rechtzeitig Ressourcen produziere, weil ich das Einsetzen sonst gar nicht bezahlen könnte.
Was taugt es? CARNEGIE ist originell. Dass ich mein eigenes Büro baue und dann vielleicht Aktionsmöglichkeiten habe, die andere nicht haben, finde ich sehr reizvoll. Zumal es nicht nur darum geht, Büroräume auszuwählen, deren Aktionen gut harmonieren. Ich kann überdies mein Unternehmen auf verschiedene Art ausrichten und von Partie zu Partie damit experimentieren. Und das Bauen hat eine räumliche Komponente. Meine Figuren müssen die angedachten Laufwege auch zurücklegen können.
Mechanisch interessant ist zudem das Wechselspiel aus Außendienst und Heimkehr. Allein das Management meiner Figuren und die Konstruktion meiner Büro-Engine wäre für meine Begriffe schon genügend Stoff für ein Spiel gewesen.
Ich finde CARNEGIE faszinierend und spiele weiterhin gerne mit, falls jemand das Spiel vorschlägt. Gleichzeitig fühle ich mich von dem ständigen Zwang, mein Spiel nach den anderen Spieler:innen auszurichten, stark kanalisiert. Der Mechanismus bewirkt eine gewisse Getriebenheit und in der Folge Gleichförmigkeit dessen, was wir tun, sowohl während der Partie selbst als auch von Partie zu Partie.
So richtig warm bin ich trotz grundsätzlicher Sympathie mit CARNEGIE also nicht geworden. Der Kategorie „solide“ passt nicht ganz, aber ich habe keine andere. „In Teilen reizvoll“ träfe es vielleicht besser.
**** solide
CARNEGIE von Xavier Georges für eine:n bis vier Spieler:innen, Pegasus Spiele.