Einer der häufigsten Gründe, warum ich gewisse Rezensionen vor mir herschiebe: Ich kann mich zwischen zwei Noten nicht entscheiden. Manchmal denke ich deshalb: Vielleicht sollte ich diese einengenden Noten einfach abschaffen. Andererseits … die schnelle Orientierung … oh, ich kann mich nicht entscheiden.
Wie geht LETTER JAM? Kooperativ erraten wir Wörter und Buchstaben. Jemand hat aus fünf / sechs / sieben Buchstabenkarten ein geheimes Lösungswort für mich erdacht. Diese Karten werden gemischt, eine davon vor mir in einem Halter so aufgestellt, dass ich sie nicht sehe. Das machen wir alle. Jede*r sieht nur die Buchstaben der anderen.
Wer meint, eine gute Idee zu haben, bildet aus den für ihn sichtbaren Buchstabenkarten ein Wort und markiert sie in der richtigen Reihenfolge mit Zahlenchips. Beispielsweise S 1, T 2, A 3, L 4 und 5. Ist mein geheimer Buchstabe an Position eins, notiere ich mir _TALL und komme wohl darauf, dass mein Buchstabe ein S ist. An Position drei wäre es nicht so leicht. In ST_LL kann ein A oder ein I fehlen, sogar ein E. Und bin ich der Spieler mit dem L, bleiben ebenfalls Zweifel. Am Ende von STA_ _ wären auch M oder R oder T oder F denkbar.
Wer seinen Buchstaben ermittelt hat (oder das zumindest glaubt), legt die Karte verdeckt ab und steckt die nächste in den Halter. Habe ich alle meine Buchstaben erraten, kombiniere ich daraus das Geheimwort. Je fehlerloser wir das alle hinkriegen, desto höher der Gruppen-Score.
Was passiert? Da wir nur über eine begrenzte Menge Tipps verfügen, können wir uns nicht allzu lange mit einzelnen Buchstaben aufhalten. Hinweise wie HOSE oder BEIN sind verheerend, weil zu wenige Spieler*innen profitieren. Einige kommen mit ihrem Buchstaben gar nicht im Wort vor, für die anderen ist es uneindeutig.
Die Gruppe leidet ebenso, wenn jemand zu optimistisch seine Karten ablegt und meint, der erste Buchstabe in _EIN könne ja bloß ein W sein, was denn sonst? Falsche Buchstaben ergeben am Ende ein falsches Lösungswort. Oder nur Murks.
Neben Gruppendisziplin benötigen wir auch Glück. Insbesondere sind wir auf Vokale angewiesen. Befinden sich auf unseren Kartenhaltern lediglich Konsonanten, rettet uns nur der Jokerbuchstabe, der in jedes Wort eingebaut werden darf. Nutzt man ihn, wird es allerdings noch diffiziler, gute Hinweise zu kreieren. _?LL (das Fragezeichen steht für den Joker) kann so ziemlich alles sein. Fell, hell, Ball, Soll …
Dass ich mich an dieser Stelle so gründlich darüber auslasse, wie man es nicht macht, liegt daran, dass ich genau dies sehr häufig erlebe. Um bessere Tipps zu geben, benötigt man mindestens eine Lernpartie und obendrein Geduld. Je gründlicher wir alle nachdenken, desto besser stehen die Chancen, dass irgendwer ein Wort findet, das alle sichtbaren Buchstaben einbindet und beim Erraten kaum Zweifel lässt. Nach meiner Erfahrung wächst mit der Gruppengröße aber auch die Ungeduld. Es sind immer welche dabei, die lieber schnell spielen wollen als ambitioniert.
Auch im von mir geliebten CODENAMES gibt es diesen Effekt. Im Vergleich verläuft LETTER JAM trotzdem starrer, schweigsamer, lahmer. Die Aufgabenstellung gibt einfach weniger her. Ich fühle mich in LETTER JAM nicht kreativ, sondern eher wie ein fleißiger Handwerker, der in allen erdenklichen Kombinationen Buchstaben montiert. Insbesondere beim Lösen gehe ich systematisch alle Möglichkeiten durch. Und stets für mich allein. Wir sprechen fast gar nicht, wir haben nichts zu diskutieren.
Spielziel und Wertung sind in LETTER JAM schwammig. Die Anleitung sagt, wenn „fast alle“ ihr Zauberwort erraten, habe man „im Prinzip gewonnen“. Menschen, die es genauer wissen wollen, können obendrein Punkte ausrechnen. Kurioserweise lässt sich aber im „Standardspiel“ (mit fünf Buchstaben pro Ratewort) gar keine besonders hohe Wertung erreichen. Selbst bei fehlerlosem Spiel meldet LETTER JAM: Leute, das war Mittelmaß.
Was taugt es? Ich empfinde LETTER JAM als originell und fühle mich herausgefordert. Im Gegensatz zu fast allen anderen Wortspielen gibt es hier endlich mal keine Zweifel, welche Wörter erlaubt sind. Wenn ich denke, dass DINO ein ganz toller Hinweis ist, darf ich ihn geben. Ob er wirklich so grandios ist, wird sich zeigen.
LETTER JAM ist auch Coronawelt-tauglich. Es geht problemlos zu zweit. Was den Anspruch an die Teamleistung angeht, ist man zu zweit sogar eher auf einer Linie als zu sechst. Und Geduld hat man in diesen Zeiten sowieso.
Doch selbst unter diesen guten Bedingungen: Ja, in LETTER JAM steckt Positives. Ja, ich knoble gerne mit. Ja, es gibt schöne Aha-Momente, wenn man nach langem Tüfteln und Auf-dem-Schlauch-Stehen doch noch die Lösung findet.
Doch LETTER JAM wird beim nächsten Mal etwa dieselben Erlebnisse bieten wie beim letzten Mal. Vermutlich deshalb, weil es nicht um Bedeutungen von Wörtern geht, nicht um Assoziationen, Nuancen, Interpretationen. LETTER JAM ist Kopf statt Herz, Schema statt Fantasie. Es viel mehr Wort-Arbeit als Wort-Kunst.
**** solide
LETTER JAM von Ondra Skoupy für zwei bis sechs Spieler*innen, Czech Games Edition.