Vor 20 Jahren befand ich mich in einer fatalen Lebensphase. Mein Dasein war arm und leer, ich litt unter Mangelerscheinungen.
Die Diagnose war eindeutig: Mir fehlten Spielpartner! Notgedrungen musste ich jede Spiel-Gelegenheit beim Schopfe packen. Und deshalb kam es zu solch peinlichen Versuchen wie dem
neulich geschilderten, mit Seltenspielerinnen ausgerechnet EXTRABLATT auszuprobieren. Alles in allem kam ich viel zu selten dazu, das zu spielen, was ich eigentlich spielen wollte: meine absoluten Lieblingsspiele nämlich.
Um überhaupt zu spielen, nahm ich lange Fahrradtouren vom einen Ende der Stadt zum anderen auf mich, selbst wenn nicht mehr dabei heraussprang, als mich mit Dauerbekifften auf ein Runde TICHU zu treffen – was mit Zugedröhnten nicht mal wirklich viel Spaß macht, insbesondere wenn sie es nicht mehr so richtig gebacken kriegen, dass man aus drei Fünfen eventuell auch einen Drilling bilden kann statt die Karten einzeln auszuspielen und am Schluss darauf sitzen zu bleiben.
Der Hintergrund der unverhohlenen Abhängigkeit war allerdings tragisch. Eine der beiden Frauen in dieser Runde war schwer krank. Sie rauchte Drogen, um ihre Leiden zu lindern. Die zweite war ihre Ganztags-Pflegerin. Sie rauchte Drogen... mmh, sagen wir, um beim Lindern mitzuhelfen.
Und bevor jemand fragt: Ja, ich weiß, dass man TICHU nicht zu dritt spielt. Hinzu kam also als Vierter ein wechselnder und nicht notwendigerweise kiffender Spielpartner – je nachdem, wer gerade rekrutiert werden konnte.
Völlig unabhängig von der genauen Besetzung ist festzuhalten: An diesen TICHU-Abenden wurde stets sehr viel gelacht, auch wenn ich die Anlässe nicht immer nachvollziehbar fand. Es galt sogar die Umkehrformel: Je heftiger der Lach-Flash, desto unerklärlicher sein Auslöser.
Ich führte in dieser Gruppe auch neue Spiele ein. 6 NIMMT! beispielsweise bewährte sich vorzüglich und wurde oft gespielt. Doch einmal mehr (siehe EXTRABLATT) machte ich auch den Fehler, meine Mitspieler zu überfordern. WAS STICHT, das ich mehrmals mitbrachte, bewährte sich überhaupt nicht.
Jedenfalls in meiner Wahrnehmung. Meine Mitspielerinnen fanden es superb. Und ich fand es eigentlich auch gut, nur eben nicht mit meinen Mitspielerinnen.
Das Spiel beginnt nämlich mit einer langen Karten-Auswahl-Phase, in der einer der Wissende ist und den anderen nach und nach Informationen liefert, aus denen sie schließen sollen, welche Farbe und welche Zahlen Trumpf sind.
Doch angenommen, der Wissende ist während dieser vorentscheidenden Phase stark benebelt: Dann kann es vorkommen, dass die Informationen sehr widersprüchlich wirken und sich hinterher zum Teil als völlig falsch herausstellen. Was man aber rückwirkend nicht beweisen kann, weil leider versäumt wurde, das Ganze auf Video aufzuzeichnen. Also hat man sich ein komplett bescheuertes Blatt zusammengestellt und ist der Einzige am Tisch, der das nicht zum Wegwerfen komisch findet.
Das war tatsächlich mein spielerisches Leben 1995...! Unfassbar!
Heute ist meine Lage zum Glück komfortabler. Ich habe sehr, sehr viele passende Mitspieler für sämtliche Spielkategorien von Anfänger bis Experte. Zu verdanken ist diese positive Entwicklung meiner Tätigkeit als Spielerezensent, die mich veranlasste, meine Spielekreise immer weiter auszubauen. Aber irgendwas ist trotzdem schief gegangen. Denn noch immer komme ich viel zu selten dazu, das zu spielen, was ich eigentlich spielen will: meine absoluten Lieblingsspiele nämlich.