Dienstag, 31. August 2021

Gern gespielt im August 2021

WITCHSTONE: Ich glaub, mich tritt ein Feld!

DIE KARTOGRAPHIN: Glück gehabt, dass Königin Gymnax auf Schönheit und Lesbarkeit ihrer Landkarten wenig Wert legt. Sonst dürfte ich hier gar nicht mitmachen.

CRYPTID: Wenn diese Kreatur sich schlauer verstecken kann als wir suchen, ist es vielleicht gar keine so gute Idee, dem Viech nachzustellen. Ich sag’s ja nur.

VENDETTA: Möglicherweise etwas undemokratisch, aber dennoch nicht ganz unangenehm, dass man im Gegensatz zu anderen Detektivspielen hier am Ende auch gleich die Rechtsprechung übernimmt.

DOMINION – MENAGERIE: So weckt man die Tierliebe in mir: die Viecher einfach auf DOMONION-Karten drucken. 






UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM AUGUST:

SO KLEEVER!: Wenn du vom Spieltitel besseres Feedback bekommst als von den Mitspielenden.






Sonntag, 29. August 2021

Vendetta

Obacht! Diese Rezension enthält Spoiler. Zu begründen, was mir an einem Spiel gefällt oder nicht gefällt, gelingt mir nicht, ohne die Dinge zu nennen, die mir gefallen oder nicht gefallen.

Wie geht VENDETTA? (Seufzer). Das Genre boomt halt ... VENDETTA ist eins der vielen Krimispiele, die derzeit auf den Markt kommen. Es enthält keine Mechanismen, die man nicht auch schon anderswo gesehen hätte.
Wir klären einen Fall auf, indem wir Texte auf Spielkarten lesen und darin vor eine Wahl gestellt werden: Wollen wir X befragen oder Y? Je nach unserer Entscheidung verschwindet nun die eine oder andere Karte ungesehen aus dem Spiel. Unser Wissen ist also niemals universell.
Immer wieder dürfen wir auch geheime Umschläge öffnen und finden dort Prospekte, Lagepläne, Zeitungsartikel, WhatsApp-Verläufe und so weiter. Was wir damit anfangen sollen, müssen wir selbst herausfinden. Und hin und wieder müssen wir auch Rätsel lösen oder Codes knacken.
Diesmal machen wir das aber nicht, weil wir bei der Polizei arbeiten. Wir sind von der Gegenseite. Der Sohn des Mafia-Paten ist tot. Wir als Capo sollen die Hintergründe ermitteln. Tatsächlich fühlt sich das Geschehen durch diesen Dreh etwas anders an. Ein rechtschaffener Ordnungshüter würde sich doch sicher nicht so verhalten wie ein Mafioso.


Was passiert? VENDETTA nimmt die Spieler:innen ziemlich an die Hand. Das beginnt schon damit, dass das Spiel einen vorformatierten Notizzettel und einen faltbaren Spielplan aus Papier mitliefert, der uns hilft, die Karten sinnvoll zu sortieren. Symbole zeigen an passender Stelle an, wann wir etwas im Internet recherchieren sollen. Und gibt es in den Illustrationen was zu entdecken, kriegen wir den Hinweis: Hey, achtet doch mal auf die Illustrationen!
Das kann man belächeln. Und wer es lieber bockschwer mag, ist bei VENDETTA eindeutig falsch. Ich belächle es nicht. Meines Erachtens merkt man dem Spiel an, dass die Macher:innen auch Escape-Rooms betreiben. Ziel ist, den Spielenden eine gute Zeit zu bereiten, sie vor gewisse Probleme zu stellen, ihnen aber auch regelmäßig Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Wer rettungslos im Escape-Room steckenbleibt, hat wahrscheinlich keine gute Zeit.

In VENDETTA ist deshalb dafür gesorgt, dass es nicht nur den einen goldenen Weg gibt, um an die wesentlichen Informationen heranzukommen. Wenn wir uns an einigen Stellen nicht optimal entscheiden, gewinnen wir zwar weniger Sterne für die Schlusswertung, aber es ist weiterhin gut möglich, den zu Fall lösen. Ich glaube sogar, es ist schwieriger, den Fall nicht zu lösen. Denn selbst der Lösungsweg wird uns ziemlich stark angedeutet. Das Gefühl, selber zu ermitteln, hat man trotzdem. Und darauf kommt es an.
Die Rätsel sind recht leicht. Langes Herumknobeln ist nicht vorgesehen. Eins der Rätsel fand ich misslungen, die anderen in Ordnung. Falls man stecken bleiben sollte, kann man sich im Internet Hilfe holen. Apropos Internet: Netzanbindung wird hier vorausgesetzt. Sogar ein Telefon wird benötigt.


Was taugt es? VENDETTA bietet eine gute Vielfalt. Die Objekte in den Umschlägen sind schön abwechslungsreich. Die Rätsel sind unterschiedlich, es sind keine dabei, die sich wie eine lästige Beschäftigungstherapie anfühlen.
Vor allem gefällt mir die Liebe zum Detail. Für das Spiel wurden eigens Fake-Websites aufgesetzt, die einfach Spaß machen. VENDETTA gelingt der Spagat, authentisch zu wirken und dabei trotzdem ein produzierbares und erschwingliches Schachtelspiel zu bleiben.
Dass es glaubwürdig wirkt, liegt auch an der Spielgeschichte, die trotz der gebotenen Kürze Vorstellungen und Bilder entstehen lässt und uns die handelnden Figuren als Individuen nahebringt. VENDETTA bleibt sich bis zum Ende thematisch treu. Sogar nach der Auflösung ist es hier noch nicht ganz vorbei.


***** reizvoll

VENDETTA von Lukas Setzke, Martin Student, Verena Wiechens für eine:n bis fünf Spieler:innen, Noctis Verlag.

Samstag, 21. August 2021

Meeple Land

Ich bin ein großer Fan von Freizeit – und Parks mag ich auch. Die Kombination aus beidem jedoch lockt mich überhaupt nicht. Ach ja, bei Bier und Cola verhält es sich übrigens ganz genauso, aber das führt jetzt vielleicht vom Thema weg.

Wie geht MEEPLE LAND? Wir bauen Freizeitparks. Mit unterschiedlich großen Legeplättchen, die unterschiedlich viel Geld kosten. Die Plättchen zeigen entweder eine Parkattraktion oder wichtige Infrastruktur wie Klohaus oder Burgerbude. Außerdem zeigen alle Plättchen Wege. Die unpassend anzulegen, bringt am Schluss Minuspunkte.
Tatsächlich geht es aber um Pluspunkte. Und die gibt es a) für möglichst viele verschiedene Attraktionen im Park und b) für möglichst viele zufriedene Gäste. Vier Sorten Gäste sind im Spiel, unterschieden nach Farben. Und bei jeder Attraktion ist angegeben, welche Gästesorte sie beglückt und wie viele davon. Manchen anspruchsvolleren Gästen aber genügen nicht bloß Riesenrad oder Schiffsschaukel an sich. Sie wollen auch noch fußläufig Burger oder Klo. Seltsamerweise niemals die Kombination aus beidem, obwohl das für mein Empfinden nun wirklich zusammengehörte.
Wir kommen abwechselnd an die Reihe, um eins der ausliegenden Plättchen zu wählen, zu bezahlen und einzubauen. Wer passt (oft wegen Geldmangel), bekommt einen der ankommenden Busse mit Gästen in zwei Farben. Wer früher passt, hat hier mehr Auswahl. Alle Gäste, die man schon jetzt entsprechend ihren Wünschen im Park unterbringen kann, zahlen Geld in die Kasse.


Was passiert? So einiges, was sich gut anfühlt. Etwas mit Legeplättchen zu konstruieren und passend und platzsparend zu bauen, macht ja üblicherweise Spaß. Hinzu kommen hier noch übergeordnete Pläne: Ich will nicht irgendwas bauen, sondern viele verschiedene Attraktionen, die obendrein noch den ankommenden Gästen gefallen sollen oder denen, die aus früheren Runden unversorgt an meinem Eingang herumlungern. Ich will Klos und Co. möglichst zentral und gut erreichbar positionieren, damit ich nur wenige davon benötige. Und nebenbei muss ich auch noch mit meinen Finanzen haushalten.
Puh! Das ist viel Bastelbedarf auf einmal. Mehrere Mitspieler:innen in meinen Runden waren arg gefordert, und weil nacheinander gespielt wird, hat sich das Grübeln und Herumprobieren bisweilen ziemlich in die Länge gezogen.
Dem sehr planerischen Aspekt steht die Vergabe der Busse gegenüber. Man kann nicht so bauen, dass man mit jeder denkbaren Busladung gleichermaßen gut zurechtkäme. Zwar lässt sich abschätzen, was die Konkurrenz nehmen wird, aber nicht immer kommt es auch so, und kriegt man völlig unpassende Gästefarben aufgehalst, kann es schon mal ziemlich den Bach runtergehen. Allerdings trifft so etwas diejenigen, die zuletzt aussteigen, also potenziell die Reichsten. Das macht’s erträglicher.


Was taugt es? Als größte Schwäche von MEEPLE LAND sehe ich die zufällige Marktbestückung an. Es kommt immer wieder vor, dass das, was gerade gefragt ist, einfach nicht auftauchen will: Mehrere Parks hoffen auf einen Burgerverkauf – und es wird ein Klo nachgelegt und ein Souvenirshop und dann wieder ein Klo. Noch schlimmer ist das bei den Attraktionen. Weil Geld und Raum in MEEPLE LAND enorm knapp sind, wäre es unsinnig, irgendetwas doppelt zu erwerben. Blöd also, wenn nur noch Plättchensorten ausliegen, die alle Spieler:innen schon haben. Besonders häufig passiert das übrigens bei den vier Felder großen Attraktionen und im Spiel zu zweit.
Und so einladend MEEPLE LAND aussieht: Die Spielbarkeit könnte besser sein. Mehrere Spieler:innen hatten Schwierigkeiten, die Attraktionen voneinander zu unterscheiden und sie auf ihrem unnötig winzigen Wertungsblock zu finden.
Wegen dieser Macken hinterlässt das an sich runde und stimmige Spiel dann doch einen unrunden Eindruck. Das ist schade, weil das Thema durch die Mechanismen so gut abgebildet wird: Gäste bringen Geld und am Ende Ruhm. Das finde ich sehr schlüssig. Die spielerische Legespiel-Aufgabe ist herausfordernd und interessant. Das Pokern auf die Busse ist außerdem spannend.


**** solide

MEEPLE LAND von Cyrille Allard und Frédéric Guérard für zwei bis vier Spieler:innen, blue orange.

Dienstag, 17. August 2021

The Key – Sabotage im Lucky Lama Land

Den Schlüssel zu einer guten Einleitung habe ich diesmal nicht gefunden.

Wie geht THE KEY? Wir lösen einen Kriminalfall. Nicht gemeinsam, sondern konkurrierend. Alle Hinweiskarten, die ich genommen habe, zählen Minuspunkte. Wer richtig löst und die wenigsten Minuspunkte hat, gewinnt. Wer zuerst löst, darf zur Belohnung eine Karte abgeben und erspart sich so ein paar Miese.
THE KEY erzählt keine Geschichte, sondern geht mehr in Richtung Logikaufgabe. Im Freizeitpark wurden an drei verschiedenen Tagen von drei Täter:innen mit drei Werkzeugen drei Attraktionen sabotiert. Wir sollen für jeden Tag herausfinden: Wer? Womit? Was?

Um loszuspielen, kippen wir einfach alle Karten in die Tischmitte. Ohne feste Zugreihenfolge schnappen wir uns nun welche. Gerne mit ein bisschen Vorüberlegung: Alle Rückseiten zeigen den Strafpunktwert und was uns in etwa auf der Vorderseite erwartet, zum Beispiel eine Information zum Werkzeug an Tag drei.
Wenn ich glaube, dass mich das weiterbringt, nehme ich die Karte. Allerdings lese ich vorne dann nicht einfach „Zange!“ Die Information ist indirekter. Ich muss ein bisschen nachdenken. Zum Beispiel steht da: „Das Tatwerkzeug wog weniger als 600 Gramm“, und ich muss auf die Idee kommen, dass ich Längenangaben in der kleinen Ermittlungsakte finde, die wir zu Beginn bekommen haben. Wie sich zeigt, gibt es zwei Werkzeuge, die leichter als 600 Gramm sind, also benötige ich weitere Informationen. Und ganz nebenbei habe ich noch etwas herausgefunden: warum die Karte nur zwei Strafpunkte wert ist.


Was passiert? Alle sind gleichzeitig beschäftigt, tüfteln, ermitteln, ziehen logische Schlüsse, haben mal Häh?- und mal Aha-Momente. Uns erwarten keine komplexen Knobeleien, sondern eher spielerische Aufgaben, die oft genaues Hinschauen erfordern. THE KEY ist leichter als typische Escape-Spiele.
Im Falle von LUCKY LAMA LAND müssen wir beispielsweise Fußspuren mit Profilen vergleichen und winzige Unterschiede finden. Und das spiegelverkehrt. Dem Spiel liegt ein kleiner Spiegel bei, und wenn man früher als ich auf die Idee kommt, die Schutzfolie abzupulen, funktioniert er auch von Beginn an. Ein anderer Aufgabentyp verlangt, auf dem Lageplan des Parks den Standort zu ermitteln, von dem aus ein bestimmtes Foto gemacht worden ist. Oder zerrissene Showtickets müssen identifiziert und mit einer Tabelle abgeglichen werden.


Was taugt es? THE KEY vermittelt durchaus ein Gefühl von Ermittlungsarbeit. Wir kombinieren Fakten, wir denken logisch, wir lösen kleine Rätsel. Unser Gehirn ist hier stets aktiv.
Die Box enthält neun verschiedene Fälle, die sich allerdings nur in der Lösung, nicht aber in der Machart unterscheiden. Nach neun Partien hat man mit Sicherheit die Auflösung der ersten vergessen und könnte wieder von vorn beginnen. Für reine Erwachsenenrunden trägt der Reiz allerdings nicht so lange.
THE KEY ist natürlich solistisch. Jede:r tüftelt für sich. Dass man mit anderen in einem Wettbewerb steht, vergisst man trotzdem nicht. Erst recht nicht, wenn jemand ausgerechnet die Karte weggrapscht, die man sich auch gerade ausgeguckt hatte.
Der Zufallsfaktor ist nicht unerheblich. Selbst wenn ich mir vorab Gedanken mache, welche Karten ich wähle, kommt es immer wieder vor, dass ich Informationen erhalte, die ich längst habe. Das finde ich im Rahmen einer 30-Minuten-Partie aber in Ordnung, zumal es dazu beiträgt, dass nicht immer dieselben gewinnen.

Was hat nun LUCKY LAMA LAND, das die anderen Boxen (RAUB IN DER CLIFFROCK VILLA, MORD IM OAKDALE CLUB) nicht haben? Andere Aufgaben. Welche Box man besser oder schlechter findet, dürfte größtenteils Geschmackssache sein. Mir gefallen alle drei etwa gleich gut. Allerdings hat auch jede Box irgendeinen Fallstrick, der Neulinge stolpern lässt (hier: die Fußspuren- und Foto-Aufgaben). Und helfen kann man während der Partie kaum. Im schlimmsten Fall nehmen ratlose Mitspielende so viele Hinweise, dass sogar die Karten knapp werden.
Die THE KEY-Reihe ist mir sympathisch, sie hat Charme. THE KEY bettet kleine spielerische Aufgaben in einen kriminalistischen Gesamtzusammenhang ein. Weil die Hinweise schön unterschiedlich sind, werden wir auf immer andere Weise gefordert. Jedoch lebt jede Box, also auch LUCKY LAMA LAND, vom Reiz des Neuen. Je häufiger man spielt, desto mechanischer geht man vor. Aus Erwachsenensicht geurteilt: Ich spiele gerne mit, stelle mir das aber nicht in den Schrank.


**** solide

THE KEY – SABOTAGE IM LUCKY LAMA LAND von Thomas Sing für eine:n bis vier Spieler:innen, Haba.

Freitag, 13. August 2021

Forgotten Waters

Als ich mir vor x Jahren ausgedacht habe, wie meine Wertungen heißen sollen, erschien mir das Label „solide“ wie eine sichere Bank. „Solide“ kennt jede:r, es ist so etwas wie: im Großen und Ganzen okay … aber vielleicht nicht besonders genug.
Je länger ich nun diesen Nischenblog betreibe, desto häufiger fällt mir auf, dass „solide“ im Sinne von „mittel +“ zwar das Ausmaß meiner Wiederspiellust treffend beschreibt, aber einigen Spielen nicht gerecht wird. Manche haben echte Schnitzer, sind handwerklich also das Gegenteil von „solide“ – und diese Schnitzer verleiden mir das Gesamtwerk so sehr, dass ich „reizvoll“ als zu hoch empfinde und mangels Alternativen auf „solide“ ausweiche.
Andere sind das Gegenteil von „nicht besonders genug“. Sie sind geradezu besonders besonders ... aber trotzdem nicht rundum reizvoll. Und jetzt bin ich bei FORGOTTEN WATERS angelangt, das nicht „solide“ ist, aber „mittel +“, und deswegen steht „solide“ drunter. Äh … ja.


Wie geht FORGOTTEN WATERS? Wir sind Pirat:innen und erleben Abenteuer. Fünf Szenarien gibt es. In jedem verfolgen wir ein gemeinsames Spielziel, vielleicht müssen wir einen Feind jagen und besiegen. Darüber hinaus arbeiten wir (kompetitiv) an unserer individuellen Vervollkommnung, wofür wir möglichst viele oder noch besser alle Felder auf dem eigenen Sternbildbogen ausmalen müssen.
Welche Aktionen das eigene Sternbild voranbringen, lässt sich recht gut erahnen. Manchmal sind dies aber nicht die Aktionen, die die Gruppe voranbringen, woraus ein Konflikt zwischen Gemein- und Eigennutz entstehen kann.
Gespielt wird in einem 80 Seiten dicken Ringbuch. Jeder Spielzug findet auf einer Doppelseite statt, die beispielsweise „Ruhige See“ heißen kann und ein entsprechendes Bild zeigt. Zwischen bis zu sieben Aktionen dürfen wir nun wählen. Sie stehen auf der rechten Buchseite und lauten etwa „Speerfischen“, „Segel setzen“ oder „Quartier des Captains“.

Manche Aktionen sind verpflichtend; irgendwer muss sie ausführen. Oft sind genau diese Aktionen aber nicht so attraktiv und bleiben an der Person hängen, die zuletzt zieht. Die Zugreihenfolge wiederum richtet sich nach unserem Ruf.
Beim Ziehen sollten wir uns übrigens beeilen. Überschreiten wir den vom Rundentimer gesetzten Zeitrahmen, werden wir bestraft. Und die Ausführungstexte, die rechts neben den Aktionen stehen, sollen wir bitte nicht vorab lesen, sondern uns überraschen lassen.
Viele Spielzüge laufen auf Würfelproben hinaus. Je höher man würfelt, desto besser schneidet man ab. Gesammelte Gegenstände und persönliche Charakter-Fortschritte modifizieren diese Proben. Oft – und für diesen Teil benötigt man Internetanbindung – muss auch ein längerer Text verlesen werden. Seit wenigen Wochen gibt es eine professionelle deutsche Sprachausgabe, und man kann vorlesen lassen.


Was passiert? Wir schlagen uns so durch und erleben, was Gesetzlose auf hoher See so erleben. Nur skurriler. Witziger. Durchgedrehter. Die Texte sind sehr gekonnt verfasst; schwarzer Humor trifft auf Nonsens, Trash und wohldosierte Geschmacklosigkeiten. Man fühlt sich an Monty-Python-Komik erinnert.
Dass FORGOTTEN WATERS nicht zu ernst genommen werden möchte, erfahren wir schon bei Spielbeginn, wenn ein individueller Lückentext auszufüllen ist. Um die Vorgeschichte meines Charakters zu erfahren, soll ich Dinge wie „etwas Widerliches“ oder „eine erfundene Foltermethode“ benennen, ohne zu wissen, worum es geht. Diese Begriffe werden dann in meine vorzulesende Biografie eingeflochten, was hin und wieder schöne Lacher erzeugt.
Spielerisch ist FORGOTTEN WATERS in seichten Gewässern unterwegs. Selten sind taktische Entscheidungen zu treffen, häufiger thematische, den Rest erledigen die Würfel. Es passiert halt irgendwas. Es hat mit Seefahrt zu tun. Und es unterhält.


Was taugt es? Dass sich ein Spiel so wenig ernst nimmt, ist ungewöhnlich und erfrischend und gefällt mir gut. FORGOTTEN WATERS beschert sinnfreie Stunden, in denen man sich um viele Dinge keine Gedanken machen muss, die in anderen Spielen wichtig sind. Das Thema trägt super. Das leicht Anarchische passt perfekt.
Ich würde FORGOTTEN WATERS lieben, wären da nicht noch andere Faktoren. Für mein Empfinden will das Spiel zu viel gleichzeitig. Ein Trash-Spiel, das die üblichen Erwartungen persifliert und auf „Würfle die richtige Zahl“ hinausläuft, hätte ich völlig okay gefunden. Aber FORGOTTEN WATERS setzt zugleich auf fortlaufende Geschichten, die sich sehr in die Länge ziehen. Vier Stunden sollte man einplanen, und so witzige Details und Formulierungen es auch immer wieder gibt: Die Plots sind nicht besonders neuartig oder faszinierend. Ich war bei keiner Story gespannt, wie sie ausgeht. Die seelischen Nöte unseres Captains haben mich kalt gelassen, und ich habe mich auch niemals mit meiner Figur identifiziert.
Größtenteils ist FORGOTTEN WATERS ein Nonsens-Hörspiel, an dem man sich durch Aktionswahl oder Würfeln gelegentlich beteiligen darf. Zugleich soll es offenbar trotzdem ein „richtiges“ Spiel sein. Jedenfalls bedient es sich einiger Elemente, die man aus vielen anderen Abenteuerspielen kennt, das Besondere an FORGOTTEN WATERS jedoch verwässern: In manchen Partien kamen so viele verschiedene Karten mit Texten und Modifikatoren ins Spiel, dass man teilweise den Überblick über all das verlor. Um im Endkampf gibt es langwierige Würfelduelle ohne Finesse.
Wegen der Pandemie musste ich FORGOTTEN WATERS in kleiner Besetzung spielen. Dabei fiel obendrein negativ auf, dass der Ruf-Reihenfolge-Mechanismus für ein Spiel mit vielen ausgelegt ist und zu dritt nicht recht taugt.


**** solide

FORGOTTEN WATERS von Issac Vega, J. Arthur Ellis, Mr. Bistro für drei bis sieben Spieler:innen, Plaid Hat Games.

Montag, 9. August 2021

Vor 20 Jahren (104): Royal Turf

Ich mag Rennspiele. TOP RACE und WETTLAUF NACH EL DORADO gehören zu meinen ewigen Favoriten, GALOPP ROYAL wird meine Sammlung wohl auch nicht mehr verlassen, und dann ist da noch dieses … ja … Kleinod. Das Wort passt im doppelten Sinne. Einerseits weil ROYAL TURF eine spielerische Kostbarkeit ist, andererseits und noch viel mehr, weil das Spiel aus heutiger Sicht erstaunlich kleinformatig ausfällt.

Und da merkt man, was sich in den vergangenen 20 Jahren getan hat: teils zum Guten, weil schönes, wertiges Material, das angenehm in der Hand liegt, einiges zum Spielerlebnis beiträgt; teils aber auch zum Schlechten, weil der Hang zur Überproduktion sogar lächerlich wirkt, wenn der innere Gehalt eines Spiels seiner protzigen Aufmachung nicht annähernd standhält.


ROYAL TURF würde ich aus heutiger Sicht allerdings schon „unterproduziert“ nennen: kleine Pferdchen aus billigem Plastik, kleine Pappchips, ein kleines Spielfeld mit kleinen Feldern und kleinen Ablageflächen. Selbst vor 20 Jahren gab es da Luxuriöseres. Und das ist schade, denn das Spiel verdient mehr.

In ROYAL TURF geben wir in drei Pferderennen Wetten ab. Und mit dem Würfel beeinflussen wir die Zieleinläufe. Es gibt solide Pferde, die bei jedem gewürfelten Symbol ähnlich weit ziehen, und andere, die bei manchen Symbolen explodieren und bei anderen fast stehenbleiben. Wir würfeln im Uhrzeigersinn und ordnen den Wurf einem Pferd zu – aber es muss eins sein, das in dieser Runde noch nicht gelaufen ist. Und das ist ein hübsches Dilemma.

Könnte ich meinem Pferd nur mittelmäßig Gutes tun und nutze das Würfelsymbol deshalb, um der Konkurrenz ordentlich eins reinzuwürgen, bedeutet dies, mein Pferd der Willkür potenziell böser Menschen auszuliefern. Es wäre zu befürchten, dass mein Liebling ausgebremst wird, bevor ich wieder am Zug bin. Vielleicht aber auch nicht, weil man natürlich nicht weiß, wie die Würfel fallen und wer wie hoch auf was gewettet hat.

Reiner Knizia hat sich das ausgedacht, schon in den 90ern; der Vorläufer von ROYAL TURF hieß TURF HORSE RACING. 2001 wurde mit leichten Veränderungen dann dieses alea-Spiel daraus, später erschien es noch als WINNER’S CIRCLE. Opulent war es in keiner dieser Ausgaben. Vielleicht wird es einfach nicht genug wertgeschätzt. Bei Boardgamegeek reicht es derzeit zu Platz 871, was okay ist, aber nicht toll. Viel toller ist natürlich der Platz in meinem Herzen.


Donnerstag, 5. August 2021

My Farm Shop

Als Kind hatte ich einen Kaufmannsladen – und der lief nicht gut. Seitdem ist mir jeglicher Unternehmensgeist abhandengekommen.

Wie geht MY FARM SHOP?
Wir leiten einen Hofladen, stellen Waren her und verkaufen sie. Gesteuert wird das durch Würfel, und das ist wie bei MACHI KORO, das wiederum wie CATAN ist: Die Summe zweier Augenwürfel bestimmt, welches Feld bei allen Läden aktiviert wird.

Anfangs sind unsere Höfe noch gleich. Im Laufe des Spiels verbessern wir sie, indem wir die Felder mit Hofkarten überdecken, die den Feldern bessere Eigenschaften zuweisen. Beispielsweise bekomme ich auf der Fünf anfangs nur ein Ei. Später könnte dort eine Karte liegen, die mir Milch plus Wolle bringt, oder die besagt, dass ich ein Set aus allen vier Waren für acht Münzen verkaufen darf.
Wie komme ich an die Karten? Dafür ist der dritte Würfel da. In meinem Zug würfle ich nämlich gar nicht zwei, sondern drei. Sechs Hofkarten liegen stets im Markt. Und die Augenzahl eines Würfels nutze ich, um die Karte der entsprechenden Zahl zu nehmen und auf einem Hoffeld meiner Wahl zu platzieren. Und nur die übrigen beiden Würfel sind für alle da und aktivieren ein Feld.


Was passiert? Dass wir drei Würfel haben, eröffnet Raum für Taktik: Sowohl welche Karte ich bekomme als auch welches Feld ich auslöse, ist von Bedeutung. Im Bestfall passt beides. Übrigens sind wir auch nicht total von den Würfelergebnissen abhängig, denn um sie zu manipulieren, dürfen wir Kräuterbeutel zahlen – solange vorhanden. Den Kräuterbeutelnachschub sollte man deshalb auch organisieren.
MY FARM SHOP ist ein konstruktives Spiel, in dem alle vorankommen und alle Geld verdienen. Natürlich manche mehr als andere, was dann doch vom Würfelglück abhängt, aber auch von richtigen Entscheidungen und richtigem Timing. Am Schluss zählen die Waren nichts mehr. Bis dahin sollte optimalerweise alles abverkauft sein.
Dazu müssen die Verkaufsfelder mit den Produktionsfeldern harmonieren. Ganz viel Honig herstellen zu können, während man ganz viel Milch verkaufen kann, wäre eher unharmonisch. Weil man nicht weiß, welche Karten im Spiel sind und welche man bekommt, ist aber auch das wieder ein bisschen Schicksal.


Was taugt es? Die Grundanlage von MY FARM SHOP ist ziemlich toll. Das Spiel bietet Möglichkeiten für Taktik und Strategie; man kann aber trotzdem gewinnen, ohne sich groß Gedanken zu machen. Während einer Partie fühle ich mich nicht unterfordert, deswegen wäre ich auch wieder dabei.
Tatsächlich habe ich aber nie dieselbe Spannung wie in MACHI KORO oder SPACE BASE erlebt. Der Aufbau in MY FARM SHOP vollzieht sich etwas gemächlich und unspektakulär.
Vieles, was enthalten ist, wirkt sich kaum aus, steigert aber den Regelaufwand und macht MY FARM SHOP im Detail kompliziert. Das gilt für die Sonnenblumen, die man einsetzt, um Felderträge zu erhöhen, wie auch für das Modul „Bauer“.
Wegen der Kürze des Spiels werden einige Felder sehr selten ausgelöst. Das mag in MACHI KORO genauso sein, im Unterschied zu MY FARM SHOP gibt es dort aber nur eine Währung. Mit vier Sorten Waren und dazu Sonnenblumen und dazu Säcken lädt sich MY FARM SHOP so viele parallele Elemente auf, dass die Engine, die entstehen soll, am Ende noch gar nicht so recht zum Laufen gekommen ist.
Sehr sympathisch wiederum finde ich das Thema und die Welt, in der MY FARM SHOP spielt. Hofläden sind eine gute Sache.


**** solide

MY FARM SHOP von Rüdiger Dorn für zwei bis vier Spieler:innen, Pegasus Spiele.