Einleitung auf Bier, das spar ich mir.
Wie geht BIER PIONIERE? Wir brauen Bier. Um Aufträge zu erfüllen. Einer könnte vielleicht besagen, ich soll ein Fass Pils und ein Fass Weizenbier liefern, dafür erhalte ich fünf Punkte. Was eine Menge ist. BIER PIONIERE ist ein Wettrennen und endet bei 20 Punkten.
Mechanisch gesehen ist BIER PIONIERE Figureneinsatz. Jede:r besitzt zwei Figuren mit den Werten eins und zwei, reihum setzen wir auf freie Aktionsfelder und führen die Aktionen aus. Unsere Figuren können wir aufwerten, bis zu einem Wert von vier. Das ist relevant, weil auch jedes Aktionsfeld einen Wert hat, und ergibt die Addition aus Feldwert plus Figurenwert mindestens sechs, erhalte ich eine Bonusaktion. Höherwertige Figuren erweitern also das Spektrum an Feldern, auf denen ich einen Bonus erhalte.
Natürlich zielen einige der angebotenen Aktionen darauf ab, Bier zu brauen. Dieser Vorgang besteht aus zwei Teilen: Ich beginne den Brauvorgang, indem ich einen Anzeigestein für die entsprechende Biersorte einsetze. Zu Spielbeginn kann ich ausschließlich Altbier brauen, wertvollere Sorten muss ich erst freischalten. Die Anzeige wird auf einen Wert zwischen drei und sieben eingestellt. Das ist die Dauer an Runden, bis das Bier fertig ist. Errungenschaften meiner Brauerei können dafür sorgen, dass der voreingestellte Wert möglichst niedrig ist.
Anschließend reift das Bier. Ich kann abwarten, wie es Runde für Runde gärt und irgendwann von allein fertig ist. Üblicherweise aber herrscht Eile und ich treibe den Prozess über Aktionsfelder oder Bonusaktionen voran. Um wie viele Schritte ich meine Brauanzeiger pro Aktion weiterdrehen darf, hängt wieder von meinen Errungenschaften ab.
Parallel zur Bierherstellung strebe ich also an, meine Brauerei auszubauen. Auch dafür gibt es Aktionsfelder. Und Karten. Die ich nur mittels bestimmter Aktionsfelder ziehen und ausspielen darf. Die Karten lassen sich entweder als Sofort- oder Dauereffekt ausspielen, als Brauereiverbesserung oder als Auftrag. Jede Karte bietet zwei Wahlmöglichkeiten.
Was passiert? Alles in BIER PIONIERE ist stark miteinander verwoben, das Spiel ist ein feines Geflecht aus Hauptaktionen, Bonusaktionen und Karten. Welchen Fortschritt ich über welchen Weg bekomme, muss ich erst lernen. Grafisch ist das alles sehr gut verdeutlicht, die Gestaltung des Spielmaterials gibt überdies Hinweise auf dessen Funktion.
BIER PIONIERE erfordert Timing. Neben den beiden Figuren mit Punktwerten besitze ich noch drei weitere Einsetzfiguren: einen LKW, der nur bestimmte Felder des Spielplans ansteuert, eine Figur, die nur auf der Reihenfolgeskala eingesetzt werden darf, und eine weitere Figur, die nur auf Felder meines eigenen Tableaus zieht, welche ich dazu allerdings erst freischalten muss.
Gewiss will ich auf meinem Tableau möglichst spät setzen, denn diese Felder schnappt mir sowieso niemand weg. Andererseits benötige ich die Tableau-Aktion manchmal zur Vorbereitung von Aktionen auf dem Spielplan, muss also vielleicht doch früh einsetzen.
In BIER PIONIERE erlebe ich eine ständige Zerrissenheit, in welcher Reihenfolge ich was abwickle und welche meiner Figuren ich dazu wie früh wohin setzen muss. Selbst auf der Reihenfolgeskala legen wir nicht nur schnöde fest, wer in der kommenden Runde zuerst dran ist. Auch hier erhalten wir zusätzlich Aktionen. Und spätere Startplätze sind an stärkere Aktionen gekoppelt.
Der Einfluss der Karten ist recht hoch. Mit Glück passen die gezogenen Karten zusammen, und es lässt sich daraus eine Strategie ableiten, etwa auf welche Biersorten ich optimalerweise abziele. Es kommt aber auch vor, dass man nicht so recht Einsatzmöglichkeiten für seine Karten findet oder länger herumbastelt, um die komplexen Voraussetzungen zu erfüllen. Oder Karten schlichtweg ungenutzt abwirft.
BIER PIONIERE entwickelt mehr Tempo, als es in den ersten Runden den Anschein hat. Während wir anfangs noch mit dem Aufbau unserer Brauereien beschäftigt sind, wächst das Punktekonto eher langsam. Aber nicht der Komplettausbau der Fabrik ist das Ziel, sondern 20 Punkte. Auf dem Weg dahin muss ich abwägen, was ich entwickeln sollte und was sich nicht mehr lohnt.
Und das kann in jeder Partie anders sein – abhängig von meinen Karten, aber auch von der Gruppendenke. Ich habe neben sehr knappen Partien auch solche mit großen Punkteunterschieden erlebt, selbst wenn alle am Tisch das Spiel schon mehrfach gespielt hatten. Was in Partie A zu einem lockeren Sieg verhilft, kann in Partie B überraschend in die Hose gehen – insbesondere, wenn unter dem Eindruck von Partie A nun mehrere auf diese Spielweise einschwenken, weil sie denken, es müsse immer so klappen. Selten habe ich bei einem Spiel meine Meinung über die Stärke bestimmter Vorgehensweisen und bestimmter Ausbauten so häufig geändert wie bei BIER PIONIERE. Immer wieder haben mich Verläufe überrascht.
Was taugt es? Nicht so überzeugend fand ich lediglich jene Partie, die jemand gewann, ohne je eine Biersorte freizuschalten. Begünstigende Karten und Spielverläufe vorausgesetzt, kann man viele Punkte auch ohne Aufträge gewinnen und Aufträge wiederum erfüllen, indem man die nötigen Biere ohne Brauprozess über Aktionen oder im Austausch gegen Altbier erhält. Spielmechanisch ist daran nichts auszusetzen, aber thematisch wirkt es für mich unstimmig.
Grundsätzlich ist das Thema von BIER PIONIERE aber ein großer Pluspunkt des Spiels. Es wirkt nicht beliebig austauschbar, das Weiterdrehen des Brauanzeigers kann man sich gut als Gärungsprozess vorstellen. Die Illustrationen und die im Spiel mit ihren Konterfeis und Namen vorkommenden Brauer des 19. Jahrhunderts von Josef Diebels bis Clemens Veltins verströmen Zeit- und Lokalkolorit. Die Historizität (auch wenn sie mechanisch keine Rolle spielt) und die Umsetzung des Bierthemas heben das Spiel aus der Masse der austauschbaren Eurogames heraus.
Obwohl es mal wieder ein Optimierungsspiel ist, bei dem es darum geht, bei etwaigen Ketteneffekten das Maximale herauszuholen, und auch ohne mechanisch hochoriginell zu sein, hat BIER PIONIERE bei mir einen großen Wunsch auf viele Wiederholungspartien ausgelöst. Gerade die kleinen, aber feinen Abwandlungen des bekannten Figureneinsatzes (mehrere Sorten Figuren, Aufwertungen für Bonusaktionen) üben einen großen Zusatzreiz aus. Jeder Zug kribbelt, denn jeder Zug fühlt sich entscheidend an. Überdies bringt jeder Zug einen Fortschritt. Ich wachse, ich entwickle, ich braue. BIER PIONIERE ist ein konstruktives Spiel, es erzählt Erfolgsgeschichten. Als Gesamtpaket finde ich BIER PIONIERE außerordentlich rund.
****** außerordentlich
BIER PIONIERE von Thomas Spitzer für zwei bis vier Spieler:innen, Spielefaible.