Spoiler: Achtung, auch diese Rezension enthält Spoiler!
Wie geht PANDEMIC LEGACY – SEASON 2? Rund 70 Jahre, nachdem wir erst neulich die Welt gerettet haben, retten wir schon wieder die Welt. In guter alter PANDEMIE-Tradition natürlich kooperativ. Und natürlich hat jeder einen Charakter mit Spezialfähigkeit, natürlich hat jeder vier Aktionen, natürlich gibt es einen Kartenstapel, der ab und zu eine Epidemie ausspuckt. Und natürlich werden zunächst pro Runde zwei, später mehr Städte infiziert.
Anders als in anderen PANDEMIE-Spielen sind wir nicht damit beschäftigt, Seuchenwürfel wegzuräumen. Sondern vorbeugend Versorgungswürfel zu platzieren. Jede Infektion kostet einen dieser Würfel. Hat die betroffene Stadt keinen mehr, wird sie verseucht. Acht Seuchen bedeuten die Niederlage.
Und dann ist es ja ein Legacy-Spiel. Die bekannte Welt, in der wir starten, ist klein. Es gibt gerade mal neun Städte rund um den Atlantik. Bevor wir das finale Heilmittel finden können, müssen wir große Teile der Welt wiederentdecken und mit Infrastruktur versehen. Doch je ausgedehnter die Spielfläche und je weiter die Wege, desto schwieriger die Versorgung. Zum Glück bekommen wir nach jeder Partie Belohnungen und können unsere Charaktere und Spielkarten mit Klebchen aufpimpen. Dummerweise kommen postwendend immer neue Bedrohungen. Sagen wir so: Wir wachsen mit den Herausforderungen und die Herausforderungen mit uns.
Was passiert? Erstens ist es wie immer bei PANDEMIE. Die Gruppe knobelt gemeinsam Züge aus: Wo muss akut eine Stadt versorgt werden? Wie nutzt man die Aktionspunkte optimal? Wann sollte man lieber an das große Ganze denken und statt Krisenmanagement zu betreiben eines der Spielziele eintüten?
Zweitens ist es wie schon bei PANDEMIC LEGACY – SEASON 1: Man spielt nicht nur für diese eine Partie. Den Spielstand nimmt man mit in den nächsten der zwölf Spielmonate. Eine Partie um den Preis zu gewinnen, dass einige Städte draufgehen, ist vielleicht doch nicht so gut. Entscheidungen haben langfristige Folgen. Deshalb entstehen nach den Partien sehr intensive Diskussionen über den Einsatz der Belohnungspunkte.
Was mir auffiel: Nach den Erfahrungen mit SEASON 1 sind manche Spieler misstrauisch. Sie hinterfragen Angebote, die das Spiel ihnen macht. Nur weil einem etwas als vorteilhaft verkauft wird, heißt dies noch lange nicht, dass es mehrere Spiel-Monate später immer noch vorteilhaft sein muss. Wer weiß schon, wie die Story weitergeht?
Selbst das Aufleveln der Charaktere erscheint zweischneidig. In verschiedenen Gefahrensituationen muss auf dem Charakterbogen ein Kasten freigerubbelt werden. Dann zeigt sich, ob der Charakter alles gut übersteht, ob er verletzt wird oder gar stirbt. Und es wäre schon ärgerlich, ganz viel Mühe (und Punkte) in die Erschaffung eines Superchampions gesteckt zu haben – und plötzlich ist er futsch.
Drittens übertrifft SEASON 2 in mehreren Belangen SEASON 1. Der erste Teil war schon sehr gut, aber nicht perfekt. Wegen eines fehlerhaften Textes wäre es für meine Gruppe an einer Stelle ohne Online-Support nicht mehr sinnvoll weitergegangen. Und gegen Ende der Kampagne fühlte ich mich durch das Spiel sehr in eine vorgegebene Richtung geschubst. Vieles, was wir uns erarbeitet hatten, wurde plötzlich negiert.
SEASON 2 merkt man an, dass Erfahrungen aus Teil 1 in die Entwicklung eingeflossen sind. Die Informationen werden noch klarer und übersichtlicher präsentiert. Spiel und Spielregeln haben keine nennenswerten Fehler.
Das Spielgefühl ist noch freier. Kam in SEASON 1 alles Neue von außen, indem immer mehr Bedrohungen und immer mehr Regeln aufgetürmt wurden, gestalten wir nun vieles selbst, indem wir die Welt entdecken, den Spielplan vergrößern und Verbindungslinien selber einzeichnen. Neues kommt also auch von uns. Klar, auch dafür gibt es Regeln. Die Spielpläne verschiedener Spielgruppen dürften sich am Ende ziemlich gleichen. Trotzdem fühlt man sich als Mitgestalter.
Und als Entdecker. Manche Stadtkarten haben ein Rubbelfeld. Befinde ich mich in der Stadt und habe die Karte auf der Hand, darf ich den verborgenen Text freikratzen. Das hinterlässt leider ziemlich viel klebriges Glitzerzeug (es empfiehlt sich eine konsequente Entsorgungsstrategie, um nicht die ganze Wohnung damit vollzukrümeln), vor allem aber gewinnt man (meistens) nützliche Hinweise oder Fähigkeiten.
Überhaupt versorgt einen das Spiel ganz gut mit Hinweisen. Man muss es nur erkennen. Ich habe das Glück, eine zweite Partie in einer zweiten Runde spielen zu dürfen. Und während nun die Kartentexte ein zweites Mal vorgelesen werden, merke ich, was mir in der ersten Partie entgangen ist.
Was taugt es? Selten zog (und zieht weiterhin) mich ein Spiel so sehr in den Bann, wie es PANDEMIC LEGACY – SEASON 2 getan hat. Nach den Partien überlege ich, was man anders hätte machen können. Vor den Partien – insbesondere im Kampagnenfinale – wäge ich verschiedene Vorgehensweisen ab, mache Pläne.
Manchmal haben wir recht leicht gewonnen, manchmal haarscharf. Ein paar mehr Niederlagen hätten nicht geschadet; direkt vermisst habe ich sie aber nicht. Zumal das Finale noch mal einen echten Spannungshöhepunkt bietet.
PANDEMIC LEGACY – SEASON 2 zu spielen, ist ein besonderes Erlebnis. Wir sind Teil einer Geschichte, die sich laufend fortentwickelt. Es ist anders als ein Spiel, das immer an demselben Punkt beginnt. Eher verhält es sich wie zwischen Serie und Film: Ein Legacy-Spiel kann sich mehr Zeit nehmen als ein herkömmliches Spiel, es darf sich langsamer entwickeln, Nebenstränge ausbauen, Zwischenepisoden einflechten. Weil wir über so viele Stunden mit demselben Spiel beschäftigt sind, tauchen wir besonders tief ein, sind emotional besonders involviert.
Das ist zum Teil eine Leistung des Legacy-Prinzips an sich. Zum perfekten Spielerlebnis wird Legacy aber trotzdem nur, wenn bis in die Details alles ausgefeilt ist, wenn keine Fehler auftreten, wenn das Spiel Überraschungen bietet und Frust vermeidet, wenn es ernsthafte Bedrohungen schafft und gleichzeitig Mittel an die Hand gibt, diesen Bedrohungen zu begegnen. Eine halbwegs plausible Geschichte sollte es auch noch erzählen. Und der Mechanismus muss ein Legacy-Prinzip (ver)tragen.
PANDEMIE und Legacy passen hervorragend zusammen. Hier stimmt alles. PANDEMIC LEGACY – SEASON 2 ist die Referenz, an der sich andere Spiele künftig messen müssen.
Falls eines Tages eine SEASON 3 folgen sollte, gäbe es außer weniger Krümelei nahezu nichts, was aus meiner Sicht noch zu verbessern wäre: 1. Die Schlusswertung könnte für mein Empfinden noch etwas genauer Dinge einfangen, die während der Partie wichtig waren. Eigentlich brauche ich überhaupt keine Wertung, aber ich sehe ein, dass sie nötig ist, um die Geschichte befriedigend zu Ende zu erzählen. 2. Im Dezember nur zwei Versuche zu haben, kommt mir (wie schon in SEASON 1) ziemlich hart vor. Da man sich kurzfristig auf seine finale Aufgabe einzustellen hat, braucht man eventuell den ersten Anlauf, um überhaupt die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Versuch herzustellen. Und wenn der zweite Versuch dann doof läuft … hm. Natürlich ist es witzlos, beliebig viele Versuche zu haben, aber man hätte ja so viele Versuche zulassen können, bis die dafür nötigen Aufkleber verbraucht sind. 3. Bekommt ein Charakter eine Wunde, verwenden die Spieler viel Mühe darauf, eine Einschränkung auszuwählen, die sich möglichst selten auswirkt – mit dem Erfolg, dass man es prompt übersieht, wenn es doch mal soweit ist. Ich glaube, das Spiel würde nichts verlieren, wären die Wunden weniger regelaufwändig.
Aber das sind keine ernsthaften Kritikpunkte, eher persönliche Wünsche. PANDEMIC LEGACY – SEASON 2 hat mich absolut euphorisiert und fasziniert und kaum wieder losgelassen. Das Spiel ist ein Aushängeschild unseres Hobbys. Ich bin sehr froh, dass ich in der aktuellen, spielerisch höchst innovativen Ära Spieler bin.
******* genial
PANDEMIC LEGACY – SEASON 2 von Matt Leacock und Rob Daviau für zwei bis vier Spieler, Z-Man Games.