NATIONS erzählt Zivilisationsgeschichte; und wie uns hier der Spiegel vorgehalten wird, ist schon recht aufschlussreich: Vier der acht Kartensorten haben mit Gewalt zu tun (Militär, Kolonie, Schlacht, Krieg), zwei mit dem Aufschichten von Steinen (Bauwerk, Weltwunder), eine Kartensorte sagt uns, wo’s lang geht (Berater), und nur eine Kartensorte (sie kommt überdies selten vor und spielte in meinen Partien die kleinste Rolle) beschäftigt sich mit großen Ideen wie Elektrizität, Schutzimpfung oder dem Marxschen „Kapital“.
Wie geht NATIONS? Wie auch
IM WANDEL DER ZEITEN ist NATIONS ein Zivilisationsspiel ohne Landkarte. Überhaupt besitzen beide Spiele deutliche Ähnlichkeiten. NATIONS kann durchaus als abgespeckte Version von IM WANDEL DER ZEITEN gelten. Jeder Spieler baut seine Zivilisation auf, indem er Karten aus der Bank erwirbt, auf seinem Tableau ablegt und teilweise mit Arbeitern aktiviert.
Diverse Währungen sind im Spiel: Geld (um Karten zu kaufen), Stein (um Arbeiter zu versetzen), Getreide (um Arbeiter anzuwerben und Hungersnöte zu überstehen) und Bücher (um... äh). Also, theoretisch läuft der Laden auch ohne Bücher. Aber: Nach jedem zweiten der acht Durchgänge vergleichen die Spieler die Anzahl ihrer Bücher. Für jede Nation, die weniger hat, bekommt man einen Siegpunkt.
Zusätzlich halten zwei Skalen fest, wie es um die militärische Stärke und die Stabilität der Nationen bestellt ist. Militärische Stärke hat viele Vorteile: 1. Sie entscheidet über die Zugreihenfolge. 2. Koloniekarten zu erwerben erfordert eine bestimmte Mindeststärke. 3. Pro Durchgang kann eine Kriegskarte gekauft und damit aktiviert werden. Die „Stärke“ des Krieges entspricht der Militärstärke des Provokateurs im Moment des Auslösens. Sagen wir, ich besitze eine Militärstärke von fünf und verursache die Rosenkriege. Alle, die am Ende des laufenden Durchgangs unter fünf liegen, gelten als Verlierer des Krieges (das kann auch mich selber treffen, wenn ich so dumm bin, Stärke zwischenzeitlich wieder abzubauen) und müssen (im speziellen Fall des Rosenkrieges) einen Siegpunkt und sieben Geld abgeben. Wer so viel Geld nicht hat, zahlt in Büchern. Und wer immerhin Stabilität hat, kann sich freuen. Jeder Stabilitätspunkt vermindert den Ressourcenverlust um eins.
Der Ablauf von NATIONS ist einfach: Bin ich am Zug, muss ich entweder eine Karte aus der Bank erwerben, einen Arbeiter auf eine meiner Karte versetzen oder (sofern ich ein Wunder im Bau habe) unter Zahlung von Steinen einen weiteren Bauabschnitt vollenden. Oder ich passe. Zu passen hat allerdings den Nachteil, dass meine Militärstärke und meine Stabilität nun für alle sichtbar feststehen. Und da es in jedem Durchgang ein Ereignis gibt (oft mit Belohnungen / Strafen für die Spieler, die in diesen Kategorien am besten / schlechtesten dastehen), werde ich berechenbar.
Wie generiere ich die Ressourcen? Mit den Arbeitern. Jeder Arbeiter auf beispielsweise der Karte „Universität“ bringt am Ende des Durchgangs zwei Steine und zwei Bücher. Jeder Arbeiter auf der „Griechischen Feuergaleere“ erhöht die militärische Stärke um sechs, kostet am Ende des Durchgangs allerdings zwei Getreide. Kolonien bringen Ressourcen, ohne dass man nach der Eroberung noch etwas dafür tun muss. Berater (man kann nur einen haben, ein neuer ersetzt den bisherigen) und Weltwunder oft auch, sie bringen meist auch eine Zusatzfunktion, welche möglichst zur gewählten Spielweise passen sollte – oder umgekehrt.
Am Schluss zählen Kolonien, Wunder und Arbeiter Punkte (Arbeiter abhängig von den Karten, auf denen sie stehen). Alle Ressourcen werden 10:1 in Punkte umgewandelt, und die zwischendurch schon verdienten Punkte kommen hinzu.
Was passiert? NATIONS spielt sich sehr klar. Die Möglichkeiten auch der anderen Spieler lassen sich gut überblicken, und das sorgt für Überlegungen wie: „Wenn X diese Karte kauft, dann muss ich jene kaufen, wenn Y ein Männchen auf seine „Phalanx“ stellt, muss ich reagieren, indem ich mein Männchen auf meinen „Hopliten“ stelle, um dann im nächsten Zug... usw. Die durch die Ereignisse lockenden bzw. drohenden Belohnungen und Bestrafungen lösen oft Wettrennen auf den Skalen für Stabilität und Militärstärke aus. Man will entweder Erster oder zumindest nicht Letzter sein.
Gleichzeitig muss man aber die Produktion der Ressourcen in den Griff kriegen. Ohne Geld und Stein bleibt die Zivilisation stehen. Ohne Getreide werfen einen die Hungersnöte zurück. Um handlungsfähig zu bleiben, braucht man eigentlich alles. Man braucht sogar Überschüsse, um weitere Arbeiter freischalten zu können. Zu Beginn eines Durchgangs darf nämlich ein neues Männchen angeworben werden – oder man kriegt ein Ressourcengeschenk. Nicht aber beides. An dieser Stelle haben sich die Autoren ein schönes Handicap-System überlegt: Erfahrene NATIONS-Spieler kriegen hier weniger Ressourcen, was ihnen den Start durchaus erschwert.
Trotzdem gibt es für Anfänger genügend Stellen, um hereinzufallen: Man kann nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen, sondern muss sich fokussieren. Wer Geld verpulvert, indem er Karten kauft, die er dann doch nicht nutzt, oder Stein verpulvert, um permanent die Arbeiter zu verschieben und der Konkurrenz mal hier oder mal da hinterherzulaufen, fällt zurück. Nicht selten auch rettungslos.
Und sogar Fortgeschrittene können übel auf die Nase fallen. Sortiert man die Karten nicht irgendwie vor, variiert das Angebot von Partie zu Partie deutlich, und ob im richtigen Moment genau das Passende / Fehlende in den Markt kommt / nicht kommt, kann entscheidend sein.
Selbst nach über zehn Partien bin ich mir nicht sicher, wie entscheidend nun Militär ist. Mir scheint es auf jeden Fall bequemer, auf Militär zu spielen: Man kommt früher an die Reihe und hat also die größere Kartenauswahl, man kann Kolonien erwerben und kriegt also Ressourcen geschenkt, man zieht einen höheren Gewinn aus den „Schlachten“ (Karten mit einmaligem Ressourcennachschub) und man muss sich nicht so sehr vor Kriegen fürchten. Kriegskarten können natürlich auch vom schwächsten Spieler erworben und damit ausgelöst werden (falls es noch niemand vor ihm getan hat; der arme Tropf ist ja Letzter der Reihenfolge). So vermeidet er eine Niederlage, verbraucht aber Geld und verzichtet darauf, eine Karte zu kaufen, die ihm nützt und vielleicht im nächsten Zug schon nicht mehr da liegt.
Was taugt es? NATIONS spricht mich wegen seiner Klarheit sehr an. Es hat einen Aufbau-Charakter, das eigene Imperium wächst. Man muss mit seinen Rohstoffen haushalten und effektiv spielen. Es kommt aufs Timing an, im richtigen Moment den richtigen Zug zu machen. Man befindet sich in permanenter Konkurrenz. Der Zufallsfaktor, welche Karten wann ins Angebot rutschen, erfordert Flexibilität.
Eigentlich ist alles schon aus anderen Spielen bekannt, doch stört das überhaupt nicht, denn NATIONS bringt nicht nur alles irgendwie unter einen Hut, sondern reduziert und verzahnt die Elemente so sehr, dass das Gesamtspiel absolut rund wirkt, stets überschaubar bleibt und die einzelnen Züge angenehm schnell gehen. 40 Minuten pro Spieler sind realistisch. NATIONS besitzt eine bemerkenswerte Dichte, die mich permanent unter Hochspannung hält.
Den fehlenden Aufholmechanismus kann ich akzeptieren. Gewünscht hätte ich mir ausführlichere Erläuterungen zu manchen Karten. Und nicht ganz so überzeugt haben mich die unterschiedlichen Tableau-Seiten. In der Anfängerversion treten alle Nationen mit identischer Startaufstellung an. Für Fortgeschrittene gibt es unterschiedliche Tableaus, die jeden in eine bestimmte Richtung schubsen. Wenn allerdings das Kartenangebot dann überhaupt nicht zu dieser Richtung passt, fühlt man sich tendenziell betrogen.
Ach ja, das Solo-Spiel. Nachdem ich es extra ausprobiert habe, sollte ich es auch erwähnen: Es ist auf jeden Fall geeignet, um die Mechanismen einzuüben und mögliche Fallstricke in NATIONS kennen zu lernen. Und immerhin wollte ich nach der ersten Solo-Partie sofort herausfinden, ob ich in der zweiten besser sein würde. Trotzdem ist es viel prickelnder, als Kontrahenten vernunftbegabte und somit berechenbare Menschen zu haben statt einen Würfel.
NATIONS von Einar Rosén, Robert Rosén, Nina Håkansson und Rustan Håkansson für einen bis vier Spieler, Lautapelit.