Freitag, 30. November 2018

Gern gespielt im November 2018

CITY OF ROME: Achtung, Trend! Gute Rom-Spiele müssen jetzt nicht mehr hübsch aussehen.


ROLL FOR ADVENTURE: Würfel sind seit eh und je die einzige Sprache, die Monster verstehen.


REEF: Die Schönheit der Ökosysteme – gepriesen mit einem Berg Plastik.


COIMBRA: Nur echt mit Münzbürgern und Schildbürgern.


JUST ONE: Bitte, bitte gib mir nur ein Wort.


KNAPP DANEBEN: Die Rettung für alle, die immer knapp daneben würfeln. Aber wer denkt an die, die auch knapp daneben knapp verfehlen?




Montag, 26. November 2018

Holding On

HOLDING ON wird zur Gruppe der „Serious Games“ gezählt. Und wenn man sich vor dem Spielen klarmacht, dass Unterhaltsamkeit definitionsgemäß nicht das Hauptanliegen von Serious Games ist, wird man nicht so sehr enttäuscht.

Wie geht HOLDING ON? Wir sind Pflegekräfte einer Palliativstation. Ein Patient namens Billy Kerr wurde eingeliefert. Wir sollen ihm seine letzten Tage so angenehm wie möglich machen. Das bedeutet in diesem Falle: Billy kennenlernen und ihn zum Erzählen bringen, dass er sich bestimmte Dinge von der Seele reden kann.
Das Spiel findet auf zwei Ebenen statt. Erstens: Arbeitsorganisation. Vom Stapel wird dreimal pro gespieltem Tag eine Karte aufgedeckt, die anzeigt, wie es um Billy steht. Wir müssen mehr oder weniger Personal und bei Notfällen Versorgungsmarker einsetzen.
HOLDING ON ist so angelegt, dass es immer wieder Tage geben wird, an denen das Personal Doppelschichten fahren muss. Das bedeutet Stress. Nach zu viel Stress fällt eine Figur aus und steht einen gesamten Tag nicht zur Verfügung.
Billys Zustand wird trotz temporärer Erholungen immer schlechter werden. Stirbt Billy, haben wir verloren. Trotzdem müssen wir mit unseren Markern gut haushalten, denn wir benötigen sie für die zweite Spielebene: das Erinnern.
Wenn Billy nicht gerade akut versorgt werden muss, dürfen wir Marker einsetzen, um zufällige Erinnerungskarten aus dem Stapel zu erhalten. Dies sind zunächst nur „vage Erinnerungen“. Der Text der Karte wird vorgelesen. Ein verschwommenes Bild deutet an, worum es gehen könnte. Für das Ziel eines Szenarios benötigen wir aber „klare Erinnerungen“, meistens sogar ganz bestimmte.
Um an sie heranzukommen, ziehen wir aus einem anderen Stapel. Auf diese Weise erhaltene Karten dürfen wir nur dann behalten, wenn wir bereits die zugehörige vage Erinnerung besitzen. Wir brauchen also erst mal einen Vorrat an vagen Erinnerungen, um mit gewisser Erfolgsaussicht klare Erinnerungen gewinnen zu können.
Die Kampagne läuft über zehn Szenarien, in denen die Anforderungen immer ein wenig variieren.


Was passiert? Zunächst passiert nicht sehr viel, weil die Anleitung es verhindert. Aufgrund einiger Ungereimtheiten der deutschen Version habe ich mir zusätzlich die englische heruntergeladen und siehe da: Dort steht es in Details anders.
Aber eine gute Anleitung ist auch die englische nicht. Das Regelheft krankt daran, dass über den kompletten Ablauf eines Krankenhaustages nur überblicksweise Auskunft gegeben wird und man sich die Einzelheiten an mehreren Stellen zusammensuchen muss. Manche Dinge werden überhaupt nicht erklärt und stattdessen auf die Symbolübersicht verwiesen, die wiederum nicht selbsterklärend ist.
Und lohnt sich die Mühe mit der Anleitung wenigstens? Ähm, äh ... Der Reiz, die Figuren einzusetzen, um die Arbeit klug zu organisieren, flacht schnell ab. Tag für Tag wiederholen sich dieselben Schemata. Eine echte Wahl haben wir selten. Wir müssen Billys Zustand nehmen, wie er kommt, und darauf reagieren. Man kann beim Personaleinsatz ein bisschen zocken, man kann sich auch verzocken, aber dadurch wird es nicht reizvoller. Letztendlich ist es sogar egal, wie man spielt. Geht das Szenario verloren, beginnt man es einfach wieder von vorn.
Die Erinnerungen wirken anfangs sehr interessant. Man liest die Texte aufmerksam und versucht, sich einen Reim auf die Bilder zu machen. Doch für das Spiel ist es unerheblich, was man hier entdeckt oder interpretiert. Vor dem nächsten Szenario werden alle Karten wieder eingemischt, so als hätte das Krankenhauspersonal komplett vergessen, was Billy ihm erzählt hat.
Billys Geschichte wird nur durch den Stapel der Szenariokarten weitererzählt. Und das eigentliche Spiel ist nur dazu da, dass wir uns durch einen Sieg die Qualifikation erwerben, zum nächsten Szenario überzugehen und dadurch im Szenariostapel voranzukommen. Alles, was kommen wird, steht unabhängig vom Spielverlauf fest. Unsere einzige Einwirkung besteht darin, ob wir fürs Abarbeiten dieses vorgegebenen Skriptes mehr oder weniger Partien benötigen.


Was taugt es? HOLDING ON fühlt sich sehr schnell repetitiv an. Gestaltung und Inhalte der Erinnerungskarten rücken in den Hintergrund, weil die Erinnerungen durch die Spielmechanik zum bloßen Mittel degradiert werden, um ins nächste Level aufzusteigen.
Wenn man wegen Kartenpech ein Szenario verliert, ist die Motivation gering, es noch einmal anzugehen und den gesamten Ablauf erneut zu durchlaufen. Es ist wie Nachsitzen: ein rein formaler Akt ohne Erkenntnis- oder Erfahrungsgewinn.
Wer bis zum Finale durchhält, wird mit einem interessanten Story-Twist belohnt. Ohnehin ist die erzählte Geschichte als solche respektabel, denn über den fiktiven Anteil hinaus erzählt sie reale Zeit- und Sozialgeschichte. Doch die Erzählmöglichkeiten eines Spiels reichen nun mal nicht an die eines Buches oder Filmes heran, und wenn dann noch die Spielmechanik langweilt, ist das ambitionierte und grafisch bemerkenswerte HOLDING ON am Ende gescheitert.


** misslungen

HOLDING ON von Michael Fox und Rory O’Connor für zwei bis vier Spieler, Hub Games.

Mittwoch, 21. November 2018

Vor 20 Jahren (71): Samurai

In FARBEN, einem aktuellen Spiel der Edition Spielwiese, geht es darum, Begriffe mittels persönlicher Geschichten mit Farben zu verbinden. Beispielsweise fällt mir zum Begriff „Entspannung“ sofort die Farbe Gelb ein, weil ich beim Spielen grundsätzlich Gelb nehme und mich das Spielen immer sehr entspannt. (Außer ich bekomme nicht Gelb, grrr!)

Angenommen nun, es gäbe zu FARBEN eine Geek-Edition, in der man Farben mit Spielen verknüpfen soll, wäre meine Wahl bei Schwarz: SAMURAI. Der Grund sind die wunderbaren, an leckeres Lakritz erinnernden Spielsteine aus schwarzem Plexiglas. „Verschluckbare Kleinteile in ihrer Vollendung“, jubelte der damalige Rezensent der Fairplay und – höhö! – das war ich. SAMURAI empfinde ich wegen seines Materials, seiner Illustrationen und des atmosphärischen Spielbretts noch heute als sehr schönes Spiel.


Deswegen ist es auch immer noch Bestandteil meiner Sammlung, obwohl ich es schon ewig nicht mehr gespielt habe und dies auch für die kommenden Jahrzehnte nicht anpeile. SAMURAI besitzt zwar einen interessanten Wertungskniff (es gibt drei Sorten Trophäen; wer nicht von mindestens einer Sorte die alleinige Mehrheit besitzt, scheidet aus; die übrigen beiden Sorten zählen), basiert aber auf einem Mechanismus, den ich nicht mag: Abstauberei.

Trophäen werden vergeben, sobald sie komplett von Plättchen umschlossen sind, und gehen an den Spieler mit den wertvollsten Plättchen. Weil es Plättchen mit Sonderfunktionen gibt, lassen sich viele scheinbare Mehrheiten noch knacken. Meistens entscheidet das letzte Plättchen, wer nun welche Trophäen bekommt. Somit ist es im Regelfall ungünstig, das vorletzte zu legen und dem Nachfolger die Entscheidung zu überlassen.

Das führt zu einer Spielweise, die man „subtil“ nennen kann, von mir aber als langweilig empfunden wird: Wenn ich am Zug bin, schaue ich, ob ich ohne viel Aufwand eine Trophäe einsacken kann. Kann ich nichts abstauben, mache ich irgendwas Unverfängliches, das möglichst keinem anderen eine Vorlage bietet.

Ich bin ein geduldiger Mensch und deshalb sogar recht begabt darin, Entscheidungen in Spielen auf derartige Weise obersubtil auszusitzen. Das ist nicht das Problem. Sondern und wie schon bei KOHLE, KIES & KNETE beschrieben: Es macht mir keinen Spaß, einfach nur zu warten, bis sich was ergibt.

Denn ich will ja in jedem meiner Spielzüge spielen, ich will gestalten, ich will handeln. Genau deshalb spiele ich! Wenn ich einfach nur nichts tun wollte, könnte ich mir dafür viel besser einen Job suchen.

Freitag, 16. November 2018

Lighthouse Run

Fazit: Für Vielspieler eventuell nicht anspruchsvoll genug, für Gelegenheitsspieler und Familien aber wohl einen Blick wert. Wer Leuchttürme mag und sich vom Spielablauf angesprochen fühlt, kann bedenkenlos zugreifen.

Oh, pardon, falscher Textbaustein ...

Wie geht LIGHTHOUSE RUN? Unsere Schiffe liefern sich, verfolgt von einer Sturmwolke, ein Wettrennen. Schiffe, die von der Wolke eingeholt werden, scheiden aus. Je weiter ein Schiff gefahren ist, desto mehr Punkte zählt es.
Wer am Zug ist, spielt eine seiner drei Handkarten. Es gibt drei Sorten: Ich darf entweder a) ein eigenes Schiff oder b) (sofern sie auf demselben Feld stehen) alle eigenen Schiffe oder c) von jedem Spieler eins vorwärts setzen.
Die besondere Spielidee besteht darin, dass immer ungefähr die Hälfte der Strecke unpassierbar im Dunklen liegt. Welche Abschnitte befahren werden dürfen, bestimmen die Leuchtfeuer auf den Leuchttürmen. Und jede Bewegungskarte bestimmt auch, auf welchen Turm ein Feuer gesetzt werden muss. Wo man es wegnimmt, darf man wählen.


Was passiert? Die Leuchtfeuer wirken sich überraschend wenig auf das Spiel aus. Am Anfang stehen sowieso alle Schiffe am Start oder auf den ersten Flussfeldern. Es gibt keinen Grund, hintere Passagen zu beleuchten. Wer es tut, schadet genauso wie den anderen auch sich selbst. Und im Endspiel fahren die Schiffe ebenfalls in derselben Flusshälfte bzw. die, die es nicht tun, wurden bereits von der Wolke gefressen.
Somit bleibt das Mittelspiel als einzige Phase übrig, in der sich das Feld eventuell weiter auseinanderziehen und die Beleuchtung eine größere Rolle spielen könnte. Man hofft, fehlendes Feuer könne den Führenden bremsen. Aber genauso häufig behindert es den Letzten.
Oft wird das Versetzen des Feuers ohnehin vergessen oder irgendwer verguckt sich, welche Bereiche nun ausgeleuchtet sind oder nicht, und möchte seinen Zug rückgängig machen. Kurzum: Das Feuer macht das Auswählen der Spielkarte etwas kniffliger, weil man ein zusätzliches Detail beachten muss. Aber es macht den Spielablauf nicht reizvoller, weil es nur sehr selten von Bedeutung ist.
Spannender ist tatsächlich der herkömmliche Part von LIGHTHOUSE RUN: das kartengesteuerte Wettrennen. Wo positioniere ich mich, dass andere Spieler möglichst häufig meine Schiffe mitziehen müssen? Wie versammle ich mehrere eigene Schiffe auf einem Feld? Und ziehe ich dann auch beizeiten eine der raren Karten, die meine gesamte Flotte von demselben Feld wegbewegen?


Was taugt es? LIGHTHOUSE RUN ist ein flottes Wettrennen, das nicht zu lange dauert, aber eben auch nicht sonderlich originell ist. Ausgerechnet dasjenige Element, das nach meinem Verständnis LIGHTHOUSE RUN von ähnlichen Spielen abheben soll, verpufft zu oft wirkungslos und unterbricht obendrein den Flow.
Das ist die Hauptkritik, der Rest sind Kleinigkeiten. Der große Spielplan ist sehr einladend, allerdings verdecken die (instabilen) Leuchttürme die Sicht auf die Schiffe. Die Schiffe, obwohl aus Holz, wirken nicht sehr wertig und wurden vielleicht deshalb von meinen rüpeligen Mitspielern oft auf dem Kopf fahrend oder auf der Seite liegend vorwärtsgeschaufelt. Und mehrfach wurde die Karte, die alle eigenen Schiffe bewegt, falsch interpretiert. Weil nur drei Schiffe abgebildet sind, wurde angenommen, es dürften maximal drei Schiffe fahren.


** misslungen

LIGHTHOUSE RUN von Jim Harmon für zwei bis vier Spieler, Amigo.

Dienstag, 13. November 2018

Vor 20 Jahren (70): Schach (2)

In meinem Leben hatte ich drei Schach-Phasen. Während meiner ersten war ich noch Schüler und hielt mich für ein Genie (irrte aber), während meiner zweiten lernte ich als Angegriffener viel über das Angriffsspiel und während meiner dritten spielte ich nur, um mein Gehirn am Verdorren zu hindern.

Es geschah während einer einjährigen beruflichen Fortbildung „Journalist“. Deren Programm hatte sich super angehört. Nach 48 peinlichst durchgetakteten Ausbildungswochen sollte man fit gemacht werden für mindestens den sofortigen Eintritt in ein Volontariat und langfristig den Chefsessel der SPIEL DOCH. In Oldenburg lief die Maßnahme angeblich schon seit mehreren Jahren höchst erfolgreich und die Absolventen waren an solch hervorragenden Zeitungen wie der NWZ gelandet.

Ich war sehr interessiert und motiviert, hatte aber von Journalismus und der Realität in Zeitungsredaktionen keine Ahnung. Nach den zwölf Monaten war ich dann etwas schlauer und hatte gelernt: Ich schreibe zwar gerne, aber eigentlich nur über Spiele. Und deshalb will ich auch gar keinen Volontariatsplatz haben, ätsch.

Trotzdem hätte ich in der Fortbildung mehr lernen wollen, als es tatsächlich der Fall war. Doch schon nach einer Woche hinkten wir dem angeblichen Lehrplan arg hinterher, und spätestens nach einem Monat begriff ich: Es gab gar keinen Plan.

Schwer zu sagen, woran die Sache scheiterte. Sicherlich waren zu viele im Kurs, die nur ihre Zeit absitzen wollten und die Gruppe langsam, aber sicher runterzogen. Das durchführende Institut wirkte von seinem eigenen Bildungsangebot zudem vollkommen überrascht und bot gar nicht die technischen Voraussetzungen.

Und drittens: Nach einigen Wochen wurde der Kursleiter abgesägt und nicht so richtig durch irgendwen ersetzt. Es entstand ein diffuses Vakuum mit unvorhersehbar wechselnden Dozenten. Es war wie monatelanger Vertretungsunterricht. Und es gab sehr, sehr viel Leerlauf. Und ich spielte sehr, sehr viel Schach.

Ein Mitschüler hatte das Programm Fritz auf unserem Rechner installiert. Ich sah es als Chance: Wenn ich schon nicht als Journalist groß rauskam, dann wollte ich bei dieser Fortbildung doch wenigstens Schachmeister werden. Also ließ ich Fritz unsere Partien analysieren und druckte hinterher (wenn es niemand bemerkte) seine Bewertungen aus, um daraus zu lernen.

Einige besitze ich noch heute. Hier: Angenommenes Damengambit, 2. Oktober 1998. In 55 Zügen hatte ich Fritz glorreich mattgesetzt, und er nörgelte, es sei viel zu langsam gegangen:
„Sxd2 wäre im Gewinnsinne präziser.“
„Txc6! erleichterte Schwarz die Gewinnführung.“
„Txd4! und Schwarz ist direkt am Ziel.“
Blablabla.

Wer kennt das nicht? Man hat gewonnen und muss sich hinterher anhören, wie scheiße man eigentlich gespielt hat! Von solchen Spielertypen halte ich mich heutzutage lieber fern. Doch vor 20 Jahren konnte ich mir das nicht aussuchen. Fritz war mein Freund und im Gewinnsinne erschien es präziser, meine Zeit mit ihm statt mit den angebotenen Lehrinhalten zu verbringen. Man sagt, Spielen sei ein Kulturgut. Aber noch vor der Kultur kommt das reine Überleben. Und siehe da: Spielen gewährleistet auch das.


Freitag, 9. November 2018

Krass kariert

Relativ unbemerkt hat KRASS KARIERT den „À la carte“-Preis der Fairplay gewonnen. Weil es sich bei BELRATTI ganz gut bewährt hat, aus der Prominenz der Fairplay Klickzahlenkapital zu schlagen, versuche ich den Trick einfach ein zweites Mal und richte mich bei der Auswahl meiner Besprechungen weiter nach dem, was bei der Fairplay heiß ist.

Wie geht KRASS KARIERT? In diesem Stichspiel wollen wir unsere Handkarten loswerden. Wer als Letzter noch Karten hat oder sich dreimal nicht am Stich beteiligt, verliert ein Leben. Ist einer mausetot, verliert er das Spiel und alle anderen gewinnen.
Um bei einem Stich mitzumachen, muss man, wie man es zum Beispiel aus KARRIERE POKER kennt, die Kombination des Vorgängers überbieten, indem man entweder eine wertvollere Kombination oder dieselbe Kombination mit höheren Kartenwerten spielt. Drilling schlägt Dreier-Straße schlägt Paar schlägt Zweier-Straße schlägt Einzelkarte.
Hinzu kommt: Wie bei BOHNANZA werden die Handkarten nicht umsortiert. Als Kombination darf man nur solche spielen, die direkt nebeneinander stecken. Wenn ich das Blatt wie auf dem Foto unten hätte, müsste ich also erst die 4 loswerden, um später 9, 10 und 11 als Dreier-Straße spielen zu können.
Solange man es nicht dreimal tut, ist es gar nicht schlecht, auch mal zu passen, denn: Jetzt erhält man eine von zwei „Reservekarten“ und steckt sie an beliebiger Stelle ins Blatt. Zum Beispiel würde ich eine 4 gerne neben die andere 4 stecken, weil ich die beiden als Paar erheblich leichter loswerde. Meine Reservekarten darf ich mir allerdings nicht aussuchen. Der Kartengeber hat beim Austeilen zufällig irgendwelche zwei vor mir abgelegt, und das sind sie dann.


Was passiert? KRASS KARIERT ist ein Spiel, das man im ersten Anlauf möglicherweise noch nicht so ganz erfasst. Die Kombination der Elemente wirkt etwas gewollt und unintuitiv. Das Spiel wird besser, wenn man es häufiger spielt.
Erst dann offenbaren sich die Möglichkeiten und es zeigt sich, dass auch die Sonderkarten fein abgestimmt sind. Einerseits gibt es solche, die gute Blätter noch stärken und dabei helfen, die Hand schnell runterzuspielen. Und es gibt reine Stänkerkarten, die man dem glücklichen Gewinner in seinen Stich werfen darf und die ihn zwingen, Karten vom Stapel nachzuziehen.
KRASS KARIERT ist deshalb dreierlei: Erstens ein Ärgerspiel, das schön emotional werden kann, wenn einer ordentlich Karten reingedrückt bekommt. Zweitens ein vordergründig herkömmliches Kartenloswerd-Stichspiel, bei dem man sich sein Blatt klug einteilen und manchmal auch ein bisschen zocken muss und bei dem man drittens taktisches Karten-Management betreibt, um bestimmte Kombinationen auf der Hand überhaupt erst entstehen zu lassen.

Was taugt es? Das ist in Summe zweifellos eigenständig und originell. Es hat seinen Reiz, das Beste aus seinem Blatt herauszuholen oder anderen in die Suppe zu spucken, indem man unerwartet eine noch bessere Kombination zückt oder jemandem kurz vor Schluss drei Karten aufhalst.
Dennoch schätze ich KRASS KARIERT nur als schönes Spiel für eine Saison ein. Weil oft viele Runden gespielt werden müssen, bis endlich ein Verlierer feststeht, ziehen sich die Partien in die Länge. Vor allem aber erreicht KRASS KARIERT dabei nicht den Spielfluss und die Eleganz, die ein (trotz taktischer Elemente) glücksbetontes Ärger- und Ablegespiel zum Dauerbrenner machen.
KRASS KARIERT ist von vielem ein bisschen, wegen seiner Kleinschrittigkeit dann aber doch nichts so richtig. Die besten Erfahrungen mit KRASS KARIERT habe ich mit geübten Spielern gesammelt. Der Ausgang der „À la carte“-Wahl ist für mich deshalb nachvollziehbar.


**** solide

KRASS KARIERT von Katja Stremmel für drei bis fünf Spieler, Amigo.

Donnerstag, 1. November 2018

Belratti

Nach mehr als zehn Jahren REZENSIONEN FÜR MILLIONEN kann ich das Interesse meiner Leserinnen und Leser recht gut einschätzen: Kurze Spiele, kleine Spiele, Kartenspiele oder Kreativspiele locken kaum jemanden auf meine Website. Dass ich unbelehrbar trotzdem eins bespreche, geschieht im Rahmen eines aufregenden Experiments: Sind kurze, kleine, kreative Kartenspiele für meine Leserschaft interessanter, wenn sie beim Fairplay-Scout-Ranking in Essen ganz vorne gelandet sind?
(Ähm, um ehrlich zu sein: Ich wollte BELRATTI sowieso demnächst besprechen. Aber es liest sich gleich viel besser, wenn man ein bisschen Wissenschaftlichkeit vortäuscht. Was mir zugleich erlaubt, meine Fragestellung zu erweitern: Sind kurze, kleine, kreative Kartenspiele für meine Leserschaft sogar noch interessanter, wenn sie beim Fairplay-Scout-Ranking in Essen ganz vorne gelandet sind UND im Rahmen eines aufregenden Experiments besprochen werden?)


Wie geht BELRATTI?
BELRATTI ist ein kooperatives Assoziationsspiel mit Bildern. Reihum wechselnd nehmen wir die Rollen „Maler“ oder „Museumsleiter“ ein. Zufällige zwei von 168 Bildkarten werden aufgedeckt, beispielsweise Küken und UFO. Sie sind in diesem Durchgang die Oberthemen zweier Ausstellungen.
Die Museumsleiter fordern nun bei den Malern zwei bis sieben Bilder an. Jeder Spieler hat (spielerzahlabhängig) eine bestimmte Menge Bildkarten auf der Hand, und die Maler diskutieren, wer wie viele Bilder beisteuert. Dabei darf niemand seine Karten zeigen und auch nicht verraten, zu welchem Oberthema er etwas Passendes hätte.
Die gespielten Karten werden mit vier Karten vom Stapel („Fälschungen“) zusammengemischt und aufgedeckt. Die Museumsleiter müssen herausfinden, welche Bilder von den Malern stammen und für welche der beiden Ausstellungen sie gedacht sind. Sobald die Museumsleute auf insgesamt sechs Fälschungen hereingefallen sind, endet die Partie und die Gruppe gewinnt, wenn bis dahin mindestens 15 Bilder korrekt zugeordnet wurden.

Was passiert? Es gibt viel zu diskutieren. Manche Kartenverbindungen scheinen offensichtlich. Der Astronaut wurde doch sicherlich zum Ausstellungsthema UFO eingereicht. Aber wie ist es mit dem Elefanten? Der ist zwar wie das Küken ein Tier, aber doch ein ziemlich anderes. Gehört also wegen ihrer gelben Farbe eher die Glühlampe zum Küken? Oder die Straßenbahn als Fortbewegungsmittel zum UFO?
Je länger man nachdenkt, desto mehr mögliche Verbindungen fallen einem ein. Am Ende scheint sogar die Tasse Kaffee zum UFO zu passen, weil man ja auch „fliegende Untertasse“ sagt. Dass die besten Karten manchmal vom Stapel kommen, bringt Würze und Emotion ins Spiel. Wir lernen ein wenig was über die Denkweisen der anderen und sind eine halbe Stunde lang gut unterhalten.


Was taugt es? Spiele in der Art von BELRATTI gab es zuletzt häufiger (FACECARDS, CODENAMES PICTURES, MYSTERIUM und andere). Gelungen finde ich hier, dass die Rollen während der Partie ständig wechseln. So erlebt jeder Beteiligte stets beide Facetten des Spiels. Und vor allem kann BELRATTI für sich verbuchen, dass es mit geringem Material- und Regelaufwand schnörkellos zur Sache kommt. Als kleine Details gibt es lediglich vier hilfreiche Sonderaktionen, die die Gruppe einmalig einsetzen darf.
Weniger glücklich bin ich mit der thematischen (und damit auch grafischen) Einkleidung. Die Anspielung auf den ehemaligen Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi versteht fast niemand. Warum die Museumsleiter Katzen und die Maler Eulen sind, erschließt sich ebenfalls nicht.
Auch die Regelung, dass und wie die Museumsleiter Bilder bestellen, sehe ich als kleine Schwäche. Erstens gibt es kaum Indizien, anhand derer man seine Entscheidung diskutieren könnte. Ob die Maler aktuell viele oder wenige passende Bilder besitzen, lässt sich kaum erahnen. Zweitens dürfen die Museumsleiter vorab nicht inhaltlich über die Themen sprechen. Dieses Verbot ist sinnvoll; zu leicht könnte man den Malern sonst eine gewünschte Richtung vorgeben. Aber fürs Spiel bringt die gesamte Phase so nicht sehr viel.
Zumal ich in meinen Partien erlebt habe, dass echte Anreize für hohe Ansagen fehlen. Gewiss, nur mit hohen Ansagen kann man die Sonderaktionen zurückgewinnen. Aber: Mit hohen Ansagen steigt die Fehlerquote. Und bei niedrigen Ansagen kommt man auch gut ohne Sonderaktionen aus. Das mit gigantischem Abstand beste Punkteergebnis habe ich in einer Gruppe erlebt, in der meist zwei und seltener maximal drei Karten verlangt wurden. Diese (sicherlich auch glücklich verlaufene) Partie zog sich dann arg, sodass wir am Ende gar froh über die sechste Fälschung waren.
Mir ist BELRATTI trotzdem sympathisch und ich werde es weiterhin gerne mitspielen. Ich glaube nur, dass die vorliegende Umsetzung das Potenzial der Spielidee nicht vollständig ausschöpft.


**** solide

BELRATTI von Michael Loth für drei bis sieben Spieler, Mogel.