Sonntag, 31. Januar 2021

Gern gespielt im Januar 2021

PANDEMIC LEGACY – SEASON 0: Letztendlich doch ganz anders als echte Pandemien: Man hofft, es wird noch lange weitergehen.


ANNO 1800: Die ANNO-Aufbauspielgemütlichkeit verleitet dazu, mich erst im gemütlichen Aufbauen und dann die Partie zu verlieren.


UNDAUNTED – NORMANDIE: Feldwebel Deckbau, Schütze Würfel.


MICROMACRO: Weit mehr als das, was da in die Mülltonne geworfen wird, interessiert mich ja dieser ominöse Sack ...


PALEO: Seitdem ich Terrorvögel kenne, sehe ich Stadttauben viel wohlwollender.





UND IM JANUAR AM LIEBSTEN GESPIELT:

WASSERKRAFT: Etwa 25 Jahre war kein Spiel in den TOP 10 des Deutschen Spielepreises, das ich bis dahin nicht schon gespielt hatte. Dann kam 2019 GLOOMHAVEN und ich fand meine Lücke erklärlich. Immerhin war es GLOOMHAVEN und es war ja auch nur Platz 10. Ein Jahr darauf kam WASSERKRAFT (Platz 4) und … ähm, langsam wurde es peinlich. Wegen temporärer Eurogame-Übersättigung hatte ich WASSERKRAFT lange an mir vorbeifließen lassen. Und so kann ich dieses Spiel leider erst jetzt feiern. – Doch wird nicht Nachfeiern ohnehin ein ganz großer 2021er-Trend werden? Wenn ich’s mir ein bisschen schönrede, bin ich gar nicht hintendran, sondern mächtig vorneweg!

In eigener Sache: Dies war nun unzweifelhaft keine WASSERKRAFT-Rezension. Sondern bloß ein längerer Eintrag in meiner Gern-gespielt-Liste. Zuletzt gab es da allerdings Verwechslungen, die ich auch nachvollziehen kann. Die „Am liebsten gespielt“-Absätze der Monate Oktober bis Dezember lesen sich wie Mini-Rezensionen. Zweimal (PALEO und SWITCH & SIGNAL) erschien schon kurz darauf eine waschechte Jubel-Kritik. Und wenig überraschend kam sie zu demselben Fazit wie auch der Eintrag in „Gern gespielt“: dass ich das Spiel gerne spiele. Im Fall meines Dezember-Highlights HALLERTAU wird es so ähnlich sein, lediglich mit dem Unterschied, dass ich die Rezension für die spielbox schreibe. Und Spoiler: Auch WASSERKRAFT wird recht bald ordentlich bejubelt werden.
Kurz gesagt: Ich überlege, die „Am liebsten gespielt“-Sache wegen möglicherweise fehlendem Mehrwert wieder abzuschaffen. Mal sehen.

Montag, 25. Januar 2021

MicroMacro: Crime City

Die Einleitung ist verschwunden. Zuletzt gesehen wurde sie vor dem Schreibwarenladen im Osten der Stadt. Was ist mit der Einleitung geschehen? Findet zunächst den Schreibwarenladen!

Wie geht MICROMACRO? So ungefähr könnte einer der 16 Fälle beginnen. Allesamt spielen sie auf einem riesigen (110 x 75 cm großen) Wimmelbild-Poster, das die – mutmaßlich fiktive – Stadt Crime City zeigt. Nicht nur die Gegenwart ist zu sehen, sondern verschiedene Zeiten gleichzeitig. Hat man die Schreibwarenhandlung gefunden, sieht man vielleicht die Einleitung davor stehen, offenbar im Streitgespräch mit einem fiesen Typen, der einen Sack mit einer Million bei sich trägt.
Schaut man sich nun in der näheren Umgebung um, findet man einen Müllcontainer, in den dieser zwielichtige Geselle hämisch grinsend etwas hineinwirft. Die Einleitung? Etwas weiter sieht man, wie er sich schnellen Schrittes entfernt. Wohin?
Karten steuern uns mit Fragen durch den Fall. Wir werden ausgefordert, Wohnorte von Opfern oder Tätern zu finden, Beweisstücke zu erspähen, Todesursachen zu ergründen, Motive nachzuweisen. Alles folgt sinnvoll schrittweise aufeinander. Die Schrittlängen werden von Fall zu Fall aber etwas größer und die Fälle damit schwieriger.

Auf der Kartenrückseite befindet sich jeweils die Auflösung. Dort sieht man nach, wenn man glaubt, die Lösung gefunden zu haben. Oder wenn man steckengeblieben ist.
Nach den 16 Fällen ist die Box dann erst mal ausgespielt. Man hat aber ein paar Stunden damit verbracht. Und vermutlich hat man nach einem halben oder ganzen Jahr auch schon wieder etliches vergessen und könnte einige Fälle von vorn beginnen.

Was passiert? Man sucht auf dem Spielplan herum. Mal gezielter, mal auch planlos, weil man gerade keine Idee hat, wonach man eigentlich Ausschau hält. Man kommt sich dabei auch ziemlich nahe. Der empfohlene Corona-Sicherheitsabstand wird klar unterboten.

Mit mehr als einer weiteren Person habe ich MICROMACRO bislang nicht gespielt und würde mir auch nichts davon versprechen. Selbst zu zweit versperrt man sich gelegentlich gegenseitig die Sicht, weil storybedingt meistens beide im selben Bezirk herumsuchen und weil man auch nahe ans Poster herangehen muss, denn die Wimmelbilder sind – natürlich – wimmelig und klein. Die beiliegende Lupe hilft wenig. Ich bin dazu übergegangen, den Zoom meiner Handykamera zu benutzen.
Zwei der Fälle habe ich solo gespielt, das ist aber nur eine Notlösung. MICROMACRO lebt davon, dass wir uns austauschen, Hypothesen formulieren, zusammenarbeiten. Mit mehreren zu spielen, hat auch den Vorteil, dass die anderen noch weiterrätseln können, wenn eine*r die Lösung nachschaut und sich das Ermittlungsergebnis als nicht ganz richtig erweist. Mehrfach waren wir auch unsicher, ob unsere Lösung schon die vollständige Lösung ist. Dann ist es schön, wenn jemand mal nachsehen kann, bevor man unnötig fünf Minuten weitersucht, obwohl man’s doch längst hat.


Was taugt es? Die Idee, die Geschichten eines Wimmelbildes spielerisch zu nutzen und den Spieler*innen Rätsel zu stellen, ist bestechend. Es geht um mehr, als Dinge nur zu suchen. Wir müssen auch kombinieren und Schlussfolgerungen ziehen.
Ich hätte gerne Erfahrungen mit jüngeren Spieler*innen gesammelt. Aufgrund von Sie-wissen-schon war mir das bislang nicht möglich. So kann ich vorerst nur aus meiner und der Warte anderer Erwachsener urteilen: MICROMACRO ist sehr interessant – aber auf Dauer auch etwas ermüdend. Wenn kommende Boxen ähnlich gestrickt wären wie diese, wäre ich gar nicht mehr so heiß darauf. Der hohe Reiz des Neuen hat sich inzwischen abgespielt.
So belohnend es ist, etwas zu finden und schöne Aha-Momente zu haben: Die Profi-Fälle können zur Geduldsprobe werden. MICROMACRO ist dann auch Fleißarbeit. Und bei aller Unterhaltsamkeit: Bemerkenswerte Geschichten erleben wir hier nicht. Im Gegenteil funktioniert das Spiel nur deshalb, weil die Fälle Klischees bedienen und auf simplen Folgerichtigkeiten beruhen.
Die Stärken von MICROMACRO überwiegen dennoch. Es sind die Unverbrauchtheit der Idee, Anmutung und Präsentation, die detailverliebte Gestaltung, das gleichberechtigte Zusammenspielen und vor allem: dass das Spiel quasi keine Regeln benötigt. Das Medium Wimmelbild ist so stark und hat einen derartigen Aufforderungscharakter, dass sich das Spielen von selbst und aus der Natur der Sache ergibt.


***** reizvoll

MICROMACRO: CRIME CITY von Johannes Sich für eine*n bis vier Spieler*innen, Edition Spielwiese / Pegasus Spiele.

Donnerstag, 21. Januar 2021

Era – Das Mittelalter

Ernsthaft? Jetzt noch ERA – DAS MITTELALTER, ein Spiel aus dem Jahr 2019? Wir haben 2021!
Ja, ernsthaft, jetzt noch ERA – DAS MITTELALTER, ein Spiel aus dem Jahr 2019. Genau weil wir 2021 haben, das zweite Jahr mit Kontaktbeschränkungen.

Wie geht ERA? Ziemlich doll wie IM WANDEL DER ZEITEN – DAS WÜRFELSPIEL. (BRONZEZEIT lasse ich mal weg, das wird mir sonst zu lang.) Wir rollen Symbolwürfel, jetzt aber alle Spieler*innen gleichzeitig und geheim hinter den Sichtschirmen. Totenkopfsymbole müssen herausgelegt, der Rest darf bis zu zweimal neu geworfen werden.

Die Würfel bringen Ressourcen: Getreide benötigen wir für die Ernährung, denn jeder Würfel repräsentiert Bevölkerung und futtert pro Runde ein Getreide. Aus Holz, Stein und Handelsware entstehen Häuser auf unserem Plastik-Board. Die zählen Punkte und bringen andere Vorteile wie etwa weitere Würfel, dauerhaftes Einkommen, Boni bei Spielende.
Anders als in IWDZ – DW gibt es Würfel in vier Farben, deren Seiten unterschiedlich bestückt sind. Das gelbe Bauernhaus bringt einen gelben Würfel, der vermehrt Getreide ausschüttet. Der graue Turm bringt einen grauen Würfel, der Militärsymbole zeigt.
Die Anordnung unserer Gebäude ist aus zwei Gründen wichtig: 1. Wir wollen einen Bezirk ummauern und so zur Stadt aufwerten, was den Wert der umschlossenen Gebäude verdoppelt und sie gegen bestimmte Ereignisse schützt. Es entsteht das Dilemma, dass größere Städte zwar wertvoller und deshalb erstrebenswert sind, die Ummauerung aber mehr Züge und Rohstoffe kostet und deshalb vielleicht nie fertig wird. 2. Die Totenköpfe lösen Ereignisse aus, die mal negativ für mich und mal für die anderen sind. Ein häufiges Ereignis ist die „Seuche“, und sie bestraft, wenn ich Häuser zu eng aneinander baue.


Was passiert? Auch wieder etwas Ähnliches wie in IWDZ – DW: Ich würfle mit Strategie. Und ich würfle mit Würfeln. Soll besagen: Ich kann durchaus versuchen, bestimmte Schwerpunkte zu setzen und Gebäude auszuwählen, die sich gut ergänzen. Aber es hängt eben nicht nur von mir ab, sondern auch vom Glück.
Natürlich achte ich darauf, meine Lager gut zu füllen und nicht zu überfüllen, weil die Würfelerträge sonst verfallen. Es kann aber trotzdem sein, dass es schiefgeht. Oder dass ich partout nicht den entscheidenden letzten Stein erwürfle, den ich dringend benötige. Oder einen blöden Totenkopf zu viel oder zu wenig.
Die grauen Würfel bringen zusätzliche Aggression ins Spiel. Wer mehr Militärstärke erwürfelt, darf anderen etwas klauen. Trotzdem spielen wir bei ERA solitär. Oder besser: weitgehend solitär. Das Spielende wird ausgelöst, wenn eine bestimmte Menge Gebäude ausverkauft ist, und das wiederum hängt von den Bau-Entscheidungen aller Spieler*innen ab.


Was taugt es? ERA ist etwas detaillierter und vielfältiger als IWDZ – DW. Als sehr gelungen empfinde ich, dass dieses Mehr nicht durch eine Verlängerung der Spieldauer erkauft wird.
Die wesentlichen Dinge waren aber schon in IWDZ – DW da, sodass ich arg im Zweifel bin, ob es nur für dieses bisschen Mehr gleich ein neues Spiel gebraucht hätte – und insbesondere diesen Haufen Plastik. Für den Spielkomfort sind die Materialien hervorragend. Schön finde ich sie aber nicht. Und die Öko-Bilanz ist vermutlich haarsträubend.


**** solide

ERA – DAS MITTELALTER von Matt Leacock für eine*n bis vier Spieler*innen, Eggertspiele / Pegasus Spiele.

Sonntag, 17. Januar 2021

Adventure Games – Grand Hotel Abaddon

Hier bereits das erste Mysterium im GRAND HOTEL ABADDON: Wo ist die Einleitung?

Wie gehen ADVENTURE GAMES? Jedes der Spiele versetzt uns an einen anderen Schauplatz, diesmal ist es ein altes Hotel mit Geheimnissen, in dem es außerdem spukt. Wir lösen Rätsel und kommen den Geheimnissen hoffentlich auf die Spur.
Jeder Raum, den wir betreten, enthält mehrere Details, die wir uns genauer anschauen können. Unser Abenteuer beginnt im Speisesaal. Dort gibt es eine verschlossene Tür (101), drei Fotografien an den Wänden (201, 301, 401), einem Wandkasten (701), eine Butterdose (501) und einen Obstteller (601). Wer an der Reihe ist, entscheidet sich für einen dieser Orte und liest, um ihn zu untersuchen, unter der Nummer aus dem dicken Abenteuerheft vor. Oder lässt die App zum Spiel mit Profistimme vorlesen.
Möglicherweise erhält die Gruppe nun interessante Informationen, möglicherweise auch ein Objekt, zum Beispiel ein fettiges Buttermesser, das die Nummer 11 trägt, oder ein Kabel mit der Nummer 12. Die Objekte können wir miteinander kombinieren und dann unter 1112 nachlesen (wo – das sei verraten – gar nichts steht, denn was sollen Messer und Kabel wohl gemeinsam ergeben?). Oder wir kombinieren Objekt und Ort. Um mit dem Messer die erste Fotografie zu traktieren, lautete der Code 11201.
Aber natürlich geht es um sinnvolle Kombinationen. Manchmal sind sie naheliegend, manchmal erfordern sie ein bisschen Kreativität. Wir finden Verborgenes, öffnen Geheimtüren, erfahren Dinge aus der Vergangenheit und müssen im großen Showdown die richtige Entscheidung treffen. Am Ende erhalten wir eine Bewertung. In GRAND HOTEL ABADDON hat jeder Charakter außerdem einen eigenen Fall im Fall zu lösen.


Was passiert? Es ist sehr viel Text. 64 eng beschriebene Seiten. Die meiste Zeit verbringen wir mit Vorlesen oder Zuhören. Die ADVENTURE GAMES sind nicht in erster Linie Rätselspiele; es reiht sich deshalb nicht Aufgabe an Aufgabe, und die enthaltenen Rätsel haben auch kein EXIT-Niveau.
ADVENTURE GAMES sind Wohlfühlspiele. Sie unterhalten und fordern ein bisschen heraus, aber nicht zu sehr. Sie sind gradlinig aufgebaut, Negatives wird weitgehend von uns ferngehalten.
GRAND HOTEL ABADDON erzählt eine stimmige Geschichte. Das gemütliche Spielsystem passt für mein Gefühl auch besser in alte, geheimnisvolle Gemäuer als in modernere Umgebungen. Jedenfalls fand ich aus der Reihe DAS VERLIES und GRAND HOTEL ABADDON am atmosphärischsten. Weitere Teile werde ich wohl trotzdem nicht ausprobieren, denn …


Was taugt es? Der Zeitaufwand einer Partie ist enorm. Fünf Stunden sollte man einplanen. Und während dieser Zeit sind wir weitgehend passiv. Und wenig kreativ. Um sicher zu sein, dass wir alle Informationen und Karten fürs Weiterkommen besitzen, klappern wir Ort für Ort für Ort ab. Es macht keinen Sinn, irgendwas auszulassen. Auch Überlegungen wie „Na, in der hintersten Ecke des Kellers wird schon nichts sein“ sollte man sich abgewöhnen – denn vielleicht ist ausgerechnet dort doch etwas.
Ich halte ADVENTURE GAMES für eine gut gemachte Reihe und achte den dafür betriebenen Redaktionsaufwand. Man wird angenehm unterhalten, es ist keine schlecht verbrachte Zeit. Doch auf Dauer ist mir das zu viel Berieselung und zu wenig Spiel. Meine Spielbedürfnisse erfüllt die Reihe nicht.


**** solide

ADVENTURE GAMES – GRAND HOTEL ABADDON von Phil Walker-Harding, Matthew Dunstan und Ute Wielandt für eine*n bis vier Spieler*innen, Kosmos.

Mittwoch, 13. Januar 2021

Vor 20 Jahren (97): Der Herr der Ringe

Natürlich gab es auch vor 20 Jahren schon kooperative Spiele. Es ist ja nun nicht so, dass wir damals gar nichts hatten. Doch sie waren deutlich seltener, anders als heute waren sie kein breiter Trend, meist richteten sie sich auch noch an Kinder.
Manche sagen, SCHATTEN ÜBER CAMELOT (Serge Laget und Bruno Cathala, 2005) habe den komplexeren Koop-Spielen auch für Erwachsene den Weg geebnet. Allerdings war da fünf Jahre vorher schon ein anderes: DER HERR DER RINGE von Reiner Knizia.

Nicht in allen Spielerunden fand diese ungewohnte Form des Spielens Anklang. Ich erinnere mich an den Abend im Spieleladen, als DER HERR DER RINGE am Nebentisch seine Premiere hatte und von allen Beteiligten gehasst wurde. Sie spielten, so nahm ich es wahr, das Spiel von Anfang an ironisch und jubelten jedes Mal, wenn wieder irgendetwas passierte, das ihnen nicht gefiel. Die vermeintliche Schlechtigkeit von DER HERR DER RINGE wurde geradezu zelebriert.

Auch meine Fairplay-Kollegen, die oft zu ähnlichen Ergebnissen kamen wie ich, vergaben für DER HERR DER RINGE Schulnoten, die von zweimal 4 über einmal 4- bis hin zu dreimal 5 reichten. Kritisiert wurde, dass vor allem die Mischung des Plättchenstapels über Sieg und Niederlage entscheide. Diesen Befund kann man tatsächlich nicht widerlegen. Aber – und das zeigen zumindest teilweise die spielbox-Noten: fünfmal zwischen 3 und 5 zwar, aber auch dreimal die 8 – man kann den starken Zufallsfaktor anders gewichten.

Die Zauberwörter heißen in dem Falle: Atmosphäre. Spannung. Gestaltung. Und noch mal Atmosphäre. Ich bin kein ausgesprochener Tolkien-Fan, trotzdem kann ich mich der Magie seiner Welt nicht komplett entziehen. Die Illustrationen von John Howe lassen mich diese Magie sogar stärker empfinden, als es die Bücher jemals getan haben. Und das Spiel mit seinen vielen Spielplänen gibt Howes Illustrationen viel Entfaltungsraum. Samt Materialien wirkt es wertig und stimmig; schon bei der Spielvorbereitung hat man das Gefühl: Dies hier ist gewichtiger als die üblichen bunt-lieblichen Familienspielprodukte. Man könnte es vielleicht Kulturgut nennen.

Heute sind wir, was die Darbietung von Spielen angeht, verwöhnter. Und auch die Mechanismen haben sich weiterentwickelt. Vielleicht würde man die bösen Ereignisse im Plättchenstapel (wie zum Beispiel in PANDEMIE) jetzt ein bisschen vorsortieren. Das schmälert für mich aber nicht die Bedeutung von DER HERR DER RINGE. Es ist bemerkenswerterweise kein Spiel, das irgendeinen halb passenden Mechanismus auf das Literaturthema pfropft. Sondern DER HERR DER RINGE transportiert den Geist und die Emotion seiner Vorlage: den Kampf Gut gegen Böse, die scheinbare Übermacht des Gegners, die permanente Bedrohung, den Zusammenhalt, die Hoffnung.

DER HERR DER RINGE ist kooperativ, weil es kooperativ sein muss. Und es ist schicksalhaft, weil es schicksalhaft sein muss. Reiner Knizia, dem man so gerne vorhält, dass er sich selbst wiederhole, hat für mein Empfinden mit DER HERR DER RINGE etwas seinerzeit Neuartiges geschaffen.


Samstag, 9. Januar 2021

Red Outpost

Es wird immer schlimmer mit den Einleitungen. Jetzt fällt mir nicht mal mehr ein Vorwand ein, warum ich angeblich keine schreiben kann.

Wie geht RED OUTPOST? Wir befinden uns auf einem obskuren Planeten, der für den unbedarften Betrachter starke Ähnlichkeiten mit der Sowjetunion zu haben scheint. Es gibt zwölf Orte wie etwa die Mine, das Bierhaus, den Palast der Sowjets, und sechs Figuren, die beispielsweise Fischer, Bürokratin oder Kommissarin heißen.
Wir befinden uns außerdem in einem Arbeitereinsatzspiel, in dem jede*r jede Figur bewegen darf. Je nachdem, wo man die Figur hinschickt, um die ortstypische Aktion auszuführen, verbessert oder verschlechtert sich ihre Laune: Der Aufenthalt im Bierhaus gefällt den meisten, in der Mine den wenigsten. Wer eine Figur am häufigsten bewegt hat (Chips kennzeichnen das), bekommt am Ende des Arbeitstages Plus- oder Minuspunkte entsprechend ihrer Laune.
Die Bewegungsmöglichkeiten unterliegen strikten Regeln. Man darf nur zu unbesetzten Orten ziehen und nur mit Figuren, die während dieser Tageszeit noch nicht aktiv waren. Daraus ergeben sich Zwänge, zumal bestimmte Orte zu bestimmten Tageszeiten gesperrt sind.
Punkte gewinnt man hier und da auch nebenbei, zum Beispiel wenn man seine Figuren viele Waren produzieren lässt. RED OUTPOST ist sehr knapp gehalten. In einer Partie zu zweit bewege ich insgesamt 18-mal eine Figur und führe eine Mini-Aktion aus, zu viert zwölfmal.


Was passiert? RED OUTPOST ist ein durch und durch thematisches und zugleich satirisches Spiel. In der Anleitung finden sich ironiestrotzende Beschreibungen, die die Auswirkungen sämtlicher Orte plausibel machen, falls sich diese nicht sowieso schon aus der Natur der Sache erschließen: Natürlich verbessert es die Laune, früher Feierabend zu machen oder morgens länger liegenzubleiben. Natürlich verlockt ein frei zugängliches Lagerhaus dazu, Teile des Gemeinschaftsbesitzes zu missbrauchen.
Trotz einfacher Struktur fällt es nicht so leicht, sich einen Plan zurechtzulegen. Je größer die Spielrunde, desto geringer die Freiheiten. Wir sind sehr davon abhängig, welche Figuren und welche Orte in unserem Zug überhaupt zur Verfügung stehen.
Einerseits ist es amüsant, anderen eins reinzuwürgen und beispielsweise Chips per Denunziation von attraktiven auf unattraktive Charaktere zu verschieben. Die Geschädigten fühlen sich aber meist ausgeliefert und gespielt, und manches wird als systematisch ungerecht wahrgenommen. Zwar haben alle dieselbe Zahl Züge, doch sie verteilen sich unterschiedlich auf die einzelnen Phasen. Zu dritt und zu viert sind nicht alle gleich häufig Startspieler*in. Einige Spezialkarten (nur im Spiel für Fortgeschrittene) lassen sich leichter nutzen als andere.


Was taugt es? RED OUTPOST bietet vieles, das man sich – eigentlich – wünscht: Es ist als Einsatzspiel innovativ, indem es sich vor allem um die Befindlichkeit der Eingesetzten dreht. Es hat Witz, folgt einem Thema und erzählt eine Geschichte. Es hat recht einfache Regeln und besitzt dennoch Spieltiefe.
Trotzdem hat keine meiner Partien einen überdurchschnittlich starken Wunsch nach Wiederholung ausgelöst. Und ich vermute, es liegt letztendlich daran, dass RED OUTPOST den Spieler*innen zu wenig Positives gibt. Die meisten möchten konstruktiv spielen, etwas aufbauen, etwas entwickeln. So aber ist RED OUTPOST nicht angelegt.
Nur vordergründig geht es darum, etwas für die sozialistische Gemeinschaft zu tun. Tatsächlich ist uns das kollektive Wohlergehen völlig schnurz; jeder kocht nur taktisch, kurzfristig und situativ sein eigenes Süppchen. Man lauert auf Gelegenheiten und unabsichtliche Vorlagen. Dass man dabei klare Fehler machen kann, die von anderen prompt ausgenutzt werden, fühlt sich weniger reizvoll an, als zwischen vielem Richtigen auszuwählen zu dürfen.
Das macht RED OUTPOST nicht zu einem schlechten Spiel. Es ist lediglich ein ungewöhnliches Spiel mit begrenzter Zielgruppe. Das größte Stück Fleisch am Knochen ist hier das Thema. Die Mechanismen an sich sind unspektakulär. Wer die Züge einfach nur trocken runterspielt, erfährt nicht den Reiz. RED OUTPOST will ein bisschen gelebt werden.


**** solide

RED OUTPOST von Raman Hryhoryk für zwei bis vier Spieler*innen, Lifestyle Boardgames.

Freitag, 1. Januar 2021

Switch & Signal

Hatte ich eigentlich schon erzählt, dass ich als Kind niemals eine Modelleisenbahn bekam? Ach, hatte ich schon. Tja, so platzen Wünsche. Und Einleitungen.

Wie geht SWITCH & SIGNAL? Wir lenken kooperativ Eisenbahnen. Der Spielplan zeigt ein Streckennetz; darauf fahren mal mehr, mal weniger Züge. Unser Ziel ist es, sie zu bestimmten Bahnhöfen zu dirigieren, um dort Ware an Bord zu nehmen, und diese Ware wiederum am Zielbahnhof abzuliefern.
Wer am (höhö) Zug ist, darf Handkarten ausspielen, um ins Geschehen einzugreifen: Weichen müssen gestellt werden, damit die Loks in die gewünschte Richtung abbiegen. Signale müssen auf Grün geschaltet werden, um die Durchfahrt zu ermöglichen (und pikanterweise ist die Zahl der Signale, die gleichzeitig grün sein können, stark limitiert). Und schließlich: Die Loks müssen vorankommen, wofür man einen Würfel bemüht. Lok- und Würfelfarbe entsprechen einander und stehen für verschiedene Geschwindigkeiten. Graue Züge kriechen meist langsam weiter, schwarze sausen übers Brett.
Können Loks ihre erwürfelte Zugweite nicht ausfahren oder geraten sie auf ein totes Gleis oder rammen sich gar zwei Züge frontal, summiert sich der Schaden wie auf einem Sündenkonto. Sobald der Kontostand gewisse Toleranzschwellen übersteigt, wird das Spiel um eine Runde verkürzt. Was uns Zeit und damit Aktionen raubt, um rechtzeitig das Ziel zu erreichen.


Was passiert? Die Würfel bringen schon eine gewisse Unplanbarkeit ins Geschehen. Der größere Chaosfaktor aber sind die „Fahranweisungen“, von denen man zu Zugbeginn eine zufällige aufdecken und ausführen muss. Sie bestimmen, welche Zugfarben ins Spiel kommen, Würfel bestimmen den Startort. Die Anweisungen geben außerdem vor, welche Zugfarben per Würfelwurf fahren. Manchmal besitzen wir immerhin Wahlmöglichkeiten, um das Schlimmste zu verhindern.
Dieser Mechanismus führt dazu, dass wir in SWITCH & SIGNAL nicht etwa Planer sind, sondern Krisenmanager: Welches Unheil könnte die nächste Fahranweisung heraufbeschwören? Wie bereiten wir uns darauf vor? Vielleicht schon mal vorbeugend ein Signal stellen? Oder einen Zug aus dem Bahnhof herausfahren, bevor der nächste auf ihn draufkracht?
Ganz automatisch entstehen da Diskussionen, und weil niemand Würfelwürfe oder Kartenanweisungen vorhersagen kann, gibt es kein absolutes Richtig oder Falsch, sondern allenfalls Prioritäten und Wahrscheinlichkeiten.
Viele Aktionen dienen dazu, kurzfristig Schaden abzuwenden. Fast immer brennt es irgendwo, und unser Eingreifen ist höchste (höhö) Eisenbahn. Dennoch verfolgen wir auch einen langfristigen Plan: Auch aus abgelegenen Bahnhöfen müssen alle Waren geholt werden, und wenn die Eisenbahnen nicht dort starten, wo wir es gerne hätten, müssen wir sie hinleiten. Und bis Spielende müssen sie zum Zielort. Man kann nicht alle Jobs den gut beherrschbaren, aber quälend langsamen grauen Eisenbahnen überlassen.


Was taugt es? SWITCH & SIGNAL ist wie „Modelleisenbahn – Das Brettspiel“, also eine ganz andere und sehr originelle Art von Eisenbahnspiel. Das Spiel simuliert plastisch und konkret, wie mehrere Güterzüge sich gleichzeitig innerhalb unseres Gleissystems bewegen. Und wenn sie rollen, dann rollen sie, und wir können sie nur noch in die hoffentlich richtige Richtung lenken.
Meine bisherigen Mitspieler*innen und mich fasziniert die ungewöhnliche Aufgabe sehr, auch wenn der Zufall oft heftig Regie führt. Schon bei Spielbeginn kann sich schmerzhaft Schaden auftürmen, wenn für mehrere Loks derselbe Startort ausgewürfelt wird. Man wird dann sogar doppelt bestraft, indem man die Loks nicht einmal einsetzen darf.
Ohnehin bestimmt allein das Spiel über neue Loks, und wenn der Zufall da im ersten Spieldrittel sehr knausert, ist der Zug (höhö) im Grunde abgefahren.
In Relation zur Spieldauer finde ich die Glücksanteile dennoch angemessen, zumal sie es auch sind, die SWITCH & SIGNAL so spannend und dramatisch machen, also letztlich den Spielspaß auslösen. Auf der anderen Seite bewirkt die nicht so sehr große Spieltiefe, dass irgendwann nicht mehr viel faszinierend Neues passiert und die Partien auf bewährten (höhö) Gleisen laufen. Bei mir hat sich der Gewöhnungseffekt aber erst nach einer zweistelligen Zahl von Partien eingestellt, zumal SWITCH & SIGNAL mit zwei Spielplänen und mehreren möglichen Modifikationen Anreize setzt, um Dinge zu verändern und das Spiel noch einmal etwas anders zu erleben.
Am meisten stört mich die verwirrende Bildsprache. Beispielsweise kann dasselbe Bild bedeuten, nur einen Zug zu bewegen oder aber auch alle Züge einer Farbe. Das ginge besser.


***** reizvoll

SWITCH & SIGNAL von David Thompson für zwei bis vier Spieler*innen, Kosmos.