„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“, heißt es in einem Schlager der 1930er-Jahre. Im Gegensatz zu vielen anderen Parolen jener Zeit würde ich dieser sogar zustimmen, denn tatsächlich konnte ich neulich zwei Nächte nutzen, um mich endlich einmal auch dem Solo-Spiel von GAIA PROJECT zu widmen. Sobald ich jetzt noch herausfinde, welche Tageszeit für den Restschlaf vorgesehen ist, fängt ein ganz neues Leben für mich an.
Wie geht GAIA PROJECT? So ungefähr wie TERRA MYSTICA. Das darf es auch, weil es der Nachfolger von TERRA MYSTICA sein soll und von denselben Autoren stammt. GAIA PROJECT ist also wieder ein friedliches Ausbreitungsspiel, bei dem jeder mit einem anderen Volk, anderen Startbedingungen und Fähigkeiten antritt.
GAIA PROJECT spielt im Weltraum, die Optik ist futuristischer, statt Holzfiguren gibt es nun welche aus Kunststoff. Im Unterschied zu TERRA MYSTICA wird im eigentlichen Sinne nicht mehr terraformt. Zwar kostet es genau wie früher (mehr oder weniger) Ressourcen, um fremdes Land bewohnbar zu machen, doch die besiedelten Planeten behalten ihre Farbe, was sich für weitere Effekte im Spiel nutzen lässt und in meinen Augen einen kleinen Vorteil darstellt … wie übrigens so einiges. GAIA PROJECT erfindet TERRA MYSTICA zwar ganz bestimmt nicht neu, rundet aber ab, verfeinert, fügt hinzu.
Was sind die Unterschiede? Das All (also das Spielfeld) in GAIA PROJECT kann in jeder Partie etwas anders aussehen, indem man die zehn Spielplatten anders zusammenfügt. Auch die Schlusswertungen variieren. Sechs mögliche Wertungen gibt es, zwei davon werden zu Spielbeginn ausgelost. TERRA MYSTICA war durch die verschiedenen Völker bereits sehr variabel. Und GAIA PROJECT ist nun noch variabler.
Während man bei TERRA MYSTICA seine Priester für Aufstiege in den Kulten einsetzen konnte oder zur Verbesserung von Schifffahrt bzw. Terraforming, sind nun beide Anliegen zusammengefasst: Ich steige in sechs Forschungsbereichen auf, was mir wie die Kulte Punkte und Macht einbringt. Gleichzeitig verbessere ich mein Können in bestimmten Sparten. Drittens ist die Forschung mit dem Erwerb von Technologien verknüpft und der Erwerb von Technologien wiederum mit Forschung. Das ist sehr elegant und – weil die Technologien in jeder Partie anders mit der Forschung zusammenhängen können – in jeder Partie eine neue Herausforderung.
Der Machtkreislauf wurde ebenfalls etwas variiert, es gibt eine zusätzliche Ressource namens Q.I.C, und eine Planetenart verhält sich anders als die anderen. Insgesamt ist GAIA PROJECT ein bisschen umfangreicher.
Lohnt sich das? Für alle, die das Originalspiel für perfekt halten, lohnt sich GAIA PROJECT wohl nicht, da jede Änderung des perfekten Spiels eine Verschlechterung sein muss.
Insofern kann ich mich glücklich schätzen, dass ich trotz Wertschätzung nie zu den riesengroßen Fans von TERRA MYSTICA zählte.
Aus meiner Warte hat GAIA PROJECT gewonnen: Es ist (noch) variabler. Das wunderbar verdichtete Forschungstableau empfinde ich als sehr großen Fortschritt. Und wenn man will, kann man GAIA PROJECT sogar solo spielen. Wie ich allerdings festgestellt habe, will ich das eher nicht.
Zwar simuliert das Solospiel sehr gut das Vorhandensein eines Mitspielers, der mir Planeten und Einsetzfelder wegschnappt, durch seine Bauten Möglichkeiten zum Machtgewinn eröffnet, sich je nach gewähltem Volk unterschiedlich verhält, passt oder nicht passt, Punkte sammelt und womöglich sogar gewinnt. Das Solospiel ist nahe am Original und beileibe kein Spaziergang. Es kann helfen, um GAIA PROJECT einzuüben und mit den Völkern zu experimentieren.
Mir fällt aber auf, dass ich GAIA PROJECT – trotz langer Spieldauer – mit Menschen als wesentlich spannender erlebe. Wenn Menschen statt Zufallsfaktoren entscheiden, habe ich mehr Angst, dass mir Aktionen weggeschnappt werden, ärgere ich mich mehr, falls mir jemand zuvorkommt, freue ich mich mehr, wenn es läuft. Das spricht trotzdem nicht gegen das Solospiel als solches. Es ist ein gelungenes zusätzliches Angebot, das man nutzen kann oder eben auch nicht.
Mich überzeugen viele Dinge an GAIA PROJECT: Mein Volk verlangt, dass ich strategisch spiele, um seine Stärken bestmöglich auszunutzen. Die Rundenboni und Aktionen der Gegner verlangen, dass ich taktisch spiele. Es geht nicht nur darum, was ich mache. Sondern auch um Zeitpunkt und Reihenfolge. Manchmal will ich Mitspielern zuvorkommen, manchmal will ich ihre Entscheidungen aussitzen und reagieren.
Und schließlich natürlich: die 14 Völker! Vierzehn! Jedes, das ich zum ersten Mal ausprobiere, versieht GAIA PROJECT mit einem kleinen Dreh, bringt neue Möglichkeiten, stellt andere Herausforderungen. Dank GAIA PROJECT bin ich nun auch endlich Fan des TERRA MYSTICA-Spielsystems. Ich würde jederzeit mitspielen. Auch nachts.
****** außerordentlich
GAIA PROJECT von Helge Ostertag und Jens Drögemüller für einen bis vier Spieler, Feuerland.