Dienstag, 31. Januar 2023

Gern gespielt im Januar 2023

NEXT STATION LONDON: Ich hab’s immer geahnt, dass die Streckenführung im ÖPNV höheren Zielen dient als der Lappalie, Passagieren sinnvolle Verbindungen zu bieten.

THAT’S NOT A HAT: Wenn „Aber es ist doch sicherlich kein Problem, sich die paar Karten zu merken, oder?“ in der Anleitung steht, ahnst du schon vor dem Losspielen die Antwort.

CLEVER 4 EVER: Ach, ich wollte mich nicht wieder an einem CLEVER-Spiel verbeißen. Aber am Ende ist es wie mit Schokolade. Liegt im Schrank … und man weiß, dass sie im Schrank liegt … und schon liegt sie nicht mehr im Schrank.

CHRONO COPS – DA VINCIS UNIVERSAL-DILEMMA: Diamant-Herstellung: sooo easy. (Wenn man etwas Zeit mitbringt.)

DORFROMANTIK – DAS BRETTSPIEL: Wir sind Kaiserin.







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM JANUAR:

FUN FACTS: Weil Menschen am Ende doch interessanter sind als Meeple.





Montag, 30. Januar 2023

Challengers!

Ich bin übrigens kein Fan von effektheischenden Ausrufezeichen im Spieletitel! Was soll das!

Wie geht CHALLENGERS? Wir spielen ein Turnier! Bei acht Personen tritt jede einmal gegen jede an! Bei weniger Personen treten manche (oder gar alle) mehrfach gegeneinander an! Jedenfalls spielt jede:r sieben Partien! Oder sogar acht, denn die beiden Punktbesten erreichen das Finale und spielen noch einmal gegeneinander! Wer das Finale gewinnt, gewinnt CHALLENGERS!
Die Partien tragen wir mit Karten aus. Parallel. Bei CHALLENGERS laufen kleine Zwei-Personen-Spiele nebeneinander. Anfangs besitzen alle dieselben sechs Karten. Vor jedem Duell darf ich mein Deck um bis zu zwei Karten erweitern: Dazu ziehe ich fünf Karten von einem der drei Nachziehstapel, und entweder behalte ich davon schon zwei. Oder ich behalte weniger, dann darf ich noch ein zweites Mal ziehen.

Ich darf Karten aus meinem Deck entsorgen, und der Rest geschieht nun automatisch: Ich mische mein Blatt, und es kommt, wie es kommt: Wer am Zug ist, muss solange Karten von seinem Stapel aufdecken, bis die Summe der Kartenwerte mindestens die Stärke der letztgespielten Karte des Gegenübers erreicht.
Beispielsweise liegt da ein Champion (4), und ich decke erst ein Talent (2), dann einen Neuling (1) und dann einen Hund (3) auf: geschafft! Es hätte auch ohne das Talent geklappt, ich habe also eine Karte verschwendet, aber das ist dann eben Pech. Der Campion meines Gegenübers kommt nun auf dessen Ablage-„Bank“, und mein Gegenüber deckt solange auf, bis mein Hund besiegt ist, woraufhin Talent, Neuling und Hund auf meine Bank müssen.
Passt eine Karte nicht mehr auf meine Bank, habe ich verloren. Ebenso, wenn ich die letztgespielte Karte meines Gegenübers nicht mehr übertreffen kann. Wer gewinnt, erhält eine Trophäe, die zufällig mehr oder weniger Punkte zählt. Später im Spiel gewonnene Trophäen sind wertvoller.


Was passiert? Eine überfüllte Bank ist häufig der Grund für Niederlagen, was erstens ein Argument fürs Entsorgen ist und zweitens den Kartenerwerb beeinflusst. Karten mit gleichem Namen benötigen nur einen Bankplatz, weshalb ich versuche, wenig verschiedene Karten in mein Deck aufzunehmen. Zweifellos ist auch das wieder Glückssache, denn Voraussetzung, um gleiche Karten zu nehmen, ist nun mal, gleiche Karten zu ziehen.
Sobald man die Karten besser kennt, wählt man noch nach anderen Kriterien: Die meisten Karten haben neben Zahlenwerten auch Effekte. Beispielsweise können sie mir Deckkontrolle bringen: Der Navigator lässt mich die obersten beiden Karten meines Stapels ansehen und eine davon unter mein Deck legen. – Perfekt, wenn das nun die Rettungsschwimmerin wäre, denn die zählt 6 statt 4, falls sie meine letzte oder vorletzte Karte ist. Ja nach Gestaltung meines Decks kann so auch die Aufdeckphase mehr werden als reines Aufdecken.
Der Deckbau- und der Strategie-Aspekt sind trotzdem nicht das Außergewöhnliche in CHALLENGERS; höchstens insofern, dass sie außergewöhnlich einfach ablaufen. Zum besonderen Spiel wird CHALLENGERS durch das Turnier. Auch in großer Runde sind alle immer beteiligt; es gibt keine nennenswerten Wartezeiten. Wir wechseln unsere Sitzplätze. Wir treffen auf Gegner:innen, deren Deck wir nicht kennen und deren Karteneffekte uns vielleicht überraschen.
Es entsteht ein Partygefühl, ohne dass man Partyspiel-übliche Dinge tut; alle kommen mit allen in direkten Kontakt. Und es entsteht eine Turnier-Dramaturgie: Manche Decks beginnen stark, gewinnen die ersten Partien und kippen irgendwann. Seriensieger:innen verlieren ausgerechnet gegen zuvor Sieglose. Und selbst ein eher mieses Deck kann gegen ein mutmaßlich besseres gewinnen, denn: Es ist nun mal Glück dabei.


Was taugt es? CHALLENGERS ist mehr als ein Spiel, nämlich ein Spieleturnier, ein Kartenspiel mit Event-Charakter. Es bietet viel direkte Interaktion und eine andere Art, ein analoges Spiel miteinander zu erleben. Es erschafft etwas Neues. Das ist gut. Aber besser noch ist: Es erschafft etwas Neues, das sehr gut unterhält und viel Spaß macht.
… Was allerdings längst nicht alle meine Mitspieler:innen unterschreiben würden. Dass man seine Karten einfach nur durchmischt und dann eine nach der anderen aufdeckt, lässt bei manchen das Gefühl von Belanglosigkeit entstehen. Manche sind auch gefrustet, wenn andere viel tollere Karten nachrüsten konnten, während sie selbst vermeintlichen Murks zur Auswahl bekamen.
Wer CHALLENGERS häufiger spielt und die Karten genauer kennt, hat schon merkliche Vorteile. Aber CHALLENGERS ist eben kein Deckbau-Spiel, das zwangsläufig gewinnt, wer tiefer einsteigt. Der Glücksfaktor passt sehr gut zum Charakter des Spiels. Der Erfolg und damit auch der eigene Anteil am Erfolg sind hier Nebensache, weil man gemeinsam etwas erlebt.
Am liebsten spiele ich CHALLENGERS in großer Runde und mit einer geraden Mitspieler:innenzahl. Das ist aber kein Muss, denn bei ungerader Zahl kommt ein Bot zum Einsatz, dessen Spielstärke sich überraschend gut justieren lässt. Und die Großgruppe ist ebenso kein Muss, CHALLENGERS funktioniert auch mit halber Besetzung. Allerdings setzt sich mit vielen Teilnehmer:innen schneller Party-Stimmung durch, während in kleinerem Kreis dann doch mehr aufs Ergebnis geachtet wird.


****** außerordentlich

CHALLENGERS! von Johannes Krenner und Markus Slawitscheck für eine:n bis acht Spieler:innen, 1 More Time Games / Z-Man Games.

Montag, 23. Januar 2023

Powerline

„Green Planet“ heißt eine neue Reihe bei Queen Games. Was der Slogan bedeutet, steht knapp auf der ersten Seite der Anleitung: „Für alle Komponenten arbeiten wir nur mit hiesigen Firmen zusammen und pflanzen Bäume. POWERLINE ist CO2-neutral produziert.“
Generell finde ich es natürlich sehr gut, wenn Verlage verantwortungsvoller produzieren. Andererseits ist jedes Spiel, das nicht produziert wird, ökologisch gesehen immer noch besser als jedes, das produziert wird. Deshalb finde ich es ganz besonders verantwortungsvoll, sich stets zu fragen, ob Dinge wirklich gebraucht werden. Auch die verantwortungsvolle Produktion macht aus einem mittelmäßigen Spiel kein gutes.

Wie geht POWERLINE? Wir errichten Verbindungen zwischen Kraftwerken. Dazu sind zwischen drei und zwölf Felder zu überbücken. Je länger die Strecke, desto mehr Punkte bringt sie bei ihrer Vollendung.
Auf allen Feldern stehen Zahlen, bunt gemischt. Um ein Feld mit einem Plättchen belegen zu dürfen, benötige ich die entsprechende Würfelzahl. Ich darf aber nicht einfach irgendein Feld belegen, sondern muss an der einen oder anderen Seite einer Strecke beginnen, und die einmal gewählte Richtung muss ich beibehalten.

Wir besitzen Tableaus mit unterschiedlichen Zahlenfolgen. Und wir spielen parallel; die erzielten Würfelaugen gelten für alle. Fürs Nutzen der Würfel (erstaunlicherweise übrigens aus Plastik) gelten weitere Regeln. Nach dem Wurf werden die sechs Würfel farblich sortiert: erst Rot, dann Gelb, dann Blau sowie Grün, Weiß, Schwarz. Nutzen darf ich die Würfel nur in der einen oder anderen Richtung, also entweder beginnend bei Rot, dann Gelb und so weiter oder beginnend bei Schwarz, dann Weiß und so weiter. Und: Ich darf einen Wurf nur auf maximal drei Verbindungslinien anwenden. Und: In darf in den 15 Runden nur zweimal alle sechs Würfel einsetzen, zweimal fünf, je dreimal vier, drei oder zwei und zweimal nur einen.

Was passiert? Es wird gewürfelt, und wir alle knobeln, was sich mit den Zahlen anfangen lässt. Zu viele Strecken will ich nicht beginnen; sonst kann ich nicht alle beenden. Außerdem schränkt es mich ein, wenn ich einen Bau erst mal begonnen und damit meine weitere Baurichtung festgelegt habe. Allerdings macht es auch wenig Sinn, immer nur sehr wenige Würfel zu verwenden. Irgendwann müssen es zwangsläufig auch mal alle sechs sein. Und wehe mir, wenn dann überhaupt nichts passt!
Also tüftele ich, verwerfe, gucke noch mal neu und finde vielleicht doch noch eine bessere Lösung. Tunlichst vermeiden möchte ich, dass Würfel verfallen. Im Bestfall kann ich während der gesamten Partie 51 Felder bebauen. Jeder Würfel, den ich verfallen lasse, kostet mich ein Feld.

In drei Zwischenwertungen wird mal dies, mal jenes belohnt. In jeder Partie kann eine andere Kombination von Wertungstafeln zum Einsatz kommen, was den Fokus von Mal zu Mal ein wenig verschiebt. Von unterschiedlichen „Strategien“ möchte ich trotzdem nicht sprechen. Weil die Würfel regieren, entscheidet am Ende eine Mischung aus Glück, Risikomanagement und geduldigem Durchdeklinieren der Möglichkeiten.
Was die anderen tun, bekommt man nicht mit. Es ist – wie in Multiplayer-Solitaire-Spielen üblich – auch solange unwichtig, bis wir am Ende unseren Score vergleichen.

Was taugt es? POWERLINE hat einen neuartigen Mechanismus, wie Würfel eingesetzt werden, um Strecken zu bauen. Nach ein paar Partien setzt mich das Spiel trotzdem kaum noch unter Strom. Es schafft eher Zwänge statt Möglichkeiten, das Spielgefühl ist tüftelig und buchhalterisch. Es lohnt sich, alle gebotenen Optionen sorgsam durchzuanalysieren, Emotionen entstehen da kaum. Oder eher sogar negative, weil man an mehreren Stellen eine Fünf braucht und zwei, drei Runden lang partout keine fallen will.
POWERLINE bildet sein vermeintliches Thema kein bisschen ab, obendrein ist es für mein Empfinden unattraktiv gestaltet. Trotz mechanischer Originalität kein überzeugender Start der neuen Reihe.


*** mäßig

POWERLINE von Dirk Henn für eine:n bis sechs Spieler:innen, Queen Games.

Donnerstag, 19. Januar 2023

Stella

„Als Sternensucher reitet ihr durch die Lüfte“, erzählt die Anleitung, „und wetteifert darum, wer das Licht in die Welt zurückbringen kann.“ – Wer da „Häh?“ denkt, denkt falsch. Richtig ist die Gedankenkette: „Stern“, „hell“, „aha!“ Und schon wäre ganz nebenbei geklärt, warum das Spiel STELLA heißt, obwohl gar keine Stella vorkommt.

Wie geht STELLA? 15 vieldeutige Bildkarten, wie wir sie aus DIXIT kennen, liegen in einem 3-mal-5-Raster aus. In jeder der vier Runden wird ein Oberbegriff ausgelost, beispielsweise „Relikt“ oder „Intelligenz“ oder „Fremder“. Alle betrachten die Karten und kreuzen auf ihrem geheimen Tableau, welches dasselbe 3-mal-5-Raster aufweist, alle Karten an, von denen sie meinen, dass sie zu dem Begriff passen.
Reihum offenbart dann jede:r eine der gewählten Karten – in der Hoffnung, dass noch andere dieselbe Karte angekreuzt haben. Falls ja, erhalten alle Beteiligten Punkte und sogar noch einen Bonuspunkt, falls nur exakt zwei Personen diese Karte gewählt haben. Falls nein, ist man raus und gewinnt in dieser Runde keine Punkte mehr.


Was passiert? Man muss sich die Bilder gut anschauen. Jenseits des Hauptmotivs sind viele Kleinigkeiten zu finden. Vielleicht liegt etwas Reliktartiges auf der Fensterbank, vielleicht könnte ein Lichtstrahl auf Intelligenz hindeuten. Um solche Details nicht zu verpassen, verlässt man üblicherweise seinen Sitzplatz und stellt sich an der Kopfseite des Tisches auf.
Wie immer bei Spielen aus der DIXIT-Welt ist es am Ende Interpretationssache, und wie immer sollte man es mit dem Hineindeuten nicht übertreiben. Erstens weil man – siehe oben – frühzeitig aus der laufenden Runde ausscheiden kann, wenn man in einer Karte als Einzige:r ein Relikt erkannt zu haben meint. Zweitens weil die Person mit den meisten angekreuzten Karten Punktabzüge kassiert, wenn auch nur eine einzige Karte dabei ist, die von keiner anderen Person gewählt wurde.
So besteht jede Runde STELLA aus zwei sehr unterschiedlichen Phasen: zunächst die Bildbetrachtung gepaart mit der Risikoabwägung, wie weit man sich aus dem Fenster lehnen möchte: Wären fünf Kreuze schon zu viel? Oder kann man auf sechs, gar sieben gehen? Eigentlich sind in fast allen Bildern im weitesten Sinne irgendwelche Relikte. Aber wenn die anderen das enger sehen, ist es blöd.
Und dann folgt die Auswertung. Welches der von mir gewählten Bilder ist das offensichtlichste? Das nenne ich zuerst. Dumm nur, wenn das schon weg ist. Und das vermeintlich zweitbeste auch. Mist, wieso habe ich überhaupt wieder so viel angekreuzt?! Plötzlich kommen mir meine Bildinterpretationen ziemlich absurd vor. Aber irgendwas muss ich jetzt nennen – hopp oder top. Das ist spannend. Diese Phase löst oft auch Gespräche aus: Häh? Wieso habt ihr das angekreuzt? Wo ist denn da ein „Fremder“? Und wie kann es sein, dass niemandem die klare Intelligenz des von mir gewählten Bildes aufgefallen ist? Mangelnde Intelligenz womöglich?


Was taugt es? STELLA kombiniert DIXIT mit dem Wertungsmechanismus, der mir zuerst in WIR SIND SCHWANGER begegnet ist. Es ist zugänglicher als DIXIT, weil man nicht kreativ sein muss. Andererseits bleibt es dadurch auch oberflächlicher, wie eine seichtere Party-Variante von DIXIT.
Die Punktestände klaffen oft weit auseinander. Mit Glück hat man eine Super-Runde, mit Pech scheidet man schon bei der ersten Nennung aus. Der Wertung gelingt es nur mäßig, einen Wettbewerb zu initiieren. Und sie ist nicht intuitiv.
Die Strafenregelung für die Spieler:in mit den meisten Kreuzen bleibt manchen Teilnehmer:innen lange schleierhaft. Dass Ausgeschiedene nicht komplett ausgeschieden sind, sondern als passive Punktelieferant:innen für andere weiter konzentriert bleiben müssen, hat in meinen Runden zu etlichen Spielfehlern geführt. Wenn man schon raus ist, will man wenigstens frei reden dürfen. Darf es aber noch nicht: Und so deckt irgendwer sein Kärtchen für alle sichtbar auf oder – noch schlimmer – wischt die Kreuze frustriert ab und ruiniert die Runde.
Auch die Anleitung halte ich nicht für optimal. Indem sie unbedingt ihre krude Sternengeschichte transportieren will, macht sie unnötig viele Worte und redet mit verwirrenden Begriffen um den Kern des Spiels herum.
Trotz dieser Probleme halte ich STELLA für eine gelungene DIXIT-Variante. Kreuze machen kann jede:r, der Spielspaß ist leicht und ohne Hemmschwellen erfahrbar, nur für die Auswertung muss eben mindestens eine regelfeste Person am Tisch sein.


**** solide

STELLA von Gérald Cattiaux und Jean-Louis Roubira für drei bis sechs Spieler:innen, Libellud.

Sonntag, 15. Januar 2023

Next Station London

Der ÖPNV ist besser als sein Ruf. Wäre meine Bahn verspätet gewesen, hätte ich beim Warten über eine Einleitung nachdenken können.

Wie geht NEXT STATION LONDON? Wir bauen Bahnstrecken. Jede:r konstruiert nach und nach vier Linien. Zu diesem Zweck sind vier verschiedenfarbige Buntstifte im Spiel, mit denen ich auf meinem Zettel Stationen verbinde. Ich beginne mit irgendeinem der Stifte, beispielsweise dem grünen. Das bedeutet, meine Linie beginnt am grünen Startpunkt. Andere Spieler:innen beginnen bei Rosa, Lila oder Blau.
Eine von elf Stations-Karten wird aufgedeckt und bestimmt, wohin alle Spieler:innen ihr Streckennetz erweitern dürfen. Zeigt die Karte ein Dreieck, darf ich eine Station mit Dreieck-Symbol anfahren. Das muss ich in gerader Linie tun. Außer in Stationen dürfen sich meine Farben nicht kreuzen.
Dann folgt die nächste Karte, und wieder darf ich meine Strecke an dem einen oder dem anderen Ende verlängern. Ein Durchgang dauert zwischen fünf und elf Karten. Das ist Zufall. Nach der fünften roten Karte ist Schluss, und wir tauschen die Stifte. Insgesamt werden vier Durchgänge gespielt, damit jede:r einmal mit jeder Farbe agiert.

Meine Punkte ermittele ich für jede der Farben durch eine Multiplikation aus angeschlossenen Bezirken und angeschlossenen Stationen in einem Bezirk. Das bedeutet, dass ich mich einerseits ausbreiten möchte, andererseits irgendwo auch gehäuft sein will. Neun Bezirke mit je einer Station zählen 9 x 1, also 9 Punkte. Sechs Bezirke inklusive einem, wo ich vier Stationen anschließen konnte, ist klar besser: 6 x 4.
Bonuspunkte zählen Stationen, die ich mit zwei oder sogar mehr Farben angebunden habe. Sowie besonders gekennzeichnete „Touristen-Stationen“, die ich so häufig wie möglich anbinden sollte. Weitere Ziele können optional hinzukommen.


Was passiert? Das Wertungsprinzip ist zunächst nicht sehr eingängig, was sicherlich auch daran liegt, dass man sich beim Malen unbewusst an der Streckenführung realer Liniennetze orientiert und viele verschiedene Punkte der Stadt anbinden möchte. Mit dieser Strategie fährt man in NEXT STATION LONDON aber nicht so gut.
Mit einer konkreteren Idee, was gut sein könnte, werden die Abwägungen spannender. Ich will natürlich Punkte eintüten. Aber ich will auch so bauen, dass ich später kommende Farben nicht blockiere. Und ich will flexibel bleiben und weiterhin möglichst alle Symbole verwerten können.
Die Zweifarbigkeit der Karten gibt mir gewisse Anhaltspunkte. Alle blauen Karten könnten gezogen werden, aber nur vielleicht. Alle roten Karten werden garantiert noch gezogen und ausgeführt. Und wenn der rote Kreis und das rote Fünfeck noch nicht an der Reihe waren, kann ich mich darauf verlassen, dass sie kommen. Nur weiß ich nicht, wann und in welcher Reihenfolge.


Was taugt es? In NEXT STATION LONDON spielt jede:r strikt für sich. Das Solospiel funktioniert deshalb genauso wie das Spiel mit mehreren Personen. Mehr Spaß macht es, gegen andere statt gegen den eigenen Highscore anzutreten, zumal die Punktestände verschiedener Partien nur halbwegs miteinander vergleichbar sind. Die zufällige Länge der Durchgänge macht einen großen Unterschied.
Obwohl die Durchgänge nur wenige Züge und damit auch nur wenige Entscheidungen beinhalten, sind es – bei allem Zufall, der im Spiel ist – relevante Entscheidungen. Oder zumindest relevante Spekulationen. Und der Ausgang von Spekulationen ist nun mal spannend: Klappt es wie erhofft oder kommt ausgerechnet die eine Karte, die es nicht sein darf?
Die Spielidee, dass ich auf meinem Plan nacheinander mit vier verschiedenen Farben agiere, löst interessante Überlegungen aus. Einerseits sollen sich die Linien nicht behindern. Andererseits zählt es Punkte, Stationen mehrfarbig zu erschließen. So will ich Distanz und Nähe zugleich.
NEXT STATION LONDON ist in meinem Ansehen von Partie zu Partie gewachsen. Natürlich wiederholen sich bestimmte Muster mit der Zeit. Ich werde aber trotzdem nicht müde, es zu spielen, denn NEXT STATION LONDON baut zuverlässig Spannung auf und bringt gemessen an Aufwand und Spieldauer die richtige Tiefe mit.


***** reizvoll

NEXT STATION LONDON von Matthew Dunstan für eine:n bis vier Spieler:innen, HCM Kinzel.

Mittwoch, 11. Januar 2023

Vor 20 Jahren (121): So ein Käse

… blatt!

Im Jahr 2003 schrieb ich für zwölf verschiedene Printerzeugnisse, die meisten davon waren Tageszeitungen und überwiegend sogar recht große Tageszeitungen mit Auflagen von (damals noch) über 100.000 Exemplaren. Aber BILD-Leser:innen wissen mehr: Auflagenzahlen sagen nicht unbedingt etwas über Qualität aus.

Eine Zeitung jedenfalls war dabei, die sich an Peinlichkeit wiederholt selbst übertraf. In Folge 89 hatte ich mich dazu schon einmal ausgekotzt: Meine Rezension zu SPACE BEANS war nicht erschienen, weil die Redakteurin „nichts mit Monstern“ im Blatt haben wollte. Und später hatte dieselbe Redakteurin den glanzvollen Einfall, ich könne der Zeitung meine Spiele als Verlosungsexemplare zur Verfügung stellen.

Diese fixe Verlosungs-Idee sollte mich nun weiter begleiten. Die Zeitung wollte Rezensionen nur noch veröffentlichen, wenn Leser:innen ein entsprechendes Spiel gewinnen konnten. Und weil sie keine Ahnung hatten, wen man dazu in welchem Verlag ansprechen muss, sollte ich das organisieren. Haha! Machte ich aber nicht. Ich erklärte mich bereit, zu jeder Rezension auch den Pressekontakt anzugeben. Um den Rest sollte sich die Redaktion bitte selbst kümmern.

Das ging eine Weile gut. Aber nicht lange. Eine Kollegin hatte ihre Spiele-Kolumne in irgendeiner Zeitung verloren und daraufhin offenbar alle nennenswerten Redaktionen Deutschlands abtelefoniert, um Veröffentlichungsmöglichkeiten aufzutun. Und irgendwann landete sie bei meiner Lieblingszeitung und wurde wohl gefragt: „Können Sie Verlosungsexemplare besorgen?“ Und na klar, das konnte sie! Gerne! Und prompt war sie engagiert.

Ich erfuhr von dem Deal nicht allzu viel später. Denn die Kollegin kriegte heraus, dass da eigentlich wer anderes (ICH!) über Spiele schrieb. Und das war ihr jetzt peinlich, und sie meldete sich bei mir. Sie handelte aus, dass sie für ihre Artikel Verlosungsexemplare besorgen musste und ich für meine nicht. Aber – ich habe es seitdem trotzdem getan. Denn nach allen meinen bisherigen Erfahrungen mit dieser Super-Zeitung hatte ich das Gefühl, ohne Gratisspiel wäre ich raus, völlig unabhängig von der Qualität meiner Artikel.

Und ich habe es gehasst! Den Verlagen gegenüber war mir die Bettelei sehr unangenehm. Dabei kriegte ich von ausnahmslos allen die Rückmeldung, Verlosungen seien vollkommen üblich und aus ihrer Sicht überhaupt nicht schlimm. Und mit nur einem Spiel pro Artikel sei diese Zeitung sogar noch vergleichsweise bescheiden.

Es widersprach jedoch meiner Vorstellung von Journalismus, dass Verlage Sponsoring betreiben müssen, um Gegenstand der Berichterstattung zu werden. Mein letzter verbliebener Widerstand war, von nun an bevorzugt kleine Kartenspiele zu besprechen. Trotzdem machte ich das jahrelang mit. Weil ich jung war und das Geld brauchte, könnte man denken. Aber so jung war ich gar nicht mehr. Und es gab auch kaum Geld. Es war die Zeitung mit den niedrigsten Honoraren.

Warum also? Ich war damals heiß auf jede einzelne Veröffentlichung. Ich wollte viel schreiben, ich wollte mehr schreiben, ich wollte alles schreiben. Ich wollte die Spielerezi-Weltherrschaft! Ich hatte die Zeit und ich hatte die Energie.

Beides ist mir in den vergangenen Jahren durch die Umstände des Lebens etwas abhandengekommen. Und als ich merkte, dass ich dringend kürzertreten muss, war die erste Zeitung, der ich den Laufpass gab, natürlich: diese hier!


Freitag, 6. Januar 2023

Marrakesh

Neulich las ich in einem ganz tollen Artikel, der Würfelturm sei bei Queen Games zu einem wiederkehrenden Element geworden. Und was soll man sagen … hier ist er mal wieder!

Wie geht MARRAKESH? Zwölf verschiedene Farben sind bestimmten Aktionen zugeordnet. Eine Aktion fällt stärker aus, je mehr Pöppel (die Anleitung sagt: „Keshis“) der entsprechenden Farbe ich gesammelt habe. Beispielsweise liefern wir uns ein Wettrennen auf dem Fluss, und die blaue Aktion bringt mein Boot voran: pro blauem Keshi ein Feld. Oder: Wir brauchen Waren, und die grüne Aktion bringt mir pro grünem Keshi eine Dattel.
Die meisten Aktionen sind etwas umfangreicher als diese beiden Beispiele. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf verschiedene Arten Punkte oder Rohstoffe bringen. Oder weitere Keshis. Oder ich schalte mir Schlusswertungen oder Dauervorteile frei, sodass bestimmte Aktionen bei mir mehr abwerfen als normalerweise.

In jedem der drei Durchgänge starte ich mit je einem der zwölf Keshis hinter meinem Sichtschirm. Für jede Runde wähle ich geheim drei davon. Ihre Farben besagen, welche Aktionen ich ausführen werde. Nur der rote Keshi erlaubt mir eine Aktion meiner Wahl. Das bedeutet: Im Laufe jedes Durchgangs werde ich jede Aktion mindestens einmal ausführen und nur eine Aktion zweimal.
Alle gewählten Keshis wirft irgendwer in den Würfelturm. Die meisten fallen unten wieder heraus, eventuell kommen auch noch Keshis früherer Runden zum Vorschein. Reihum nehmen wir davon nun bis zu zwei Keshis einer Farbe, bis alles verteilt ist. Diese Keshis kommen nicht wieder hinter den Sichtschirm, sondern auf unsere Tableaus, und definieren – siehe oben –, wie viel mir die zugehörige Aktion bringt.
Übrigens muss ich nicht zwangsläufig die Keshis nehmen, die zu meiner gewählten Aktion passen. Vielleicht besitze ich schon so viele Datteln, dass mir die Aufwertung des grünen Bereichs nicht so wichtig ist. Und statt grünem Keshi nehme ich nun lieber einen braunen, weil der für die Zukunft interessanter erscheint und weil es die Mitspieler:in mit der braunen Aktion so schön ärgert.


Was passiert? Jede Aktion muss mindestens dreimal während der Partie gewählt werden. Das System von MARRAKESH zwingt mich dazu, dass ich alles ein bisschen mache. Aber das ist fürs Vorankommen nicht optimal; außerdem zählt jede Aktion, die ich auf das Maximum von neun Keshis aufgewertet habe, am Ende noch mal ordentlich Extrapunkte. Ich versuche also, Schwerpunkte zu setzen, indem ich mir zusätzliche Keshis bestimmter Farben verschaffe: entweder als Ertrag meiner Aktionen oder indem ich die mir wichtigen Farben (mit der Spekulation auf gleichfarbigen Beifang) in einem hoffentlich günstigen Moment in den Turm gebe: wenn ich Startspieler bin und zuerst wähle oder wenn ich vermute, dass die anderen sich für andere Farben interessieren.
Schön für das Spielgefühl ist aber, dass ich in jedem Fall vorankomme. Alles hilft. Falls mir eine Aktion mangels Keshis zu schwach erscheint, kann ich auf die Aktion verzichten und ersatzhalber einen Keshi nehmen, was gar nicht so schlecht ist, wie es zunächst erscheinen mag. Zweifellos gibt es auch ärgerliche Momente. Wer bei der Turmverteilung hinten sitzt, bekommt üblicherweise einen oder zwei Keshis weniger ab als der / die Startende, und kann nur hoffen, dass sich das später wieder ausgleicht.
Schön für das Spielgefühl ist auch die klare Orientierung. Dass wir regelmäßig Abgaben zahlen müssen, ist zwar nicht originell, aber es definiert Etappenziele. Innerhalb von vier Runden will ich bestimmte Güter erwirtschaften. Bei all den vielen verschiedenen Farben und den damit verbundenen vielen Einzelregeln ist das ein guter Leitfaden. Dass ich bis Spielende einige Farben maximieren will, setzt zudem ein übergeordnetes Ziel.
Die Güter zu beschaffen, ist gegen Ende meist gar nicht mehr so schwierig. Ob ich Farben komplettieren kann, entscheidet sich aber oft erst kurz vor Schluss, was MARRAKESH bis zum Finale sehr spannend macht.
Der Einstieg jedoch verläuft zäh. Mehr als 100 Plättchen mit recht viel Symbolsprache sind im Spiel, alle unterschiedlich. Vieles kann man sich herleiten, und das Glossar listet auch jeden Effekt gut auf. Trotzdem stockt das Spiel, wenn wieder ein neues Plättchen auftaucht, das erklärt oder zu einem späteren Zeitpunkt in Erinnerung gerufen werden muss.


Was taugt es? MARRAKESH ist ein typisches Eurogame mit aufgesetztem Thema. Weil es MARRAKESH heißt, sind eben Datteln und Oasen und ein Kamel dabei. Das hat nichts weiter zu bedeuten; es sind nur Abbildungen und Benennungen. MARRAKESH erhebt aber auch keinen thematischen Anspruch. Es geht um den Mechanismus.
Und der macht Spaß. Gerade weil so viele Aktionsfarben im Spiel sind, bin ich nicht gezwungen, dieselbe Tour zu spielen wie die anderen Spieler:innen. Und obwohl man viel rechnen kann und teilweise auch muss, ist das Spielgefühl eher locker. Die Glücksfaktoren sind unübersehbar: Was aus dem Turm fällt und was steckenbleibt, kann einen großen Unterschied bedeuten. Oder welche Plättchen im Angebot sind. Zu Beginn hoffe ich, starke Dauereffekte erwerben zu können, gegen Ende starke Einmaleffekte. Auch die Sitzreihenfolge hat Einfluss. Ist die blaue Aktion erst mal ordentlich aufgewertet, kann die Flussfahrt nach nur zwei Zügen entschieden sein; und von Zweien, die das Potenzial haben, das Zielfeld zu erreichen, sichert sich Platz eins der / die zuerst Ziehende.
Die verschiedenen Aktionsfarben sind wie viele kleine Spiele, die zusammen ein großes Spiel ergeben, was mich an TRAJAN erinnert. Mit seiner Mischung aus Planung, Optimierung und Überraschung enthält MARRAKESH am Ende so viele Elemente, dass das, was ich als den Kern verstehe (das Aufwerten von Aktionen) gar nicht mehr so sehr im Zentrum steht. MARRAKESH ist wie ein bunter Eintopf mit sehr vielen Zutaten.
Vermutlich sollte das auch genau so sein: mal nicht reduzieren, sondern an Plättchen und Material und Regeln reinhauen, was geht. Beim Material hat das für mich einen schlechten Beigeschmack. MARRAKESH benötigt einen sehr großen Tisch und wirkt überproduziert. Die Double-Layer-Boards tragen wenig dazu bei, das Thema zu unterstützen, das Spiel zu ordnen und übersichtlich zu machen. In erster Linie sind sie wuchtig.
Und der Effekt des Würfelturm ist gering. Ich hatte Partien, in denen über viele Runden exakt alles so wieder herauskam, wie es eingeworfen wurde. Erst wenn man die Wurftechnik etwas verändert, bleibt mehr stecken. Aufwand und Ertrag des Turms stehen in einem fragwürdigen Verhältnis.


***** reizvoll

MARRAKESH von Stefan Feld für zwei bis vier Spieler:innen, Queen Games.