Montag, 21. Oktober 2024

Intarsia

Intarsia: Cover

Hätte ich mir jetzt mit Gewalt eine Einleitung ausgedacht, sie wäre mit Sicherheit hölzern geworden.

Wie geht INTARSIA? INTARSIA ist ein Legespiel mit besonders schönen Holzornamenten. Alle Ornamentteile kosten entsprechend ihrer aufsteigenden Wertigkeit eine, zwei, drei oder vier Karten derselben Farbe. Der Clou des Spiels ist, dass ich direkt nach dem Bauen neue Karten meiner Wahl nehmen darf, allerdings eine weniger, als das Teil gekostet hat, und in einer anderen Farbe. Mit jedem Bau treffe ich also auch schon eine Festlegung für kommende Bauaktivitäten.

Intarsia: Tableau

Es gibt natürlich Legeregeln (alles muss aneinandergrenzen, Ornamente müssen von außen nach innen gebaut werden), aber weniger diese Vorgaben schränken mich ein, sondern mehr meine Kartenhand. Ich muss zielgerichtet sammeln, um die nötige Kartenmenge einer Farbe zusammenzubekommen; ein allzu buntes Blatt will ich vermeiden.
Jede Bauaktion kostet mich unter dem Strich eine Karte. Kombiniere ich meine Karten gut, kann ich mit meinen zehn Karten pro Runde zehnmal bauen. Muss ich auf den Notbehelf zurückgreifen, eine fehlende Farbkarte durch zwei beliebige andere zu ersetzen, werde ich einmal weniger bauen. Denn kostet etwas nominell drei Karten, erhalte ich trotzdem nur zwei neue, selbst wenn ich vier oder mehr Karten eingesetzt habe.
Niemand würde ein Parkett verlegen, gäbe es keine Punkte dafür. Also gibt es Punkte: Die Zwischenwertungen belohnen, dass ich mich auf meiner Legefläche ausbreite, die Schlusswertung, dass ich mich auf wenige Ornamente konzentriere und sie komplettiere. Zwischen diesen beiden Extremen liegt die dritte Wertungsmöglichkeit: „Werkzeugplättchen“.
Solche Plättchen enthalte ich, wenn ich einen bestimmten Baufortschritt als Erster oder Zweiter erreiche, beispielsweise soll ich zwei rote Ornamente begonnen oder bei drei gelben Ornamenten schon mindestens bis zum zweiten Teil gekommen sein. Bereits gesammelte Plättchen punkten erneut, sobald ich ein weiteres mit demselben Werkzeugsymbol erhalte.

Intarsia: Werkzeuge

Es wäre also naheliegend, immer auf Plättchen der Sorten abzuzielen, die ich schon besitze. Aber genau das ist nicht so einfach, weil ich jedes Plättchen eines Werkzeug-Sets mit einer andere Baufarbe gewinne. Während also Zwischen- und Endwertung sture Zielgerichtetheit belohnen, erfordern die Werkzeuge Flexibilität.

Was passiert? INTARSIA hat einen klaren Rhythmus. Ich baue, ich nehme Karten, und vielleicht werte ich dann noch. Wegen des Wettrennens auf die Werkzeugplättchen beobachte ich auch die Baufortschritte der anderen, um nicht versehentlich Ziele anzupeilen, die andere voraussichtlich schneller erreichen. Oder um mich zwischen zwei Baumöglichkeiten für die dringendere zu entscheiden. Mit schwindenden Baukarten verringern sich meine Möglichkeiten aber. Oft ist schon für mehrere Züge klar, welche Kombination ich spiele und welche Karten ich mir dann nehmen werde und was ich dann spiele.

Intarsia: Karten

Sachte durchbrochen wird dieses Schema durch einen Rondellmechanismus. Baue ich für vier Karten, darf ich mir nicht irgendwelche drei Karten nehmen, sondern ziehe mit der gemeinsamen Figur einen oder zwei Schritte auf dem Rondell weiter. Das erreichte Feld bestimmt, welche drei Karten ich nun bekomme. Hier das Passende zu erwischen, erfordert Timing – sofern mir Timing möglich ist. Irgendwann muss ich meine Viererkombination nun mal spielen, selbst wenn es gerade nicht so gut passt. Der gemeinsam gesteuerte Spielstein auf dem Rondell ist ein winziger Chaosfaktor in diesem ansonsten nahezu zufallsfreien Spiel.

Was taugt es? Positiv ist mir aufgefallen, dass in INTARSIA höchst unterschiedliche und auch extreme Strategien zum Erfolg führen können. Allerdings erlebe ich wenig Spannung dabei, diese Strategien zu spielen. Egal, ob ich auf maximale Ausbreitung oder vollendete Ornamente spiele: Es fühlt sich immer schematisch an, INTARSIA verläuft gleichförmig und höhepunktarm. Damit kommt es tatsächlichem Parkettbauen vermutlich näher als AZUL dem tatsächlichen Fliesenlegen.
Letztendlich spielt das Thema nur eine untergeordnete Rolle. INTARSIA ist auf Unvollkommenheit angelegt, niemand wird sein Parkett bis zum Spielende auch nur annähernd fertigbauen. Das ist auch gar nicht das Ziel. Mit dem hübschen Material unternehmen wir wenig. Wir legen es lediglich auf exakt vorgegebene Orte des eigenen Spieltableaus. Denn die schönen Holzteile sind nur Anzeiger. Man hätte das Spielkonzept auch wesentlich weniger aufwendig umsetzen können, beispielsweise mit Pyramidenebenen.
Natürlich ist es in dieser Umsetzung viel schöner. Und vielleicht stand die Idee dahinter, ein Erfolgsrezept zu wiederholen: Nachdem uns Michael Kiesling in AZUL mit sehr hübsch gestalteten Kunststoffteilen Wände fliesen ließ, sind nun und mit wunderbaren Holzteilen die Fußböden an der Reihe.
Mechanisch haben AZUL und INTARSIA aber nicht viel gemeinsam. Und auch der Spielreiz klafft auseinander. In AZUL wäge ich ab, bin hin- und hergerissen, spekuliere und hoffe. In INTARSIA plane ich eher emotionslos vor mich hin. Ich spiele meinen Stiefel runter.


*** mäßig

INTARSIA von Michael Kiesling für zwei bis vier Spieler:innen, Deep Print Games / Pegasus Spiele.

Mittwoch, 16. Oktober 2024

MFG

MFG: Cover

TMLAADGEKE.

Wie geht MFG? Wir merken uns (genauer: wir versuchen es!) umschreibende Buchstaben-Abkürzungen zu verschiedenen Objekten. In der ersten Spielphase erhalten wir reihum ein Bildplättchen und drei Buchstaben zugeteilt. Vielleicht zeigt mein Bild einen Koffer, und die geforderte Buchstabenkombination lautet EZU. Jetzt muss ich einen Drei-Wort-Slogan mit exakt diesen Anfangsbuchstaben ersinnen, der gut den Koffer beschreibt. Ich sage zum Beispiel: „Enthält zwei Unterhosen“ (oder „Einpacken, zuklappen, Urlaub“ etc.), und Bild- und Buchstabenplättchen werden nun gemeinsam gewendet.
Das machen wir zwölfmal. In der zweiten Spielphase geht es dann ums Auflösen. Ein zufällig bestimmtes Bildplättchen decken wir auf, und jede:r notiert geheim die zugehörige Buchstabenkombination oder das, was davon in Erinnerung geblieben ist. Für jeden korrekten Buchstaben an der korrekten Stelle erhalte ich einen Punkt. Und auch das machen wir zwölfmal nacheinander.

Was passiert? Die erste Spielphase ist der lustigere Teil. Man freut sich über die originellen Umschreibungen der anderen. Wir dürfen uns auch ausdrücklich gegenseitig helfen; wir sind gemeinsam kreativ.

MFG: Auswertung

Das anregende Brainstorming mündet dann abrupt in eine Klassenarbeit. Alle brüten hinter ihren Sichtschirmen. Zusammenarbeit oder Abschreiben sind verboten. Und am Ende haben immer dieselben eine Eins.
Es ist nun mal so: Manche Spieler:innen konzentrieren sich mehr oder haben das bessere Kurzzeitgedächtnis, andere weniger. Ich habe MFG in manchen Spielgruppen (an verschiedenen Tagen) mehrfach mit denselben Personen gespielt, und der Ausgang war mit nur geringen Abweichungen immer identisch.


MFG: Bilder

Was taugt es? Spielt man MFG wegen der Punkte, ist es also etwas langweilig. Die Platzierung ist vorhersagbar. Aber MFG bietet noch andere Spielanreize: Es sind die überraschenden Assoziationen und dazu die freudigen Erfolgserlebnisse, die man immer wieder hat, wenn man sich wider Erwarten doch an einiges mehr erinnert, als zuvor geglaubt.
Ob das funktioniert, hängt von der Qualität der Umschreibungen ab. Meiner Erfahrung nach wird etwas Bildhaftes wie „Enthält zwei Unterhosen“ wesentlich häufiger geraten als bloße Aufzählungen wie „Erfurt, Zwickau, Unna“.
Für den Spielspaß tut sich die Gruppe also einen Gefallen, wenn sie sich in der Kreativphase Mühe gibt. (Wobei ich als Powergamer natürlich hinterfragen könnte, wozu ich das tun soll. Nachdem „Erfurt, Zwickau, Unna“ vorgeschlagen wurde, könnte ich die bessere Alternative „Enthält zwei Unterhosen“ zum eigenen Vorteil stillschweigend für mich behalten. Mache ich aber nicht.)

MFG: Buchstaben

Was Anforderungen und Emotionen angeht, ähnelt MFG ESELSBRÜCKE, das ebenfalls von Stefan Dorra und Ralf zur Linde stammt. In ESELSBRÜCKE wurden Bildplättchen zu einer Geschichte verknüpft, was manchen Personen schwerfiel (weshalb arg kurze Geschichten entstanden), anderen wiederum große Freude bereitete (weshalb arg lange Geschichten entstanden). MFG komprimiert und kanalisiert den Kreativteil.
Obwohl auch ESELSBRÜCKE einige Nachteile mit sich herumschleppte, halte ich es für das stärkere Spiel, erstens weil die Auswertungsphase spielerischer ist. Und zweitens weil die oft abstrusen Geschichten noch mehr als die Abkürzungen haften geblieben sind. Ich habe aus den Partien etwas mitgenommen, das Spielen hat mich bereichert. Diesen Aspekt gibt es auch an MFG, aber er ist weniger deutlich.


**** solide

MFG von Stefan Dorra und Ralf zur Linde für zwei bis sechs Spieler:innen, Schmidt.

Freitag, 11. Oktober 2024

Vor 20 Jahren (142): Fairy Tale

Fairy Tale: Cover

In ihrer Oktober-Ausgabe 2004 veröffentlichte die Fairplay einen Artikel von mir über die Spieleszenen in Japan und Südkorea. Auf das Thema war ich nicht selbst gestoßen, sondern jemand hatte es mir vorgeschlagen und mich gelockt mit der Aussicht, Kontakte zu Interviewpartner:innen vermitteln zu können. Das würde also gar nicht so aufwendig sein. Hieß es. Wie sich später herausstellte, wussten die vermeintlichen Interviewpartner:innen noch gar nichts von ihrem Glück. Und einige hatten auch kein Interesse, sich mit mir auszutauschen.

Aber vielleicht gar nicht schlecht. So musste ich von Beginn an selbst recherchieren und fand sehr hilfsbereite Interviewpartner:innen aus Japan, Südkorea und Deutschland. Die innerdeutschen Interviews führte ich am Telefon, die anderen per Mail, was auf der Gegenseite sehr viel Zeit und sehr viel Geduld erforderte, weil es ganz viel zu schreiben gab – und dann nicht mal in der Landessprache (sondern in etwas, von dem ich hoffte, es sei Englisch). Deshalb auch 20 Jahre später noch einmal meinen herzlichen Dank für die großartige Unterstützung! Es war mir eine Ehre.

Doch offenbar galt das auch umgekehrt. Auf der Messe in Essen strömten überraschend viele Japaner:innen und Südkoreaner:innen an den Fairplay-Stand, um das Heft zu kaufen, das sie sicherlich gar nicht lesen konnten. Einer meiner japanischen Interviewpartner kam in Begleitung eines Verlegers. Und der wiederum überreichte mir als Geschenk ein Spiel. Und wer die Überschrift dieses Posts gelesen hat, ahnt schon, welches es gewesen sein könnte: FAIRY TALE von Satoshi Nakamura.

Ein Geschenk zu erhalten, war ohnehin schon eine tolle Geste. Hinzu kam: Das Spiel entpuppte sich als mein Messe-Highlight! Eine absolute Überraschung, die – zumindest für mich – wie aus heiterem Himmel gekommen war.


Fairy Tale: Karten

FAIRY TALE ist ein frühes Draftingspiel. In vier Runden will ich eine punkteträchtige Auslage (mein Märchen) erschaffen. In jeder Runde erdrafte ich mir fünf Karten, drei davon spiele ich. Manche Karten haben Ausspieleffekte und greifen zeitgleich gespielte Karten an oder blocken sie ab; manche verlangen als Preis, dass ich Karten in meiner Auslage verdecke und somit neutralisiere; manche lassen mich Karten wieder aufdecken. Karten zu verdecken, muss übrigens gar nicht immer schlecht sein. Denn manche zählen Minuspunkte. Ich spiele sie nur wegen des starken Soforteffekts. Aus meinem Märchen möchte ich sie dann bei Gelegenheit rausstreichen.

Die verdeckte Kartenweitergabe war im Jahr 2004 noch ein sehr ungewöhnlicher Mechanismus. FAIRY TALE war originell und innovativ. Und wegen der Grafiken, der japanischen Schriftzeichen und der sehr plakativen englischen Kurzanweisungen auf den Karten war es auch exotisch. Wegen dieser Qualitäten ist FAIRY TALE für mich herausragend. Die Kombination mit dem Erinnerungswert macht FAIRY TALE obendrein zu einem Spiel, das selbst bei einer möglichen Sammlungsverkleinerung niemals zur Disposition stehen wird.


Mittwoch, 9. Oktober 2024

Pixies

Pixies: Cover

Pixies sind kleine Fabelwesen. Vermutlich ist deshalb auch die Schachtel von PIXIES so winzig. Und die Einleitung zu PIXIES so kurz.

Wie geht PIXIES? Wir konkurrieren um die wertvollste Kartenauslage. Karten gibt es in vier Farben und mit Punktwerten von eins bis neun. Diese Punkte bekomme ich jedoch nur dann, wenn die Karte in meiner Auslage auf einer anderen liegt (die sich dann „Waldboden“ nennt). Unabhängig von vorhandener oder fehlender Unterlage zählt jede Karte zudem einen negativen oder positiven Punktwert entsprechend ihrer Symbole (Spiralen plus, Kreuze minus). Und ich punkte für die größte zusammenhängende Gruppe einer Farbe.
In jeder Runde werden so viele Karten aufgedeckt, wie Personen mitspielen. Reihum (und mit wechselnder Startperson) wählen wir eine der Karten. Wohin ich sie dann lege, ist vorgegeben: Jede:r baut ein Raster aus drei mal drei Karten. In die oberste Zeile gehören die Werte eins bis drei, dann vier bis sechs, in der dritten Zeile sieben bis neun. Ich muss nicht angrenzend legen. Geht ja manchmal auch nicht.
Wenn ich dieselbe Zahl ein zweites Mal bekomme, beispielsweise eine zweite Sechs, entscheide ich, welche der beiden Sechsen ich nun zu Waldboden kompostiere und welche Sechs oben liegt. Bekomme ich eine dritte Sechs, muss sie Waldboden werden, und zwar an einer beliebigen leeren Stelle meines Rasters.
Eine Runde endet, sobald jemand sein gesamtes Raster mit offenen Karten oder Waldboden belegt hat. Nach demselben Schema spielen wir drei Runden. Die größte zusammenhängende Gruppe einer Farbe zählt von Runde zu Runde pro Karte mehr Punkte, wird also zunehmend wichtiger.


Pixies: Kartenraster

Was passiert? Ich habe mal mehr, mal weniger Auswahl. Sitze ich in der Reihenfolge ganz hinten, muss ich nehmen, was man mir lässt. Sitze ich vorn, kann ich mit Berechtigung auf eine gute Karte hoffen. Was sich aber nicht immer erfüllt. Manchmal decke ich halt nur Mist auf. Umgekehrt bekomme ich als Letzter manchmal genau das, was ich haben wollte.
Der Auswahlprozess ist nicht trivial. Weil die Karten dreifach gewertet werden, sind viele von ihnen nicht einfach nur gut oder nur schlecht. Die grüne Sechs, die wegen ihrer Symbole vier Minuspunkte bringt, ist die schlechteste Sechs, die es gibt. Man könnte mit einer anderen Sechs – sogar einer grünen – auch einen Pluspunkt bekommen. Aber vielleicht nehme ich die miese Sechs trotzdem, weil sie meine grünen Gebiete verbindet. Ob die bessere Sechs jemals auftaucht und ob ich sie bekomme, weiß ich ja nicht.
Auch das Legen ergibt sich nicht immer von selbst. Bekomme ich eine Zahl zum dritten Mal und muss sie also als Waldboden verwenden, könnte ich diesen – sofern noch frei – auf den Platz der Neun legen. Bekomme ich später eine Neun, bedeutet das, sie zählt schöne neun Punkte. Aber es bedeutet auch: Ich habe bei der Neun keine Wahl mehr. Wenn ich eine bekomme, gehört sie auf diesen Waldboden. Schöner wär’s – theoretisch –, erst mal eine Neun ohne Unterlage zu legen und bei der zweiten Neun entscheiden zu können, welche von beiden Waldboden werden und welche oben liegen soll. Aber Neunen sind selten. Dass ich zwei bekomme, ist deshalb ebenfalls selten.
Ich kann mich beim Sammeln wahlweise mehr auf Symbolpunkte, mehr auf Kartenwerte mit Waldboden oder (vor allem in späteren Runden) mehr auf Farbflächen konzentrieren. Letztendlich gilt es, alles zu beachten und alles unter einen Hut zu bringen. Und letztlich bin ich natürlich sowieso immer davon abhängig, was mir die Kartenauswahl ermöglicht und was nicht.


Pixies: Karten

Was taugt es? PIXIES kommt in meinen Runden überdurchschnittlich gut an, was sicherlich auch an der Grafik liegt. PIXIES benötigt keine Vorbereitung, man ist ständig involviert und trifft Entscheidungen. Für den stationären Fachhandel ist die hübsche kleine Schachtel, die man mal eben so mitnehmen kann und in der ein Spiel steckt, das man guten Gewissens empfehlen darf, sicher ein Treffer.
Nach so viel Positivem stellt sich die Frage, warum ich PIXIES trotzdem nur als solide empfinde. Ein Manko ist die langwierige Abrechnung am Ende jeder Runde, bei der immer wieder Fehler passieren und bei der ich schon einigen Mitspieler:innen helfen musste. Hilfreich wäre ein Schreibblock gewesen, aber weil die umfangreiche Addition viel Platz erfordert, hätte der nicht in die Schachtel gepasst.
Trotzdem ist das nichts, was mir PIXIES verleidet. Das Spiel macht nichts falsch, es gefällt mir durchaus, ich spiele gerne mit. Nur glaube ich eben nicht, dass ich es langfristig spielen werde. PIXIES hat für mich keinen speziellen Kniff, mit dem ich mich dauerhaft auseinandersetzen möchte, es weckt keine Emotionen, die ich wieder und wieder erleben wollte. Warum das so ist, lässt sich schwer mit klaren Argumenten belegen. Es ist halt so, und es ist natürlich auch Geschmackssache. Die Spielidee ist in meinen Augen in Ordnung, aber nicht herausragend.


**** solide

PIXIES von Johannes Goupy für zwei bis fünf Spieler:innen, Pegasus Spiele.

Dienstag, 1. Oktober 2024

Path of Civilization

Path of Civilization: Cover

Manche sagen, vorm Essen soll man nichts trinken. Für mich gilt: Vor Essen soll man keine Einleitung schreiben.

Wie geht PATH OF CIVILIZATION? Wir spielen Zivilisationen. Jede startet mit denselben fünf Technologien (Karten). Jede Runde verwende ich vier dieser Karten, um entweder farbige Marker zu generieren oder um auf fünf Farbskalen zu klettern. Die fünfte Karte lege ich für den Rest des Spiels ab.
In der nächsten Runde besitze ich trotzdem wieder fünf Karten, denn gegen Ende jeder Runde kaufe ich eine neue und bezahle mit Skalenschritten: für eine grüne Karte (Kultur) mit Schritten auf der grünen Skala, für eine gelbe (Wissenschaft) mit Schritten auf der gelben und so weiter. Je mehr Schritte ich bezahle, desto mehr Punkte zählt die gekaufte Karte und (vor allem) desto mehr Marker oder Skalenschritte wird sie mir bei ihrer zukünftigen Verwendung einbringen.

Path of Civilization: Karten

Meine Marker setze ich ein, um aus einem variablen Vorrat Anführer- (kosten violette Marker) oder Wunderkarten (kosten graue Marker) zu kaufen. Auch hier gilt: Je mehr irgendwas kostet, desto mehr kann es. Anführer:innen bringen – grob gesagt – Dauereffekte, die solange gelten, bis ich eine neue Anführer:in installiere. Wunder bringen Marker, Skalenschritte und Punkte.
Die meisten Runden enden mit einem Stärkevergleich. Viermal im Spiel vergleichen wir unsere militärische Stärke: Zu meiner Grundstärke addiere ich meine angesammelten roten Marker (die dann verloren gehen). Je nach Abschneiden gewinne ich Prämien. Aber niemandem wird, obwohl sich das Prozedere „Schlacht“ nennt, etwas zerstört oder weggenommen.
Und viermal im Spiel vergleichen wir, wer von einer bestimmten Symbolsorte auf seinen Karten wie viele besitzt. Hierbei werden gelbe Marker addiert. Eine Formel bestimmt dann meine Belohnung. Geht es etwa um die Herausforderung „Xuanzang-Übersetzung“, ergibt die Summe aus Kultursymbolen und gelben Würfeln meinen Punkteertrag, und für jeden zweiten Punkt bekomme ich zudem einen Skalenfortschritt bei Wissenschaft.


Path of Civilization: Tableau

Was passiert? Es kommt in PATH OF CIVILIZATION oft auf Kleinigkeiten an. Bei der Xuanzang-Übersetzung wäre es schöner, einen geraden Punktwert zu erreichen, sonst geht mir ein halber Skalenfortschritt durch die Lappen.
Und auf den Skalen will ich möglichst die Werte vier, sieben oder zehn erreichen. Denn so viel kosten die Technologien der Stufe zwei, drei und vier. Bei einem Stand von sechs zu kaufen, wäre suboptimal. Die bessere Karte habe ich haarscharf verfehlt. Und ich müsste nun über längere Zeit Skalenschritte sammeln, um mir überhaupt mal wieder eine konkurrenzfähige Karte dieser Farbe kaufen zu können. Und im Vergleich zur besseren Karte habe ich nun eine, die mir Runde für Runde einen Marker oder Skalenschritt weniger einbringt.
Da sich vieles in PATH OF CIVILAZATION vorab ausrechnen lässt, rechnet es, wer will, eben aus. Viele Dinge können wir parallel erledigen; so entstehen zum Glück keine langen Wartezeiten. Doch bei der Skalen- und Klötzchen-Optimiererei zum punktgenauen Erreichen bestimmter Schwellenwerte kommt nie das Gefühl auf, ein Thema zu spielen. Zwar sind die Karten nach historischen Personen, Ereignissen oder Bauwerken benannt, doch bleiben sie abstrakt und austauschbar. Der Zusammenhang zwischen Fähigkeit und Name der Karte ist üblicherweise sehr gering.
Auch was sich „Kultur“ oder „Wissenschaft“ oder „Spiritualität“ nennt, ist nur irgendeine von mehreren Währungen, die sich von den anderen Währungen hauptsächlich durch eine andere Farbe unterscheidet. Obwohl man zunehmend mehr Marker und mehr Skalenschritte gewinnt, hat man nicht den Eindruck, eine geschichtliche Entwicklung zu erleben.


Path of Civilization: Rundenvergleich

Was taugt es? PATH OF CIVILIZATION wirkt wie der Versuch, ein ohnehin schon sehr abstrahiertes Zivilisationsspiel wie THROUGH THE AGES stark zu vereinfachen und damit noch weiter zu abstrahieren. Das Thema ist dabei nahezu komplett verloren gegangen und existiert überwiegend in den Benennungen und Bildern.
Auf der Schachtelrückseite prahlt der Verlag noch sehr damit, wie aufregend und bedeutend sein Spiel doch sei. In der Anleitung klingt das dann gleich viel nüchterner: „PATH OF CIVILIZATION ist ein Nationenverwaltungsspiel, bei dem die Spieler darum kämpfen, die meisten Siegpunkte zu erzielen.“ Das trifft es ziemlich gut, wobei mir vor allem der Begriff „Verwaltungsspiel“ gefällt.
Die Anleitung als solche ist übrigens sehr gut, sehr klar, sehr detailliert, und obwohl die Symbolik wirklich gelungen ist, überlässt der Verlag nichts dem Zufall (also den Interpretationen der Spielenden), sondern spendiert jeder einzelnen Karte eine ausführliche Erläuterung. Diesen Service wünschte ich mir in allen Spielen.
Die Mechaniken von PATH OF CIVILIZATION sind durchaus schlüssig und elegant. Mir gefällt auch, dass jede Partie eine etwas andere Ausrichtung und Gewichtung hat, weil immer nur ein zufälliger Teil aller Karten enthalten ist. Was dem Spiel jedoch sehr fehlt, ist eine Seele.


*** mäßig

PATH OF CIVILIZATION von Fabien Gridel für eine:n bis fünf Spieler:innen, Captain Games.

Montag, 30. September 2024

Gern gespielt im September 2024

ENDEAVOR – DIE TIEFSEE: „… wird euch an Orte führen, die bisher unerreichbar schienen“, steht auf der Schachtelrückseite. Welche das sind, glaube ich, inzwischen herausgefunden zu haben. Wie ich hingelange, noch nicht so ganz.

FARAWAY: Das Feld von hinten aufrollen.

KRONOLOGIC – PARIS 1920: Mordfälle ohne Gärtner:innen? Reichlich mysteriös.

DUNGEON DESIGNER: Held:innen, bitte Schuhe abtreten! Dies ist ein Design-Dungeon!

DOMINION RISING SUN: Zugegeben, eine Erweiterung, die mir nicht sonderlich imponiert. Aber darum geht es nicht. DOMINION-Erweiterungen sind der beste Vorwand, um DOMINION-Partien vor mir selbst als „Ausprobieren von Neuheiten“ zu rechtfertigen. Allein das macht sie toll, toll, toll.



UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM SEPTEMBER:

BOMB BUSTERS: Bombastischer Kabelsalat.







Sonntag, 22. September 2024

Spielejahrgang 2023/24:
Was vom Jahrgang übrig bleibt
Teil 3: Spiele für Kennerinnen und Kenner

Meiner Erfahrung nach lohnt es sich für mich am wenigsten, Spiele mit sehr vielen Regeln aufzubewahren. Denn irgendwann habe ich das meiste vergessen, selbst wenn ich es aktuell aus dem Effeff herunterrattern könnte. Falls in irgendeiner Zukunft jemand vorschlägt: „Wir könnten doch mal wieder XY spielen!“, sind vergessene Regeln eine große Hemmschwelle, um XY dann tatsächlich zu spielen. Insofern sind fünf übrig bleibende Spiele in dieser Kategorie ziemlich viel (und sprechen für die Stärke des Jahrgangs in diesem Segment). Und nicht zufällig sind es keine totalen Schwergewichte.


Die Gilde der fahrenden Händler Cover

DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER: Nach wie vor meine ich, dass DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER etwas unter dem Radar fliegt. Hoffentlich hat sich das durch die Nominierung für die Wahl zum Kennerspiel des Jahres geändert. Das Spiel hätte es verdient. Genauer gesagt hätte es meiner Meinung nach sogar noch mehr verdient, nämlich eine verbesserte Neuauflage. Aber vermutlich gibt es dafür in absehbarer Zeit gar keine Zielgruppe. Wer das Spiel haben möchte, hat es in der jetzigen Version gekauft. Und trotz schlechter Handhabung ist das Spiel ja schon sehr gut. Nur: Wie gut könnte es sein, wenn … ach.


e-Mission Cover

E-MISSION: Vor einem Jahr schrieb ich zu ATIWA: „Wir leben in der Klimakatastrophe, aber den meisten Spielen merkt man dies nicht an.“ Es ist, als sei mein Wehklagen erhört worden. In Form von E-MISSION, das die Klimakatastrophe und ihre Bekämpfung zum Hauptthema macht. Also zu dem, was es meiner Meinung nach auch in der realen Welt sein sollte: Hauptthema!!! Ich dachte bislang ja, ob Mittelalter oder Weltraum: Spielethemen sind mir egal. Inzwischen wird mir immer klarer: Wenn die Wahl nur zwischen Mittelalter oder Weltraum besteht, bin ich tatsächlich leidenschaftslos. Gut gewählte Spielthemen aber sind mir überhaupt nicht egal!


Mischwald Cover

MISCHWALD: Und da bin ich auch schon beim Thema. Dem Thema Thema nämlich. Auch in MISCHWALD ist das Thema äußerst gut gewählt. Indem wir heimische Tiere und Pflanzen ausspielen, die wir kennen oder von denen wir zumindest schon gehört haben, ist der emotionale Bezug zum eigenen Tun viel höher als in einer ausgedachten Welt oder abstrakten Spielumgebung.
Vieles ist thematisch obendrein absolut schlüssig: Dass etwa Kröten und Beeren unten am Boden und Vögel in die Baumkronen gespielt werden, dass Füchse für Hasen punkten oder Wölfe für Rehe. So und nicht anders hätte man das auch erwartet. Und das Spiel löst es genauso ein. Hinzu kommt die großartige Grafik – und alles zusammen ergibt ein absolutes Wohlfühlspiel.


Botanicus Cover

BOTANICUS: BOTANICUS gewinnt mit jeder Partie. Insbesondere wenn man das Basisspiel hinter sich gelassen hat und in die Variante für Profis einsteigt. Ich sehe ja ein, dass es sinnvoll ist, mit einer vereinfachten Version zu beginnen. Wenn ich Spiele erlerne, bin ich auch immer froh, mir nicht so viel Neues auf einmal merken zu müssen. Unglücklich finde ich an BOTANICUS trotzdem, dass das – aus meiner Sicht – eigentliche Spiel als „Variante“ deklariert wird. Für mich wäre das abgespeckte Basisspiel die Variante. Denn meiner Meinung nach ist es schlechter ausbalanciert. Und darüber könnte man in einer „Lern-Variante“ doch viel besser hinwegsehen als im „Basisspiel“.


Bier Pioniere Cover

BIER PIONIERE: Wie man sieht, müssen es gar nicht immer Pflanzen sein, um mich zu begeistern. Wobei: Ist Bier nicht so etwas wie flüssige Pflanzen?
Als Personaleinsatzspiel ist die Grundlage von BIER PIONIERE erst mal recht herkömmlich. Allerdings sind es gerade die abweichenden feinen Kniffe, die in BIER PIONIERE noch mehr aus dem Mechanismus herausholen. Und auch das Thema wirkt nicht beliebig draufgeklatscht, sondern wesentlich. Das Weiterdrehen des Brauanzeigers kann man sich gut als Gärungsprozess vorstellen. BIER PIONIERE ist überdies ein konstruktives Spiel, es erzählt Erfolgsgeschichten. Als Gesamtpaket finde ich das außerordentlich rund.


Dienstag, 17. September 2024

Spielejahrgang 2023/24:
Was vom Jahrgang übrig bleibt
Teil 2: Spiele für alle

Genauer gesagt müsste die Überschrift lauten: Spiele für vermeintlich alle. Eine MAU-MAU-Variante, zwei Partyspiele … Man müsste meinen, das sei niedrigschwellig. Entspricht aber gar nicht so sehr meiner Praxiserfahrung. Was schade ist, denn ich finde alle diese Spiele toll.


Passt nicht Cover

PASST NICHT: Nicht niedrigschwellig? Nein, jedenfalls nicht total niedrigschwellig. Meiner Beobachtung nach tut es PASST NICHT sehr gut, wenn jemand am Tisch sitzt, der weiß oder schnell erfasst, wie der Hase läuft bzw. wie er laufen soll. Trotz einfachster Regeln passieren so manche Fehler, und vor allem spielen viele Leute PASST NICHT so, wie sie MAU MAU spielen würden: nämlich immer auf den Stapel, nur weg mit den Handkarten! So bringen sie sich um den Witz des Spiels, erfahren nicht die Gemeinheiten und den damit verbundenen Spaß.
Ich habe mehrfach gehört, PASST NICHT sei das beste Kartenspiel der Saison (und tatsächlich ist das auch meine Meinung). Aber das sagten keine MAU-MAU-Spieler:innen (die natürlich auch gar nicht über so etwas wie Jahrgänge nachdenken), sondern Expert:innen aus der Szene. Hoffentlich kommen auch die MAU-MAU-Spieler:innen auf den Dreh!


The Same Game Cover

THE SAME GAME: Partyspiele gelten ja immer als niedrigschwellig. Weil: Party. Aber: Stimmt nicht. Es ist mir in manchen Gruppen nicht leichtgefallen, Menschen die Idee von THE SAME GAME begreiflich zu machen. Und es gab auch Gruppen, die schlicht daran scheiterten, sich brauchbare Begriffe auszudenken oder in eine Diskussion darüber zu kommen. Und dabei sind die entstehenden Diskussionen gerade das, was THE SAME GAME so besonders und manche Partien unvergesslich macht.
Und trotz vieler positiven Erlebnisse bemerke auch ich bei mir eine gewisse Hemmschwelle, weil ich weiß, dass mit der Begriffsfindung vor dem spaßigen Teil erst mal etwas recht Anstrengendes kommt. (Rezension in: spielbox 7-23.)


Ghost Writer Cover

GHOST WRITER: GHOST WRITER spielt sich unfallfreier – außer natürlich, wenn Mitspieler:innen beim Ratebegriff „Kaktus“ und der Frage „Zu welcher Kategorie von Objekten gehört es?“ mit KAKTEEN antworten.
Was die Diskussionen in THE SAME GAME sind, sind in GHOST WRITER die Mutmaßungen; vor allem, wenn man mal wieder zu früh „Stopp!“ (oder „Silencio!“) gerufen hat, weil man sich aufgrund von ein paar Buchstaben schon auf der richtigen Fährte wähnte. Selten tappt man so schön im Dunkeln wie bei GHOST WRITER. (Rezension in: spielbox 5-23.)


Tipperary Cover

TIPPERARY: Auf öffentlichen Spieletreffen tauchen manchmal Menschen auf, deren aktuellste Spielerfahrung aus ROMMÉ besteht. Sie spielen gern, kennen aber die Spiele und die Spielkonzepte der vergangenen 25 Jahre nicht, wollen etwas kennenlernen und … sind überfordert. Ich weiß dann: Hier wird nichts funktionieren, wenn ich nicht die komplette Zeit danebensitze und anleite. Aus einer solchen Situation rettete mich einst TIPPERARY. Drei Neulinge, die zuvor an einem anderen (vermeintlich leichteren) Spiel gescheitert waren, hatten sich TIPPERARY ausgesucht, und ich dachte: Oha! Doch dann zeigte sich mal wieder, welch innere Logik Legespiele haben. Legeaufgaben sind intuitiv. Und weil die Informationen für alle offen sind, können – sofern nötig und gewollt – auch alle helfen. Die Gruppe von Neulingen spielte gleicht drei Partien hintereinander, ohne dass ich noch viel eingreifen musste. Seitdem schätze ich TIPPERARY noch mehr. Vermutlich ist es von den vier hier genannten Spielen tatsächlich das zugänglichste.


Samstag, 14. September 2024

Spielejahrgang 2023/24:
Was vom Jahrgang übrig bleibt
Teil 1: Spiele für mich

Im Vorjahr stachen für mich acht Spiele so sehr aus dem Jahrgang heraus (was ich quälend über Teil 1 und 2 und 3 bis Teil 4 ausdehnte), dass ich meinen raren Stauraum für sie hergeben wollte. Und das kam mir viel vor. Doch in diesem Jahr sind es mehr! Aber warum bloß? Habe ich extern Regalfläche angemietet? Ist der Jahrgang so stark? Werde ich altersmilde? Rückt die Rente näher und ich sorge vor? Da soll sich jede:r selbst einen Reim drauf machen. Los geht es mit meinen beiden Top-Favoriten.


Sky Team Cover

SKY TEAM: Alle paar Jahre (und auch wirklich nicht häufiger und schon gar nicht jedes Jahr) gibt es ein Spiel, bei dem ich denke: Wow! Meistens sind das Spiele, die ich als sehr originell empfinde. Spiele, deren Spielgefühl sich von anderen Spielen deutlich unterscheidet. Spiele, die sich als weitere Evolutionsstufe des Brettspielens herauskristallisieren könnten.
Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet ein Spiel zum Thema Fliegen (bzw. Landen) dieses Wow-Gefühl in mir auslösen kann. Denn ich fliege nicht gern, und Fliegen finde ich generell doof (Landen allerdings finde ich wiederum sehr gut). Als es hieß, dass ein Flugzeug-Spiel namens SKY TEAM erscheinen würde, hatte ich keine besonderen Erwartungen. Es dauerte aber nur exakt zwei Partien, um meine Zurückhaltung in Euphorie zu verwandeln. Die Partie nach der Einstiegspartie deutete bereits an, wie spannend es sein würde, all die Szenarien kennenzulernen, und wie herausfordernd, sie zu meistern.


GWT Neuseeland Cover

GREAT WESTERN TRAIL NEUSEELAND: Mehr Material, mehr Regeln, mehr Details als das Originalspiel (sicherheitshalber: GREAT WESTERN TRAIL) – und trotzdem fühlt es sich elegant und leicht an.
Dieselbe Wow-Originalität wie SKY TEAM besitzt GREAT WESTERN TRAIL NEUSEELAND als reine Variante eines bewährten Spielsystems natürlich nicht; soll es auch nicht. So wie eine gelungene Erweiterung ist es ein Angebot, ein Spiel, das man sehr mag, noch mal auf etwas andere Weise zu spielen. Und in diesem Fall und wenn man mich fragt: auf so gelungene Weise, dass ich NEUSEELAND momentan lieber spiele als das Grundspiel; etwa so gern wie das Grundspiel plus die Erweiterung RAILS TO THE NORTH. Oder sogar noch ein bisschen lieber.
An RAILS TO THE NORTH erinnert GREAT WESTERN TRAIL NEUSEELAND auch. Zusätzlich sind zwei Elemente im Spiel, die noch mehr Abwechslung bereiten: neben den Personal- eine weitere Sorte Plättchen und neben den Schaf- eine weitere Sorte Karten. Vor allem sie haben es mir angetan, weil sie die Deckbau-Aspekte in GREAT WESTERN TRAIL ein bisschen intensivieren. Und mit Deckbau kriegt man mich immer!
GREAT WESTERN TRAIL setzt auf Möglichkeiten statt auf Probleme. Und schafft damit das tolle Problem, sich zwischen all diesen Möglichkeiten entscheiden zu müssen. (Rezension in: spielbox 6/23.)


Dienstag, 10. September 2024

Vor 20 Jahren (141): Das Zepter von Zavandor

Das Zepter von Zavandor Cover

„Diesen Zug habe ich jetzt nicht verstanden!“ Der Satz hat sich bei mir eingebrannt. Gemeint war mein Zug. Die Begebenheit mag locker dreißig Jahre her sein. Und ich weiß auch gar nicht mehr, um welches Spiel es ging. Aber ich weiß noch, wer es sagte und in welcher öffentlichen Spielerunde. Nach meiner Erinnerung war die Person noch gar nicht richtig zur Tür hereingekommen, meinte aber trotzdem, nach zwei Sekunden und aus drei Metern Entfernung die Situation auf unserem Spieltisch mit Kennerblick erfassen und bewerten zu können.

Muss ich erwähnen, dass das nicht mein Lieblingsmitspieler war? Genauer gesagt: einer von zwei Nicht-Lieblingsmitspielern in dieser Runde. Auf öffentlichen Treffs kann man sich das leider nicht immer aussuchen. Und so geriet ich eben ab und zu auch an einen dieser beiden (schon etwas älteren) Herren, die gerne heraushängen ließen, wie viele Epochen der Geschichte des Brettspiels sie seit Erfindung der Knochenwürfel als Zeitzeugen miterlebt hatten.

Lediglich mit aktuelleren Titeln kannten sie sich nicht so gut aus. Machte aber nichts, denn die alten Spiele waren ja sowieso viel besser. Und so musste ich in dieser Runde umständehalber ab und zu vermeintliche Perlen aus den Achtzigern mitspielen, die ich schon zu ihrer Zeit nicht abgefeiert hätte. Außerdem waren wir ja bereits in den Neunzigern.

Mit DAS ZEPTER VON ZAVANDOR aus den Nuller-Jahren hat das erst mal gar nichts zu tun, außer dass ich in genau dieser besagten Runde zum ersten und bislang einzigen Mal OUTPOST (James Hlavaty und Timothy Moore, 1991) spielte, das – soweit ich weiß (und bei Boardgamegeek steht’s auch) – die Basis für DAS ZEPTER VON ZAVANDOR (Jens Drögemüller, 2004) bildete. Weil besagte Mitspieler OUTPOST kannten und offenbar gut fanden, nahm ich bis kurz vor dem Schreiben dieses Artikels irrtümlich an, OUTPOST müsse ebenfalls ein Werk aus den glorreichen Achtzigern sein.

Einer, der zu spät gekommen war und nicht mitspielte, sich aber gerne als Kiebitz danebensetzte, um mir zu erklären, wie man OUTPOST üblicherweise spielen sollte, sagte, es gebe nur zwei Strategien. Gemäß seinen Weisungen versuchte ich mich an einer der beiden. Aber anscheinend verbockte ich es. Auch wenn ich mich an Details der Partie nicht erinnere: Dass ich nicht gewonnen habe, weiß ich sicher.

Kleiner Zeitsprung zu DAS ZEPTER VON ZAVANDOR: Als es bei dessen Erscheinen hieß, das Spiel sei an OUTPOST angelehnt, war ich sofort interessiert. Denn OUTPOST hatte ich vom Grundprinzip her eigentlich ganz reizvoll gefunden. Und ich fand die Vorstellung sogar noch viel reizvoller, mir das Spiel in aller Ruhe selbst anzueignen und mir mein eigenes Urteil zu bilden, ob es zwei Strategien gab oder sonst wie viele. DAS ZEPTER VON ZAVANDOR habe ich oft und gerne gespielt; von den OUTPOST-Spezialisten war da niemand mehr dabei. Was vielleicht in einem Zusammenhang steht.

Nachdem ich bislang nur meine Befindlichkeiten ausgebreitet (danke fürs Zuhören!) und nahezu nichts über DAS ZEPTER VON ZAVANDOR geschrieben habe, will ich aus Chronistenpflicht zumindest ergänzen, dass es beim Deutschen Spielepreis 2005 den 9. Platz belegte. Auf den Autor Jens Drögemüller komme ich noch zeitnah zurück. Die Folgen 237 (TERRA MYSTICA) und 299 (GAIA PROJECT) sind bereits reserviert.


Freitag, 6. September 2024

Pirates of Maracaibo

Pirates of Maracaibo Cover

Einleitung über Bord!

Wie geht PIRATES OF MARACAIBO? Wir fahren mit unseren Schiffen über ein Meer aus Karten. Pro Zug darf ich maximal drei Karten (Felder) weit fahren. Am erreichten Ort führe ich die dort vorgesehene Aktion aus. Zum Beispiel zahle ich Geld, um die ersegelte Karte nehmen zu dürfen. Sie bringt mir einen Sofort- oder einen Dauereffekt. Eine Karte vom gemischten Stapel füllt die entstandene Lücke.
Aktionen können bewirken, dass meine Landfigur auf dem Inselpfad vorwärtsläuft, auf dem erreichten Feld Belohnungen kassiert und am Schluss Punkte entsprechend ihres Vorankommens zählt. Ein anderes Spielkonzept sind Schätze. Bei manchen Aktionen darf ich versuchen, mit drei Würfeln Schätze zu ergattern. Einen der geworfenen Würfel suche ich mir aus. Dessen Würfelpunkte setze ich für verschiedene Belohnungen ein. Wähle ich die Belohnung „Schatz“ (kostet fünf Würfelpunkte), bekomme ich einen Schatz in der Farbe des Würfels. Mit einer späteren Aktion kann ich den Schatz vergraben, wodurch er mehr Punkte zählt und eventuell noch einen Zusatznutzen auslöst.

Pirates of Maracaibo Spielplan

Ein weiteres Konzept sind Quest-Karten. Auch die bekomme ich über Aktionen, und sie definieren Ziele. Habe ich die am Schluss erreicht, gewinne ich Punkte. Außerdem gibt es Residenzen. Das sind Felder im Kartenmeer, zu denen ich segle, um für eine ganze Stange Geld eine zusätzliche Schlusswertung für mich freizuschalten.
Und es gibt das Konzept der Schiffsverbesserung: Auf einigen Meeresfeldern (und teilweise auch auf andere Art) darf ich auf meinem Papptableau, das einen Schiffsrumpf darstellt, ein Upgrade markieren. Das können Einmaleffekte sein. Oder auch Dauereffekte wie zum Beispiel: Wenn ich auf dem Inselpfad gehe, gehe ich ein Feld mehr. Oder beim Würfeln bekomme ich schon für drei Augen einen Schatz.

Was passiert? Trotz des Seeraub-Themas, bei dem man Elemente wie … na ja, zum Beispiel Raub erwarten würde, setzt PIRATES OF MARACAIBO auf Engine Building und Wettlauf und ist damit ein sehr konstruktives Spiel. Jeder Zug bringt mich voran, die Frage ist nur, wie sehr.

Pirates of Maracaibo Schiff

Ist zu Beginn der Partie noch mehr Geldmanagement erforderlich (für teurere Aktionen reicht das Vermögen nicht), ändert sich dies mit wachsendem Einkommen und Reichtum. Immer mehr geht es ums Zeitmanagement. Jeder der drei Durchgänge endet, sobald das schnellste Schiff das Meer komplett durchsegelt hat. Ob insgesamt mehr oder weniger Züge zur Verfügung stehen, hängt also von den Spieler:innen ab. Der entstehende Druck zwingt dazu, sich bei all den verlockenden Optionen auf das Wichtigste zu fokussieren.
Der Meeres-Spielplan wird zu Beginn (nach bestimmten Regeln) zufällig ausgelegt. Im Laufe der Partie ergeben sich anhand der von mir eingeschlagenen Strategie bestimmte Wege, die ich bevorzugt befahre, weil ich dort die gewünschten Aktionen bekomme. Das kann ich noch verstärken, indem ich auf manchen Feldern Plättchen ablege, die mir einen zusätzlichen Nutzen bringen, sobald ich sie ansteuere. Andererseits bleibt das Spielfeld auch immer dynamisch, weil manche Karten herausgekauft und durch andere ersetzt werden.

Was taugt es? Teilweise hadere ich mit PIRATES OF MARACAIBO, vor allem, was die gewählte Symbolsprache angeht. Immer wieder musste ich in der Anleitung nachschlagen, um wirklich sicherzugehen, ob etwas so gemeint ist, wie ich es mir gemerkt hatte, oder so, wie ich es intuitiv verstehen würde. Und wenn ich das Spiel in eine neue Runde mitbrachte, scheiterten meine Mitspieler:innen regelmäßig an genau denselben Stellen.

Pirates of Maracaibo Insel

Ich glaube auch, dass dem Spiel etwas Entschlackung geholfen hätte. Zum Beispiel: Der Wert der Schätze bemisst sich daran, wie viele davon am Schluss noch auf den Meeresinseln liegen. Deshalb muss man einen gewonnenen Schatz immer von einer Insel nehmen. Erst dann funktioniert der Widerspruch: Je mehr Schätze einer Sorte genommen werden, desto geringer ihr Wert. Das Problem ist: Schätze von der Insel zu nehmen, muss man sich antrainieren. Denn automatisch nimmt fast jede:r aus dem Bankvorrat, und teilweise lässt sich die regelkonforme Spielsituation hinterher nicht mehr rekonstruieren.
In der Schlusswertung werden dann sehr große Punktemengen aufsummiert. Das Dreifache oder Vierfache dessen, was man während der Partie sammelt. Ja, ich weiß, auch andere Spiele, zum Beispiel das von mir so sehr geschätzte GREAT WESTERN TRAIL, kennen diese Schlussaddition mit Punkten und Pünktchen aus diversen Quellen. Und dort stört es mich nicht. Vielleicht liegt es am Aufschreibblock, den ich übersichtlicher finde als diverse Umrundungen einer Punkteskala. Oder an den niedrigeren Punktesummen. Es mag meine Faulheit sein: Aber wenn es über 200 oder gar 300 hinausgeht, finde ich die Addition unnötig mühsam. Zumal auch viel Kleckerkram dabei ist.
Schön finde ich den Spielverlauf. Nachdem es recht lange dauert, alles aufzubauen und die vielen Details von PIRATES OF MARACAIBO zu erklären, hat das Spiel selbst dann einen flotten Rhythmus. Die Züge sind nicht kompliziert und meistens schnell abgewickelt. Und vor allem sind sie spannend. Eben weil ich so vieles machen wollen würde – mich aber beschränken muss, um mich nicht zu verzetteln.

Pirates of Maracaibo Karten

PIRATES OF MARACAIBO ist variabel, weil nicht immer dieselben Karten im Spiel sind und nicht immer dieselben nachgefüllt werden. Der Spielplan ist modular. Es gibt etliche Möglichkeiten, um Punkte zu sammeln, und in seinen Grundzügen ist das Spiel obendrein unkompliziert. Lediglich in den absehbar letzten Zügen fangen manche dann doch noch an zu optimieren, und rechnen länger herum, ob es besser wäre, eine Karte mit Symbol XY zu bekommen, weil irgendeine ihrer Schlusswertungen das belohnt. Andererseits brauchen sie auch einen grünen Schatz, um für eine Quest-Karte ein paar Punkte mehr zu erhalten, und wenn es zudem gelingt, die grünen Schätze noch aufzuwerten … und so weiter.
Auch wenn mir eine inhaltliche Klammer fehlt und ich es etwas schade finde, dass wir in PIRATES OF MARACAIBO eigentlich nur Zeugs anhäufen, um es anzuhäufen, macht es mir doch viel Spaß, das Spiel zu erkunden und zu erfahren, wie extrem man bestimmte Strategien spielen kann. Über etliche Partien hinweg bleibt PIRATES OF MARACAIBO interessant. Wenn jemand es spielen will: Ich bin dabei!
Rein auf den Spielreiz bezogen, hatte ich auch das Label „reizvoll“ erwogen. Ich entscheide mich dennoch für „solide“, weil ich das Spiel als nicht gut umgesetzt und redaktionell nicht rund empfinde. Zu viele Begleiterscheinungen stellen Hindernisse in den Weg.


**** solide

PIRATES OF MARACAIBO von Alexander Pfister, Ryan Hendrickson und Ralph Bienert für eine:n bis vier Spieler:innen, dlp games / Game’s Up.