Vorsicht, raue Sitten! Mitspielenden kann in diesem Spiel die Zunge herausgeschnitten werden. Was übrigens nach hinten losgeht, wenn es die Person trifft, die als Einzige die Regeln kennt (ist leider trotzdem passiert). Oder gar die Person, die mir die Einleitung diktieren sollte ...
Wie geht FEED THE KRAKEN? Wir sind die Crew eines Schiffes, trotzdem sind wir kein Team. Die Loyalen wollen das Schiff tendenziell Richtung Osten segeln. Und sobald es eines der blauen Zielfelder erreicht, gewinnen sie. Die Pirat:innen wollen das Schiff auf eines der westlichen, roten Felder navigieren. Und dann gibt es noch den Kultisten, der das mittlere, gelbe Zielfeld anpeilt oder alternativ dem Kraken, dem das Schiff unterwegs begegnet, geopfert werden möchte. Die Rollen wurden geheim zugelost; nur die Pirat:innen kennen einander von Beginn an.
Zunächst zufällig ist irgendwer Kapitän und bestimmt Leutnant und Navigator. In einer geheimen Abstimmung dürfen nun alle Crewmitglieder, indem sie Pistolenmarker einsetzen, gegen diese Postenvergabe rebellieren. Bei Erfolg übernimmt ein anderer Kapitän das Amt und verteilt die Rollen neu. Irgendwann setzt sich – spätestens mangels Pistolen – ein Vorschlag durch. Der Kapitän zieht nun zwei Richtungskarten, die das Schiff (vereinfacht gesagt) nach Westen, Osten oder geradeaus fahren lassen, wählt eine aus, schmeißt die andere verdeckt ab. Dasselbe tut der Leutnant. Die zwei so ausgewählten Karten gehen (gemischt) an den Navigator, der eine davon abwirft. Und die übrig gebliebene Karte bestimmt nun den Kurs.
Dieser Ablauf wiederholt sich, bis ein Team die Siegbedingung erreicht. Allerdings ist es noch um einiges verwickelter. Beispielsweise bewirkt jede gewählte Richtungskarte neben dem Segeln einen weiteren Effekt, etwa, dass der Kapitän betrunken ist und sein Amt abgeben muss oder dass der Kultist eins der Crewmitglieder geheim auf seine Seite zieht. Auch manche der erreichten Seefelder haben einen Effekt. Deren wichtigster: Auf dem Krakenfeld bestimmt der Kapitän ein Crewmitglied, das geopfert wird.
Was passiert? Ich habe Partien erlebt, in denen recht wenig verdächtigt, aufgehetzt, gelogen oder überhaupt geredet wurde – und das genaue Gegenteil. Man könnte nun sagen, da sei die Gruppe selbst schuld, wenn sie diese Möglichkeit nicht nutzt; allerdings habe ich den Verdacht, dass zum Teil auch FEED THE KRAKEN schuld ist. Denn für ein Social-Deduction-Spiel enthält es ziemlich viele Kleinregelungen, die vom Palavern und Deduzieren abhalten.
Die guten Partien, vor allem in geübten Runden, sind so gut, dass es trotz der vielen Regeln kaum rumpelt. Das Spielgeschehen ist in der Welt der Seefahrt sehr passend angesiedelt. Die Thematik erklärt und konkretisiert Abläufe und lässt eine nachvollziehbare Handlung erleben. Im Verbund mit der Ausstattung wird das Piratenthema bestens transportiert.
Und so passiert das, was in Social-Deduction-Spielen passieren soll: Man belauert einander, man bangt, nicht enttarnt zu werden, man legt falsche Fährten, man täuscht oder lässt sich täuschen. Das ist spannend bis zum allerletzten Zug.
Selbst wenn ein Schiff schon weit in eine Richtung gesegelt ist, kann sich dies wieder ausgleichen, weil die zum Segeln verwendete Karten nicht wieder eingemischt werden. Die Wahrscheinlichkeiten verschieben sich zugunsten der bislang nicht so erfolgreichen Fraktion.
So manches Social-Deduction-Spiel hat das Problem, dass manche Beteiligte unbeteiligt bleiben. Zum Beispiel kann man bei DIE WERWÖLFE VON DÜSTERWALD gleich zu Beginn ausscheiden, oder bei TEMPEL DES SCHRECKENS veranstalten zwei, drei Personen ein Karten-Ping-Pong. Ich nehme an, in FEED THE KRAKEN sollte Passivität vermieden werden, und deswegen bekommt hier jede:r noch eine mehr oder weniger hilfreiche Sonderfähigkeit, deswegen wird dauernd abgestimmt, deswegen werden Amtsinhaber:innen schnell amtsmüde und dürfen in der Folgerunde nicht wieder einen Job übernehmen. Aber all das bringt eben auch viele Kleinregeln ins Spiel. Die sich zu den diversen Klein- und Ausnahmeregeln addieren, die sich ohnehin noch an anderer Stelle befinden. Selbst das vereinfachte Einstiegsspiel beinhaltet noch arg viele Details, die das Spiel hemmen, wenn man nicht gerade ein:n Moderator:in am Tisch hat.
Was taugt es? Aufgrund der überwiegend tollen und lustigen Partien wäre ich bei der nächsten wieder dabei. Neben dem generellen Kitzel geheimer Identitäten und Komplotte tragen gerade das stimmige Setting und das Flair der Ausstattung zu einem besonderen Erlebnis bei.
Andererseits muss ich einräumen: FEED THE KRAKEN folgt der Struktur anderer Spiele dieses Genres; mechanisch sehe ich wenig Neues. Es gibt überdies einfachere Spiele, die schneller auf den Punkt kommen und trotzdem ähnliche Emotionen kreieren.
Dichter und spannender fand ich meine Partien in kleinerer Runde (bis etwa acht Personen). In noch größeren Gruppen passiert es nach meiner Beobachtung dann doch häufiger, dass manche sich nicht so richtig einbringen können. Es gibt dann auch ganz praktische Schwierigkeiten: wenn etwa alle elf Personen unfallfrei ihre Hand zur Tischmitte ausstrecken und die Augen schließen müssen, damit der Kultist geheim Pistolenmarker erst vom Vorrat nehmen und dann verteilen kann, ohne sich durch Geräusche oder ungewollte Berührungen zu verraten.
Als Besitzer der Volksausgabe von FEED THE KRAKEN stört mich obendrein, dass die Anleitung das Spiel anhand des Materials der Luxusausgabe erklärt und ich mir herleiten muss, was für meine Version gilt.
***** reizvoll
FEED THE KRAKEN von Maikel Cheney, Tobias Immich, Hans Höh für fünf bis elf Spieler:innen, Funtails.