Stille Einleitungen sind tief.
Wie geht ENDEAVOR – DIE TIEFSEE? Wir erforschen das Meer. Ein paar Zonen der oberen Ebenen sind von Beginn an bekannt. Die tieferen Ebenen sind komplett unbekannt.
Ich kann nur in den Zonen agieren, in dem sich aktuell eins meiner U-Boote befindet. Am Anfang habe ich nur ein Boot, es können bis zu drei werden.
Vier Skalen auf meinem Tableau geben meine Fähigkeiten an. In jeder der sechs Runden rekrutiere ich zuerst ein zusätzliches Crew-Mitglied, und meine Skala „Ansehen“ bestimmt, ob ich (wie bei Spielbeginn) nur ein Mitglied der Stufe 1 oder (später) auch eines der Stufen 2 bis 5 wählen darf, die stärker sind.
Die meisten Crewmitglieder bringen ein Figuren-Einsetzfeld mit. In der Aktionsphase setze ich Scheiben auf diese Felder, um die zugehörigen Aktionen zu aktivieren. Wie viele Scheiben ich pro Runde neu bekomme und wie viele ich von den Crewmitgliedern zurückholen darf (um damit auch das Feld wieder freizuräumen) hängt von meinen Skalen „Motivation“ und „Organisation“ ab.
Die vierte Skala schließlich („Genialität“) besagt, wie weit mein U-Boot fahren und wie tief es tauchen darf.
Es gibt nur fünf mögliche Aktionen. Eine lässt mich mein U-Boot bewegen, eine ein neues Spielplanteil entdecken, und allen Aktionen ist gemeinsam, dass sie mir Ressourcen wie etwa zusätzliche Scheiben und / oder Fortschritte auf den Skalen bringen.
Für viele Aktionen muss ich Scheiben in den Ozean einsetzen, was einerseits nachteilig ist, weil ich sie von dort nie mehr zurückbekomme, andererseits und überwiegend aber vorteilhaft, denn diese Scheiben können später noch ein Einkommen bringen und vor allem zählen sie bei der Schlusswertung oft Punkte.
Was passiert? ENDEAVOR – DIE TIEFSEE fängt recht unspektakulär an. In der ersten Runde besitze ich nur drei Scheiben; damit komme ich nicht weit. Die erste Runde ist also schnell vorbei. Zumal alle Aktionen schnell abgewickelt sind.
Bald aber besitze ich mehr Scheiben und mehr Crewmitglieder und somit mehr Einsetzfelder. Meine Möglichkeiten wachsen, es kommt zunehmend auf das Timing und auf die Reihenfolge an, in der ich meine Aktionen abwickle. Weil es Wettrennen um Schätze („Tauchplättchen“) und ein Gerangel um Mehrheiten der Ozeanscheiben gibt, reagiere ich auf die Aktionen meiner Mitspieler:innen.
Falls ich reagieren kann. Das hängt natürlich davon ab, ob meine Crewmitglieder mir die Aktionen ermöglichen, auf die es nun ankommt. Weil man das vielleicht nicht im Voraus durchblickt, kann sich herausstellen, dass man eine unpassende Crew ausgewählt oder die falschen Einsetzfelder freigeräumt hat.
ENDEAVOR – DIE TIEFSEE ist ein Spiel ohne große Zufallsfaktoren. Obwohl das Spiel konstruktiv angelegt ist und jede:r sich eine Engine aufbaut, die irgendwie ins Laufen kommt, gibt es eben doch bedeutsame Unterschiede, wie gut und wie schnell das funktioniert. Ich habe es mehr als nur einmal erlebt, dass sich eine Schere zwischen Arm und Reich auftat und auch absehbar war, dass sie sich nicht mehr schließen würde.
Also muss ich mich korrigieren: ENDEAVOR – DIE TIEFSEE fängt nur scheinbar unspektakulär an. Tatsächlich zählt jede Entscheidung. Es gilt, die passende Crew auszuwählen, das Meer und seine Möglichkeiten im Blick zu behalten, schneller zu sein und anderen Spieler:innen Dinge wegzuschnappen und Aktionen so zu optimieren, dass es auf den Skalen effektiv vorangeht. Dort verbessere ich mich nicht mit jedem Schritt, sondern abschnittsweise beim Überschreiten bestimmter Marken. Also will ich nicht wahllos irgendwo vorwärtslaufen, sondern gezielt dort, wo ich realistischerweise noch in derselben Runde etwas freizuschalten hoffe.
Was taugt es? ENDEAVOR – DIE TIEFSEE beruht auf MAGISTER NAVIS. Die Grundstruktur beider Spiele ist gleich. ENDEAVOR – DIE TIEFSEE hat das deutlich schönere Thema (Meeresforschung statt Kolonialismus), alle aggressiven Elemente des Originals wurden entfernt. ENDEAVOR – DIE TIEFSEE legt mehr Fokus auf Entdeckungen und auf Variabilität. Viele Meereszonen bringen kleine Mini-Regeln mit, das Spiel enthält acht unterschiedliche Szenarios mit Varianten für Aufbau und Endwertung. Alles lässt sich als Alternative auch kooperativ spielen.
Die Szenarios ändern das Spiel nicht von Grund auf, müssen sie aber auch nicht. Für den Wiederspielreiz macht es tatsächlich einen Unterschied, zu wissen: Da ist noch was, das wir noch nicht ausprobiert haben.
Redaktionell finde ich das Spiel sehr gut gemacht. Es entstehen keine Fragen, die Anleitung und die Symbolsprache sind klar, alles sieht ansprechend aus und ist trotzdem funktionell.
In Relation zur Spieltiefe kommt ENDEAVOR – DIE TIEFSEE mit relativ wenigen Regeln und Spielprinzipien aus. Es ist komplex, ohne kompliziert zu sein. Dadurch fühlt es sich sehr elegant an.
Es ist also ein rundum gelungenes Spiel, und ich habe über die Vergabe des Labels „außerordentlich“ nachgedacht, mich aber, wie man sieht, dagegen entschieden. Dafür empfinde ich beim Spielen dann doch nicht genug Spannung oder Reibung. Das Spiel fließt, alles ist schön und stimmig und klar. Aber eben auch gut berechenbar und erwartbar. Bei mir weckt das nicht die ganz besondere Emotion, auf deren Wiedererleben ich ständig hinfiebere.
***** reizvoll
ENDEAVOR – DIE TIEFSEE von Carl de Visser und Jarratt Gray für eine:n bis vier Spieler:innen, Frosted Games / Board Game Circus.