Achtung, Spoiler: Diese Rezension enthält Spoiler.
Wie geht THE RISE OF QUEENSDALE? Es ist ein Legacy-Spiel. Wer nicht weiß, was das ist, möge bitte bei CHARTERSTONE nachlesen. In QUEENSDALE hat jeder Spieler fünf Würfel und darf sie entsprechend der erwürfelten Symbole einsetzen: entweder um Rohstoffe zu holen oder um Aktionen auszulösen.
Im Großen und Ganzen gibt es drei Wege, um an Siegpunkte zu gelangen: 1. Häuser bauen. Das kostet Rohstoffe. Häuser bringen diverse Vorteile und man nimmt sie mit in alle weiteren Partien. 2. Stimmung erhöhen. Aufstiege auf der Stimmungs-Skala bringen Siegpunkte und Rohstoffe. Welche und wie viele Rohstoffe es sind, bestimmen die „Produktionsgebäude“. Wer in Stimmung investieren möchte, sollte also solche Gebäude bauen. 3. Kräuter sammeln. Per Aktion rennt die eigene Kundschafter-Figur übers Spielbrett, um verdeckt liegende Kräuterplättchen zu erreichen und einzusammeln. Man erhält, was auf der Rückseite der Plättchen abgebildet ist. Für jede Kräutersorte, die man aufsammeln möchte, muss man allerdings erst mal (und in jeder Partie neu) die zugehörige Kräuterhütte errichten. Auch die Kräuterstrategie lässt sich durch bestimmte Häuser dauerhaft unterstützen.
Die erste Partie endet bei zehn Siegpunkten. Der Gewinner steigt um ein Level auf. Das bedeutet: Ab jetzt muss er 16 Punkte erreichen. Das klingt unmöglich, ist es aber nicht, da in Level 2 manche Errungenschaften mehr Punkte bringen als noch in Level 1.
So spielt man sich durch die Level, und wer das neunte siegreich beendet, ist Gesamtsieger. (Zu dritt war das bei uns nach 13, zu zweit nach 16 Partien der Fall. Zu viert dauert es mutmaßlich am längsten.)
Die Nicht-Gewinner erhalten Siegel: eine Währung, um Würfel-Aufkleber zu kaufen, die die Würfel verbessern.
Erreicht ein Spieler ein zuvor von noch niemandem erreichtes Level wird das Spiel durch neue Regeln und Gebäude erweitert. Ist dies nicht der Fall (weil beispielsweise in der zweiten Partie zwei weitere Spieler in Level 2 aufsteigen, aber niemand in Level 3), initiieren „Geschichtenkarten“ für die nächste Partie eine zusätzliche Aufgabe. Auf diese Weise gibt es nie Leerlauf. Und auch durch diese Aufgaben können sich Regeln dauerhaft verändern.
Was passiert? THE RISE OF QUEENSDALE fühlt sich – zumindest in den ersten zwei Dritteln – sehr gut an. Ereigniskarten, Kräuterplättchen und Würfelergebnisse bringen Überraschungen und Emotionen. Pausen entstehen nur, wenn diverse Regelsticker herauszusuchen und in die Anleitung zu kleben sind. Der Verlag hat die Sticker auf so wenige Bögen wie möglich gequetscht, was sicherlich Kosten gespart hat, beim Spielen jedoch nervt.
Ansonsten ist alles wunderbar im Fluss. Kaum eine Entscheidung dauert länger, Partien sind meist in unter einer Stunde abgewickelt, im Regelfall spielt man mehrere am Stück. THE RISE OF QUEENSDALE ist episch wie eine Fernsehserie, die immer weiter und weiter und weiter geht. Nicht jede einzelne Folge bringt gigantische Höhepunkte, aber das Schöne ist eben, dass es nicht aufhört und sich anders als übliche Spiele in aller Ruhe entwickeln und Umwege nehmen darf.
Auf das, was kommt, kann man sich trotz nebulöser Vorankündigungen nur mittelmäßig gut vorbereiten. Man muss es hinnehmen und das Beste daraus machen. Man kann sich Strategien überlegen, lebt aber in der Ungewissheit, ob kommende Ereignisse diese Strategien behindern oder gar zerstören werden.
Dass auch viel Glück im Spiel ist, zeigt dieses Erlebnis: Ein Ereignis verfügte, dass mit den Kräutersammlern Brücken aufgesucht werden sollen. Wer dort ankam, durfte sich eine Belohnung aussuchen. Ein Mitspieler stand schon auf der Brücke und wählte zwei Siegpunkte. Aufgrund seines Berufes bekam er sogar drei: drei von zehn Punkten also, ohne einen Finger zu krümmen. Natürlich wären auch alle anderen Spieler gerne zu den Brücken geeilt, doch: Es gab keine Gelegenheit mehr. Schon einen Spielzug später kam ein neues Ereignis und hob das alte auf.
Apropos Beruf: Die Charakterentwicklung (fast nicht vorhanden) und die Geschichte (so nett sie auch geschrieben ist) gehören sicher nicht zu den Stärken von QUEENSDALE. Die Geschichte wirkt auf mich zwar weniger peinlich als die in CHARTERSTONE, sie belästigt die Spieler auch nicht mit Pseudo-Entscheidungen, dennoch ist es eine typisch austauschbare Eurogame-Geschichte, die in einer typisch austauschbaren Eurogame-Mittelalter-Welt spielt. Das Spiel braucht die Geschichte nicht, sie ist nur das Gewand.
Es sind andere Qualitäten, die die Spieler in QUEENSDALE bei der Stange halten: der gute Flow, das epische Erlebnis, das Gefühl, schön langsam etwas wachsen zu sehen, der interessante Würfelmechanismus. Am allerbesten gefällt mir das (trotz DICE FORGE noch längst nicht verbrauchte) Element, seine Würfel individuell gestalten zu können. Man hat Trost-Siegel bekommen, geht in den Krämerladen und kauft sich eine schöne neue Würfelseite. Ob man sie je würfelt, steht auf einem anderen Blatt. Aber es ist toll, sie zu haben.
QUEENSDALE wirkt sehr durchdacht. Es ist dafür gesorgt, dass zurückliegende Spieler aufholen können, ohne dass es für die Führenden willkürlich wird. Es ist dafür gesorgt, dass immer etwas zu tun ist und immer ein bisschen was anderes. Es gibt Überraschungen und Gags. Und es ist sogar so viel vorbereitet, dass man in einer Kampagne nur einen Bruchteil dessen erleben wird. Irritierend viel Material wird verbraucht, manches kommt nie zum Einsatz, manche Optionen werden von den Spielern nie genutzt.
Nach meiner ersten Kampagne zu dritt hatte ich das Gefühl, einiges verpasst zu haben. Deshalb war ich sehr neugierig auf eine zweite Kampagne. Hier kamen einige Elemente mehr ins Spiel, trotzdem längst noch nicht alle. Zu meiner Beruhigung habe ich dennoch erfahren: Etwas zu verpassen, ist nicht schlimm. Alles, was muss, kommt garantiert; der Rest sind nur Kann-Optionen.
Was taugt es? Der Knackpunkt des Spiels kommt gegen Ende. Ich habe hier zwei Varianten erlebt, beide waren unbefriedigend.
Etwa in der Mitte der Partie beginnt eine böse Zeit mit Rückschritten und Einschränkungen. In meiner ersten Kampagne wurde der bis dahin führende Spieler als Folge der Geschehnisse über mehrere Partien fast komplett aus dem Spiel genommen. In meiner zweiten Kampagne ging alles friedlich vonstatten. Jetzt aber trudelte QUEENSDALE drei, vier Partien lang unspektakulär aus.
Normalerweise würde ich ein Spiel an dieser Stelle wieder und wieder testen. Denn nach zwei Erlebnissen kann ich schlichtweg nicht sagen: Ist das nur blöd gelaufen? Und vor allem: Hätte der so übel abgestrafte Spieler sich besser vorbereiten können / sollen / müssen, und dann wäre das nicht passiert?
Bei einem Legacy-Spiel stößt das Testen allerdings an Grenzen. Ich kann nur sagen: Es ist passiert. Und danach fühlte sich das Spiel nicht mehr so gut an wie vorher. Vorher aber war es gut.
***** reizvoll
THE RISE OF QUEENSDALE von Inka und Markus Brand für zwei bis vier Spieler, alea.