Donnerstag, 30. November 2017

Gern gespielt im November 2017

AZUL: Von führenden Websites empfohlen.


A FAKE ARTIST GOES TO NEW YORK: Das Spiel, das für sich selber wirbt. Es genügt, mit einem beliebigen der entstandenen Kunstwerke in der Luft zu wedeln – schon findet sich eine Gruppe, die das unbedingt spielen will.


KLONG: Stolpern im Stollen.


CODENAMES DUETT: Kuschelagenten haben sich endlich lieb.


ISTANBUL – DAS WÜRFELSPIEL: Der Onlinehandel ist allgegenwärtig. Um an seine wohlverdienten Klunker zu kommen, muss niemand mehr durch die Straßen wetzen.


RAJAS OF THE GANGES: Wenn ich jetzt noch wüsste, warum alle anderen Punkte- und Geldmarker magnetisch sind, die gelben jedoch nicht ...



Mittwoch, 29. November 2017

Berge des Wahnsinns

Lalala.
Wenn mir keine Einleitung einfällt, tippe ich meistens irgendeinen sinnlosen Platzhalter in der Hoffnung, dass mir bis zum Ende des Textes doch noch was eingefallen ist, um den Platzhalter zu ersetzen. Lalala. In diesem Fall jedoch ist der vermeintliche Platzhalter gar kein Platzhalter, lala. Und ich bin auch kein bisschen in meiner Kommunikation beeinträchtigt, lala, ich bin ganz normal. Ich finde nur, es sollte mehr gesungen werden. Allgemein und in unserer Situation. Lalala.


Wie geht BERGE DES WAHNSINNS? Wir sind wahnsinnig und wir werden immer wahnsinniger. Eine Karte gibt vor, wie ich mich in der Karten-Ausspiel-Phase zu verhalten habe. Beispielsweise muss ich dauernd unter den Tisch gucken, ob dort etwas ist, oder ich darf nicht mehr sprechen oder keine Zahlen sagen.
Egal was: Es wird mich mehr oder weniger behindern. Da wir kooperativ spielen und versuchen, innerhalb von 30 Sekunden Karten mit bestimmten Symbolen und bestimmten Punktesummen verdeckt auf einen Stapel zu legen, müssten wir uns eigentlich absprechen – was uns manchmal aber nicht recht gelingt. Ich darf auch nicht verraten, was genau mein Wahnsinn ist. Wie mit mir und meiner Macke umzugehen ist, müssen meine Mitspieler selbst herausfinden.
Gelingt es uns, mindestens eine der zwei bis drei Aufgaben zu erfüllen, erhalten wir eine Belohnung. Für jeden Fehlschlag werden wir bestraft. Mögliche Strafen sind eine Ausbreitung des Wahnsinns oder andere Dinge, die uns spieltechnisch einschränken und uns in letzter Konsequenz eine unserer „Anführermarken“ kosten. Haben wir alle sechs verloren, sind wir dem Untergang geweiht. Gelingt uns vorher die Flucht, entscheidet eine Punktwertung darüber, ob und wie gut wir gewonnen haben. Die Chance auf einen knappen Sieg besteht schon auf der kürzesten Route (zehn Felder mit zehn Aufgaben). Wer mehr Pluspunkte sammeln möchte, muss Umwege machen und erhöht damit sein Risiko, komplett zu scheitern.


Was passiert? Trotz banaler Aufgabenstellung warten alle Spieler sehr gespannt auf diese spezielle Karten-Ausspiel-Phase, weil sie überrascht werden wollen, wie sich die anderen benehmen. Können sie noch sinnvoll mitspielen? Sind sie komplett durchgedreht? Man freut sich drauf. Es wird etwas zu lachen geben.
Oft genug habe ich aber erlebt, dass der Wahnsinn dann doch nicht so lustig wird, wie man sich das vorher erhofft. Möglicherweise ist das ein Mentalitäts- oder Kulturproblem, doch: Viele Einschränkungen lassen sich ganz gut umgehen. Oder die Voraussetzungen treten nicht so oft ein, wie sich das der Autor offenbar ausgemalt hat. Oder die Kartenanweisungen sind unpräzise, und es bleibt dem Spieler überlassen, was er daraus macht.
Das Problem ist: Wir befinden uns in einem Spiel, bei dem es ums Gewinnen und Verlieren, um Leben und Tod geht. Und wir wollen natürlich gewinnen. Also geben wir uns dem Wahnsinn so wenig wie möglich hin. Lustiger wäre es wahrscheinlich, wollten wir uns einfach nur sinnfrei zum Affen machen. Doch darauf ist das Spiel nicht angelegt. Im Gegenteil fährt es Regeln auf, die das Geschehen und insbesondere den Einsatz der Anführermarken taktisch machen sollen.
Die Beschäftigung mit solchen Einzelheiten bremst das Spiel und lässt nicht den Flow entstehen, den es hier bräuchte. Außerdem ist die gestellte Aufgabe, solange die Spieler noch bei Verstand sind, uninteressant. Sofern die Karten passen, wird man das hinkriegen. Erst wenn die Karten nicht mehr passen, kommt schlimmerer Wahnsinn und damit Pfeffer ins Spiel. Doch zu diesem Zeitpunkt können schon etliche Runden gespielt sein.


Was taugt es? Spiele im Lovecraft-Universum gibt es viele, und natürlich werden die Spieler darin irgendwie wahnsinnig. Üblicherweise besteht der Wahnsinn darin, Strafchips zu erhalten oder auf einer Negativ-Skala voranzurücken, bis es nicht mehr geht und man verloren hat. Der Wahnsinn aber bleibt abstrakt. Die grandiose Idee von BERGE DES WAHNSINNS besteht nun darin, den Wahnsinn tatsächlich zu spielen.
Doch das Resultat ist enttäuschend. BERGE DES WAHNSINNS ist wie ein uneingelöstes Versprechen. Nach jeder Partie folgt das Erstaunen, warum das Spiel nicht so großartig war, wie es aussieht und wie es in der Phantasie hätte sein sollen.
Versuch einer Antwort: Weil die Elemente nicht harmonieren. Taktisches Optimieren und Spaß am Unsinn widersprechen und behindern einander. Der gespielte Wahnsinn wird durch Verwaltungsakte störend unterbrochen. BERGE DES WAHNSINNS enthält zu viele Regelschlenker, die das Spiel gar nicht braucht.


*** mäßig

BERGE DES WAHNSINNS von Rob Daviau für drei bis fünf Spieler, iello.

Donnerstag, 23. November 2017

Valeria – Königreich der Karten

Spielen bildet. Das bestätigt sich immer wieder. Auch ohne jedes Vorwissen über das Königreich Valeria und seine faszinierende Geschichte habe ich allein aufgrund meiner Spielerfahrung schon beim Öffnen der Schachtel geahnt, was in Valeria anliegt ... Könnte es sein, dass Valeria einen neuen Regenten braucht? Richtig vermutet. Valeria braucht einen neuen Regenten. Und wer wird es? Wieder richtig. Der mit den meisten Siegpunkten.

Wie geht VALERIA? Wer MACHI KORO kennt, kennt auch VALERIA. Die Spieler besitzen Bürgerkarten. Diese tragen Zahlen von 1 bis 12. Jede Runde wird mit zwei Würfeln gewürfelt. Jeder Würfel einzeln sowie beider Augensumme aktiviert alle Bürger mit entsprechenden Zahlen. Ein Fünferpasch aktiviert also zweimal alle Bürger mit der 5 sowie alle Bürger mit der 10. Bei sämtlichen Spielern.
„Aktivieren“ bedeutet, dass die Karten Erträge abwerfen: Gold oder Stärke oder Magie (=Joker für Gold oder Stärke). Im Regelfall sind die Erträge höher, wenn ich selbst gewürfelt habe, und niedriger bei einem Gegnerwurf. Manche Karten bringen feste Erträge, manche in Abhängigkeit anderer Karten, manche erst nach Abgabe bestimmter Ressourcen.
Wer am Zug ist, darf mit seinem Gold nun entweder weitere Bürger kaufen, um zukünftig noch mehr Erträge zu kassieren. Oder er kauft Gebiete, die Siegpunkte zählen und entweder einen Sofort- oder einen Dauereffekt bringen. Oder er setzt Stärke ein, um Monster zu erschlagen, die ebenfalls Siegpunkte zählen und dem Vollstrecker ihren Besitz an Gold und Magie vererben.
Am Spielende zählen neben Monstern und Gebieten die Symbole auf allen erworbenen Karten sowie die übrig behaltenen Ressourcen. Ob die Ressourcen im Verhältnis 2:1 oder 3:1 oder 4:1 punkten und welche Symbole erforderlich sind, bestimmt die Herzog-Karte des Spielers. Zu Spielbeginn durfte jeder unter zwei Herzögen einen auswählen.


Was passiert? VALERIA spielt sich unkompliziert und gradlinig. Es gibt keinen nennenswerten Rückschläge, alle Spieler werden reich und reicher. Weil immer drei Würfelergebnisse Rohstoffe ausschütten, geht der Kapitalisierungsprozess in VALERIA schneller als in MACHI KORO und begünstigt die Spieler tendenziell gleichmäßiger.
Der Kapitalisierungsprozess verläuft sogar irritierend schnell. In der zweiten Spielhälfte stehen Spieler vor der seltsamen Situation, 20, 30, 40 … Rohstoffe zu besitzen. So viele, dass sie in einem Zug gar nicht mehr ausgegeben werden können. Man kann jede oder fast jede der vorhandenen Karten kaufen, und plötzlich stockt VALERIA, weil ein Ehrgeizling erst mal durchrechnet, welche der vielen Karten aufgrund von Preis, Effekt und Symbolik die ökonomisch beste für ihn wäre.
Manchmal muss man ein bisschen taktieren, zum Beispiel indem man gezielt ein Monster erschlägt, um als Beute die entscheidenden zwei Gold zu kassieren, die noch fehlen, um sofort das teuerste Gebiet zu kaufen. Manchmal ärgert man sich, weil ein anderer die Wunschkarte wegschnappt. Trotzdem fehlt hier insgesamt der Pfeffer, der Druck, die Entscheidungsnot. VALERIA beschäftigt die Spieler, bleibt aber an der Oberfläche. Es fühlt sich an wie eines dieser Fantasy-Abenteuer, bei dem man in einen Dungeon ohne Rätsel, ohne Geheimnisse, ohne Widerstände rennt und einfach nur alles platt haut und sich die Taschen vollstopft.


Was taugt es? VALERIA fehlt die Raffinesse. Man hat zu tun, man hortet, man entwickelt sich. Doch währenddessen kreiert das Spiel keine besonderen Momente, es ist von Anfang bis Ende herkömmlich und unspektakulär.
Daran ändern auch die Szenarien nichts. Durch geänderte Startaufstellungen mit anderen Bürgern und anderen Monstern verlaufen die Partien mal goldlastiger, mal stärkelastiger, aber nicht interessanter.
Das muss man nicht komplett verdammen. Mal so richtig aus dem Vollen zu schöpfen, ist schließlich auch schön. Siehe MONOPOLY. Als leichte Unterhaltung im Fantasy-Genre ist VALERIA schon okay. Für jemanden, der viele Spiele kennt, hat VALERIA jedoch nichts, was man nicht anderswo schon besser gesehen hätte.


*** mäßig

VALERIA – KÖNIGREICH DER KARTEN von Isaias Vallejo für einen bis fünf Spieler, Schwerkraft.

Freitag, 17. November 2017

Vor 20 Jahren (52): Fairplay

Und jetzt kommt wieder der Onkel und erzählt von der guten alten Zeit.

Allerdings: So gut war die alte Zeit gar nicht. Zwar gab es schon Autos, elektrisches Licht und auch Farbfernsehen. Aber: kein verbreitetes Internet. Um vor 20 Jahren Neues über Spiele oder die Spieleszene zu erfahren, musste man Wochen oder gar Monate warten, bis die nächste Ausgabe der spielbox oder der Pöppel Revue erschien oder was man sonst so im Abo hatte.

Ich wartete am sehnlichsten auf die Fairplay. Die läppischen vier Erscheinungstermine hatte ich in meinem Jahreskalender weit im Voraus fett gekennzeichnet. Und wenn das Heft kam, las ich es meist noch am selben Tag komplett durch ... und wartete von vorn. Ein Elend. Es war so was von 90er.

Obwohl ich gerne über Spiele schreiben wollte, wäre ich niemals auf die absurde Idee gekommen, mich als Autor bei der Fairplay zu bewerben. Es wäre einfach zu lächerlich gewesen. Dort schrieben Autoren, die sich viel, viel besser auskannten als ich. Und es wäre aussichtslos gewesen. Der Fairplay-Autorenstamm war über Jahre konstant. Es gab keine Anzeichen, dass sie Verstärkung brauchten.

Und dann bewarb ich mich bei der Fairplay.

Häh?!

Okay, der Reihe nach: Wie neulich schon erzählt, hatte ich es geschafft, einen Artikel in die Spielerei zu schleusen. Jetzt hatte ich Blut geleckt. Auf der SPIEL ’97 suchte ich den Stand der Spielerei auf und stellte mich vor. Die Menschen dort waren sehr nett und ich konnte zwei weitere Rezensionsaufträge ergattern. Trotzdem wurde deutlich, dass sie nicht speziell auf Udo Bartsch gewartet hatten und ihr Heft auch ohne mich bestens vollkriegten.

Ein zweites Mal war ich geneigt, meine Kritikerkarriere frühzeitig als beendet anzusehen. In einem nihilistischen Akt trotzigen Aufbäumens schrieb ich dennoch einen Probeartikel und schickte ihn … ach, scheißegal … an die letzte und gewagteste Adresse, die mir einfiel.

Was dann vor genau 20 Jahren geschah, habe ich aus Anlass des Todes von Herbert Heller schon vor einem Jahr berichtet. Vollkommen wider Erwarten war die Fairplay an meiner Rezension interessiert. Es dauerte zwar noch Ewigkeiten, bis der Artikel erschien. Aber er erschien. Und fast wäre ich sehr zufrieden gewesen, wenn nicht … stopp! Es wird kaum auszuhalten sein, aber im Sinne der korrekten Chronologie spinne ich diesen Erzählfaden erst im April 2018 weiter.

Dienstag, 14. November 2017

Azul

Auf das erste mir bekannte Froschreiterspiel folgt das erste mir bekannte Fliesenlegerspiel. Man kann es nicht anders sagen: Die innovativsten Spielwelten kommen derzeit aus Hamburg-Harburg.

Wie geht AZUL? Wir kacheln. Ein bisschen weil es schön aussieht. Vor allem weil es Punkte zählt. Jede Kachel bringt beim Platzieren mindestens einen Punkt. Ist sie Teil einer senkrecht oder waagerecht zusammenhängenden Gruppe, punkten alle Fliesen dieser Gruppe mit. Es lohnt sich also, angrenzend zu legen.
Zu Beginn jedes Durchgangs werden fünf bis neun „Manufakturen“ mit je vier zufällig gezogenen Fliesen bestückt. In der Sammelphase müssen die Spieler reihum Fliesen nehmen: immer alle einer Farbe, entweder von einer Manufaktur oder aus der Tischmitte. Bis alles weg ist. Nimmt man von einer Manufaktur, werden die restlichen Fliesen von dort in die Mitte verschoben.
Es wird aber nicht gleich losgefliest, sondern erst mal nur vorsortiert. Links des zu fliesenden Rasters befinden sich auf den Spielertableaus fünf Sammelreihen, die eine bis fünf gleichfarbige Fliesen fassen. Alle Steine, die man erhält, muss man in dieselbe Reihe packen. Alle, die nicht reinpassen, zählen Minuspunkte.
Am Ende des Sammelns und Sortierens wird gefliest. Aus allen komplett gefüllten Sammelreihen wird ein Stein waagerecht ins Raster auf das Feld seiner Farbe verschoben. Die anderen Steine gehen zurück in den Vorrat. Nicht komplett gefüllte Sammelreihen bleiben für den nächsten Durchgang liegen.


Was passiert? Mein Bestreben: möglichst viele, aber nicht zu viele Fliesen bekommen, und dann auch noch die passenden Farben. Kann ich zwei oder drei gleichfarbige Fliesen abgreifen, ist das fein. So fülle ich mir in einem Zug die 2er- oder die 3er-Reihe.
Aber wie ist es mit den längeren Reihen? Vielleicht erst mal was nehmen und später auffüllen? Oder hoffen, dass irgendwann vier oder fünf gleiche in der Mitte liegen? Nette Vorlagen dieser Art werden mit wachsender Spielerfahrung jedoch seltener. Zunehmend wird beobachtet, welche Fliesen die anderen Spieler brauchen. Und welche man deshalb sofort abgreifen sollte und welche noch liegen bleiben können.
Das Liegenlassen birgt auch Gefahren. Möglicherweise sammeln sich sechs, sieben, acht … Fliesen in der Mitte. Ist man derjenige, der sie nehmen muss, verursacht das schon mal Minuspunkte. Schmerzhaft viele sogar, kann man die Farbe nicht mehr in einer der langen Sammelreihen unterbringen.
Im Laufe der Partie schränken sich die Platzierungsmöglichkeiten ein. Wenn ich eine Sammelreihe mit Gelb begonnen habe, muss ich hier Gelb weitersammeln. Wenn ich in einer Reihe bereits Rot gefliest habe, darf ich hier nicht noch einmal Rot hinlegen. So ergeben sich Zwänge und Nöte. Je nachdem, wie aufmerksam die Runde ist und wie vergnüglich sie Destruktion findet, kann man ganz schön einen reingewürgt bekommen.
Manchmal auch eher zufällig oder willkürlich. Es kommt vor, dass man ganz bewusst eine nett gemeinte Vorlage baut („Mein linker Nachbar wird definitiv X nehmen, der nächste Y, und mir bleibt dann Z.“), doch aus irgendwelchen Gründen lässt irgendwer die ihm zugedachten Steine liegen, man kriegt am Ende nicht das Erwartete, und trotz aller Vorüberlegung schlägt die Aktion mit Minuspunkten ins Kontor. Weil AZUL nur eine halbe Stunde dauert, muss man so etwas mal ertragen können. Ohnehin kommt es selten so arg.


Was taugt es? Die Regeln von AZUL sind angenehm schlank, die Mechanismen sind unverbraucht, die Spielzüge interessant, und zum Finale hin wird es immer spannender.
Weil die 4er- und 5er-Sammelreihen natürlich langsamer voll werden, ähneln sich die Fliesenwände am Ende jeder Partie. Üblicherweise ist es oben recht voll, unten recht leer. Trotz Mehraufwand lohnt es sich aber, auch die langen Sammelreihen zu beackern. Komplett belegte Senkrechten und komplette Farben bringen fette Schlussboni.
AZUL erlaubt verschiedene Spielweisen: Einige Spieler sammeln vorsichtig, agieren eher in den kurzen Sammelreihen und konzentrieren sich darauf, möglichst oft angrenzend zu fliesen. Andere sammeln spekulativer, wollen schnell auch die 4er- und 5er-Reihen füllen, um sich Chancen auf die hohen Boni zu eröffnen.
Die zahlreichen Rückfragen meiner Mitspieler beweisen mir allerdings auch: AZUL ist nicht intuitiv. Dass Fliesen erst vorsortiert werden und wie sie vorsortiert werden und wie sie beim Platzieren dann Punkte zählen: In jeder Erstpartie gab es da Probleme. Manche Spieler (selbst geübtere) musste ich mehrmals korrigieren, weil sie ihre Punkte falsch berechneten. Man muss AZUL in allen Details lernen, man kann sich nichts herleiten, auch nicht wenn man selber seine gesamte Wohnung gefliest hat.
Bislang hat es aber nahezu jeder gern erlernt. Das sehr attraktive und ungewöhnliche Erscheinungsbild des Spiels hat einen starken Anteil daran.


***** reizvoll

AZUL von Michael Kiesling für zwei bis vier Spieler, Plan B Games.

Freitag, 10. November 2017

Vor 20 Jahren (51): Ligretto

LIGRETTO feiert bald seinen 30. Geburtstag. Ich lernte es trotzdem erst vor 20 Jahren kennen. Meine Anwerbung begann mit zwei Fragen: 1. „Kennst du LIGRETTO?“ 2. „Nein???“ Gefolgt von einer begeisterten Schilderung, wie toll LIGRETTO sei und dass mein Freund und seine Frau es bei jeder Gelegenheit spielten. Einmal infiziert, könne man nicht mehr aufhören, und sie hätten mehrere Exemplare auf Vorrat, um jederzeit eins verschenken zu können.

Brutale Reaktionsspiele sind nun nicht unbedingt mein Lieblings-Genre. So bescheuert das klingen mag: Ich habe eine gewisse Hemmung, mich vorzudrängeln. Ich empfinde das als unhöflich, und diese Spiele wollen mich dazu zwingen, es dennoch zu tun. LIGRETTO hat mir geholfen, meine Hemmungen abzubauen. Es gefiel mir sofort, denn es war mehr als schlichtes Haudrauf: Mit zunehmender Geübtheit gelingt es immer besser, zu verfolgen, welche Karten die anderen vor sich liegen haben, und dieses Wissen einzusetzen, um die entscheidende Zehntelsekunde schneller zu sein.


Natürlich ist LIGRETTO auch gnadenlos ungerecht. Wer mit schlechten Karten startet und es nicht schafft, seinen Stapel abzubauen, kann noch so viele Karten von der Hand in die Mitte gespielt haben: Die Strafpunkte ziehen ihn runter. Theoretisch kann einer die Runde gewinnen, obwohl er nur läppische zehn Karten losgeworden ist. Also durch besonders viel Glück.

Wobei … noch am selben Abend wurde mir berichtet, dass eine Bekannte es geschafft hatte, eine Runde mit sogar nur sieben Punkten zu gewinnen und das nicht seltsam zu finden. Ihr war offenbar entgangen, dass dieses Ergebnis sie als Schummlerin enttarnte. Meine Gastgeber wollten seitdem nicht mehr mit ihr spielen. Zu Recht! Schummeln ist hassenswert. Genauso hassenswert übrigens, wie Spiele auszuleihen und sie nicht zurückzugeben.
Also: He du, der du das hier möglicherweise liest! Gib mir gefälligst mein LIGRETTO zurück!!!

LIGRETTO bekam ich noch am selben Abend geschenkt; das alte, in der Ausgabe von Rosengarten. Bei meinem Umzug vor zwei Jahren stellte ich allerdings fest, dass mir das Spiel abhanden gekommen war. Verliehen. Bloß an wen ...?
Klar, man kann LIGRETTO für wenig Geld neu kaufen, und das habe ich auch getan. Es ist dasselbe Spiel. Aber leider nicht dasselbe Erinnerungsstück.


Dienstag, 7. November 2017

Les Poilus

Im Zuge meiner vorletzten Rezension (CODENAMES PICTURES) sinnierte ich über Klickzahlen und kam zu dem Ergebnis, dass es ganz bestimmt die falsche Entscheidung wäre, CODENAMES PICTURES zu rezensieren. Ich hab’s dann natürlich trotzdem rezensiert. Einfach weil ich eine coole Socke bin und weil ich’s kann.
Und ich bin sogar noch cooler, denn heute ist ein noch älteres Spiel an der Reihe. Es hat gerade relativ heimlich den À-la-carte-Kartenspielpreis der Fairplay gewonnen. Und es ist so besonders, dass es eine Schande wäre, wegen schnöder Klickzahlen über irgendwas Angesagteres mit Siegpunkten und / oder bärtigen Baumeistern zu schreiben.


Wie geht LES POILUS? Wir sind ein Trupp Soldaten im Ersten Weltkrieg. Wir spielen kooperativ. Und wir wollen überleben. Um davonzukommen, müssen wir den Kartenstapel leerziehen (darunter taucht dann eine Friedenstaube auf) und alle Handkarten abspielen. Wir verlieren, sobald der Vorrat leer ist (dies ist ein zweiter Stapel, unter dem ein Kriegerdenkmal sichtbar wird) oder wenn jemand vier „Schwere Schläge“ vor sich ausspielen musste.
Ein Durchgang läuft so: Der (reihum wechselnde) Gruppenleiter bestimmt, wie viele Karten jeder bekommt. Viele wären gut, um den vermaledeiten Spielstapel zu leeren. Zu viele wären schlecht, denn für jede Karte, die wir zum Ende des Durchgangs noch ungespielt auf der Hand halten, wechselt eine Karte vom Vorrat auf den Spielstapel.
Aber erst mal spielen wir aus. Die meisten Karten zeigen mehrere der sechs Bedrohungen: Nacht, Regen, Schnee, Granate, Giftgas, Trillerpfeife. Sobald ein Symbol dreimal ausgespielt wurde, ist unser Einsatz gescheitert und die gespielten Karten kommen auf den Stapel zurück. Steigen wir vorher aus (was wir natürlich tun sollten!), gehen die Karten aus dem Spiel.
Zusätzlich gibt es Karten namens schwerer „Schwerer Schlag“. Solche legt man vor sich ab und nicht in die Mitte. Sie definieren eine Einschränkung, mit der man fortan zu kämpfen hat. Beispielsweise wird man „ungeschickt“ und muss beim Aussteigen eine zufällige Karte vom Stapel in die Mitte spielen. Oder man wird hochmütig oder tyrannisch oder traumatisiert … Die Spieler verlieren langsam die Kontrolle darüber, wann sie aufhören, Karten zu spielen. Die Durchgänge laufen immer häufiger schief.
Aber es gibt Abhilfe. Manchmal. Wer aussteigt, spielt verdeckt ein Rückhalt-Plättchen, das einen Spieler definiert, der Rückhalt bekommen soll. Gibt es am Ende des Durchgangs einen Spieler, dem mehr Rückhalt zugewiesen wurde als jedem anderen, darf dieser zwei „Schwere Schläge“ abwerfen. Weil das zu schön klingt, um wahr zu sein, sind zwei Dinge nicht so schön: 1. Wir dürfen uns in diesem Spiel nicht absprechen. 2. Die Auswahl, welche Plättchen man besitzt und somit vergeben kann, schränkt sich immer mehr ein.


Was passiert? LES POILUS schickt die Spieler in eine Abwärtsspirale. Gibt es anfangs noch Schutzmöglichkeiten und freie Entscheidungen, schwindet immer mehr die Kontrolle. Die Handlungen werden spekulativer, bald regiert die bloße Hoffnung.
Natürlich will ich keinen „Schweren Schlag“ spielen, der mich fortan behindert. Aber ich muss meine Karten nun mal loswerden. Und jede, die ich auf meiner Hand weiterschleppe, befördert Runde für Runde eine zusätzliche Karte vom Vorrat auf den Spielstapel.
Gezwungen durch ihre „Schweren Schläge“, fangen die Spieler an, absonderliche Dinge zu tun, die den Gruppeninteressen widersprechen. Ist einer in Nöten, zieht das alle runter. Klar, LES POILUS spielt die Gruppe in gewisser Weise, aber dieses Spielgefühl passt hier zum Spielthema.

Was taugt es? Betrachten wir es zunächst mal rein spielerisch: Die Einflussmöglichkeiten sind begrenzt und LES POILUS hat zudem zwei Schwachpunkte: 1. Zu dritt ist das Spiel recht leicht zu gewinnen, weil relativ problemlos einem Spieler die Mehrheit an Rückhalt-Plättchen zugeschoben werden kann. Zu viert und zu fünft ist es plötzlich hammerschwer und man geht schon in der niedrigsten Schwierigkeitsstufe unter. Eine etwas bessere Anpassung hätte dem Spiel gut getan. 2. Die Anleitung wirft etliche Fragen auf.
Das Spiel hat aber noch eine andere Ebene: die emotionale. LES POILUS gelingt ein respektvoller Umgang mit dem Thema Krieg. Ohne martialische Grafiken und ohne Kriegshandlungen nachzuspielen, überträgt das kleine Kartenspiel ein Gefühl von Beklemmung und Wehrlosigkeit und deutet die Grauen für den Einzelnen an. Krieg ist in LES POILUS kein Ort für Heldentaten. Und selbst überlebende Soldaten (also vermeintliche Gewinner) nehmen schlimme Erlebnisse und Traumata mit nach Hause. LES POILUS ist ein Spiel mit Haltung, es ist ein Antikriegsspiel.


***** reizvoll

LES POILUS von Fabien Riffaud und Juan Rodriguez für zwei bis fünf Spieler, Sweet Games.