Wenn in BOONLAKE die tollsten Dinge gefunden werden, sogar Vasen: Warum, verdammt, fand man keine Einleitung?
Wie geht BOONLAKE? Wir entdecken und besiedeln neues Land. Dabei versuchen wir erstens, viel Figurenmaterial ins Spiel zu bringen, denn so schalten wir Boni (und Punkte) auf unseren Tableaus frei. Wir wollen zweitens viele Projektkarten ausspielen, denn die bringen Einmal- oder Dauereffekte und zählen ebenfalls Punkte. Drittens wollen wir Mega-Projekte bauen, viertens vorgegebene Aufgaben erfüllen.
Um das alles hinzukriegen, benötige ich (unter anderem) Rohstoffe, Geld und einen steten Karten- und Figurennachschub. Die meisten dieser Dinge bekomme ich als Nebeneffekt beim Entdecken und Siedeln und als Belohnung für Projektkarten.
Einkommen beziehe ich obendrein über „Hebel“. Das sind Zwischendurch-Aktionen, die ich in jeder der vier Runden einmal durchführen darf. Um anzuzeigen, dass ich die Aktion verbraucht habe, verschiebe ich das Hebel-Plättchen. Von Beginn an besitze ich noch keinen einzigen Hebel. Ich muss sie alle erst erwerben. Je später ich das mache, desto seltener werde ich den Hebel noch nutzen können. Da Hebel am Schluss aber ordentlich Punkte zählen und damit Ziel Nummer fünf sind, lassen sich die meisten Spieler:innen Hebel nicht entgehen.
Einkommen bringt auch mein Schiff. Am Ende jedes Zuges fährt es mindestens um ein Feld auf dem Fluss weiter. Das Symbol des Flussfeldes zeigt, was ich bekomme. Die Geschwindigkeit unserer Schiffe wiederum bestimmt darüber, ob wir viel oder wenig Zeit bis zur nächsten Wertung haben. Eine Runde endet, sobald ein Schiff eine Schleuse passiert.
Motor des Spiels wiederum ist ein Aktionswahl-Mechanismus, der auf der Schachtel als „neuartig“ gepriesen wird, mich allerdings sehr an PUERTO RICO erinnert: Bin ich am Zug, wähle ich eins von sieben möglichen Aktionsplättchen. Damit löse ich zunächst eine Aktion für mich und danach eine Aktion für alle Spieler:innen aus.
Beispiel „Fortschritt“: Ich darf zunächst GREAT-WESTERN-TRAIL-mäßig eine Karte mit einem Symbol abwerfen, um zwei Geld zu erhalten. Dann darf nur ich einen Hebel kaufen. Dann dürfen alle, auch ich, einen Hebel mit Extrakosten kaufen. Je länger das Aktionsplättchen nicht gewählt wurde, desto mehr Felder darf ich nun mit meinem Schiff fahren. Selbst wenn ich gar nicht zwingend schnell segeln möchte, ist eine große Reichweite vorteilhaft, um mehr Auswahl zu haben, auf welchem Fluss-Symbol ich lande.
Was passiert? Wir sind beschäftigt. Und wir sind gut beschäftigt. Natürlich will ich alles Erdenkliche gleichzeitig erreichen, alle Neben-Effekte voll mitnehmen, mit dem Schiff nur gute Felder ansteuern und so weiter. Gleichzeitig fehlt mir hier und da das nötige Geld oder eine Figur.
BOONLAKE ist also ein Optimierspiel. Aber keins, das einen sehr engen Rahmen oder Schwerpunkt vorgibt. Ich kann gar nicht in allen Bereichen voranpreschen. Spiele ich viele Projektkarten, fehlen mir die Züge für die Ausbreitung auf dem Brett. Und umgekehrt. Es gibt viel auszuprobieren, die Projektkarten können Strategien noch stark unterstützen.
In BOONLAKE zitiert Alexander Pfister mehrfach sich selbst und setzt einige seiner Mechanismen erneut, aber etwas anders ein. Zwei neue Mechanismen finde ich so bemerkenswert, dass ich sie explizit erwähnen möchte:
1. Nach jeder Runde wertet jede:r für sich eine der vier Aufgaben. Je später der Zeitpunkt, desto höher der Schwierigkeitsgrad. Am Ende von Runde eins müsste ich nur ein Rind besitzen, am Ende von Runde vier schon fünf. Dafür gibt es dann auch besonders viele Punkte. Oder besonders viele Minuspunkte, wenn ich es nicht schaffe. In BOONLAKE betreibe ich also Ziel-Management. Ich muss mir überlegen, welche Ziele ich eher nicht so gut hinkriege, und mir diese Aufgaben möglichst früh vom Hals schaffen.
2. Rohstoffe sind nicht dinglich vorhanden wie Münzen. Eine Lehm-Fabrik produziert mir permanent ein Lehm, das ich fortan zur Bezahlung jeder Projektkarte nutzen kann. Pro Rohstoff kann ich bis zu zwei Fabriken besitzen. Um mehr als zwei Rohstoffe einer Sorte bezahlen zu können oder auch Rohstoffe, deren Fabriken ich noch nicht gebaut habe, besitze ich zwei Kanus. Solange ein Kanu vor der Lehm-Fabrik liegt, produziere ich ein Lehm zusätzlich. Die Kanus kann ich nach meinen Erfordernissen jederzeit umparken, kostenlos jedoch nur in Richtung rechts. Will ich ein Kanu weiter nach links stellen, kostet das Geld. Das will ich natürlich vermeiden. Mein Rohstoff-Management beeinflusst deshalb die Reihenfolge, in der ich meine Projektkarten ausspiele. Ich versuche, es hinzukriegen, ohne die Kanus allzu oft nach links zu bewegen.
Was taugt es? Um beide jetzt so lang erklärten Mechanismen ist es schade. Denn sie spielen in BOONLAKE nur eine Nebenrolle und sind für mein Gefühl etwas verschenkt. Das Spiel ist voller Mechanismen, die auch gekonnt ineinandergreifen; an der handwerklichen Seite gibt es nichts auszusetzen. Nur entsteht beim Spielen trotzdem kein spezielles BOONLAKE-Gefühl. Und damit auch kein überzeugtes „Noch mal!“-Gefühl.
Wie vielen anderen Eurogames fehlt auch BOONLAKE eine tolle Geschichte, die uns ins Spiel hineinzieht. Trotzdem hat BOONLAKE einen thematischen roten Faden: Wir entdecken Land, wir besiedeln es, aus Gehöften werden Siedlungen. Darunter kann ich mir etwas vorstellen; detaillierter muss es für mich gar nicht sein – auch wenn in BOONLAKE schon einiges merkwürdig ist, wenn man es mal hinterfragt: Warum bauen wir Projektkarten, die „Druckerei“ oder „Kunstgalerie“ heißen, während wir auf dem Spielplan noch damit beschäftigt sind, überhaupt das erste Dorf zu errichten? Warum kreuzen vor den Fabriken Kanus? Warum sind Vasen ein Zahlungsmittel? Warum gibt es in einem Land, das wir gerade erst besiedeln, schon Schleusen?
Das sind Unstimmigkeiten, die darauf hindeuten, dass hier mehr Mechanismus als Thema im Spiel ist. Und dass für einige der Mechanismen wohl keine thematisch überzeugende Einkleidung gefunden wurde. Es wirkt so, als habe man irgendwas draufgesetzt, das mehr oder weniger zur Themenwelt gehört.
Und da bin ich beim eigentlichen Knackpunkt: Ich glaube, BOONLAKE erzeugt deshalb kein BOONLAKE-Gefühl, weil zu viel Mechanismus im Spiel ist. Und zu viel verschiedener Mechanismus. Zu viel nebeneinander, zu wenig Fokus. Es fehlt der mechanische Leitgedanke: das, wofür BOONLAKE mechanisch steht. BOONLAKE ist überwürzt: ein Gemisch aus ganz vielen Zutaten, die sich nicht komplett entfalten und am Ende wenig Geschmack erzeugen.
**** solide
BOONLAKE von Alexander Pfister für zwei bis vier Spieler:innen, dlp games.