Achtung, der folgende Text enthält Spoiler, unter anderem meine Meinung zu dem Spiel.
Wie geht ZUG UM ZUG LEGACY? Grundsätzlich natürlich wie ZUG UM ZUG. Wir sammeln Farbkarten, die wir später bezahlen müssen, um mit unseren Waggons Routen zu besetzen. Möglichst nicht irgendwelche Routen, sondern entsprechend unseren Verbindungs-Aufträgen.
Bin ich an der Reihe, ziehe ich entweder bis zu zwei Karten oder spiele eine Farbserie aus und übernehme damit eine Route oder ich ziehe neue Aufträge. Erledigte Aufträge zählen Plus-, nicht erledigte Minuspunkte. Im Unterschied zum Grundspiel gibt es nicht generell Punkte beim Besetzen der Routen. Am Ende der Partie aber zählt es Punkte, möglichst viele Waggons aufgestellt zu haben – was auf einfachere Weise ungefähr denselben Effekt hat, indem es lange Routen belohnt.
Während des Bauens kann ich trotzdem Punkte sammeln, zum Beispiel wenn ich eine Route besetze, die meiner Spielfarbe entspricht. Oder bei Ereignissen. In den Stapel der Farbkarten hineingemischt sind „Zeitungen“, die uns eine Ereigniskarte ziehen lassen. Manche Ereignisse bringen einen Sofort-, andere einen Dauereffekt, der bis zur nächsten Ereigniskarte gilt.
Was passiert? Grundsätzlich passiert, was immer bei ZUG UM ZUG passiert: Ich versuche, zielgerichtet Karten anzuhäufen und rechtzeitig auszuspielen, bevor mir jemand eine wichtige Strecke vor der Nase wegschnappt. Ich muss umplanen, wenn es doch geschieht. Ich muss mich beeilen, denn die letzte Runde einer Partie beginnt, sobald jemand nur noch zwei oder weniger Waggons hat.
Ich entscheide, welche und wie viele meiner Startaufträge ich behalte und ob ich während der Partie weitere ziehe. Weil unerledigte Aufträge hart bestraft werden, ist das Finale sehr spannend: Schaffe ich noch alles, was ich mir vorgenommen habe, oder schaffe ich es nicht?
Nun kommen noch Legacy-Elemente hinzu: Nach jeder Partie vergrößern wir den Spielplan um ein Segment, und abhängig davon, welchen Landstrich wir ranpuzzeln, kommen neben neuen Aufträgen auch neue Regeln ins Spiel. Die meisten dieser Regeln gelten nur für einige Partien. Wie lange genau, hängt oft von unserem Spielverhalten ab. Man kann sagen: Jedes Spielplan-Segment bringt seine eigene Mini-Erweiterung mit.
Zum Beispiel initiieren diese Erweiterungen nochmals Wettläufe innerhalb der Partie. Oder sie belohnen oder bestrafen oder verteuern bestimmte Spielzüge. Oder sie bringen Zocker-Elemente. Oder wir verändern durch Aufkleber den Spielplan, möglichst natürlich zum eigenen Vorteil.
Manche Aufträge, sofern erledigt, bringen mir neben Punkten noch eine „Postkarte“. Die kann man sich als eine Aktionskarte vorstellen, deren genauen Inhalt zunächst nur ich kenne. Postkarten zählen ebenfalls Punkte. Bei manchen muss ich dafür erst noch ein bestimmtes Ziel erreichen. So aktiviere ich sie. Manche funktionieren andersherum: Ich deaktiviere sie. Ihr Punktwert sinkt, je häufiger ich die Aktion anwende.
Während die ersten Partien auf dem kleinen Spielplan und mit zunächst nur 20 Waggons pro Person noch sehr schnell gehen, dauert es im Laufe der Kampagne immer länger, weil wir nun bis zu 56 Waggons besitzen und einen sehr großen Spielplan zu überqueren haben. Es dauert aber auch deshalb länger, weil immer mehr Regeln und Effekte ins Spiel kommen. Auch wenn manches wieder rausfliegt: In Summe wird es immer mehr: Hier muss ich was extra zahlen, da kriege ich was extra, da darf ich eine Figur versetzen und jemandem schaden, an anderer Stelle muss ich würfeln und die Folgen abwickeln, und neben den Aufträgen muss ich auch noch weitere umfangreiche Wertungen mitbedenken, die parallel ablaufen und einiges an Überblick erfordern, welche Städte und Routen mir noch fehlen.
Es sind bald sehr viele Regeln und Kleinigkeiten, die wir kollektiv im Gedächtnis und im Blick behalten müssen. Schon nach wenigen Partien kommt ZUG UM ZUG LEGACY im Kennerspielbereich an.
Was taugt es? Das sehe ich etwas zwiegespalten. Die vielen Mini-Spiele erzeugen Spannung, was als Nächstes kommt. Man muss entscheiden, wie viel Energie man in das neue Mini-Spiel investieren möchte oder ob man sich zugunsten des Gesamtspiels nicht so sehr darauf fokussiert, auch wenn es vermutlich Punkte kostet. Teilweise kann man bewusst forcieren, dass bestimmte Spielelemente wieder verschwinden. Was man gerne tut, wenn das Vorteile verspricht.
Die Mini-Spiele an sich finde ich unterschiedlich gut gelungen. Es ist einiges ist dabei, was ich nur im Rahmen einer solchen Kampagne akzeptabel finde, weil es mehr als den Spielreiz den Aufwand erhöht. Vieles ist dabei, was eine Redaktion aus Vereinfachungsgründen aus dem Spiel herauswerfen würde – wäre es nicht gerade ein Legacy-Spiel, das auf diesem Mini-Spiel-Prinzip beruht. Und es ist nichts dabei, das ZUG UM ZUG substanziell verbessert und was ich nun immer in ZUG UM ZUG haben wollte.
Ein klarer Schwachpunkt von ZUG UM ZUG LEGACY ist die Spielgeschichte. Sie soll eine inhaltliche Klammer sein, die die Mini-Spiele irgendwie miteinander verbindet, was aber nicht gelingt. Bald begreift man: Es ist für das Spielgeschehen egal, welche Texte da vorgelesen werden. In meiner Runde haben wir teilweise nicht mehr hingehört oder haben uns das Vorlesen gespart.
Andererseits gibt es auch Elemente, die mir gut gefallen: Für jede Partie wählt jede:r von uns einen Charakter, der bestimmte Sonderaktionen ermöglicht. Wer die vorherige Partie verloren hat, wählt zuerst; wer gewonnen hat, wählt zuletzt. Das hat merklich dazu beigetragen, das Feld beisammenzuhalten. Außerdem trifft man hier eine strategische Entscheidung, während ZUG UM ZUG LEGACY ansonsten überwiegend taktisch und situativ geprägt ist. Die Gesamtwertung am Ende der Kampagne ist sehr schlüssig. Zum Glück fällt nicht irgendein überraschender Wertungsdreh vom Himmel.
Gemessen an meinen hohen Hoffnungen und Erwartungen, bin ich fast sogar enttäuscht von ZUG UM ZUG LEGACY. So manches Element hat mich eher genervt als gereizt. Ich habe deshalb mit der Wertung „solide“ geliebäugelt. Dafür spricht, dass das, was mir an ZUG UM ZUG LEGACY am meisten Spaß macht (das Sammeln der Karten, das Timing beim Ausspielen, das Pokern mit den Aufträgen, die Spannung im Finale), auch schon im Grundspiel enthalten ist. Dafür brauche ich kein Legacy.
Am Ende habe ich mich doch knapp für „reizvoll“ entschieden. Es ist schon interessanter, ZUG UM ZUG LEGACY zu spielen als zwölf Partien ZUG UM ZUG, deren Ergebnisse ich am Ende aufsummiere. Also trägt eindeutig auch die fortwährende Veränderung zum besonderen Spielerlebnis bei. Und würde ich ein zweites ZUG UM ZUG LEGACY spielen wollen, sofern es eines Tages erscheint? Ja. Ich wäre wieder neugierig.
ZUG UM ZUG ist einfach ein sehr gutes Spielprinzip, weshalb es auch schon so viele Versionen und Länderausgaben trägt. Und weshalb es eine saugute Idee war, auf dieses Prinzip ein kompetitives Legacy-Spiel aufzusetzen – auch wenn ich mir einiges darin anders gewünscht hätte.
***** reizvoll
ZUG UM ZUG LEGACY – LEGENDEN DES WESTENS von Rob Daviau, Matt Leacock und Alan R. Moon für zwei bis fünf Spieler:innen, Days of Wonder.