Detektive spekulieren. Und das mache ich jetzt auch mal. Ich spekuliere, dass das Segment der Rätsel-, Krimi- und Exit-Spiele noch mehr boomt, als ich es mir bislang ausgemalt hatte. Dass es derzeit kaum Hipperes gibt. Dass man als Verlag unbedingt dabei sein will. Möglichst schnell, möglichst oft. – Kombiniere: Das könnte in diesem Fall das Tatmotiv gewesen sein!
Wie geht DETECTIVE – ERSTE FÄLLE? Im Großen und Ganzen wie DETECTIVE: Wir ermitteln kooperativ, uns stehen eine Datenbank und eine bestimmte Menge Zeiteinheiten zur Verfügung. Aufgrund von Intuition und / oder Ermittlungsergebnissen folgen wir einer von mehreren möglichen Spuren, indem wir uns beispielsweise entscheiden, zunächst Karte A zu lesen. Das verbraucht Zeit. Ist es mit einem Ortswechsel verbunden (wir befinden uns im Polizeirevier, Karte A darf aber nur im Labor gelesen werden), kommt eine Strafstunde hinzu.
Häufig führt ein Lesetext zu weiteren Spuren, beispielsweise erhalten wir die Optionen, ebenfalls im Labor Karte B lesen oder C und D an einem anderen Ort. Unter Einsatz von Fertigkeitsplättchen dürfen wir manche Karten auf ihre Rückseite drehen („tiefer recherchieren“) und erfahren dort womöglich spannende Ergänzungen. Der Plättchenvorrat ist allerdings begrenzt. Und unsere Spielzeit ist auch irgendwann verbraucht. Nun geht es zum Abschlussbericht. Wir müssen am Computer Multiple-Choice-Fragen beantworten und erfahren, wie gut wir den Fall gelöst haben.
DETECTIVE – ERSTE FÄLLE vereinfacht DETECTIVE in zweierlei Hinsicht: 1. abgespeckte Regeln: Die Ermittler*innen besitzen keine Spezialeigenschaften mehr, es gibt nur noch eine Sorte Chips, der Zeitvorrat ist nicht mehr in verschiedene Tage unterteilt. 2. abgespeckte Story: Die Box enthält drei Einzelfälle statt eines fünfteiligen Gesamtfalls, die Fälle haben keine Verknüpfung zur Realität, Internetrecherchen entfallen.
Was passiert? Wir folgen den Spuren, genau wie bei DETECTIVE. Und geraten bald an Videos, was erst mal cool ist, weil Videos gegenüber Vorlesetexten mehr Atmosphäre schaffen … könnten. Ein sehr textlastiges Video ist auf Englisch, was zwar authentisch ist (der Fall spielt in den USA), in einem deutschen Spiel aber doch ziemlich stört.
Andere Videos sollen die Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen. Jedoch stellt eine Szene etwas anderes dar als das, was in den Zeugenaussagen behauptet wurde. Und man fragt sich: Ist das einfach nur schlecht geschauspielert? Oder ist das ein absichtlicher Widerspruch, gar ein wichtiges Indiz?
Die Personen im Video sehen auch nicht so aus, wie es ihrer Beschreibung entspricht. Und sie sehen obendrein anders aus als die Porträts, die wir hin und wieder infolge einer Spielanweisung für unsere Mindmaps bekommen. Diese Porträts wiederum sind nicht identisch mit Beschreibungen und Fotos aus der Datenbank. Manchmal weiß man nicht mal sicher, wen das Porträt überhaupt darstellen soll.
Und so setzt es sich fort: In der Datenbank sind einige Textteile auf Englisch, hier und da finden sich kleine Rechtschreibfehler, in Fall 2 auch ein dickeres Ding, vermutlich eine falsche Datumsübersetzung. Die Datenbank zeigt die aus DETECTIVE bekannte prozentuale „Übereinstimmung“ von Beweismitteln – mit dem Unterschied, dass deren Bedeutung in der Anleitung von ERSTE FÄLLE unerklärt bleibt und ich mir im zweiten und dritten Fall auch keinen Reim auf die Werte machen kann. Im Fall 3 schließlich kommen gelbe Marker ins Spiel, über die in der Anleitung zu lesen ist, ihre Verwendung sei an entsprechender Stelle beschrieben. Stimmt aber nicht, man muss sich die Regeln dann selber herleiten.
Wir haben es trotzdem geschafft, uns durchzuwurschteln, und haben sogar gute Bewertungen für unsere Arbeit bekommen. Doch von Anfang bis Ende war der Eindruck: ERSTE FÄLLE ist schludrig gemacht.
Was taugt es? Mir ist völlig klar, dass DETECTIVE ein außergewöhnlich aufwendiges Spiel ist. Es lebt von der Tiefe und Authentizität seiner Fälle (und da steckt sicher sauviel Arbeit drin), von seiner Datenbank (da auch) und den gut geschriebenen Texten (da ebenso und obendrein in deren Übersetzungen).
Mir ist auch klar, dass man für eine Einstiegsversion Abstriche macht. Wir bekommen hier deshalb nicht den großen verwobenen Komplex, der uns über viele, viele Stunden hinweg unterhält, sondern drei kleinere abgeschlossene Fälle, die zwangsläufig nicht so tief sein können.
Allerdings fand ich keinen der drei Fälle überdurchschnittlich und den zweiten am schwächsten. Er wirkt wie ein Krimi von Agatha Christie und passt nicht in die moderne DETECTIVE-Welt, zumal in diesem Fall nahezu alles wegfällt, was das DETECTIVE-System so außergewöhnlich macht.
Ohnehin wird die Datenbank in ERSTE FÄLLE weniger raffiniert eingesetzt, als man es aus DETECTIVE kennt. Überwiegend liefert sie Texte und Materialien jenseits der Spielkarten. Aber das allein ist kein Mehrwert. Ein Mehrwert wären Datenabgleiche und Datenverknüpfungen. Doch die gibt es zu selten. Ein Mehrwert könnten auch die Videos sein. Doch dafür reicht ihre Qualität nicht aus.
DETECTIVE – ERSTE FÄLLE wirkt wie ein Schnellschuss und nicht wie das von der Anleitung versprochene „Produkt von höchster Qualität“. Wer DETECTIVE kennt, kommt wohl zurecht. Doch soll sich das Spiel ja an Neulinge richten und hätte gerade deshalb besondere Sorgfalt erfordert.
** misslungen
DETECTIVE – ERSTE FÄLLE von Ignacy Trzewiczek, Marzena Nowak-Trzewiczek und Weronika Spyra für eine*n bis fünf Spieler*innen, Pegasus Spiele.