Samstag, 31. Juli 2021

Gern gespielt im Juli 2021

DUNE – IMPERIUM: Noch jemand, der bei „Spice“ nicht zuerst an eine bewusstseinsverändernde Droge denkt?

SPACE DRAGONS: Ehrlich gesagt, habe ich den Sinn des Ganzen noch nicht begriffen. Aber ich finde es auf jeden Fall stimmig, dass ich dabei beschossen werde.

JUICY FRUITS: Trendbeschleunigung! Nach MAGIC MAZE ON MARS noch ein weiteres Bananen-Schubs-Spiel.

PICTO RUSH: Große Ehre! Ich bin endlich mal auf einem Spielecover. (Der Vollsympath ganz rechts.)

LOST CITIES – ROLL & WRITE: Ähm, noch mal zu den Fehlwürfen: Ich fürchte, ich habe sie letztes Mal etwas zu sehr gelobt ...

DOMINION – MENAGERIE: Hier ums Eck gibt es übrigens ein Café namens Menagerie. Gilt es, wenn ich für die SPIEL DOCH!-Rubrik „Vor Ort“ dort diese Erweiterung spiele?




Mittwoch, 28. Juli 2021

Cantaloop

Wenn jemand bislang bloß MONOPOLY und PHASE 10 kennt, würde mich von dieser Person keine Spielerezension interessieren. Weil darin höchstwahrscheinlich ein Maßstab angelegt wird, der nicht meiner wäre.
Nun kenne ich aber nicht bloß MONOPOLY und PHASE 10, ich kenne sogar MENSCH ÄRGERE DICH NICHT und MÄXCHEN. Insofern fühle ich mich grundsätzlich spielkompetent. Allerdings – und das könnte ein Problem sein: Ich habe mich nie am Computer mit Point-and-Click-Adventures beschäftigt!
Das schränkt mich bei der Beurteilung eines analogen Spiels, das den Stil dieser digitalen Spiele nachahmt, ziemlich ein. Vermutlich entgehen mir ganz viele Referenzen; möglicherweise ist der Maßstab, den ich anlege, nicht ideal.
Trotzdem erlaube ich mir eine Rezension zu CANTALOOP. Denn ob ich Spielspaß empfinde, weiß ich auch ohne Point-and-Click-Vorerfahrung. So wie ich das auch in PALEO weiß, obwohl ich noch nie in der Steinzeit war. Und wie ich es in PANDEMIC weiß, obwohl … oh … doch.

Wie geht CANTALOOP? Wie ein Point-and-Click-Adventure, und wir wissen ja sicher alle, wie die so funktionieren. (Räusper.) Diesmal eben nicht digital. Spielmaterialien sind ein Buch mit Spiralbindung, 60 Karten und eine Rotfolie, um verborgene Texte lesen zu können.
Wir agieren in der Rolle des Ganoven Hook Carpenter, der ins Gefängnis einbrechen will, um jemanden zu befreien. Das Spiel beginnt auf der Doppelseite „Im Leuchtturm“. Einige weitere Schauplätze sind auch schon freigeschaltet und wir dürfen dorthin blättern. Alles andere ist noch geheim.
Vorwärts geht es, indem wir Gegenstände (Karten) sammeln und sinnvoll miteinander oder mit Elementen auf den Schauplätzen kombinieren. Daraus ergeben sich Codes, unter denen wir nachlesen, was passiert oder was wir erfahren oder was wir bekommen. So spielt, rätselt und kombiniert man sich durch das gesamte Buch und ist mehrere Stunden beschäftigt.

Was passiert? Das Kombinieren von Karten und Dingen ist uns auf ähnliche Weise schon in UNLOCK oder auch den ADVENTURE GAMES begegnet. Von diesen Spielen hebt sich CANTALOOP durch Lösungen ab, die oft witzig und manchmal auch ziemlich verrückt sind – für mich an mehreren Stellen zu verrückt. Deshalb kann ich bezeugen: Das Spiel hat ein gelungenes Hilfesystem. Wenn man steckenbleibt, kommt man wieder weiter.
Mitunter war mir allerdings der Sinn dessen, was mir die Hilfe als nächsten Schritt verriet, weiterhin unklar, so dass ich gleich auch den folgenden Hilfepunkt lesen musste. Muss ich Lösungen nachlesen und denke ich dabei häufiger: „Darauf wäre ich ja nie gekommen!“, sinkt meine Motivation bei späteren Rätseln. So bin ich mit wachsender Ungeduld durch das Abenteuer eher gestolpert als geschritten.
Gerade auch, wenn es hakte und ich das Gefühl hatte, etwas kreativer sein zu müssen, empfand ich es zunehmend als mühsam, zwei Codehälften zu kombinieren und abzulesen, dann auf der linken Seite oder auf einem Beiblatt zu suchen, ob es zu dem Code einen Eintrag gibt, und, falls ja, mit der Rotfolie die Schrift zu entziffern – um meistens zu erfahren: falsche Fährte. Das spielerische Herumprobieren bereitet in diesem Analogabenteuer einen ziemlichen Aufwand.


Was taugt es? Ich finde es toll, dass Lookout neue Wege geht und zeigt, dass Spiele ganz anders sein können, als man gemeinhin denkt. Mir gefällt, wie frisch und frech CANTALOOP daherkommt. Durch seinen Comic-Look, die coole Erzählhaltung, witzige Dialoge und Flavourtexte wirkt es jünger und hipper als das, was uns typischerweise im Brettspiel begegnet. CANTALOOP hat einen sehr eigenen Charme.
Doch anscheinend bin ich für manche Dinge schon nicht mehr jung genug. Einiges hat mich verwirrt und unbefriedigt zurückgelassen. Die Klischeefiguren und das Macker- und Cowboyhafte in den Dialogen haben mich zunehmend gestört. Dass wir ein ehemals rein digitales Spielerlebnis nun auch analog haben können, wird für mein Empfinden mit viel Mechanik und viel Textaufwand erkauft. Teil 2 werde ich höchstwahrscheinlich nicht mehr spielen.


*** mäßig

CANTALOOP von Friedemann Findeisen für eine:n oder mehr Spieler:innnen, Lookout Spiele.

Dienstag, 20. Juli 2021

Punktesalat

Zum Geleit: PUNKTESALAT kommt mir fleischlos vor!

Wie geht PUNKTESALAT? Wir sammeln Möhren, Kohl, Tomaten, Zwiebeln, Salat und Paprika. Und wir sammeln Wertungskarten, die zum Beispiel besagen: „5 Punkte für jedes Paar aus Kohl und Zwiebel“. Oder: „7 Punkte, wenn du eine gerade Anzahl Tomaten hast; 3 Punkte, wenn ungerade.“
Wer am Zug ist, wählt entweder zwei der sechs offen liegenden Gemüsekarten oder eine von drei Wertungskarten. So etwa zwölf Mal kommt man an die Reihe, dann sind alle Karten vergeben.
Um viele Punkte zu machen, ist es nicht nur wichtig, dass Wertungskarten und Gemüse zusammenpassen. Man sollte auch ein ausgewogenes Verhältnis hinkriegen. Je mehr Gemüse ich nehme, desto weniger Wertungen mache ich damit am Ende. Und je mehr Wertungen ich nehme, desto weniger Gemüse habe ich, das punkten könnte.


Was passiert? Die Züge sind kurz, das Tempo ist hoch. Alles, was man wissen muss, steht höchst übersichtlich auf den Wertungskarten. PUNKTESALAT ist sehr einfach und bereitet keine Schwierigkeiten.
Alle Karten sind doppelseitig: Gemüse hier, Wertung dort. Nimmt jemand Gemüse, wird der Markt aufgefüllt, indem offene Wertungskarten umgedreht und als Gemüse hingelegt werden. Die Auslage wechselt also rasch. Man ist gezwungen, situativ zu entscheiden. Wird direkt vor meinem Zug eine für mich passende Wertung aufgedeckt, darf ich mich freuen. Wird sie bei anderen Spieler:innen aufgedeckt, wird sie wahrscheinlich wieder verschwunden sein, bis ich an die Reihe komme.
Weil es auch Wertungen gibt, die negativ ausfallen können, ist es nachteilig, bei Spielende hinten zu sitzen. Oft bleibt dann nämlich genau das liegen, was ordentlich Schaden verursacht. Es gibt einen Kniff, der Härten abmildert: Wertungskarten, die mir nicht mehr gefallen, darf ich auf ihre Gemüseseite drehen. Ein Tempoverlust ist das trotzdem. Denn statt nur einer Wertung hätte ich dann ursprünglich besser gleich zwei Gemüse genommen.


Was taugt es? PUNKTESALAT ist einfach, schnell und schlüssig: Ich erkenne die Vorzüge des Spiels gerne an. In meinen Partien habe ich jedoch kaum Emotionen wahrgenommen.
Einige Entscheidungen treffe ich auf Verdacht oder in guter Hoffnung. Manches andere ergibt sich dann einfach: Habe ich Aufträge, die mir nahelegen, Zwiebeln und Paprika zu sammeln, sammle ich, wenn sie daliegen, Zwiebeln und Paprika. Liegen sie nicht da, treffe ich eine Entscheidung in guter Hoffnung oder auf Verdacht.
Gewiss, das Spiel will so reduziert sein. Eine kurze, knackige Sammelei für Zwischendurch, die niemanden ausschließt. Ich vermisse dennoch Reibepunkte. Etwas, das mich zum Noch-anders-Probieren- oder Noch-einmal-erleben-Wollen reizt.
So glatt und gleichmäßig, wie das Gemüse auf den Karten dargestellt ist, fühlt sich für mich auch das Spielgeschehen an. Ich bin gut beschäftigt, aber wenig bewegt.


**** solide

PUNKTESALAT von Molly Johnson, Robert Melvin, Shawn Stankewich für zwei bis sechs Spieler:innen, AEG / Pegasus Spiele.

Freitag, 16. Juli 2021

Cupcake Academy

Das Motto diesmal: Zeitnot. Zunächst mal die im echten Leben. Bei Zeitnot schreibt man lieber nichts Kompliziertes, kein verschachteltes Spiel mit langer Regelbeschreibung und Analyse. Besser etwas, das richtig schnell geht. Sowas wie CUPCAKE ACADEMY.
Tja, und dann ist da die Zeitnot im Spiel. Und wieder lande ich bei bei CUPCAKE ACADEMY.

Wie geht CUPCAKE ACADEMY? Aah! Zeitnot! Nur krasse sieben Minuten läuft die blöde Sanduhr, und in der Zeit sollen wir alle Aufgaben abgearbeitet haben.

Was für Aufgaben? Pro Person ist ein Satz aus fünf Cupcake-Förmchen im Spiel. Die sind unterschiedlich groß, man kann sie übereinander stülpen. Das blaue überdeckt das orangefarbene, das gelbe überdeckt das blaue. Es ist wie bei Matrjoschka-Püppchen, wo eine in die andere passt; in diesem Fall nur ohne die Unterteile.
Zusätzlich besitzen wir je drei Pappteller, ein weiterer (gemeinsamer) Teller befindet sich in der Tischmitte. Eine Aufgabenkarte kann nun besagen, auf meinen Tellern soll eine orangefarbene und eine rosa Form zu sehen sein und sonst nichts. Um diesen Zustand herzustellen, staple ich einhändig hektisch hin und her, darf dabei immer nur ein Förmchen bewegen, darf meine und den gemeinsamen Teller als Abstellfläche nutzen und darf nur größere über kleinere Formen stülpen, nicht aber kleine auf große stapeln.
Weil es ein kooperatives Spiel ist, dürfen wir uns gegenseitig anbrüllen oder Tipps geben. Denn zeitgleich haben meine Mitspieler:innen auf ihren Tellern ebenfalls Sortieraufgaben zu erledigen. Und perfiderweise erfordern die Aufgaben auch mal mehrere gleiche Farben. Das bedeutet, wir müssen uns gegenseitig Förmchen übergeben; als Schleuse dient der neutrale Teller.
Ist die gewünschte Anordnung erreicht, wird die nächste Karte aufgedeckt und es geht sofort weiter. Bis entweder alles geschafft ist. Oder bis alle geschafft sind.


Was passiert? CUPCAKE ACADEMY setzt auf Stress und kollektive Überforderung, so wie wir es beispielsweise schon aus MAGIC MAZE kennen. In welcher Reihenfolge man die Förmchen abheben und sortieren muss, um mit den paar Tellern auszukommen, ist eine Logikaufgabe, die zum Nachdenken und Herumprobieren zwingen kann: Also genau das, was man im Kampf gegen die Uhr eigentlich nicht will.
Oft kommen wir uns auch schön ins Gehege: Wenn ich aus den tiefsten Tiefen eines Fünfer-Turms die klitzekleine orangefarbene Form freilegen muss, hebe ich zunächst mal Pink ab und stelle es auf Teller zwei, dann Grün auf Teller drei und nun Gelb auf … oh, kein Platz mehr. Also auf den Gemeinschaftsteller. Ach, da steht schon was? Tja, geht nicht anders, einfach druff! – Und schon krakeelt irgendwer, der nun nicht mehr an das dort zwischengelagerte und von mir überdeckte Blau herankommt.
Mit der zufälligen Reihenfolge der Aufgaben kann man Glück oder auch Pech haben. Glück: wenn wir von einer zur nächsten Aufgabe gar nicht viel umbauen müssen. Pech: wenn wir gerade unter erheblichen Mühen den Großteil der Förmchen zu Spielerin A haben übersiedeln lassen – und nun ist dort Kahlschlag gefordert und alles soll zu Spieler B.


Was taugt es? Es ist schwer zu definieren, wie viel Spiel überhaupt in CUPCAKE ACADEMY steckt und wie viel Stresstest. Auch wenn es zu witzigen Situationen kommt, hat das Geschehen den Charakter von Arbeit. Weil manchen Menschen solche Aufgaben liegen, anderen weniger, sind die Runden selten gleichstark, und es können Personen dabei sein, denen immer wieder auf die Sprünge geholfen werden muss. Das macht manchmal den Belehrenden keine Freude, manchmal den Belehrten nicht, manchmal allen.
Ein Wohlfühlspiel ist CUPCAKE ACADEMY also nicht, eher schon ein kognitiver Wettbewerb, bei dem man versucht, im Team immer besser zu werden. Mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen bietet CUPCAKE ACADEMY ein bisschen Abwechslung, mit mehreren zu erreichenden Medaillenrängen eine längerfristige Motivation.
Als Gesamtpaket finde ich CUPCAKE ACADEMY sehr stimmig, wenn auch arg streng und leistungsorientiert. Das Material ist bestens. Einzig die Farbreihenfolge der Förmchen hätte ich mir intuitiver gewünscht.


**** solide

CUPCAKE ACADEMY von Erwan Morin für zwei bis vier Spieler:innen, blue orange.

Montag, 12. Juli 2021

Quetzal

Ein Spiel mit Q, das trotzdem ein U hat? Es konnte nicht klappen …

Wie geht QUETZAL? Wir sammeln Kartensets, um sie gegen Punkte einzutauschen. Alle Aktionen werden ausgelöst durch Personaleinsatz. Und weil das Betreten vieler Einsatzfelder Geld kostet, geht es bei QUETZAL auch um Ressourcenmanagement.
Zu Rundenbeginn würfeln wir unsere Meeple. Diejenigen, deren schwarze Seite nun oben liegt, darf ich auf Felder setzen, die Schwarz verlangen; alle mit weißer Seite oben auf Felder für Weiß. Flexibel einsetzbar sind Meeple, die nicht auf die Seite gefallen sind, sondern auf dem Rand liegen oder stehen.

Das Würfelergebnis gibt also meine weiteren Möglichkeiten vor bzw. schränkt sie ein. Und es macht die Mitspielenden etwas ausrechenbarer. Das ist insbesondere auf jeden Feldern wichtig, wo wir uns gegenseitig mit unseren Figuren überbieten dürfen.
An den meisten anderen Orten lautet das Prinzip: Besetzt ist besetzt, ätschibätsch! Auf den Bietfeldern aber nicht. Wer hier die meisten Meeple setzt, schmeißt die Unterlegenen raus. Wer die Mehrheit hat, kriegt schließlich die Aktion. Und wer zuerst kam, hat mit seinen platzierten Figuren definiert, in welcher Farbe an diesem Ort überhaupt geboten werden darf.


Was passiert? QUETZAL beinhaltet vieles, das man schon anderswo erlebt hat: Es gibt seltene und häufige Karten, und seltene Sets sind natürlich wertvoller. Wer zuerst Karten aus dem Tempelangebot wählen möchte, muss dafür mehr bezahlen. Und neben Aktionen, deren Effekt sich sofort auswirkt, gibt es auch auf Langfristigkeit angelegte Pfade: Ich kann Aufwertungen kaufen, die mir zusätzliche Fähigkeiten verleihen. Ich kann auf einer Entdeckungs-Skala voranziehen, deren Belohnungen erst dann richtig stark werden, wenn ich die Skala komplett durchlaufe.
Ich habe immer wieder Entscheidungen zu treffen und muss mein Geldvermögen und meinen Figurenvorrat so balancieren, dass ich flexibel bleibe und nicht in Zwänge gerate. Weil QUETZAL nur über fünf Runden geht, muss mein Augenmerk auch darauf liegen, mein Kapital rechtzeitig in Punkte zu verwandeln. Auch hier muss ich die richtige Balance finden, um nicht zu viel Besitz anzuhäufen, auf dem ich am Schluss sitzenbleibe.


Was taugt es? QUETZAL ist interaktiv, weil wir uns fortwährend Karten und Einsatzfelder gegenseitig wegschnappen. Die Möglichkeiten der Konkurrenz sollte ich stets im Auge behalten, um nicht überrascht und blockiert zu werden.
Doch so sauber QUETZAL komponiert ist: Die Mechanismen sind erwartbar und somit unspektakulär. Dass wir unsere Meeple für Versteigerungen einsetzen, empfinde ich als das frischeste Element, obwohl es auch das schon anderswo gab. Dass wir Meeple würfeln, ist ebenfalls ungewöhnlich. Allerdings sehe ich das mehr als Gimmick. Entscheidende Impulse gewinnt QUETZAL dadurch nicht. Man macht, man sammelt, man verkauft. Nicht weiter aufregend.
Was dem Spiel an Abenteuer fehlt, soll vermutlich die thematische Einkleidung liefern. Als abstraktes Set-Sammelspiel könnte QUETZAL so ziemlich in jeder Welt und jeder Zeit spielen, aber die Redaktion hat sich ausgerechnet für romantisierten Tempelschatzraub entschieden.


*** mäßig

QUETZAL von Alexandre Garcia für zwei bis fünf Spieler:innen, Gigamic.

Donnerstag, 8. Juli 2021

Vor 20 Jahren (103): Die Händler von Genua

Als ich vor etlichen Jahren tiefer ins Spielgeschehen eintauchte, war ich bereits etliche Jahre zu spät dran und hatte sie alle verpasst: die 3M-Serie, die Casino-Serie, die E-Reihe und so weiter. Man las so viel darüber, wie viele und welche dieser Schätze andere Spieler:innen in ihren Regalen verwahrten – und das Versäumnis, sie nicht ebenfalls zu verwahren, schien ganz erheblich zu sein.

Einige der ach so legendären Spiele lernte ich später doch noch kennen und kam wiederholt zu dem Ergebnis, dass man, um ihren Wert im erforderlichen Maße würdigen zu können, vor all den Jahren wohl hätte dabeigewesen sein müssen.

Eines Tages war ich dann aber selbst im besten Spielealter, als eine legendäre Reihe aufgebaut wurde. Die Rede ist von alea: schöne, oft anspruchsvolle Spiele in einem buchartigen Hochkant-Schachtelformat, durchnummeriert von 1 bis …

6. Das jedenfalls war der Stand von vor 20 Jahren. Der damals aktuelle Titel stammte von Rüdiger Dorn und war sein Durchbruch als Autor auch komplexerer Spiele. Genau genommen war DIE HÄNDLER VON GENUA Dorns erste komplexere Veröffentlichung überhaupt. In den Folgejahren erschienen GOA, JAMBO und LOUIS XIV und festigten Dorns exzellenten Ruf als Autor in diesem Segment.

DIE HÄNDLER VON GENUA ist ein Verhandlungsspiel. Wir feilschen um den genauen Weg, den eine Händlerfigur (ein Turm aus fünf Scheiben) über den Spielplan nehmen soll. Um Aufträge zu erfüllen, habe ich das Interesse, dass der Turm in bestimmte Richtungen zieht und unterwegs bestimmte Gebäude betritt. Wer am Zug ist, legt die Laufrichtung fest und lässt sich dafür von den anderen bezahlen. Mir hat das immer dann die größte, geradezu diebische Freude bereitet, wenn es mir gelang, Mitspielenden viel Geld aus der Nase zu ziehen für einen Weg, den ich sowieso zu gehen beabsichtigte.


Die Händlerfigur hinterlässt auf jedem Feld, das sie betritt, eine ihrer fünf Scheiben. Sind alle aufgebraucht, endet die Bewegung. Wenn man so will (und offensichtlich will ich so), ist DIE HÄNDLER VON GENUA Teil eins von Rüdiger Dorns Fünf-Scheiben-Trilogie. Denn in GOA und ISTANBUL definieren und beschränken ebenfalls fünf Scheiben eine Route. (Nebenbei: Auch LOUIS XIV sehe ich als verwandt an, weil wir uns auch dort von einem Startpunkt ausgehend mehrschrittig ausbreiten.)

Wie ein Autor ein gefundenes Konzept mehrfach neu interpretiert, ohne sich selbst zu kopieren, finde ich bemerkenswert. Die Spiele sind sehr unterschiedlich. Niemand käme auf die Idee, sie als Spielfamilie oder Reihe zu empfinden.

Ach ja, zurück zu den Reihen: Noch heute besitze ich sehr viele alea-Spiele. Warum, ist ja ganz klar. Denn im Gegensatz zu dem anfangs erwähnten Altvorderen-Kram war diese Reihe tatsächlich legendär. Es kann gar nicht anders sein. Schließlich war ich damals mit dabei.


Sonntag, 4. Juli 2021

Fantastische Reiche

BONUS: +5 für jede Einleitung.

Wie geht FANTASTISCHE REICHE? Wir optimieren unsere Kartenhand. Die besteht normalerweise aus sieben Karten mit jeweils einem Grundwert zwischen null und 40, oft noch modifiziert durch Boni oder Strafen. Karten mit hohen Werten haben Einschränkungen. Beispielsweise zählt der „Hexenmeister“ (Grundwert 25) zehn Punkte weniger für jede lila („Anführer“) und jede pinke Karte („Zauberer“) in meinem Bestand. Umgekehrt zählt die schwächliche „Hydra“ (12) gemeinsam mit der Karte „Sumpf“ erfreuliche 28 mehr.
Ein Zug besteht darin, eine Karte entweder vom Stapel zu ziehen oder aus der Auslage zu wählen und anschließend eine Handkarte in die Auslage zu legen. Habe ich vom Stapel gezogen, wächst die Auslage also um eine Karte an. Sobald dort zehn Karten liegen, ist Schluss und es wird abgerechnet.


Was passiert? FANTASTISCHE REICHE ist ein Spiel, bei dem ich mit vielen Informationen gleichzeitig konfrontiert werde und filtern muss. Was am besten zusammenpasst, ist nicht immer leicht ersichtlich. Ein möglicher Stolperstein sind Karten, die andere Karten blockieren. Die „Große Flut“ etwa nimmt (mit Ausnahme von zwei ganz bestimmten) alle meine schwarzen, braunen und roten Karten aus der Wertung. Das „Gebirge“ und die „Rune des Schutzes“ heben diesen Effekt wieder auf, das „Kriegsschiff“ nur in Bezug auf alle schwarzen Karten.
Also lese ich Texte, vergleiche, kombiniere. Die Wechselbeziehungen sind mitunter so komplex, dass ich nicht per Bauchgefühl ermitteln kann, ob der Tausch von Karte X gegen Karte Y einen Punktgewinn bringt oder Karte Z womöglich noch besser wäre. Ich muss das Bedingung für Bedingung ausrechnen.
In auffallendem Kontrast dazu steht die knapp bemessene Zahl meiner Spielzüge. Je mehr Mitspielende, desto rascher kommt das Ende. Mit mehr als vier Personen würde ich FANTASTISCHE REICHE nicht spielen wollen; die Gestaltungsmöglichkeiten sind dann zu limitiert.
Aber auch mit weniger Teilnehmern drängt die Kürze der Zeit zu effektiver Eile und Kompromissen. Ich habe nur Zugriff auf einen Teil der Karten. Manche bleiben während der gesamten Partie im Stapel, andere bunkern meine Mitspieler:innen auf ihren Händen. Aus dem, was mir geboten wird, muss ich in einer begrenzten Zahl von Zügen eine passable Kombination zusammenzimmern.


Was taugt es? Der Widerspruch aus Möglichkeiten und Einschränkungen macht FANTASTISCHE REICHE reizvoll. Weil ich nicht weiß, welche Karten auftauchen werden, kann ich nicht alles durchoptimieren, sondern verbessere mein Blatt schrittweise. Aus der Auslage zu nehmen, bedeutet zu wissen, was man kriegt. Solange das Ende noch weit entfernt ist, riskiere ich aber auch gerne einen Zock, um das hoffentlich Perfekte im Stapel zu finden. Je länger das nicht klappt, desto wichtiger wird ein Plan B, auf den ich noch umzuschwenken kann.
Die kurze Spieldauer ist mit Entscheidungen gut angefüllt. Es gibt weder eine alles überragende Karte noch eine Standardstrategie, die man in jeder Partie anwenden kann. Dazu sind die jeweiligen Ausgangssituationen zu unterschiedlich. Die gerade mal 53 Karten geben mehr wertvolle Kombinationen her, als man zunächst denken könnte. FANTASTISCHE REICHE wird also nicht so schnell langweilig. Die Partien hinterlassen das Gefühl, man könne noch anders kombinieren und bessere oder gar legendäre Punktestände erreichen.
Gehalt, Länge und Spannungsbogen definieren FANTASTISCHE REICHE als Zwischendurchspiel. Lediglich die umfangreiche Schlussabrechnung fühlt sich so gar nicht nach zwischendurch an.
Grafisch kommt FANTASTISCHE REICHE sehr altbacken daher. Zwar wird die Spielbarkeit ordentlich unterstützt, doch als ansprechend empfinde ich die stereotype und einfallslose Gestaltung überhaupt nicht. Da gibt es mittlerweile weitaus Besseres.


***** reizvoll

FANTASTISCHE REICHE von Bruce Glassco für zwei bis sechs Spieler:innen, Strohmann Games.