Mittwoch, 31. Dezember 2014

Gern gespielt im Dezember 2014

Was landete am häufigsten auf meinem Spieltisch? Was machte besonders viel Spaß? Und welche alten Schätzchen wurden endlich mal wieder ausgepackt?

PATCHWORK: Sollte eigentlich schon im November auf die Liste, hat aber nicht mehr gepasst. Deshalb wird es nun hier mit rangeflickt.

ARLER ERDE: Statt Venedig, Rom und Florenz dann eben mal Hage, Dornum und Aurich.

DEUS: Fast immer zu früh vorbei, was fast immer ein gutes Zeichen ist. Nun ja, bei Spielen zumindest. Weil man sie recht leicht wiederholen kann.

KUH VADIS: Man denkt, drei Gleiche zu würfeln, kann so schwer nicht sein. Trotzdem tobt der Kampf um ein einziges Feld manchmal mehrere Runden lang... Von den drei Kuhspielen das für mein Empfinden fetzigste.

7 WONDERS – BABEL: Vermutlich nicht die tollste 7 WONDERS-Erweiterung. Aber hey: Ein triftiger Grund, um mal wieder 7 WONDERS zu spielen.

STICHLING: Ein Stichling zu viel, von einem Widerling angedreht, kann empfindlich viele Punktlinge kosten.



Samstag, 27. Dezember 2014

Manno Monster

Eigentlich gibt es keinen Grund, warum ich mich zum Jahresende in versöhnlicher Stimmung befinden sollte. Schließlich ist REZENSIONEN FÜR MILLIONEN der angestrebten Million nicht um einen lumpigen Euro näher gekommen. Doch anscheinend hinterlässt die Besinnlichkeit der Weihnachtstage sogar bei einem harten Klotz wie mir ihre Spuren. Und so befinde ich mich in versöhnlicher Stimmung.
Mit folgenden Folgen: Nachdem ich neulich einem schon etwas älteren Spiel rückwirkend noch eins auf den Deckel gab, gehe ich nun den umgekehrten Weg und möchte ein Spiel aus dem vergangenen Jahrgang hervorheben, das die meines Erachtens verdiente Aufmerksamkeit nicht ganz bekommen hat.

Wie geht MANNO MONSTER? Jeder Spieler hat 15 Monsterplättchen mit insgesamt sechs verschiedenen Motiven auf Vorder- und Rückseite. Es gibt dicke und dünne blaue, dicke und dünne rote und dicke und dünne gelbe Monster. Jedes dieser sechs Monster gibt es fünf Mal, jeweils in Kombination mit jedem anderen.
Eine Aufgabenkarte wird aufgedeckt. Sie besagt zum Beispiel, die Monsterplättchen seien so zu drehen, dass mindestens vier dünne rote, drei dünne gelbe, ein dickes gelbes und zwei dünne blaue Monster offen liegen (Aufgabe Level 1) oder kein dickes rotes Monster, zugleich mehr blaue als gelbe und ebenso viele dünne rote wie dicke gelbe (Level 6).
Alle spielen gleichzeitig. Wer meint, er sei fertig, dreht die Sanduhr um. Jetzt läuft die Restzeit für alle anderen Spieler. Für richtige Lösungen gibt es hinterher Punkte, natürlich gestaffelt nach Reihenfolge.

Was passiert? Wer glaubt, MANNO MONSTER sei mal wieder nur eine dieser vielen Zeitdruck-Knobeleien, hat nicht ganz Unrecht, denn in der Tat ist MANNO MONSTER Knobelei unter Zeitdruck. Nur das „nur“ stimmt nicht. Einen Aspekt nämlich finde ich originell: Viele Aufgabenstellungen erlauben, sich der Lösung mit Logik zu nähern.
Wer will, kann zwar trotzdem auf gut Glück und so schnell wie möglich Plättchen wenden, bis irgendwann eine Lösung da liegt. Wer aber anders will, denkt vorher nach oder geht zumindest mit System an die Sache. Manchmal ergibt sich die gesuchte Kombination dann ganz zwangsläufig, manchmal reduziert sich wenigstens die Menge der Plättchen, mit denen noch herumprobiert werden muss.
Logisches Vorgehen ist deshalb möglich, weil jeder mit seinem eigenen Plättchenvorrat agiert. Das wiederum bringt als Nachteil mit sich, dass hier jeder nur für sich puzzelt – was manche Spieler schlichtweg nicht mögen. Überhaupt ist MANNO MONSTER meiner Erfahrung nach ein Spiel, das spaltet. Wer hektische Knobeleien generell mag, mag auch MANNO MONSTER. Und wer nicht, der nicht. Die Tatsache, dass MANNO MONSTER auch eine andere Ebene hat, fällt da seltsamerweise nicht ins Gewicht. Vielleicht weil es nicht erkannt wird.

Was taugt es? MANNO MONSTER sieht kindlicher aus, als es sich spielt, denn die Aufgaben der höheren Schwierigkeitsstufe bieten mehr als Hektik. Ohnehin erlauben die verschiedenen Levels, das Spiel an die Fähigkeiten der Gruppe anzupassen oder Erwachsenen und Kindern unterschiedliche Aufgaben zuzuteilen.

MANNO MONSTER von Marco Teubner für zwei bis vier Spieler, Kosmos.

Freitag, 19. Dezember 2014

Black Fleet

Fiesheiten muss man in BLACK FLEET ertragen können. Mir macht das zum Glück überhaupt nichts aus, anderen eins auf den Deckel zu geben. Ich gehöre also zur Zielgruppe.

Wie geht BLACK FLEET? Jeder Spieler steuert ein Handelsschiff und ein Piratenschiff. Mit dem Handelsschiff transportiert man Waren von Ah nach Beh und kassiert dafür Geld. Mit dem Piratenschiff nimmt man fremden Handelschiffen Ware ab (und kassiert dafür sogar noch Belohnung aus der Bank).
Auf dem Spielplan segeln außerdem zwei Kriegsschiffe, die abwechselnd von allen Spielern manövriert werden und Piratenschiffe versenken. Auch dafür gibt es eine Belohnung. (Keine Angst: Die Piratenschiffe sind nicht wirklich tot; sie werden wiedergeboren.)
Wer am Zug ist, spielt eine seiner Bewegungskarten und eventuell noch Sonderkarten. Die Bewegungskarte weist beiden eigenen Schiffen sowie entweder dem gelben oder dem violetten Kriegsschiff Bewegungspunkte zu. Entsprechend weit darf man die Schiffe ziehen und unterwegs eine Aktion ausführen. Sonderkarten gestatten zum Beispiel Extraschritte oder das Überqueren von Inseln oder belohnen bestimmte Handlungen mit Geld oder... oder...
Das Ziel ist, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, um damit fünf Entwicklungskarten freizuschalten. Wer zuerst die Karte für 20 Dublonen aktiviert, gewinnt. Dazu muss er aber vorher und in beliebiger Reihenfolge seine Karten zu 5, 8, 11 und 14 Geld abgearbeitet haben.

Was passiert? Mit Piraten fremde Handelsschiffe ansteuern und Beute machen, die eigenen Handelsschiffe möglichst verlustfrei durchwuseln: Viel Strategie gibt es nicht. Eigentlich gar keine. Die Augenblicks-Entscheidungen dominieren.
Meine Karten geben den Rahmen meiner Möglichkeiten vor, ich mache das Beste daraus. Erlaubt mir eine Bewegungskarte, einen Spieler zu berauben? Dann tu ich’s. Erlaubt mir eine Bewegungskarte, einen Piraten zu versenken? Dann tu ich’s. Bringt mir eine meiner Sonderkarten einen Geldvorteil? Dann spiele ich sie.
Eine Überlegung wert ist dann tatsächlich die Frage, ob man einfach die erstbeste Entwicklungskarte aktivieren sollte oder auf eine teurere spart. Jede Karte bringt eine Sonderfähigkeit mit, die der Spieler für den Rest der Partie erhält. Und die Aktionen der 14er-Karten sind deutlich stärker als die der 5er-Karten. Beispielsweise darf man mit dem Handelsschiff nun auch Piratenschiffe angreifen oder Schiffe die Position tauschen lassen.
Im Laufe des Spiels lohnt es immer weniger, die Positionierung der eigenen und fremden Schiffe zu berücksichtigen. Jeder Spieler besitzt nun diverse und auch noch unterschiedliche Sonderfähigkeiten. Man verliert den Überblick. Nichts ist mehr sicher, nahezu alles möglich. Man kann nur abwarten, wie sich die Lage zu Beginn des nächsten Zuges darstellt.
Aber Willkür, Aggressivität und Schadenfreude passen durchaus zu einem Piratenspiel. Denn Piraten sammeln nicht brav Siegpunkte, Piraten hauen in die Fresse. Thema und Spielmechanismus harmonieren bestens. Andererseits bleibt das Geschehen oberflächlich. Obendrein begünstigen die starken Sondereigenschaften, dass der führende Spieler seinen Vorsprung weiter ausbaut, wenn die anderen nicht gezielt dagegen angehen.

Was taugt es? Atmosphärisch ist BLACK FLEET sehr stark, das Thema ist toll umgesetzt, spielerisch bewegt sich das Geschehen in flachen Gewässern und bietet wenig Variation. In Summe schlägt mein Herz eher für BLACK FLEET, und ich wäre beim nächsten Mal wieder mit dabei.

BLACK FLEET von Sebastian Bleasdale für drei bis vier Spieler, Space Cowboys.

Montag, 15. Dezember 2014

Vor 20 Jahren (24): Tichu

Wie bereits erwähnt, aber noch nicht weiter vertieft, war ich vor 20 Jahren Zuvieldienstleistender. Bei Dienstbeginn wurde ich gefragt, ob ich ein Monatsticket für Busse und Bahnen haben möchte. Ich sah nicht den Nachteil und sagte: „Au ja!“
Den Nachteil erfuhr ich erst später: Wer auf die Fahrkarte verzichtete, bekam ihren Wert ausgezahlt – zusätzlich zum Sold. Das war ein durchaus relevanter Betrag, von dem man sich monatlich ein oder zwei Spiele hätte kaufen können. Leider konnte man die Fahrkarte nicht so leicht wieder abbestellen. Man musste jemanden finden, der sie für den Rest ihrer Laufzeit (15 Monate) übernahm. Und da nicht gerade wöchentlich neue Zivis eingestellt wurden, hatte ich das blöde Ticket bis zu meinem Dienstende am Hals.

Damit es sich zumindest ein bisschen sinnvoller anfühlte, nahm ich für die wöchentliche Tour zu meiner Spielerunde im Stadtteil List bewusst den Bus. Der fuhr fast exakt von Haustür zu Haustür und brauchte 16 Minuten. Mit dem Fahrrad (das zugegebenermaßen sogar noch exakter von Haustür zu Haustür gefahren wäre) hätte ich entsetzliche 18 oder gar 19 Minuten gebraucht. Das Ticket war also auf dem besten Weg, sich zu rentieren!

Die Spielerunde fand in einer Frauen-WG statt. Die Wohnung war... na ja. Heute (älter, versnobter, im Berufsleben stehender) würde man sie wohl nicht mehr anmieten (und wohl auch nicht angeboten bekommen). Damals aber waren Wohnungen in Hannover extrem knapp. Und das Geld bei den Beteiligten auch. So ergab es sich dann eben, dass unser Spielraum nicht beheizbar war und dass die Türklingel nicht klingelte.

Der Nachteil fehlender Heizungen erschließt sich sofort. Der Nachteil fehlender Klingeln vielleicht erst später, zum Beispiel wenn man Schlafwandlerin ist und sich eines Nachts bei geschlossener Tür im Treppenhaus wiederfindet. (Details tun nichts zur Sache.)

Reden wir lieber von der Spielerunde. Vor 20 Jahren schenkten mir meine Mitspielerinnen zu Weihnachten ein Foto. Hier ist es:


Zu sehen sind außer meinen Mitspielerinnen drei typische Gemütszustände während einer TICHU-Partie: Die Spielerin links ist von ihrem nahenden Triumph bereits überzeugt. Die Spielerin in der Mitte steckt noch in der Analysephase, während die Spielerin rechts eine gewisse Unzufriedenheit durchblicken lässt. (Sie bat mich übrigens zu schreiben, dass wir beide immer gewonnen hätten. Klar. Mache ich. Auch wenn’s gelo... tüdelü. Details tun auch hier nichts zur Sache.)

Obwohl das Foto anderes vermuten lässt, war die Spielegruppe, die in geänderter Besetzung übrigens bis heute existiert, keine reine „Udo plus Frauen“-Runde. Das Personal fluktuierte damals stark. Einige Male spielte beispielsweise ein Langhaariger namens John mit, der mir vor allem dadurch in Erinnerung geblieben ist, dass er meine mitgebrachten Käsestullen wegfutterte und dabei noch nörgelte, dass es sich nur um Tütenbrot handele.

Aber unabhängig davon, wer nun dabei war: Gespielt wurde hauptsächlich TICHU. Weil meine Mitspielerinnen kaum Erfahrungen mit Spielen besaßen, begannen wir ganz langsam, Schritt für Schritt und mit offenen Karten. Die Ansagen und das Wünschen ließ ich damals bei meiner Erklärung weg. Und selbst heute spielen wir TICHU noch ohne Wünschen; es hat sich später einfach nie etabliert.

Allerdings spielen wir heute sowieso fast gar nicht mehr TICHU, denn leider muss ich (älter, versnobter, im Berufsleben stehender) meine Mitspieler zum Ausprobieren von Neuheiten zwingen.
Und nach 20 Jahren spielen wir natürlich auch nicht mehr mit offenen Karten, und ohnehin haben sich die spielerischen Vorlieben verändert. Damals führte ich Spiele wie BILLABONG, ASTERIX – DAS KARTENSPIEL oder AUF HELLER UND PFENNIG ein. Heute spielt die Runde bevorzugt DIE BURGEN VON BURGUND, TZOLK’IN oder RUSSIAN RAILROADS.

Doch trotz allem: Ein klitzekleiner Rest der Urängste vor Überforderung scheint irgendwo ganz tief drin überlebt zu haben. Sobald ich Spiele auspacke, die nach höherer Gewichtsklasse aussehen, werde ich standardmäßig selbst heute noch gefragt: „Verstehen wir das? Ist das auch nicht zu kompliziert?“

Vor 20 Jahren (23): Auf Heller und Pfennig
Vor 20 Jahren (25) mehr Tichu

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Mauna Kea

Manche entkommen...

Im Laufe eines Jahres spiele ich leider auch diverse Graupen und nehme mir vor, ihnen in meinem Blog ordentlich eins überzubügeln. Aus zwei Gründen unterbleibt es am Ende oft doch:
1. Selbst wenn ich mir in meinem Urteil eigentlich sicher bin, denke ich: „Ach, ein allerletztes Mal könnte man es noch spielen, nur um noch sicherer zu sein.“ Und weil Graupen nun mal nicht sehr attraktiv sind, lässt die hypothetische allerletzte Partie auf sich warten, die Zeit vergeht, und irgendwann ist das Spiel veraltet.
2. Die meisten Leute wollen ohnehin nichts über Graupen lesen. Das sehe ich an den Klickzahlen. Nur wenn ich ein Spiel bespreche, das der typische Freak aktuell auf seinem Radar hat, springt der normalerweise unaufgeregt dahin schleichende Leserzähler merklich an.
MAUNA KEA allerdings wollte ich auf keinen Fall entkommen lassen. Trotz Veralterung. Trotz Leserverdruss. MAUNA KEA rangiert für meine Begriffe noch unterhalb der Graupe.

Wie geht MAUNA KEA? Unsere Figuren sollen von einer Vulkaninsel auf Boote entkommen und dabei möglichst viele Artefakte mitnehmen. Gerettete Forscher und Artefakte zählen Punkte.
Landschaftsplättchen zeigen leicht passierbaren Wald, schwer passierbares Wasser und unpassierbaren Fels. Wer am Zug ist, platziert Plättchen aus seinem Vorrat auf dem Spielplan oder wirft einige oder alle in den Beutel zurück, wofür er Bewegungspunkte erhält, um sie auf seine Figuren zu verteilen. Anschließend zieht man Plättchen nach. Erwischt man dabei Lava, wird sie an vorgegebenen Stellen angelegt. Stehen dort Figuren, sind sie futsch.

Was passiert? Schnell tauchen Probleme auf. Und damit meine ich am allerwenigsten, dass der Stoffbeutel kurioserweise zu klein ist, um (wie eigentlich vorgesehen) die Plättchen darin zu mischen.
Durch entweder Willkür der Lava oder Bosheit der Mitspieler beim Platzieren der Plättchen können Figuren komplett eingeschlossen und somit handlungsunfähig werden. Im schlimmsten Fall hängt sich MAUNA KEA auf, denn eine Partie endet erst, sobald ein Spieler keine Figur mehr auf der Insel besitzt.
Wendet man das vom Verlag nachgestrickte Regel-Update an, endet das Spiel auch, sobald alle Figuren festgefahren sind. Das ändert aber nichts am Grundübel: Es ist absolut ätzend, mit seiner letzten Figur eingemauert zu sein, nichts mehr tun zu können und den anderen rundenlang zusehen zu müssen. Einziger Fortschritt des Updates: Sobald es für alle ätzend ist, endet die Partie nun auch offiziell.
Eine thematisch groteske, aber leider trotzdem aussichtsreiche Taktik zur Verteidigung einer einmal erzielten Führung besteht darin, den auf der Insel verbliebenen Rest seiner Leute absichtlich der Lava in den Weg zu stellen und auf schnelle Verkokelung zu hoffen. Das klappt im Fortgeschrittenen-Spiel besonders effektiv in Kombination mit der „Helikopter“-Karte, die den ohnehin schon unausgegorenen Karten die Krone aufsetzt.
Klar: Es muss und wird nicht in jeder Partie so derbe kommen. Doch selbst in Partien ohne Totalschaden missfällt mir der Spannungsverlauf: Am Anfang raubt die Lava hart, schnell und überraschend einige Figuren. Je länger MAUNA KEA dauert, desto harmloser und berechenbarer wälzt sich der Feuerschlamm dahin. Die ersten paar Züge und Zufälle bewirken schon eine Vorentscheidung für das gesamte Spiel.

Was taugt es? Man kann einwenden, dass MAUNA KEA häufiger funktioniert als dass es nicht funktioniert. Bei anderen Produkten würde mich dieses Argument allerdings nicht gerade trösten: Warum also bei einem Spiel?
MAUNA KEA ist unausgereift und gehört in die Werkstatt, aber nicht auf den Markt.

MAUNA KEA von Touko Tahkokallio für zwei bis vier Spieler, HUCH! & friends.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Colt Express

Kürzestrezension: Leider geil!

Die etwas längere Fassung: COLT EXPRESS hat zwei Nachteile: Erstens verläuft es spieltaktisch wenig variabel, zweitens verleitet es Kinder zu Überfällen auf Eisenbahnen. Dummerweise macht COLT EXPRESS trotzdem Spaß.

Und schließlich die Langfassung für all jene, die während ihrer Arbeitszeit lesen:

Wie geht COLT EXPRESS? Wir überfallen einen Zug. Wer das meiste Geld erbeutet, gewinnt. Der Zug ist ein dreidimensionales Objekt mit Lokomotive und so vielen Waggons wie Mitspieler. Jeder Zugteil besteht aus zwei Ebenen: Innenraum und Dach. Innen befinden sich die Beutestücke (je 250 bis 500$). Auf dem Dach ist üblicherweise nichts zu holen, man kommt aber schneller voran, außerdem ist es der einzige Weg am Marshal vorbei. Nur über das Dach erreicht man den besonders wertvollen Geldkoffer (1000$) in der Lokomotive. 1000$ gehen am Schluss auch an denjenigen („Revolverheld“), der die meisten Kugeln aus seinem Magazin verschossen hat.
Jeder Spieler besitzt dieselben zehn Aktionskarten, mischt sie und zieht sechs auf die Hand. Eine zufällig bestimmte Rundenkarte gibt vor, wie die Aktionskarten reihum auf einen gemeinsamen Stapel zu spielen sind: Beispielsweise erst jeder eine Karte offen, dann jeder eine verdeckt, dann zwei offen und schließlich noch mal eine offen. Mit den gespielten Karten „programmiert“ man wie in ROBO RALLY seinen Spielzug, zum Beispiel so: 1. einen Waggon weitergehen, 2. prügeln, 3. Beute aufheben, 4. schießen, 5. Marshal bewegen.
Ob das tatsächlich alles wie geplant stattfindet, zeigt sich bei der Auswertung: Wie in MAMMA MIA! wird der gesamte Stapel umgedreht, anschließend die Karten in der Reihenfolge ihres Ausspiels aufgedeckt und ausgeführt. Prügeleien oder der Besuch des Marshals bewirken, dass die Figur des Opfers versetzt wird, was dessen weitere Pläne meist komplett durchkreuzt.

Was passiert? Weil genau diese Fehlleistungen und ungewollte Kettenreaktionen der Höhepunkt einer jeden Runde sind, freut man sich, wenn wieder Karten verdeckt gespielt werden dürfen, und hofft, den Gegner irgendwie überraschen und aus dem Konzept bringen zu können. Großes Hallo, wenn jemand einen Schatz aufheben will, wo keiner mehr ist, oder ein lustiges Luftloch prügelt. Bei COLT EXPRESS gehen die Emotionen hoch: „Oh nein, du hast mich geschubst, und jetzt laufe ich dem Marshal in die Arme!“ „Schieß nicht schon wieder auf mich, nimm doch lieber den da!“
Ach ja, hm... Problemthema Schießen: Je häufiger man COLT EXPRESS spielt, desto mehr wird herumgeballert. Jeder Treffer (das Ziel muss sich dazu direkt im Nebenwaggon befinden) schustert dem Opfer eine Patronenkarte ins Deck, die mittelfristig seine Hand verstopft, da sich unter den sechs Startkarten zunehmend Nieten befinden werden. Wer will, darf deshalb grundsätzlich drei Karten nachziehen, statt eine zu spielen.
Geschossen wird, weil es lustig ist und den Getroffenen ärgert. Geschossen wird aber auch, weil es lukrativ ist. Oft entscheidet die Prämie für den Revolverhelden die Partie. Der ebenso wertvolle Geldkoffer wird anfangs noch scharf vom Marshal bewacht. Es spricht also viel dafür, erst mal wie wild loszuschießen und sich um den ganzen Rest nebenbei oder später zu kümmern.

Was taugt es? Der Bonus für den „Revolverhelden“ erscheint mir zu hoch, ebenso halte ich die Charaktere (jeder Spieler besitzt eine Spezialeigenschaft) für unterschiedlich stark. COLT EXPRESS punktet aber mit seinem Unterhaltungswert, seiner Aufmachung (auch wenn alles etwas fummelig ist) und der fetzigen Story. Thema und Mechanismus harmonieren bestens. COLT EXPRESS lässt die Partie zur Party werden. Dabei zu sein ist tatsächlich Belohnung genug, der Ausgang wird zur Nebensache. Vier Personen sollten jedoch mindestens mitspielen.

COLT EXPRESS von Christophe Raimbault für zwei bis sechs Spieler, Ludonaute.