Kürzestrezension: Leider geil!
Die etwas längere Fassung: COLT EXPRESS hat zwei Nachteile: Erstens verläuft es spieltaktisch wenig variabel, zweitens verleitet es Kinder zu Überfällen auf Eisenbahnen. Dummerweise macht COLT EXPRESS trotzdem Spaß.
Und schließlich die Langfassung für all jene, die während ihrer Arbeitszeit lesen:
Wie geht COLT EXPRESS? Wir überfallen einen Zug. Wer das meiste Geld erbeutet, gewinnt. Der Zug ist ein dreidimensionales Objekt mit Lokomotive und so vielen Waggons wie Mitspieler. Jeder Zugteil besteht aus zwei Ebenen: Innenraum und Dach. Innen befinden sich die Beutestücke (je 250 bis 500$). Auf dem Dach ist üblicherweise nichts zu holen, man kommt aber schneller voran, außerdem ist es der einzige Weg am Marshal vorbei. Nur über das Dach erreicht man den besonders wertvollen Geldkoffer (1000$) in der Lokomotive. 1000$ gehen am Schluss auch an denjenigen („Revolverheld“), der die meisten Kugeln aus seinem Magazin verschossen hat.
Jeder Spieler besitzt dieselben zehn Aktionskarten, mischt sie und zieht sechs auf die Hand. Eine zufällig bestimmte Rundenkarte gibt vor, wie die Aktionskarten reihum auf einen gemeinsamen Stapel zu spielen sind: Beispielsweise erst jeder eine Karte offen, dann jeder eine verdeckt, dann zwei offen und schließlich noch mal eine offen. Mit den gespielten Karten „programmiert“ man wie in ROBO RALLY seinen Spielzug, zum Beispiel so: 1. einen Waggon weitergehen, 2. prügeln, 3. Beute aufheben, 4. schießen, 5. Marshal bewegen.
Ob das tatsächlich alles wie geplant stattfindet, zeigt sich bei der Auswertung: Wie in MAMMA MIA! wird der gesamte Stapel umgedreht, anschließend die Karten in der Reihenfolge ihres Ausspiels aufgedeckt und ausgeführt. Prügeleien oder der Besuch des Marshals bewirken, dass die Figur des Opfers versetzt wird, was dessen weitere Pläne meist komplett durchkreuzt.
Was passiert? Weil genau diese Fehlleistungen und ungewollte Kettenreaktionen der Höhepunkt einer jeden Runde sind, freut man sich, wenn wieder Karten verdeckt gespielt werden dürfen, und hofft, den Gegner irgendwie überraschen und aus dem Konzept bringen zu können. Großes Hallo, wenn jemand einen Schatz aufheben will, wo keiner mehr ist, oder ein lustiges Luftloch prügelt. Bei COLT EXPRESS gehen die Emotionen hoch: „Oh nein, du hast mich geschubst, und jetzt laufe ich dem Marshal in die Arme!“ „Schieß nicht schon wieder auf mich, nimm doch lieber den da!“
Ach ja, hm... Problemthema Schießen: Je häufiger man COLT EXPRESS spielt, desto mehr wird herumgeballert. Jeder Treffer (das Ziel muss sich dazu direkt im Nebenwaggon befinden) schustert dem Opfer eine Patronenkarte ins Deck, die mittelfristig seine Hand verstopft, da sich unter den sechs Startkarten zunehmend Nieten befinden werden. Wer will, darf deshalb grundsätzlich drei Karten nachziehen, statt eine zu spielen.
Geschossen wird, weil es lustig ist und den Getroffenen ärgert. Geschossen wird aber auch, weil es lukrativ ist. Oft entscheidet die Prämie für den Revolverhelden die Partie. Der ebenso wertvolle Geldkoffer wird anfangs noch scharf vom Marshal bewacht. Es spricht also viel dafür, erst mal wie wild loszuschießen und sich um den ganzen Rest nebenbei oder später zu kümmern.
Was taugt es? Der Bonus für den „Revolverhelden“ erscheint mir zu hoch, ebenso halte ich die Charaktere (jeder Spieler besitzt eine Spezialeigenschaft) für unterschiedlich stark. COLT EXPRESS punktet aber mit seinem Unterhaltungswert, seiner Aufmachung (auch wenn alles etwas fummelig ist) und der fetzigen Story. Thema und Mechanismus harmonieren bestens. COLT EXPRESS lässt die Partie zur Party werden. Dabei zu sein ist tatsächlich Belohnung genug, der Ausgang wird zur Nebensache. Vier Personen sollten jedoch mindestens mitspielen.
COLT EXPRESS von Christophe Raimbault für zwei bis sechs Spieler, Ludonaute.