Anja Wrede Die Interviewte: Anja Wrede (43), Spieleautorin und Grafikerin aus Berlin. Gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Claudia Hartmann gründete sie den Kinderspiele-Verlag Edition Siebenschläfer.
Der Interviewer: Udo Bartsch (43), Spielekritiker aus Hannover. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Ede (U-Haft) gründete er das Redaktionsbüro „Copy & Paste für Millionen“ (insolvent).
Frau Wrede, im ersten Teil meiner fulminanten Erfolgsserie „Eine Million Interviews“ bin ich unglücklicherweise einem Scharlatan aufgesessen. Ganz am Ende des Gesprächs stellte sich heraus, dass er tatsächlich weniger Spiele verkauft hat, als es Sandkörner auf der Erde gibt! Ich hoffe, mit Ihnen habe ich nun eine echte Erfolgsautorin vor mir?Werter Herr Bartsch, ojeoje, ich fürchte, diese Hürde schaffe auch ich nicht, obwohl ich schon so lange in diesen Pappschachteln unterwegs bin. Bin ich hiermit aus der Zielgruppe herausgefallen und wir haben schnellen Schrittes bereits das Ende des Interviews erreicht?
Das hätten Sie wohl gern! Aber wir zwei müssen das durchziehen. Ich hab doch sonst niemanden... Äh, was sagten Sie eben: Sie sind in Pappschachteln unterwegs!?Ähem, Sie etwa nicht? Erstaunlich, ich dachte, diese Fortbewegungsart hätte sich mittlerweile durchgesetzt. Ich nutze sie schon seit frühester Kindheit. Damals waren es allerdings große, gerade ausgepackte Lebensmittelkartons, mit denen ich über den langen Flur neben dem Lagerraum unseres Tante-Emma-Ladens rumpelte. Heute sind die Schachteln kleiner. Damit ist es auch einfacher, die Kurven und Hindernisse im alltäglichen Leben und Arbeiten ohne allzu viele blaue Flecken zu überstehen.
Verdammt. Wieder ein Trend aus der Hauptstadt, den ich verpasst habe! Das dauert ewig, bis so etwas hier in der Provinz ankommt. Wenn wir in Hannover endlich in Schachteln durch die Gegend fahren, haben Sie in Berlin bestimmt schon wieder was neues Verrücktes. Was weiß ich: Schuhe ohne Schnürsenkel. Oder Autorennamen auf Spielen.Tja, da muss ich Sie nun aber dezent belehren: Den Trend hab ich aus der Provinz mitgebracht, gemeinsam haben wir diverse Orte in Bayern und Niedersachsen bereist, bevor wir hier gelandet sind. Und diese Landung erfolgte auch noch – ich schäme mich etwas, aber es muss gesagt werden – in einem total uncoolen Stadtteil. Denn – unglaublich, aber wahr: Ja, es ist Leben außerhalb von Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain möglich.
Und mehr noch: Trends entstehen bisweilen an eher abseitigen Orten. In Göttingen jedenfalls wurde das mit den Autorennamen aus der Taufe gehoben und auf einen berühmten Bierdeckel verewigt. Und wenn Sie jetzt bitte fragen würden, ob man vom Spieleerfinden denn eigentlich leben kann, darauf habe ich nämlich seit kurzem eine sehr schöne Antwort!
Frau Wrede, ich möchte Ihnen an dieser Stelle eine eher pikante Frage stellen, die Sie vielleicht überraschen wird: Kann man vom Spieleerfinden eigentlich leben?Oh, Herr Bartsch, Ihre Frage erschreckt mich etwas, bitte lassen Sie mich kurz etwas überprüfen, vielleicht bin ich schon längst tot?
Aber nein, ich habe den Beweis: Ich habe sowohl eine Zahnbürste als auch ein Bett in der Wohnung. Dass diese beiden Dinge wichtige Beweise für das reale Leben sind, weiß ich, seit ich eine wunderbare Hörspielfassung der „Geschlossenen Gesellschaft“ gehört habe. Die Neuankömmlinge in der Hölle haben sich nämlich beschwert, dass es weder Zahnbürsten noch Betten gäbe. Und der Höllenhausmeister sagt daraufhin, sie seien doch schon tot, schlafen müssten sie darum ja nicht mehr, und Zähneputzen sei ebenfalls vorbei.
Ich habe beides, ich lebe also. Also kann ich vom Spieleerfinden und sogar damit leben. Allerdings ist mein Portfolio ein bunter Gemischtwarenladen verschiedener Projekte...
Ach? Und jetzt soll ich wohl fragen, was für Projekte das sind? Hören Sie mal, so läuft das aber nicht! Ich bin hier der Chef! Ich gebe das Kommando! Und ich frage, was ich will. Was für Projekte sind das denn?Das ist geheim. Aber eines sage ich Ihnen: Mit CARCASSONNE habe ich nichts zu tun.
Nee, nee, nee, so nicht! Man kann vor seinen Taten nicht davonlaufen, Frau Wrede. Auf sämtlichen CARCASSONNE-Spielen steht Ihr Name! Das beweist alles, und jetzt ist diese Göttinger Bierdeckel-Geschichte aber mal so richtig schön nach hinten losgegangen!Nun ja, mein Name begleitet mich ja schon mein ganzes Leben, CARCASSONNE dagegen erst 11 Jahre. Aber ich verrate es Ihnen im Vertrauen: Ja, es gibt eine Verbindung zwischen dem Herrn von CARCASSONNE und mir.
Wenn Sie sich hier umschauen, werden sie wachen Auges entdecken: In meinem Spieleregal gibt es mehr Spiele, auf denen der Name „Wrede“ steht, als in meiner Ludografie verzeichnet sind.
Schwupps, habe ich hier nicht nur gut 50, sondern knapp 60 Spiele. Und überall ein Wrede drin, zumindest teilweise. Meistens eine Anja – und manchmal ein Klaus-Jürgen.
50...? 60...? 11...? – Tut mir Leid, das ist mir zu hoch. Kann es sein, dass Sie ganz gerne mal mit Zahlen tricksen, Frau Wrede? Ihr Verlag müsste ja eigentlich „Edition Zweimacherinnen“ heißen, statt dessen nennen Sie sich „Sieben Schläfer“. Ich wittere Betrug. Sie wollen die Menschen in die Irre führen. Ich bin der Erste, der es durchschaut!Ähem, das mit den Zahlen. Na ja, das ist wirklich so ein Thema bei mir. Aber ich muss Sie leider enttäuschen, Sie sind nicht der Erste, dem das auffällt. Vor dieser Person knie ich noch heute mit großem Respekt nieder. In meiner allerersten Rechenarbeit habe ich nämlich geschummelt.
Und zwar
nach der Rückgabe. Ich hatte ausgerechnet, dass fünf plus fünf neun ergibt. Frau Peters hat das anders gesehen und einen Fehler vermerkt. Aber ich war als Ladenkind modern mit Tintenkiller ausgerüstet und habe aus der Neun nicht nur nachträglich eine kruckelige Zehn gemacht, sondern bin mit dem von mir korrigiertem Heft auch noch erhobenen Hauptes zur Lehrerin gegangen und habe gesagt, dass da doch wohl das richtige Ergebnis stehe und meine Note darum doch wohl eine Eins sein müsse...
Aber in Sachen Zweimacherinnen kann ich ihnen mitteilen, dass wir gerade daran arbeiten, unseren Personalstamm zu vergrößern - wir nehmen gerade den Kontakt zur Hauptstadt der Siebenschläfer auf und hoffen, dort eine größere Anzahl artgerechten Personals zu finden.
Das wird nun leider nichts mehr werden, Frau Wrede. Das müssen Sie doch selbst einsehen: All diese Zahlentricks und die vorsätzliche Namenstäuschung mit zwei Wredes und sieben Schläfern – das zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben! Ich habe es als meine Bürgerpflicht angesehen, die Polizei zu informieren. Das Einsatzkommando wird sicher gleich hier sein. Möchten Sie noch ein paar Abschiedsworte sagen?Oh, dann bleibt mir wohl nur noch ein letztes Stoßgebet, und ich schließe mit einem Abschiedslied:
ÜBER SIEBEN BRÜCKEN MUSST DU GEHN, SIEBEN DUNKLE JAHRE ÜBERSTEHN...Aber Herr Bartsch, warum halten Sie sich denn die Ohren zu? Wir singen doch super zweistimmig, mein Hund und ich?
Ach du grüne Neune, von Ihnen kommt dieses Geheul? Und ich dachte, das wär schon die Polizeisirene. Ich muss gehen, Frau Wrede, ich danke Ihnen für das Gespräch.