Sonntag, 31. Juli 2022

Gern gespielt im Juli 2022

GOLEM: Ich muss hinzufügen: In jedem Golem steckt auch Lemgo. Nur der Zusammenhang ist mir noch nicht klar.

CARNEGIE: Büro-Builder.

FYFE: Englisch: Drei plus. Spelling: Fyfe.

ALLIE GATOR: See you later? Äh, weiß nicht. Wir haben in einer Woche eine Kanutour geplant und blieben gern ungestört.

HITSTER: Mit genügend Gedudel macht auch Gedödel Spaß.







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM JULI:

HOT AND COLD: Ein Titel wie die Außentemperaturen direkt vor / direkt nach sowie im Gegensatz dazu an den Tagen der diesjährigen Preisverleihungen in Hamburg und Berlin. (Oh, oh, es ist soweit: REZENSIONEN FÜR MILLIONEN schreibt übers Wetter.) (Nächstes Level dann: Krankheiten und Gebrechen.)


Samstag, 23. Juli 2022

Golem

Der Sage nach wurde der Golem in Prag erschaffen. Sehr wirklichkeitsgetreu also, dass er in einem Eurogame mitspielt.

Wie geht GOLEM? Alle wollen Punkte. Ich auch. Auf meinem Tableau gibt es drei Farbbereiche, in denen ich verschiedene Errungenschaften freischalte und damit gleichzeitig meine Faktoren für die Schluss-Punktemultiplikation erhöhe. Beispiel: Im roten Sektor kann ich bis zu vier Golems erschaffen. Ihre Anzahl ist der erste Multiplikator. Und ich kann meinen Golems spezielle Eigenschaften verleihen. Jede davon zählt zum zweiten Multiplikator. Vier Golems mal fünf Eigenschaften wären 20 Punkte. (Verkürzt gesagt.)
In Wahrheit ist es verwobener und komplizierter. Denn GOLEM ist ein gehobenes Eurogame. Die anderen beiden Bereiche folgen also komplett anderen Regeln. Und zu den drei Schlussmultiplikationen addieren sich noch Punkte für erledigte Zielkarten. Und Punkte, die ich während der Partie sammle. (Wieder verkürzt gesagt.)
Die thematische Grundidee von GOLEM besteht darin, dass Golems einerseits sehr arbeitssame Wesen sind. Es lohnt sich, welche zu haben. Sie stürmen auf drei Farbstraßen (korrespondierend zu den Bereichen meines Tableaus) vorwärts, und je weiter sie laufen, desto bessere Aktionen können sie ausführen. Andererseits sind Golems schwer zu kontrollieren: Je weiter sie meinen Studentenfiguren enteilen, desto kostspieliger wird dies für mich.

Der Basismechanismus wiederum ist eine Mischung aus Aktionswahl und Personaleinsatz. In jeder der vier Runden habe ich ganze drei Aktionen. Eine führt mein Rabbi aus, indem ich ihn auf eins der in jeder Runde wechselnden Einsetzfelder entsende. Für die anderen beiden werden bei Rundenbeginn Murmeln in einen Schacht geworfen. Zufällig verteilt kommen sie in fünf verschiedenen Bahnen heraus. Jede Bahn steht für eine andere Aktionsmöglichkeit. Je mehr Murmeln in der Bahn liegen, desto stärker die Aktion. Um die Aktion zu nutzen, entnehme ich eine Murmel und schwäche damit die Aktionen meiner Nachahmer:innen. Ob ich erst eine Murmel nehme oder erst den Rabbi einsetze (und damit Felder blockiere), ist mir überlassen.


Was passiert? Aktionen sind üblicherweise mehrteilig. Sonst würde man bei nur zwölf Aktionen auch kaum vorankommen. Beispielsweise bewirkt eine Murmelaktion in Bahn zwei, dass ich zunächst so viel Lehm erhalte, wie dort Murmeln liegen. Anschließend darf ich unter Bezahlung von Lehm eine Golem-Eigenschaft freischalten, dann unter Bezahlung von weiterem Lehm einen Golem erschaffen und auf einer der Straßen einsetzen.
Und wenn meine Golems bereits die Eigenschaft besitzen, dass Neugeborene sofort losrennen und arbeiten, dann wird dies ausgelöst, und die Arbeitsaktion des Golems verlängert meinen Zug um weitere Ketteneffekte.
Übrigens sind die Murmeln auch farbig. Und wenn ich die in der laufenden Runde geforderte Farbkombination einsammle, erhalte ich einen Bonus. Und die Farbe bestimmt obendrein, ob und welche meiner Studenten vorwärtslaufen.
Und wenn die gewünschte Farbe nun in eine unerwünschte Aktionsbahn gerollt ist, verursacht das ein Dilemma: Ist mir die Farbe wichtiger oder die Aktion? Oder gehe ich sowieso rein nach der Menge der Murmeln?
Weil es ertragreicher wäre, in zwei der Finalwertungen hohe Faktoren zu multiplizieren als in drei Wertungen mittelmäßige, empfiehlt sich eine gewisse Spezialisierung. Auch weil Effekte stärker sind, wenn ich einen Farbbereich schon gut ausgebaut habe. Andererseits kann sich allzu strikte Einengung rächen. Und so ist es wie so oft: Ich will alles und ich will es gleichzeitig, und ich muss mich pro Runde für gerade mal drei der vielen verlockenden Angebote entscheiden.


Was taugt es? Ein neuartiges Spielgefühl kreiert GOLEM nicht. Das, was hier reizt und herausfordert, ähnelt dem, was in vielen komplexen Eurogames reizt und herausfordert. Aber um tatsächlich zu reizen und nicht zu nerven oder sich wie Arbeit anzufühlen, benötigen Spiele dieser Art eine gewisse Stringenz und Eleganz. Eine Fokussierung. Und am besten eine Leitidee.
Bei aller Verschnörkelung: GOLEM hat dies. Selbst wenn ich noch nicht den Gesamtkomplex überblicke, habe ich stets klare Ziele vor Augen, eine Aufgabe, die ich mir setze. Bücher zu horten, wäre ein mögliches Projekt. Sie schütten Ressourcen aus und initiieren Aktionen. Am besten sammle ich gleichfarbige. Denn jedes, das zu seiner Farbe hinzukommt, aktiviert alle anderen derselben Farbe noch einmal. Um aber überhaupt mehrere Bücher derselben Farbe nehmen zu dürfen, muss ich zuerst auf meiner Forschungsskala voranschreiten … Die Realisierung ist komplex, der Plan dennoch klar. Und auch belohnend, weil jeder Teilschritt irgendwelche Vergütungen einbringt.
Nicht leugnen lässt sich, dass GOLEM ein ziemliches Gerechne ist. Grad habe ich mir was ausgedacht, lege los und plötzlich fehlt ein Geld, ach, dann mache ich den Zug doch lieber anders und kaufe erst dies, dann kriege ich das, ach nee, jetzt fehlt ein Wissen … Moment, wenn ich aber vielleicht … äh, darf ich noch mal von vorn anfangen? Wer intensiver denkt und besser optimiert, wird erfolgreicher abschneiden als Personen, die keine Lust haben, langwierig auszutüfteln, ob sich aus ihrem Zug noch fünf Prozent mehr herausholen ließen.
Aber obwohl – zumindest bei mir – am Ende der Partie stets das Gefühl bleibt, das Optimum mal wieder verfehlt zu haben, bietet GOLEM genügend Motivierendes und auch Abwechslung über mehrere Partien hinweg. Es gibt etliche Stellschrauben, um sie beim nächsten Mal anders zu drehen und zu schauen, was das denn bewirkt.
GOLEM ist spielerisch, weil es mich experimentieren lässt. Es ist konstruktiv, weil ich versuche, eine Gesamtmaschinerie ins Laufen zu bringen, und auch tatsächlich Fortschritte erlebe. Es ist mehr ein Spiel der Möglichkeiten, weniger der Strafen und Verbote.
Redaktionell gibt es Schwächen. Die Murmelbahn etwa. Der Pappaufbau, in den wir die Murmeln einfüllen, nimmt viel Platz weg, versperrt die Sicht und besitzt nicht mal eine Zufallsmechanik, um die Murmeln auf die Bahnen zu verteilen. Werfe ich alle Murmeln an derselben Seite rein, werden sie auch größtenteils an derselben Seite herauskommen. Mit Würfeln hat Yukon Airways einen sehr ähnlichen Mechanismus weitaus besser umgesetzt.
Die Farbgebung des Spielplans ist uneindeutig und somit misslungen. Und denkt man nach dem Regelstudium zunächst, alles sei geklärt, tauchen während der Partien dann doch immer wieder Fragen auf, die nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Wichtiges geht in der Anleitung von GOLEM unter. Beispielsweise hatte ich in den ersten Partien den klein gedruckten, aber trotzdem entscheidenden Grundsatz übersehen, dass man alle Boni auch nur teilweise nehmen oder auch darauf verzichten kann.
Originell ist GOLEM nur in Details, nicht in der Gesamtanmutung. Es fehlt die ganz große Innovation. Dennoch empfinde ich es in seiner gelungenen Verzahntheit und klaren Struktur als etwas stärker als nur solide. An GOLEM möchte ich noch eine Weile dranbleiben und Dinge probieren.


***** reizvoll

GOLEM von Virginio Gigli, Flaminia Brasini und Simone Luciani für eine:n bis vier Spieler:innen, Cranio Creations.

Dienstag, 19. Juli 2022

Fabula Rasa - Seemannsgarn

Prost, Leute, ihr werdet es nicht glauben, ich war gerade dabei, die beste Einleitung seit Langem zu schreiben, und dann wurde mir mittendr

Wie geht FABULA RASA? Wir müssen uns Begriffe merken und erfinden Geschichten dabei. Im Falle von FABULA RASA – SEEMANNSGARN drehen sich die Geschichten unweigerlich um Piraterie und Seefahrt. Alternativ gibt es noch die Editionen CRIME und HORROR.
Warum unweigerlich? Weil Karten bestimmen, was wir uns merken müssen. Und die SEEMANNSGARN-Karten zeigen Motive wie: eine einsame Insel, einen Enterhaken, einen Kompass, einen Strick und so weiter. Nachdem wir die sechs Startkarten einmal gesehen und von irgendwem die erste Geschichte dazu gehört haben, muss, wer an die Reihe kommt, eine Geschichte zu denselben Motiven in der richtigen Reihenfolge erzählen. Zum Beweis wird an der entsprechenden Stelle eine Karte nach der anderen umgedreht. War alles korrekt, zieht man zwei weitere Karten, bastelt daraus eine Fortsetzung, und wer nun an die Reihe kommt, muss eine noch längere Geschichte mit noch mehr Begriffen aufsagen.
Es ist also wie „Kofferpacken“. Aber dann doch ein wenig anders. Denn …


Was passiert? Vor dem Erzählen wird eine der ersten sechs Karten ausgewürfelt und aufgedeckt. Sie soll nun nicht mehr in der Geschichte vorkommen. Die unscheinbare Änderung zeigt Wirkung. Prompt gerät so manche:r ins Schwimmen und bringt die Reihenfolge der übrigen Begriffe durcheinander.
Und überhaupt: Geschichten. Beim „Kofferpacken“ zählen wir Begriffe auf. In FABULA RASA wird SEEMANNSGARN gesponnen. Das macht den eigentlich anstrengenden Ablauf plötzlich viel lockerer. Denn meistens ergeben die zufällig aufeinander folgenden Karten keinen fortlaufenden Sinn. Was wiederum zu ziemlich absurden Verknüpfungen führt. FABULA RASA gewinnt einer Gedächtnisübung amüsante Seiten ab.

Was taugt es? Die Geschichten bringen die Würze ins Spiel. Vor allem, wenn die Spieler:innen nicht einfach nacherzählen, was gerade schon referiert worden ist, sondern aus denselben Kartenmotiven etwas anderes zusammenstricken. Statt der Tätowierung geht es dann plötzlich um den muskulösen Arm, der ebenfalls auf dem Bild zu erkennen ist. Statt des Sarges um den Tod im Allgemeinen. In solchen Momenten freut man sich über die Kreativität der anderen, deren Ideen unterhaltsame Geschenke für die ganze Runde sind.
Allerdings: FABULA RASA kann auch ganz anders gespielt werden. Aufzählend, langweilig. Das Spiel bittet um unsere Kreativität, aber in der Punktwertung oder der Mechanik steckt nichts, was Kreativität direkt erfordert. Es sind immer die Spielenden, die das Spiel durch ihr Engagement wachsen lassen – oder weniger engagiert als langweilige Konzentrationsübung abarbeiten. Gutes Erzählen wird durch das Gelächter der Mitspieler:innen belohnt, aber nicht zwangsläufig durch den Spielsieg.
Vermutlich soll es um den Sieg auch gar nicht so verschärft gehen. Nur so kann ich mir die Regel erklären, dass man sich von anderen helfen lassen darf, wenn man nicht mehr weiterweiß. Die Wahl, von wem man sich helfen lässt, war in meinen Partien oft ein Königsmacher. Dass man mit hilfswilligen Spieler:innen wiederum um die Punkteverteilung feilschen soll, passt für mich zum Spielcharakter überhaupt nicht mehr. Und natürlich ist FABULA RASA schon deswegen ungerecht, weil man viel leichter Punkte gewinnt, wenn man hinter der Person sitzt, die die meisten Fehler macht.
Kurzum: Was Mechanik und Punktwertung angeht, wirkt FABULA RASA für mich unrund. Trotzdem hat das Spiel verschiedenen Runden schöne Momente beschert, weil es die Inspiration gegeben hat, um auf eine für das Gedächtnis anspruchsvolle Weise kreativ zu sein. Die Partien haben Spaß gemacht. Und das zählt letztendlich am meisten.


**** solide

FABULA RASA - SEEMANNSGARN von Nicko Böhnke für zwei bis fünf Spieler:innen, Huch!

Freitag, 15. Juli 2022

Imperium - Klassik

„Diese Anleitung enthält alle Regeln für beide Editionen. Daher begegnen dir vielleicht Verweise auf Völker oder Stichwörter, die in deiner Edition nicht vorkommen.“
Schlechte Idee! Ich möchte beim Regellesen keinen Stichwörtern begegnen, die in meinem Spiel nicht vorkommen. Für die Redaktion mag das weniger Arbeit sein. Mein Anspruch als Spieler aber ist es, dass die Redaktion dafür arbeitet, dass ich weniger Arbeit habe.
„Werft vor eurer ersten Partie am besten einen Blick in das Verzeichnis, damit ihr die Stichwörter auch als solche erkennt! Im Gegensatz zu den Glossaren in vielen anderen Spielen enthält dieses Verzeichnis tatsächlich Regeln, die ihr kennen müsst.“
Dito. Ich möchte mir nicht Grundlagen des Spiels aus einem Glossar zusammensuchen müssen. Ein Glossar ist hilfreich, um Dinge nachzuschlagen oder Spezialfragen zu beantworten. Aber nicht, um die Regeln als solche zu erklären. Und ich möchte auch nicht recherchieren müssen, welche Begriffe die Schlüsselbegriffe sind. Das zu verdeutlichen, ist Aufgabe des Layouts.


Wie geht IMPERIUM? IMPERIUM vereint Zivilisationsspiel mit Deckbau. Jede:r spielt eine von acht möglichen Zivilisationen, beispielsweise Römer oder Wikinger. Eine Punkteaddition am Schluss entscheidet. Die Karten in meinem Deck zählen teilweise einen festen Wert, teilweise in Abhängigkeit von meinem Besitz, teilweise in Abhängigkeit davon, in welchem Spielbereich sich die Karte am Ende befindet. Hinzu kommen die Siegpunktmarker, die ich während der Partie erworben habe.
Pro Spielzug darf ich drei meiner fünf Handkarten ausspielen, um Aktionen auszulösen. Aktionen bewirken, dass ich Rohstoffe oder Bevölkerung erhalte (beides sind Zahlungsmittel für andere Aktionen), Karten dauerhaft in meine Auslage spiele (wo sie mir Vorteile bringen oder zumindest nicht mehr stören) oder Karten aus dem Markt erwerbe und meinem Deck hinzufüge.


Was passiert? Zusätzliche Karten machen mein Deck üblicherweise besser, andererseits auch langsamer. Bei jedem Nachmischen kommt eine weitere Karte meines „Volksstapels“ ins Deck. Zwar sind nicht alle diese Karten gut, im Allgemeinen bin ich dennoch an einem schnellen Durchlauf interessiert. Denn: Sobald ich den Volksstapel komplett aufgesogen habe, gewinnt meine Zivilisation einen neuen Status: Ich habe die Barbarei verlassen und bin nun ein zivilisiertes „Imperium“.
Das hat den Vorteil, dass ich endlich Karten spielen darf, die nur Imperien spielen dürfen. Und bei jedem Nachmischen kommt fortan eine Karte meines „Entwicklungsstapels“ ins Deck – und die sind alle gut. Allerdings darf ich nun keine Karten mehr spielen, die ausschließlich Barbar:innen vorbehalten sind, weshalb ich solche Karten jetzt natürlich nicht mehr kaufe und die vorhandenen aus meinem Kartenkreislauf zu entfernen versuche.
Immer wieder stellt mich IMPERIUM vor knifflige Entscheidungen: Um schneller zu werden, müsste ich restliche Karten am Ende meines Zuges auch einfach mal abwerfen – aber sie sind doch so gut und vielleicht ziehe ich danach viel schlechtere? Um besonders wertvolle Karten vom „Ruhmstapel“ erwerben zu dürfen, muss ich Gebietskarten, die ich in meine Auslage gespielt hatte, auf meinen Ablagestapel verfrachten. Und das ist gleich aus zwei Gründen schlecht: Ihre Rohstoffsymbole gehen verloren und sie verlangsamen wieder mein Deck. Doch: Karten vom Ruhmstapel sind wirklich gut, die will ich schon haben …

Was taugt es? Wenn man ein paar Runden gespielt hat, fällt auf, wie wenig kompliziert die Regeln von IMPERIUM eigentlich sind. Und man fragt sich erst recht, warum die Anleitung alles so verwirrend dargestellt hat. Ein paar kleinere Hakeligkeiten im Ablauf gibt es aber doch. Beispielsweise muss man bei jedem Zugende eine der Karten im Markt mit einem Siegpunktchip aufwerten. Und in meinen Partien hat das immer wieder irgendwer vergessen und wir mussten die mutmaßlich korrekte Spielsituation rekonstruieren.
Auch das alternative Spielende, wenn alle „Aufstand“-Karten (vergleichbar mit den Flüchen in DOMINION) aufgebraucht sind, wurde in meinen Partien eher als unpassend und unerwünscht empfunden – egal, wer dadurch gewonnen hatte.
Die Wertung am Ende ist recht kompliziert und erfordert ein sehr genaues Sortieren der Karten. Der Wert der Karten schwankt zwischen sehr vielen und sehr wenigen Punkten, so dass ich mich frage, ob es denn überhaupt nötig ist, so viele Karten mit Punktwerten zu versehen. Immer wieder haben auch Spieler:innen während der Partie aus dem Blick verloren, wofür sie alles Punkte bekommen würden. Es waren einfach zu viele Faktoren.
Wer sich in IMPERIUM gut einarbeitet, hat das natürlich eher im Griff, unterscheidet besser zwischen Karten mit wichtigen und zu vernachlässigenden Informationen und kennt vor allem die entscheidenden Karten der eigenen Zivilisation. Denn tatsächlich spielt sich jede Fraktion etwas anders.
Das spielerische Erfahren der Zivilisationen macht in IMPERIUM den Reiz aus. Man ist neugierig: Was können die? Was machen die? Vor welche Aufgabe bin ich hier gestellt? Thematisch bleibt IMPERIUM eher abstrakt, die Mechanik steht im Vordergrund.
Im Regelfall bietet ein Zug mehr als drei verlockende Aktionsmöglichkeiten. So gilt es immer wieder, sich zwischen mehreren guten Sachen zu entscheiden. Das Spielgefühl ist im Wesentlichen konstruktiv, es geht voran ohne drückenden Ressourcen-Mangel. Ich erlebe, wie sich mein Volk entwickelt.
Und wie ich es entwickle. Es gibt wohl ein gewisses Script, wie ich mit Rom oder Persien oder Karthago agieren sollte. Aber IMPERIUM ist eben auch ein Deckbauspiel, und ich habe eine zufällige Mischung von Karten auf der Hand und muss mit einem Markt umgehen, in dem ich jedes Mal andere Bedingungen vorfinde. Somit sind es am Ende immer meine Entscheidungen, kein vorgefertigtes Muster.
Sich in die acht Zivilisationen reinzuspielen, bietet sehr viel Spielstoff. IMPERIUM ist ein Spiel, in das man einiges an Zeit investieren muss. Ab drei Personen ist eine Partie abendfüllend. IMPERIUM braucht aber gar nicht viele Teilnehmer:innen. Zu zweit gefällt es mir am besten, weil ich lieber gegen einen Menschen als gegen einen von mir verwalteten Bot spiele.


***** reizvoll

IMPERIUM: KLASSIK von Nigel Buckle und Dávid Turczi für eine:n bis vier Spieler:innen, Osprey Games / Giant Roc.

Montag, 11. Juli 2022

Vor 20 Jahren (115): Wer bin ich?

Schon die Klickzahlen der Folge 101 litten darunter, dass ich ihr den Titel „Mensch ärgere dich nicht“ gegeben hatte. Das war sicher nicht klug gewählt, zumal es gar nicht um das gleichnamige Spiel ging, sondern um Anekdoten aus meinem Journalistenleben. Aber viele Fehler der Weltgeschichte wiederholen sich, schon sehr häufig wurde nicht klug gewählt – warum sollte ich es also nicht noch einmal tun?

Mein Journalistenleben im Jahr 2002 entwickelte sich, glaube ich, ganz gut. Ich schrieb weiterhin für die Fairplay und für etliche Tageszeitungen. Vom Umfang her war es mehr als heute, und tendenziell wurde es immer noch mehr. Aber anscheinend langweilte es mich, nur eine Rezension nach der anderen zu verfassen, obwohl ich wenige Jahre zuvor total begeistert gewesen war, es überhaupt tun zu dürfen.

Eine andere Erklärung fällt mir aber nicht ein, warum mir 2002 in den Sinn kam, auch Autor:innenporträts zu schreiben. Den Anfang machten Günter Burkhardt und Günter Cornett, die ich beide 2002 zu diesem Zweck auf dem Spieleautor:innentreffen in Göttingen interviewte.

Ich hatte ziemlichen Respekt vor der Aufgabe, die ich mir da selbst gestellt hatte. Mein Porträt sollte mehr als eine Aneinanderreihung der bisherigen Spiele sein. Ich wollte schon auch versuchen, den Menschen hinter dem Spiel sichtbar zu machen. Aber wie gut kann das gelingen, wenn man als Basis nur ein Gespräch hat und allenfalls noch das, was man anderswo gelesen hat?

Und oft gab es anderswo gar nicht mal viel zu lesen. Klar, ein Klaus Teuber beispielsweise wurde schon zigfach interviewt und zigfach porträtiert; aber die meisten anderen – zumindest damals – noch nicht oder allenfalls von ihrer Lokalzeitung, wo es oft schon als Kuriosum galt, dass da überhaupt jemand Spiele entwickelte. Vor meinen Interviews versuchte ich, alles an Information aufzusaugen, was ich kriegen konnte. Franz-Benno Delonge beispielsweise hatte zwei Bücher über Phrasendrescherei in der Politik geschrieben. Eins davon besorgte ich mir und las es durch in der Hoffnung, dem Autor dadurch ein bisschen näherzukommen.

Ohnehin wählte ich meine Interviewpartner:innen danach aus, ob ich überhaupt irgendwas über sie wusste oder zumindest ein Gefühl dafür hatte, in welche Richtung sich mein Text entwickeln könnte; eine Fragestellung, der ich nachgehen wollte. Weil ich mir ausgemalt hatte, dass ich sicher auch mal an weniger mitteilsame Menschen geraten würde, setzte ich mir als Limit, dass das Porträt nicht länger als eine Heftseite sein dürfe. Manchmal – wenn ich eigentlich noch viel mehr hätte schreiben wollen – ärgerte ich mich im Nachhinein darüber. Zumindest einmal klopfte ich mir für meine Weitsicht auf die Schulter.

Ob man will oder nicht: Solche Porträts können auch die Beziehung des Interviewers zu den Interviewten verändern. Man kennt sich nun persönlich. Man hat länger zusammengesessen, teilweise auch bei den Autor:innen zu Hause, hat über Dinge geredet, die nicht nur mit Spielen zu tun haben. Die Gefahr, dass ich als Kritiker die nötige Distanz verlieren könnte, habe ich wahrgenommen. Ein damaliger Kollege stellte mal die These auf, am besten schreibe man anonym aus dem Kellerloch, kenne niemanden, habe zu niemandem Kontakt. Nur dann könne man wirklich neutral und unbeeinflusst über Spiele urteilen.

Das ist ein schön anschauliches Bild, übrigens auch von meiner Wohnsituation, und wenn man nur bei Kritiken bleiben will, kann man das so machen. Aber Journalismus ist aus meiner Sicht interessanter, wenn er sich auch um Menschen dreht. Um Menschen, die Spiele machen. Um Menschen, die Spiele spielen. Nur leider bestätigen Leser:innenbefragungen und sonstiges Feedback meine Meinung da nicht so ganz. Dass diese Seite „Rezensionen für Millionen“ heißt und nicht etwa „Emotionen für Millionen“ ist deshalb ausschließlich den Millionen geschuldet, die den Journalismus natürlich auch interessanter machen.


Donnerstag, 7. Juli 2022

Ultimate Railroads

Für lustige Einleitungen ist der Zug definitiv abgefahren.

Wie geht ULTIMATE RAILROADS? ULTIMATE RAILROADS ist eine Spielesammlung, die das Grundspiel RUSSIAN RAILROADS mit allen bisherigen großen und kleinen Erweiterungen vereint und als neues großes Szenario ASIAN RAILROADS hinzufügt.
Wie RUSSIAN RAILROADS geht, hatte ich schon hier beschrieben, GERMAN RAILROADS hier und AMERICAN RAILROADS in der Spielbox 1/2017. Wie man vielleicht schon ahnt: Ich bin zu faul, um ASIAN RAILROADS, das im Wesentlichen wieder eine Abwandlung von alldem ist, ebenso ausführlich zu beschreiben.
Deshalb nur zwei Punkte: 1. Neu ist ein gemeinsames Industrietableau, das die persönlichen Industrieskalen ersetzt. Fabriken, die ich darauf baue, darf nun jede:r bei Ankunft mit dem Industriemarker nutzen. Das machte das Bauen von Fabriken erheblich unattraktiver – gäbe es jetzt nicht zusätzliche Belohnungen dafür.
2. Zusätzliche Belohnungen sind ohnehin ein Leitmotiv. Das Asien-Tableau ist gepflastert mit Boni und Wenn-dann-Verknüpfungen. Hier werden mehr denn je Kettenzüge ausgelöst, die Punktescores klettern in neue Höhen. Wenn man nach ASIAN RAILROADS mal wieder RUSSIAN RAILROADS spielt, wundert man sich, wie aufgeräumt und geradezu puristisch dort alles wirkt.


Was taugt ASIAN RAILROADS? Wie bei jedem neuen Szenario gilt es auch in ASIAN RAILROADS zu schauen, was geht, und die eigene Spielweise neu zu justieren. Der Lernzuwachs dauert mehrere Partien.
Eine der drei Strecken lässt sich jetzt per Ideenplättchen (früher „?-Plättchen“ genannt) komplett durch eine verbesserte Version ersetzen, man kann als Streckenboni Loks bekommen, es gibt gleich zwei Möglichkeiten, die wertvollen goldenen (ehemals weißen) Gleise freizuschalten und so weiter. Das muss natürlich alles ausprobiert werden.

Am faszinierendsten ist aber doch das gemeinsame Industrietableau, das sich übrigens auch mit allen anderen Szenarios kombinieren lässt. Der Versuch, die besten Boni abzugreifen und im richtigen Moment einzulösen, sich selbst die passenden Fabriken vor die Nase zu legen und dabei möglichst wenig den Mitspieler:innen zuzuarbeiten, bringt den RAILROADS-Spielen eine neue und direktere Form der Interaktion.
ASIAN RAILROADS macht das, was alle RAILROADS-Versionen machen: Auf der Basis eines klar strukturierten und taktischen Personaleinsatz-Spiels offeriert das Spiel diverse gleichwertig erscheinende Strategiewege. In Summe finde ich das zwar nicht besser oder schlechter als die anderen Varianten von RUSSIAN RAILROADS. Insgesamt tun Varianten dem Spiel aber definitiv gut. Bei 18xx-Spielen verhält es sich ja genauso oder auch bei der CLEVER-Würfelspielreihe von Wolfgang Warsch: Die zugrundeliegende Mechanik und das Wertungsprinzip sind so stark, charakteristisch und faszinierend, dass man sich gerne noch mal in einem anderen Umfeld mit geänderten Variablen daran versuchen möchte.


Was taugt ULTIMATE RAILROADS? Je weniger RAILROADS man vorher besaß, desto mehr Neues und Zusätzliches steckt in der Box. Die Menge, die einem hier geboten wird, erschlägt geradezu. Man weiß gar nicht, wie man das alles auf einmal verarbeiten und wann man das jemals alles spielen und in allen Varianten kombinieren soll. Mir jedenfalls ging das so – obwohl mir ein Großteil des Inhalts aus vorherigen Erweiterungen bekannt war.
Neulinge gewinnen rein materiell gesehen am meisten mit ULTIMATE RAILROADS. Theoretisch könnten sie also am bedenkenlosesten zugreifen. Der Einstieg für sie ist angesichts der Materialmassen und der vielen, vielen Information aber am härtesten.
Vorbesitzer:innen von RUSSIAN RAILROADS und eventuell auch der Erweiterungen profitieren von ULTIMATE RAILROADS insofern, dass nun alles besser (oder überhaupt) miteinander kombinierbar ist. Hier und da hat der Verlag obendrein kleine Anpassungen vorgenommen, die aber nicht stark ins Gewicht fallen.
Nur um noch ASIAN RAILROADS zusätzlich zu besitzen, braucht man ULTIMATE RAILROADS eher nicht. Für mich allerdings sind neue Erweiterungen oft der Anlass, um ältere Spiele überhaupt mal wieder auf den Tisch zu bringen. Jahrelang hätte ich RUSSIAN RAILROADS, GERMAN RAILROADS oder AMERICAN RAILROADS spielen können – habe ich aber nicht. Jetzt – ULTIMATE RAILROADS sei Dank – doch wieder.


***** reizvoll

ULTIMATE RAILROADS von Helmut Ohley und Leonhard Orgler für eine:n bis vier Spieler:innen, Hans im Glück.