Wir müssen schuften, um Geld zu verdienen und mit diesem Geld Sachen zu bezahlen, die wir fürs Weiterschufen benötigen. Was wie Sklaverei oder Kapitalismus klingt, ist das ganz normale Held:innenleben in Avel.
Wie geht DIE CHRONIKEN VON AVEL? Wir sind Held:innen und beschützen das Land Avel. Gegen Spielende wird unser Endgegner, „das Biest“, zum Leben erwachen und gemeinsam mit seinen Schergen auf unsere Burg losmarschieren. Wir müssen das Biest besiegen.
Bin ich am Zug, darf ich zwei Aktionen ausführen. Ich darf mich bewegen, ich darf kämpfen, mich heilen oder darf an bestimmten Orten spezielle Aktionen ausführen. Beim Wunschbrunnen beispielsweise darf ich ein Glücksspiel probieren, in der Werkstatt meine Ausrüstung verbessern. Anfangs weiß ich aber noch gar nicht, wo Wunschbrunnen und Werkstatt zu finden sind. Ich bin halt neu in Avel, ich muss das Land erst erkunden, also herumreisen und die verdeckten Landschaftsplättchen wenden.
Immer wieder werde ich dabei Monstern begegnen. Sie tun mir nichts. Außer ich tue ihnen was. Nämlich kann ich einen Kampf anzetteln, um an ihre Ausrüstung und ihr Geld zu kommen. Kämpfe werden durch Würfel entschieden. Weil Niederlagen ein erheblicher Zeitverlust sind, sollte ich nicht wahllos herumprügeln, sondern mir gezielt Kreaturen vornehmen, gegen die ich aufgrund meiner Ausrüstung gute Chancen haben dürfte. Im Bestfall begegne ich genau solchen Monstern bei meiner Erkundungstour. Im schlechteren Fall muss ich längere Umwege machen.
Was passiert? DIE CHRONIKEN VON AVEL scheint sich von seiner Anmutung her an Kinder zu richten. Es hat spielerische Elemente neben dem eigentlichen Spiel: Unsere Charakterbögen können wir bunt ausmalen; zu Spielbeginn werden originelle Held:innennamen ausgewürfelt; bekomme ich neue Ausrüstung, greife ich in einen Beutel und wähle anhand der ertasteten Umrisse; und meine Puzzlefertigkeit entscheidet darüber, wie viel Ausrüstung ich überhaupt mitschleppen darf: Alles muss in die Rucksack-Aussparung meines Tableaus passen.
Überraschenderweise ist das Spiel aber gar nicht kinderleicht. Von den Regeln her nicht, es gibt etliche verkomplizierende Details. Und was den Schwierigkeitsgrad angeht, auch nicht: In meiner ersten Partie haben wir das Spiel unterschätzt und prompt verloren.
Mit etwas mehr Erfahrung und etwas mehr Plan passierte das dann nie wieder. Aber nicht das ist es, was mich abhält, Avel immer wieder betreten zu wollen. Sondern der recht hohe Aufbau-, Material- und überhaupt Zeitaufwand im Vergleich zur recht geringen Abwechslung. Das Land nicht zu erkunden, hätte fatale Folgen. Also erkunden wir. Monster in Ruhe zu lassen und kein Geld und keine Ausrüstung zu bekommen, macht ebenfalls keinen Sinn, weil wir im Endkampf sonst chancenlos wären. Also greifen wir an. Der Plan ist klar. Schicksal in Form von ungünstigen Plättchen oder schlechten Würfelergebnisse verändern die Chancen, nicht aber den Plan.
Was taugt es? In DIE CHRONIKEN VON AVEL sind sichtbar viele Ideen und viel Liebe zum Detail hineingeflossen. Am Ende ist es so verspielt, detailliert und zugleich langatmig geworden, dass sich das Spiel zwischen alle Stühle und alle Zielgruppen setzt.
Die originellen Ideen bringen wenig Zusatzreiz. Mit Zahlenangaben zu definieren, was man im Rucksack mit sich herumtragen darf, wäre zwar weniger cool gewesen, würde aber viel Gefriemel und Umsortieren ersparen, ob man nicht doch noch eine Münze mehr unterbringen kann. Und als Gruppe bei einem Koop-Spiel zu überwachen, ob jemand beim Herumfingern im Beutel das Zeitlimit von fünf Sekunden einhält, fühlt sich nicht so richtig teambildend an. Zumal der Frust groß ist, wenn man etwas völlig Unpassendes herauszieht.
DIE CHRONIKEN VON AVEL ist wahrlich nicht der erste Dungeon Crawler, den ich spiele. Aber ich glaube, es ist der erste, in dessen Anleitung ich Freude an Gewalt wahrzunehmen meine. Farblich hervorgehoben und in Fettschrift wird uns folgende „goldene Regel“ eingebläut: „Schlag erst das Monster kurz und klein, dann greife in den Beutel rein.“ Anscheinend genügt es nicht, den Feind einfach nur zu besiegen; nein, er gehört massakriert. Und anscheinend ist das ein Spaß.
Dass sterbende Monster die tollsten Sachen fallenlassen, gehört zum Genre. Und natürlich freut man sich und sammelt alles auf. Aber auch dieser Vorgang bekommt in AVEL einen Beigeschmack. Denn begründet wird er so: „Die Monster können das Stehlen und Plündern einfach nicht lassen. Deswegen kann es sein, dass ein Monster, nachdem ihr es besiegt habt, etwas Wertvolles fallen lässt.“
In meinen Ohren klingt das so: Wenn Feind:innen etwas besitzen, ist das auf jeden Fall unrechtmäßig und ein weiterer Beweis ihrer angeborenen Verdorbenheit. Und wenn wir es ihnen rauben, dann nicht etwa, wir es ebenfalls „nicht lassen können“. Sondern weil wir als Gute dazu befugt sind. Was wir tun, ist automatisch heldenhaft und schlau und die gerechte Strafe.
Möglicherweise bin ich da übersensibel. Aber solche Formulierungen stoßen mich ab, obwohl ich generell kein Problem damit habe, Dungeon Crawler oder auch Kriegsspiele zu spielen.
*** mäßig
DIE CHRONIKEN VON AVEL von Przemek Wojtkowiak für eine:n bis vier Spieler:innen, rebel Studio.