Mittwoch, 31. August 2022

Gern gespielt im August 2022

Urlaubszeit! Ich darf das!

AGRICOLA: Bezahlbarer Wohnraum war schon im 17. Jahrhundert eine drängende Thematik.

GREAT WESTERN TRAIL: Auf dem Weg nach Kansas City fühlt man sich wie ein Kind auf dem Rummelplatz. Das schöne Taschengeld vom Start ist schon auf halber Strecke ausgegeben.

WASSERKRAFT: Flüsse mit Wasser – nun ja. Ich bin eigentlich kein Fan von Fantasy, aber wenn das Spiel trotzdem so gut ist ...

DIE BURGEN VON BURGUND: Das verdammte Puzzle geht nie auf, die Landschaft bleibt stets lückenhaft. Eigentlich idiotisch, dass ich es nach über 100 Fehlversuchen immer noch weiterprobiere.

THROUGH THE AGES: Manche wünschen sich Helmut Schmidt zurück. Ich bin sehr zufrieden mit Hammurabi.

ULTIMATE RAILROADS: In allen drei Strecken soll Liebe drinstecken.






Mittwoch, 24. August 2022

Stroganov

Im Russland des 16. Jahrhunderts gab es sicherlich noch gar keine Einleitungen. Sonst würde hier ja eine stehen.

Wie geht STROGANOV? In Sibirien machen wir ungefähr das, was die historische Familie Stroganov auch gemacht hat: Wir erbeuten Felle, errichten Außenposten, kolonisieren Landstriche und erzählen abends am Lagerfeuer von unseren Großtaten. All das zählt Punkte.
Felle sind neben Geld und Pferden eine der Währungen. Wir erhalten sie durch eine der möglichen Spielaktionen: die Jagd. Glück wird nicht benötigt. Im Gegenteil zeigt schon die Auslage bei Spielbeginn, welche Felle in welchen Territorien zu holen sind. Was aber nicht heißt, dass es einfach wäre …
Felle gibt es in sieben Sorten. Weil genau definiert ist, welche Kombination gleicher Felle ich für einen bestimmten Zweck benötige, muss ich planvoll sammeln. An die wertvollen Felle heranzukommen, ist generell schwieriger, weil man überall zuerst die weniger wertvollen erjagen oder Zusatzkosten bezahlen muss. Und vor allem wachsen Felle nicht nach. Die Gebiete werden immer leerer, die erforderlichen Reisewege immer länger.
Bin ich am Zug, reise ich zunächst weiter Richtung Osten und führe dann zwei oder drei Aktionen aus, entweder an meinem Aufenthaltsort oder überall dort, wo ich bereits einen Außenposten errichten konnte. Für die optionale dritte Aktion muss ich allerdings ein Fell bezahlen, oft ein ganz bestimmtes. Und so ärgerlich es wäre, die Aktion verfallen zu lassen: Nicht immer hat man das Fell.


Was passiert? Dass man ständig Felle ausgeben muss, obwohl man sie eigentlich sammeln will, ist ein reizvoller Grundwiderspruch des Spiels. Felle sammeln will ich beispielsweise für Aufträge des Zaren, die mir starke dauerhafte Fähigkeiten verleihen. Dazu muss ich beispielsweise fünf Fuchsfelle vorweisen und eines davon abgeben. Bis das geschafft ist, sollte ich mir also alle Aktionen verkneifen, die Fuchsfell kosten. Und nachdem es geschafft ist, bleiben vier Fuchsfelle übrig, für die ich im Bestfall schon einen Plan habe. Vielleicht habe ich mir einen weiteren Auftrag geangelt, der ebenfalls Fuchsfelle erfordert.
In STROGANOV komme ich zwölfmal an die Reihe, um meine zwei oder drei Aktionen auszuführen. Vorausplanen kann ich nur begrenzt; ich muss erst abwarten, was ich bei Zugbeginn auf dem Spielplan vorfinde. Aktionen können nun weitere Aktionen ergeben, bisweilen entstehen Kettenzüge. Und zwangsläufig längere Denkpausen. Zumal die Züge auch komplex sind. Die sieben Fellsorten verhalten sich beinahe wie sieben verschiedene Währungen. Mitbedenken muss ich außerdem diverse Hilfsaktionen, die ich zusätzlich in meinen Zug einflechten könnte. Der Spielrhythmus in STROGANOV ist langsam.


Was taugt es? Einerseits: STROGANOV verzichtet darauf, bekannte Mechanismen ein weiteres Mal aufzukochen. Es fühlt sich anders und origineller an, die Spielhandlungen passen gut zum Thema. STROGANOV beinhaltet interessante Dynamiken. Werden Territorien annektiert und vom Spielplan genommen, rutschen am Ende der Runde neue Landschaften und damit auch neue Felle ins Spiel. Geschieht dies nicht, sind wir alle ganz schön aufgeschmissen und müssen für ein olles Fell unfassbar weit reiten.
Im Spiel entwickeln sich spannende Wettläufe: um die besten Plätze für die Außenposten; um die Boni von Jurten, die wir uns gegenseitig wegschnappen; um Schritte auf der Geschichten-Skala. Manchmal schadet Langsamkeit trotzdem nicht. Sind die schlechteren Felle schon abgesammelt, komme ich als Nachzügler leichter an die besseren Felle heran. Sind Ländereien schon komplett leergejagt, ist immerhin ihre Annexion billiger.
Andererseits: Seine Vorzüge erkauft sich das Spiel mit viel Grübel- und Rechenbedarf. Damit alles passt, muss ich genau optimieren. Lediglich aus dem Bauch spielend, lasse ich hier jede Menge Punkte liegen. Für mein Empfinden sind einige Komplikationen zu viel im Spiel; etwas Schliff und stärkere Konzentration auf die Kernelemente hätten STROGANOV sicher nicht verwässert.
Vor allem empfinde ich es als unstimmig, dass STROGANOV Fellkombinationen zu sammeln verlangt, die im Rahmen der Hauptaktionen aber nur schwer oder sehr langwierig zu ergattern sind. Um diesen Mangel zu reparieren, gibt es wiederum die Möglichkeit, Joker zu kreieren, es gibt einen Markt, auf dem ich nach speziellen Regeln tauschen kann, es gibt verschiedene Varianten, um Pferde gegen Felle abzugeben. All das führt zu noch mehr Regeln und Seitenpfaden, die ich bedenken muss – und es schwächt die eigentliche thematische Hauptidee, dass die Jagd auf dem Spielplan, also in den Weiten Sibiriens, stattfindet.


**** solide

STROGANOV von Andreas Steding für eine:n bis vier Spieler:innen, Game Brewer.

Samstag, 20. August 2022

Juicy Fruits

Eine ganze Weile habe ich mich um die Rezension von JUICY FRUITS herumgedrückt. Eigentlich finde ich das Spiel toll. Und eigentlich auch wieder nicht. Das genauer zu benennen, ist mir lange nicht gelungen. Und vielleicht gelingt es mir auch jetzt nicht. Aber als ich vor vier Tagen über FIRST RAT geschrieben habe, fielen mir Ähnlichkeiten zu JUICY FRUITS auf. Und deshalb versuche ich’s jetzt mal.

Wie geht JUICY FRUITS? Jede:r hat sein eigenes Schiebepuzzle. In Gestalt einer Insel. Einige der Felder sind zunächst durch Schiffe blockiert. Indem ich Kombinationen von Früchten zahle, kann diese Felder freikaufen.

Ich sammle Früchte, indem ich eines meiner (zunächst) fünf Schiebeplättchen (in Gestalt von Obstkörben) gradlinig über freie Felder meiner Insel bewege. Pro Feld, das ich zurücklege, bekomme ich eine Frucht, die der Korb anzeigt. Drei Schritte mit dem Orangen-Korb bringen also drei Orangen.
Pro Zug führe ich eine solche Korbbewegung aus, kassiere die Früchte und investiere sie vielleicht auch gleich. Entweder in das Verscheuchen eines Schiffes oder in mobile oder immobile Plättchen, die auf eins oder mehrere meiner Inselfelder gelegt werden und meine Bewegungsfreiheit einschränken.
Diese Plättchen zählen entweder besonders viele Punkte oder aber sie helfen mir, um fortan noch schneller an Früchte oder Punkte zu gelangen. Aber: Sie verstopfen die Insel. Dieser Widerspruch ist der extrem gute Clou des Spiels: Einerseits will ich viel Platz schaffen, damit meine Körbe freie Bahn haben. Andererseits darf ich nicht zu lange warten, um meine Früchte in Punkte umzusetzen, also zerstöre ich den gerade geschaffenen Raum.


Was passiert? JUICY FRUITS hat einen ausgeprägten Wettlauf-Charakter. Wenn eine bestimmte Menge Punkte-Projekte abgeschlossen ist, endet die Partie. Über weite Strecken des Spiels wünscht man sich, eine aufgeräumte Insel zu besitzen. Wie sie am Schluss aussieht, ist aber egal. Es geht um die richtige Balance, dass man stets handlungsfähig bleibt, und um das richtige Timing, dass man beim Punktesammeln nicht zu spät kommt.
Was die anderen Spieler:innen machen, welche Ausbauten sie sich holen, ob sie auf Tempo gehen oder nicht, ist zwar einerseits wichtig für mich. Andererseits kriegt man es angesichts der engen Taktung der Spielzüge und der hohen Konzentration, die nötig ist, um sich in seinem eigenen Schiebepuzzle nicht zu verirren, nur in groben Zügen mit.
Aber nicht das ist es, was mich hindert, JUICY FRUITS richtig toll zu finden. Sondern wie bei FIRST RAT ist es das Gefühl, ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Programm zu durchlaufen. Anhand der zu Beginn ausliegenden Projekte wähle ich meine Strategie. Und die verfolge ich dann möglichst präzise. Während der Partie zwischen verschiedenen Ideen hin- und herzuspringen, führt ganz sicher nicht zum Erfolg.


Was taugt es? JUICY FRUITS kreiert ein spannendes Dilemma. Alles, was Punkte bringt, schadet meinem Fortkommen. Aber um Punkte geht es nun mal. Diesen Widerspruch mag ich schon seit DOMINION.
JUICY FRUITS ist beeindruckend ausgestattet und schön gestaltet. Die Schiebepuzzle-Mechanik finde ich originell. Und doch: Am Ende fehlt mir das Spielerische, das Überraschende. Alles ist Berechnung, nichts ist dem Zufall überlassen. Die Züge sind gleichförmig, und viele ergeben sich einfach durch das konsequente Abverwalten dessen, was ich mir aufgebaut habe. So strategisch das ist: Auf den Spannungsverlauf während des Spiels wirkt es sich ungünstig aus.


**** solide

JUICY FRUITS von Christian Stöhr für eine:n bis vier Spieler:innen, Deep Print Games.

Dienstag, 16. August 2022

First Rat

Ratten handeln. Sie verlassen das sinkende Schiff Erde und fliegen zum Käsemond. Menschen … warten ab. Deswegen sitze ich hier und schreibe in aller Seelenruhe einen Artikel darüber.

Wie geht FIRST RAT? FIRST RAT ist ein Laufspiel. Bin ich am Zug, setze ich entweder eine meiner Ratten bis zu fünf Felder voran oder mehrere jeweils bis zu drei. Weil alle Ratten dabei auf dieselbe Feldfarbe ziehen müssen, klappt es nicht immer, mehrere zu bewegen.
Auf jeden Fall will ich Strecke machen, denn Ratten, die ins Ziel laufen, zählen ordentlich Punkte. Und ich will Raketenbauteile einsammeln. Am Raumschiff mitzubauen, zählt ebenfalls Punkte. Käse brauche ich ebenso. Erstens um fremde Ratten auszuzahlen, falls ich auf von ihnen besetzte Felder laufe. Und zweitens zählen auch Käsespenden Punkte.
In FIRST RAT betreibe ich außerdem Enginebuilding. Meinem Rattenclan kann ich verschiedene Eigenschaften verpassen: dass ich beispielsweise auf Bauteilfeldern mehr Bauteile bekomme oder im Trupp bis zu vier Felder gehen oder Abkürzungen kostenlos nutzen darf. Und so weiter.


Was passiert? Ein Zug geht sehr schnell. Ziehen, Ertrag einsammeln und eventuell gleich wieder ausgeben und irgendeine Zielvorgabe erfüllen, was dann Punkte zählt. Beim Einsammeln musste ich in meinen Partien jedoch oft helfen, weil Spieler:innen irgendwelche Effekte übersahen. Da denkt man, Ratte A holt drei Käse und die anderen beiden zwei und einen, in Summe also sechs. Und dann kommt Schlaumeier U.B. und errechnet neun, weil eins der Käsefelder mittels Beleuchtung aufgewertet wurde und der erworbene Käserucksack einen weiteren Bonus bringt.
Dass FIRST RAT ein Kennerspiel ist, zeigt sich auch anderswo: Bevor es losgeht, gibt es recht viel zu erklären. Und die Informationsflut, ausgelöst durch Materialberge und detailreichen Spielplan, muss man auch erst mal verdauen. Wer planlos drauflos rennt, wird gegen erfahrene Mondreisende, die sich eine Strategie zurechtgelegt haben, keine Sonne sehen. Denn Glücksfaktoren gibt es hier nicht. Man kann gut und man kann schlecht spielen und wird dementsprechend erfolgreich und erfolglos sein. Welches die erfolgversprechenden Wege sind, ist Wissen, das man sich nach und nach aneignet.
Glück ist also kein beeinflussender Faktor, die Mitspieler:innen aber sind es. Meine Strategie richte ich auch danach aus, was die anderen machen und welche Boni sie sich holen. Taktisch beeinflusst mich, auf welchen Feldern fremde Ratten herumlungern. Denn natürlich möchte ich nicht unnötig viel Käse bezahlen, sondern lieber eine zur Konkurrenz antizyklische Schrittfolge finden.


Was taugt es? In FIRST RAT steckt mehr Tiefe, als es die Aufmachung und die schnelle Taktung des Spiels vermuten lassen. Das Spielgefühl ist konstruktiv, das Thema unverbraucht, die Illustrationen sind sehr gelungen. Und damit sich nicht bestimmte Lieblings-Wege einschleichen, ermöglicht die Spielplanrückseite eine variable Feldanordnung.
Alles gut soweit. Trotzdem fühle ich mich nicht verlockt, das Spiel immer wieder auszupacken. In den Partien passiert wenig Überraschendes. Im Gegenteil fühlt es sich, auch wegen der Gleichartigkeit der Züge, zeitweise an, als würde man ein festes Programm durchlaufen. In der Anfangsphase des Spiels lege ich mir meine Strategie zurecht, und dieser werde ich dann so konsequent wie möglich folgen. Ich bleibe in meinem Muster.
Die Spannung, die ich hier erlebe, ist eher eine langfristige: Von Partie zu Partie kann ich ganz andere Dinge ausprobieren, werde erfahren, was funktioniert und was nicht, und werde vielleicht auch mal überrascht werden, indem mir jemand einen neuen Gewinnweg demonstriert. In den Partien selbst schlägt die Spannungskurve für mein Empfinden nicht hoch aus; in der zweiten Spielhälfte, die in ein gewisses Abspulen mündet, sogar noch niedriger.


**** solide

FIRST RAT von Gabriele Ausiello und Virginio Gigli für eine:n bis fünf Spieler:innen, Pegasus Spiele.

Montag, 8. August 2022

Old London Bridge

Die Regierung sagt, wir müssen Energie sparen! Ich gehe stolz voran, indem ich keine Einleitung schreibe.

Wie geht OLD LONDON BRIDGE? Ich bebaue meine Brücke mit Häusern. Es gibt zwölf Grundstücke und ein Problem: Ich muss strikt von links nach rechts bauen, mit absteigenden Hausnummern. Weil das nicht immer klappt, werde ich gelegentlich Häuser abreißen und überbauen müssen. Oder einen Park anlegen. Parks bringen kein Einkommen; das macht sie unbeliebt. Aber hinter jedem Park darf die Ziffernfolge neu starten. Das macht Parks hin und wieder notwendig.
Apropos Einkommen: Genau darum geht es. Wer das meiste Geld besitzt, gewinnt. Eine Häusersorte schüttet direkt Bargeld aus, zwei Häusersorten bringen Fortschritte auf Skalen, die einerseits ebenfalls zu Geld führen, andererseits noch Spielvorteile schaffen. Wie viel Bargeld oder wie viele Schritte ich bekomme, hängt wiederum von der Wappenfarbe des Hauses ab, das ich baue. Angenommen, es ist ein Geldhaus (offizielle Bezeichnung: „Krämerladen“), angenommen, es hat ein grünes Wappen, und angenommen, dies ist das vierte grüne Wappen auf meiner Brücke: Dann bekomme ich vier Geld.

Ich will also gleichzeitig: eine Haussorte, die mir gefällt, eine Hausnummer, die den Regeln entspricht, und eine Wappenfarbe, von der ich schon mehrere besitze. Das wird selten gleichzeitig klappen. Hinzu kommt: ein Drehrad bestimmt unvorhersehbar, welche Haussorte in der aktuellen Runde nicht im Angebot ist und welche Sorten diesmal mehr oder weniger Extrageld bringen. Und hinzu kommt ebenfalls: Wir bieten verdeckt mit Karten darum, in welcher Reihenfolge wir die Häuser wählen dürfen.

Was passiert? OLD LONDON BRIDGE hat eine Menge Unwägbarkeiten. Nur in seltenen Fällen kann ich sicher planen, meistens muss ich hoffen. Allerdings hilft es, zu schauen, was die Konkurrenz so treibt und bei welchen Hausnummern sie angelangt ist. Vielleicht muss ich für das angepeilte 38er-Haus gar nicht viel bieten, weil niemand außer mir eine 38 unterbringen kann?
Auch die Zwischen- und Schlusswertungen wirken sich auf Taktik und Strategie aus. Für jede Partie kann man andere Wertungen auswählen oder auslosen, und sie verändern die Prioritäten mitunter merklich. Ein Spiel, das man von vorne bis hinten durchplant, wird OLD LONDON BRIDGE deswegen trotzdem nicht. Aber gut so!


Was taugt es? OLD LONDON BRIDGE macht Spaß, es unterhält. Allerdings hat es in keiner meiner Runden so sehr überzeugt, dass eine Art Fanbasis entstanden wäre und man es immer wieder hätte spielen wollen.
Warum es Spaß macht, lässt sich relativ leicht sagen: OLD LONDON BRIDGE ist konstruktiv. Wir bauen etwas auf. Wir treffen Entscheidungen, es gibt Überraschungen, wir machen Pläne – und nicht immer gehen sie auf. Jede Partie stellt uns vor die Knobelaufgabe, den besten Kompromiss aus Hausnummern und Wappen zu finden. Eine Patentlösung gibt es nicht.
Nun zur schwereren Frage. Häuser auf Brücken zu bauen, um viel Geld einzunehmen, ist als Plot nicht so überaus faszinierend. Die Welt rund um OLD LONDON BRIDGE ist ziemlich egal. Klar, denn das Spiel kommt vom Mechanismus her. Und der ist in Ordnung, aber wiederum auch nicht einzigartig.
Ich glaube auch, dass man sich in Spielen dann besonders wohlfühlt, wenn man sehr viel Zeit wirklich „spielt“, wie auch immer man das definieren will. Mit dem thematisch zentralen Bauen verbringe ich in OLD LONDON BRIDGE relativ wenig Zeit. Länger dauert es, Karten auszuwerten, auf Skalen zu marschieren, Geld auszubezahlen und so weiter. Ich habe nichts gegen Karten, Skalen und erst recht nichts gegen Geld. Aber solche Dinge erzeugen keinen Flow. Und deshalb fühlt sich OLD LONDON BRIDGE eben doch nur solide an.


**** solide

OLD LONDON BRIDGE von Gabriele Bubola und Leo Colovini für zwei bis vier Spieler:innen, Queen Games.

Donnerstag, 4. August 2022

Vor 20 Jahren (116): Blokus

Streng genommen ist BLOKUS schon ein bisschen älter als 20 Jahre. Aber die Jury Spiel des Jahres nahm das Spiel erst 2002* auf ihre Empfehlungsliste, also darf ich das auch. Wobei: Meine Rückblicke sollen gar keine Empfehlungsliste sein. Und zudem: Ich bin mir nicht mal sicher, ob die Empfehlungsliste der passende Ort für BLOKUS ist. Das Spiel von Bernard Tavitian hätte für mein Empfinden durchaus das Zeug zu noch mehr gehabt.

Das sage ich aber erst im Rückblick. Und rückblickend ist es immer leicht, Dinge besser zu wissen. Hätte man mich 2002 gefragt, wäre ich selbstverständlich der Meinung gewesen, dass der Titel „Spiel des Jahres“ PUERTO RICO gebührt. Und mitnominiert hätte ich FUNKENSCHLAG und DER HERR DER RINGE – DIE ENTSCHEIDUNG. Aber hallo! Jedoch wurde ich gar nicht gefragt, und so erklärt sich vielleicht auch mein Drang, es immer wieder zu erzählen.

Was ist nun das so Coole an BLOKUS? Es ist die Klarheit. Einerseits die Klarheit des Designs: leuchtend bunte geometrische Figuren. Andererseits die Klarheit der Spielidee. BLOKUS erkläre ich in einer Minute. Schon das Zuschauen genügt, um die Regeln zu erfassen. Und ebenso genügt das Zuschauen, um spontan Lust auf das Spiel zu entwickeln. Die Ästhetik des Materials und die Kürze einer Partie laden dazu ein, selbst auch sofort loszu… ja, im wahrsten Sinne: …legen.

Das Ziel? Vollkommen klar! Ich will möglichst viele meiner Teile legen. Ein Spielzug? Vollkommen klar! Ich lege jedes Mal ein Teil … sofern ich noch kann. Anlegen muss ich immer Eck an Eck. Die Seiten meiner Legeteile dürfen sich nicht berühren. Aber durchaus dürfen sie die Seiten fremder Legeteile berühren.

Und das werden sie auch. Es ist geradezu die hohe Kunst in BLOKUS, sich passgenau in Lücken zu schmiegen, die einem gelassen werden. Wie die Ausbreitung auf dem Brett funktioniert und zu welchen Regionen man sich doch noch hindurchschlängeln kann, ist immer wieder faszinierend.

Na gut, was auch vollkommen klar ist: Nicht alle lieben das Puzzeln mit Polyominos. Und nicht allen liegt es. Manche können sich vorstellen, wie eine Form gedreht oder gespiegelt werden muss, damit sie passt. Andere müssen es ausprobieren. Was bei BLOKUS wiederum kein Problem ist; dann probiert man eben. Und es gewinnt auch nicht immer dieselbe Person. Sind A und B der Meinung, C sei viel zu erfolgreich, nehmen sie C eben von beiden Seiten in die Zange. Und dann gewinnt nämlich mal nicht C. Sondern ... ähm, höchstwahrscheinlich D!

* Vermutlich war das die erste Ausgabe mit einem gesicherten Vertriebsweg in Deutschland; die Jury irrt nicht.


Montag, 1. August 2022

Die Chroniken von Avel

Wir müssen schuften, um Geld zu verdienen und mit diesem Geld Sachen zu bezahlen, die wir fürs Weiterschufen benötigen. Was wie Sklaverei oder Kapitalismus klingt, ist das ganz normale Held:innenleben in Avel.

Wie geht DIE CHRONIKEN VON AVEL? Wir sind Held:innen und beschützen das Land Avel. Gegen Spielende wird unser Endgegner, „das Biest“, zum Leben erwachen und gemeinsam mit seinen Schergen auf unsere Burg losmarschieren. Wir müssen das Biest besiegen.
Bin ich am Zug, darf ich zwei Aktionen ausführen. Ich darf mich bewegen, ich darf kämpfen, mich heilen oder darf an bestimmten Orten spezielle Aktionen ausführen. Beim Wunschbrunnen beispielsweise darf ich ein Glücksspiel probieren, in der Werkstatt meine Ausrüstung verbessern. Anfangs weiß ich aber noch gar nicht, wo Wunschbrunnen und Werkstatt zu finden sind. Ich bin halt neu in Avel, ich muss das Land erst erkunden, also herumreisen und die verdeckten Landschaftsplättchen wenden.
Immer wieder werde ich dabei Monstern begegnen. Sie tun mir nichts. Außer ich tue ihnen was. Nämlich kann ich einen Kampf anzetteln, um an ihre Ausrüstung und ihr Geld zu kommen. Kämpfe werden durch Würfel entschieden. Weil Niederlagen ein erheblicher Zeitverlust sind, sollte ich nicht wahllos herumprügeln, sondern mir gezielt Kreaturen vornehmen, gegen die ich aufgrund meiner Ausrüstung gute Chancen haben dürfte. Im Bestfall begegne ich genau solchen Monstern bei meiner Erkundungstour. Im schlechteren Fall muss ich längere Umwege machen.


Was passiert? DIE CHRONIKEN VON AVEL scheint sich von seiner Anmutung her an Kinder zu richten. Es hat spielerische Elemente neben dem eigentlichen Spiel: Unsere Charakterbögen können wir bunt ausmalen; zu Spielbeginn werden originelle Held:innennamen ausgewürfelt; bekomme ich neue Ausrüstung, greife ich in einen Beutel und wähle anhand der ertasteten Umrisse; und meine Puzzlefertigkeit entscheidet darüber, wie viel Ausrüstung ich überhaupt mitschleppen darf: Alles muss in die Rucksack-Aussparung meines Tableaus passen.
Überraschenderweise ist das Spiel aber gar nicht kinderleicht. Von den Regeln her nicht, es gibt etliche verkomplizierende Details. Und was den Schwierigkeitsgrad angeht, auch nicht: In meiner ersten Partie haben wir das Spiel unterschätzt und prompt verloren.
Mit etwas mehr Erfahrung und etwas mehr Plan passierte das dann nie wieder. Aber nicht das ist es, was mich abhält, Avel immer wieder betreten zu wollen. Sondern der recht hohe Aufbau-, Material- und überhaupt Zeitaufwand im Vergleich zur recht geringen Abwechslung. Das Land nicht zu erkunden, hätte fatale Folgen. Also erkunden wir. Monster in Ruhe zu lassen und kein Geld und keine Ausrüstung zu bekommen, macht ebenfalls keinen Sinn, weil wir im Endkampf sonst chancenlos wären. Also greifen wir an. Der Plan ist klar. Schicksal in Form von ungünstigen Plättchen oder schlechten Würfelergebnisse verändern die Chancen, nicht aber den Plan.


Was taugt es? In DIE CHRONIKEN VON AVEL sind sichtbar viele Ideen und viel Liebe zum Detail hineingeflossen. Am Ende ist es so verspielt, detailliert und zugleich langatmig geworden, dass sich das Spiel zwischen alle Stühle und alle Zielgruppen setzt.
Die originellen Ideen bringen wenig Zusatzreiz. Mit Zahlenangaben zu definieren, was man im Rucksack mit sich herumtragen darf, wäre zwar weniger cool gewesen, würde aber viel Gefriemel und Umsortieren ersparen, ob man nicht doch noch eine Münze mehr unterbringen kann. Und als Gruppe bei einem Koop-Spiel zu überwachen, ob jemand beim Herumfingern im Beutel das Zeitlimit von fünf Sekunden einhält, fühlt sich nicht so richtig teambildend an. Zumal der Frust groß ist, wenn man etwas völlig Unpassendes herauszieht.

DIE CHRONIKEN VON AVEL ist wahrlich nicht der erste Dungeon Crawler, den ich spiele. Aber ich glaube, es ist der erste, in dessen Anleitung ich Freude an Gewalt wahrzunehmen meine. Farblich hervorgehoben und in Fettschrift wird uns folgende „goldene Regel“ eingebläut: „Schlag erst das Monster kurz und klein, dann greife in den Beutel rein.“ Anscheinend genügt es nicht, den Feind einfach nur zu besiegen; nein, er gehört massakriert. Und anscheinend ist das ein Spaß.
Dass sterbende Monster die tollsten Sachen fallenlassen, gehört zum Genre. Und natürlich freut man sich und sammelt alles auf. Aber auch dieser Vorgang bekommt in AVEL einen Beigeschmack. Denn begründet wird er so: „Die Monster können das Stehlen und Plündern einfach nicht lassen. Deswegen kann es sein, dass ein Monster, nachdem ihr es besiegt habt, etwas Wertvolles fallen lässt.“
In meinen Ohren klingt das so: Wenn Feind:innen etwas besitzen, ist das auf jeden Fall unrechtmäßig und ein weiterer Beweis ihrer angeborenen Verdorbenheit. Und wenn wir es ihnen rauben, dann nicht etwa, wir es ebenfalls „nicht lassen können“. Sondern weil wir als Gute dazu befugt sind. Was wir tun, ist automatisch heldenhaft und schlau und die gerechte Strafe.
Möglicherweise bin ich da übersensibel. Aber solche Formulierungen stoßen mich ab, obwohl ich generell kein Problem damit habe, Dungeon Crawler oder auch Kriegsspiele zu spielen.


*** mäßig

DIE CHRONIKEN VON AVEL von Przemek Wojtkowiak für eine:n bis vier Spieler:innen, rebel Studio.