Vor 20 Jahren wohnte ich schon gar nicht mehr in Hannover, sondern seit einigen Wochen in Göttingen. Wie sich herausstellen sollte, erlebte ich dort privat eine sehr gute Zeit, beruflich erlebte ich ... das Referendariat als Realschullehrer.
Ginge in dieser Kolumne alles chronologisch korrekt zu, müsste ich jetzt also über Göttingen schreiben. Jedoch habe ich noch ein paar alte Hannover-Geschichten auf Lager, wie zum Beispiel jene bereits
im August angekündigte vom echten Prominenten, der plötzlich in unserem Spieletreff aufkreuzte.
Und diese Geschichte ist nun an der Reihe. Tun wir also so, als sei noch nicht November. Tun wir so, als wohnte ich noch in Hannover. Und tun wir so, als sei ein Donnerstagabend und ich im Kellertreff der Evangelischen Martinsgemeinde.
Der Organisator des Treffs hatte sich ausgedacht, ein SIEDLER VON CATAN-Turnier zu veranstalten. Die Idee war: Vor Weihnachten interessieren sich mehr Leute für Spiele. Und mit so einer Aktion – ordentlich beworben – kann man neue Besucher anlocken.
Nebenbei war DIE SIEDLER VON CATAN unser am häufigsten gespieltes Spiel. Ein Turnier könnte also auch einfach Spaß machen, und einer von uns würde womöglich den Hauptpreis abräumen. All das klappte auch wirklich wunderbar, na ja, bis auf die Sache mit dem Hauptpreis.
Einige Wochen vor dem Turnier kam ein neues Paar zum Spieletreff. Sie hießen Rita und Stefan und wollten sich für das SIEDLER-Turnier anmelden. Und weil sie grad da waren, spielten sie mit.
Aus dem Spieleladen hatten wir an diesem Abend TAHITI ausgeliehen, das mich sehr interessierte, weil einer der beiden Autoren Ralf E. Kahlert war, der Grafiker der Fairplay, der übrigens auch heute noch deren tolle Cover gestaltet. Der andere Autor war ein gewisser ... äh ... Ralf zur Linde. – Na, den kannte kein Mensch, oder?
Neubesucher Stefan wollte auch TAHITI spielen und überraschte mich mit seiner Begründung: Ein Freund von ihm habe das mitentwickelt. Na klar, Ralf Kahlert! Dachte ich. Aber nein, dieser ominöse Stefan meinte tatsächlich diesen ominösen anderen Ralf.
An Details von TAHITI kann ich mich kaum erinnern. Sehr gut weiß ich aber noch, dass Stefan uns komplett abzog. Alles fiel ihm zu, alles lief perfekt für ihn. Stefan war sofort der Boss und schien bei fast allen Entscheidungen aller Spieler irgendwie mitzuprofitieren. Es war, als habe sich ein unbesiegbarer Meister zu Spieler-Lehrlingen an den Tisch gesetzt.
Als danach MANAGER gespielt wurde, vertiefte sich mein Ohnmachts-Erlebnis. Normalerweise habe ich bei MANAGER eine traumhafte Gewinnquote und habe die Runde gut im Griff. Aber dieser Stefan hatte die Runde noch viel besser im Griff! Wenn er sagte: Hey Leute, jetzt müssen wir aber mal ordentlich was bieten, dann stellten die Deppen tatsächlich hohe Preise auf ihrem Rad ein, nur Stefan nicht. Ich kämpfte auf verlorenem Posten, und am Ende gewann natürlich nicht ich kleiner Novize, sondern der Meister.
Mit wem ich es zu tun hatte, erfuhr ich, als Stefan zum Schluss seinen Anmeldezettel für das Turnier ausfüllte. Vorname: Stefan. Nachname: Dorra. – Aha! Der Autor von
INTRIGE! Na, das erklärte einiges. Wer so etwas erfand, war natürlich spielerisch mit allen Wassern gewaschen.
Es hat mich nach diesem Erlebnis auch nicht mehr gewundert, dass sich aus unserer Heldentruppe nur einer für den Finaltisch des SIEDLER-Turniers qualifizieren konnte. Und es hat mich ebenfalls nicht gewundert, dass beide Dorras am Finaltisch saßen. Gewonnen hat schließlich Rita, Stefan wurde Zweiter.
Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte, die sich erst im Dezember 1995 zutrug und vielleicht später erzählt wird, wahrscheinlich aber nie. Denn wie miserabel ich bei diesem Turnier abgeschnitten habe, will doch sicher niemand wissen.