Samstag, 11. Oktober 2025

El Paso

El Paso: Cover

Weil es GREAT WESTERN TRAIL schon gibt: Werden die Leute da nicht fragen, warum noch eins? Zum Glück ist das nicht mein Problem, sondern höchstens das der beiden Autoren. Mich beschäftigt mehr dieses: Weil es Einleitungen schon gibt: Werden die Leute da nicht fragen, warum noch eine?

Wie geht EL PASO? Die Schachtel erklärt es auf ihrer Unterseite: „Das Spielgefühl von Alexander Pfisters Meisterwerk GREAT WESTERN TRAIL in nur der Hälfte der Spielzeit!“
EL PASO greift also viele Elemente von GREAT WESTERN TRAIL auf: Wir laufen auf einem Rundkurs. Im Ort El Paso müssen wir stoppen und unsere Rinder abliefern, also die Handkarten werten. Gut wäre es dann, a) viele verschiedene Karten mit b) hohen Zahlenwerten auf der Hand zu haben.
Unterwegs auf dem Rundkurs verfolgen wir zwei Ziele: Wir wollen unsere Handkarten optimieren. Und wir wollen starke Aktionen ausführen. Manchmal widerspricht sich das ein bisschen, und die gewählte Aktion schwächt vorübergehend mein Blatt.

El Paso: Spieltuch

Aktionen führen wir in Gebäuden aus, auf denen wir stoppen. Gebäude, die niemandem gehören und von allen genutzt werden können, liegen schon zu Beginn aus. Weitere Gebäude, die dann im Wesentlichen nur für mich da sind, kann ich hinzukaufen. Dafür benötige ich Baumeister-Karten. Auch die muss ich unterwegs kaufen. Genauso wie Cowboy-Karten, über die ich an weitere und bessere Rinder herankomme. Eine dritte Sorte Personenkarten (Ingenieure) verschafft mir – ganz verkürzt gesagt – Aufträge und Sonderaktionen.
Im Gegensatz zu GREAT WESTERN TRAIL handelt es sich bei den Personen tatsächlich um Karten (statt Plättchen). Nutze ich sie, werfe ich sie auf meinen Ablagestapel und muss für ihren nächsten Einsatz warten, bis sie beim Durchlauf meines Decks wieder auftauchen. Ziehe ich sie nach, lege ich sie vor mir ab, und ziehe Ersatzkarten. Nur Rinder halte ich auf meiner Hand.

Was passiert? EL PASO verdichtet GREAT WESTERN TRAIL auf wesentliche Bestandteile. Der Gebäudevorrat ist kleiner, niemand darf mehr als zwei Gebäude besitzen. Die Bahnlinie und die damit verbundenen Lieferbeschränkungen entfallen. Viele Details und Schnörkel sind weggekürzt. Wesentlich neu ist, dass das Deck neben Rindern nun auch Personen enthält. EL PASO speckt das Original also nicht bloß ab, es fügt auch etwas hinzu.

El Paso: Personenkarten

Trotz Eindampfung ist EL PASO kein Leichtgewicht. Versuche ich, das Spiel Menschen ohne GREAT WESTERN TRAIL-Erfahrung zu erklären, haben die mit den diversen Konzepten reichlich zu kämpfen.
Leichter als GREAT WESTERN TRAIL ist EL PASO insofern, dass ich weniger Dinge mitbedenken muss. Der Fokus liegt klarer auf: Figur ziehen, Aktion machen. Dadurch fühlt sich EL PASO auch ein bisschen repetitiver an. Wobei sich natürlich trotzdem immer die Fragen stellen: Welche Aktionen? Und wie viele pro Umlauf? Also: Wie schnell will ich um den Rundkurs hetzen, wie häufig meine Herden werten?
Genauso wie GREAT WESTERN TRAIL lässt sich EL PASO sehr strategisch spielen. Ich kann einen klaren Fokus setzen und meine gesamte Partie entsprechen ausrichten. Jede:r kann sogar weitgehend ungestört agieren, EL PASO ist solitärer. Die Positionierung meiner Gebäude greift kaum ins Spiel der anderen ein, es gibt keine Konkurrenz im Arbeitsmarkt oder auf einer Eisenbahnstrecke.


El Paso: Material

Was taugt es? Ich habe EL PASO gern gespielt, weil es trotz Reduktion erstaunlich viel vom Reiz des Originals bewahrt. Allerdings ist es schwierig bis unmöglich, gegen ein geliebtes Original zu bestehen. Denn das Original liebe ich ja dafür, dass es so ist, wie es ist. Gerne investiere ich also eine Stunde mehr und spiele gleich GREAT WESTERN TRAIL oder GREAT WESTERN TRAIL NEUSEELAND. Ich möchte das volle epische Erlebnis und nicht das Konzentrat.
Aber muss EL PASO denn überhaupt gegen GREAT WESTERN TRAIL bestehen? Vielleicht bedienen ja beide Spiele sehr unterschiedliche Zielgruppen und könnten prima nebeneinander existieren.
Ich bin da skeptisch. Denn neben dem Epischen fehlt EL PASO vor allem das Sinnliche. Das Spiel ist aufgemacht wie eine Reiseausgabe, die fürs Spielen auf einer Rasenfläche oder am Strand optimiert wurde. Auf einem Tisch empfinde ich das Wellen schlagende Spieltuch (statt Spielplan) als sehr störend. Die winzigen Pappmarker verrutschen, während die riesigen Holzfiguren im Weg herumstehen und die Sicht versperren. Es mag Geschmackssache sein, aber ich habe bei so einer Aufmachung gleich deutlich weniger Lust auf das Spiel.


**** solide

EL PASO von Alexander Pfister und Johannes Krenner für eine:n bis vier Spieler:innen, Lookout Spiele.

Mittwoch, 8. Oktober 2025

Vor 20 Jahren (154): Caylus

Caylus: Cover

Alle paar Jahre gibt es auf der Messe Spiel in Essen DAS eine Spiel der Messe: den unangefochtenen großen Hype, den alle spielen und kaufen wollen. 2005 war dies: CAYLUS. Es war das erste veröffentliche Spiel des Franzosen William Attia, und so sehr viele weitere sind seitdem auch gar nicht hinzugekommen.

CAYLUS assoziiert man heute mit Worker Placement. Das Spiel kann vielleicht nicht für sich beanspruchen, das Worker Placement aufgebracht zu haben (was das angeht, wird häufig KEYDOM (1998) von Richard Breese genannt; 2000 in abgewandelter Form als MORGENLAND erschienen). Aber durch CAYLUS verbreitete sich der Mechanismus und bekam in der Folge auch seinen Namen.

Dramatische Pause.

Denn: Den Gedanken, dass wir bis vor 20 Jahren quasi kein Worker Placement hatten, muss man erst mal an sich heranlassen. Es klingt zu verrückt. Aber vor 20 Jahren hatten wir tatsächlich auch noch keinen Deckbau. Vielleicht habe ich das zwei- oder dreimal schon erwähnt: Wir hatten damals nichts!

Warum wir trotz allem überhaupt Spiele-Fans waren? Nun ja, zum Glück gab und gibt es auch andere schöne Mechanismen. Und zum Glück ist man leibhaftig dabei, wenn neue Mechanismen aufkommen und in späteren Spielen weiterentwickelt werden.

So geschah es natürlich auch mit Worker Placement. 2007 kam AGRICOLA und verdrängte (für meine Begriffe) CAYLUS vom Thron, indem es vieles noch ein bisschen besser machte. Nachdem es AGRICOLA gab, spielte ich erst mal nur noch AGRICOLA. Aber ohne CAYLUS wäre AGRICOLA nicht möglich gewesen.

In AGRICOLA starten wir mit nur zwei Figuren, während wir in CAYLUS von Beginn an schon alle sechs haben. Die Variation besteht also darin, dass wir weitere Figuren erst erwerben müssen. Auf andere Weise wurde Worker Placement in anderen Spielen verändert: indem die Figuren unterschiedliche Werte oder Funktionen besitzen oder im Laufe der Partie annehmen, indem sie einander von Feldern verdrängen, indem sie nicht einzeln, sondern in Gruppen eingesetzt werden und so weiter.

2005 hätte ich diese Entwicklung nicht geahnt, zumal ich mir solche Fragen auch gar nicht stellte. Als Spieler erfreue ich mich an dem, was da ist. Was zukünftig noch daraus werden könnte, beschäftigt mich nicht. Gewiss denken Autor:innen da anders. Zum Glück.

Was mich an CAYLUS am meisten gereizt hat, war – wenn ich mich richtig erinnere – ohnehin gar nicht das Worker Placement als solches, sondern damit verbunden der variabel wachsende Spielplan. Das Spiel startet mit vorgegebenen Aktionsorten (Gebäuden). Indem wir weitere Gebäude bauen, erschaffen wir weitere Einsatzorte für sowohl eigene als auch fremde Figuren.

Im Rahmen der Gegebenheiten gestalten wir selbst, wie sich unser Spielbrett entwickelt, welche Produktionslinien ins Spiel kommen und wann. Ich mag das: nicht nur wie im Legespiel etwas zu legen, sondern darauf auch noch weiterzuspielen. Und ich mag das Wechselspiel aus Gemein- und Eigennutz. Ich will Gebäude in die Stadt setzen, die mir weiterhelfen. Aber ich muss einkalkulieren, dass auch andere davon profitieren werden.

CAYLUS erhielt weltweit sehr viele Preise und Nominierungen. In Deutschland gewann es mit großem Vorsprung den Deutschen Spielepreis 2006, die Jury Spiel des Jahres verlieh ihm den Sonderpreis Komplexes Spiel. Heute belegt CAYLUS im Ranking von boardgamegeek immerhin noch Platz 131. Das ist sehr respektabel. Sofern ich mich nicht verzählt habe, liegen nur sechs ältere Spiele vor CAYLUS, nämlich CROKINOLE, PUERTO RICO, FUNKENSCHLAG, EL GRANDE, RA und EUPHRAT & TIGRIS.


Freitag, 3. Oktober 2025

Navoria

Navoria: Cover

Wie geht NAVORIA? Auf dem Kontinent Navoria leben Menschen, Tiere, Goblins und Geister friedlich vereint. Dass es auf ihrem Kontinent keine Einleitungen gibt, haben sie noch gar nicht bemerkt.
Laut Spielgeschichte sind mysteriöse andere Kontinente aufgetaucht, laut Spielgeschichte erforschen wir sie. Konkret bedeutet das: Auf dem Spielplan gibt es drei Laufskalen. Darauf liefern wir uns Wettrennen um Punkte. In jeder Runde muss ich aber wieder ganz von vorne starten. Außer ich konnte Häuser errichten. Dann starte ich von demjenigen meiner Häuser, das dem Ziel am nächsten ist.
Jede der drei Runden ist in zwei Phasen aufgeteilt. In der ersten erhalten wir Karten. Die gibt es in fünf Farben. Bin ich am Zug, ziehe ich zwei Farbsteine aus dem Beutel. Sind sie grün und blau, bedeutet das, ich darf entweder eine grüne oder eine blaue Karte aus der Auslage wählen. Wähle ich die blaue, kommt der grüne Stein in die „Stadt“. Die nächste Person könnte ihn nun verwenden, um eine grüne Karte zu nehmen. Oder sie lässt das Schicksal entscheiden und zieht auch zwei Steine aus dem Beutel.

Navoria: Karten

Karten bringen dies und jenes. A) Punkte. B) Sammelsymbole. Sobald ich fünf gleiche habe, schalte ich eine Schlusswertung für mich frei, die belohnt, viele Karten bestimmter Farben gesammelt zu haben. C) Schritte auf einer der Laufskalen. D) ein Haus auf einer der Laufskalen. E) Rohstoffe. F) Wertungen. Entweder eine andere kleine Schlusswertung. Oder eine Zwischenwertung, die dreimal im Spiel ausgeführt wird und gleiche Sammelsymbole oder Schritte auf den Skalen belohnt.

Navoria: Lager

Auch mit Rohstoffen löse ich Zwischenwertungen aus. Ich sammle sie nach bestimmten Vorgaben in drei Lagern auf meinem Tableau, und sobald in einem der Lager die Bedingungen für eine Wertung erfüllt sind (zum Beispiel sind drei gleiche Rohstoffe beisammen), muss ich werten und gebe die Rohstoffe ab. Wieviel ich bei dieser Wertung erhalte, hängt davon ab, wie viele Häuser ich bereits gebaut habe. Und auch nicht irgendwelche Häuser. Sondern für diejenige Wertung, die mit drei gleichen Rohstoffen ausgelöst wird, müssen es Häuser auf der Berg-Laufskala sein.
In der zweiten Phase nutzen wir die eingesetzten Farbsteine für Worker Placement. Bin ich dran, nehme ich einen der noch vorhandenen Farbsteine und platziere ihn auf einem gleichfarbigen Feld in der Stadt. Auch hier gibt es dann Punkte, Rohstoffe, Schritte und so weiter.


Navoria: Spielplan

Was passiert? NAVORIA ist ein stark verwobenes Spiel. Alles hängt mit allem zusammen. Die Kausalitäten sind teilweise recht abstrakt und um die Ecke gedacht.
Es zahlt sich aus, Schwerpunkte zu setzen, also beispielsweise Karten mit identischen Sammelsymbolen zu erwerben oder Häuser auf demselben Pfad zu bauen. Allerdings ist ein erhebliches Zufallsmoment im Spiel, ob ich diesem Plan folgen kann oder nicht. Vielleicht kommen nicht genügend Karten mit meinem Sammelsymbol, vielleicht ist es gar nicht möglich, die gewünschten Häuser zu bauen. Und selbst wenn die erhofften Karten im Spiel sind: Ich muss auch noch die entsprechenden Farbklötze ziehen, um sie nehmen zu können.
Durch diesen Zufallsfaktor besitzt NAVORIA einerseits eine angenehme Leichtigkeit: Ich muss mich nicht zwischen unzählig vielen Dingen entscheiden. Zudem wird fast alles sofort auf dem Brett umgesetzt: Ich sehe die Folgen meiner Entscheidungen.
Andererseits ist das Beziehungsgeflecht der Elemente ein Dschungel, in dem sich Einsteiger:innen schwer zurechtfinden. Trotz vermeintlich begrenztem Entscheidungsraum ziehen sich Partien mit Menschen, die NAVORIA zum ersten oder zweiten Mal spielen, deutlich. Auch die Grafik behindert. Die Symbole für Hausbau und Laufen werden oft verwechselt oder nicht erkannt. Und vor allem die Uneinheitlichkeit der Sammelsymbole sorgt für Verwirrung. Aus mir nicht erklärlichen Gründen sind sie manchmal als Negativ abbildet (die sonst hellen Flächen sind jetzt die dunklen – und umgekehrt).

Was taugt es? NAVORIA hat mir im Ersteindruck gut gefallen, und auch einige meiner Mitspieler:innen gaben positive Rückmeldungen. Wobei ich bei etwas komplexeren Spielen immer den Verdacht habe: Manche Leute sind am Ende froh und stolz, es so halbwegs verstanden zu haben; und aus diesem guten Gefühl, das eigentlich nichts mit dem Spiel selbst zu tun hat, speist sich (teilweise) der wahrgenommene Spielreiz.

Navoria: Auslage

Wie auch immer. Die für meine Bewertung relevanteste Frage ist ohnehin: Möchte ich es noch einmal spielen? Und die Antwort ist: nicht unbedingt. Es hat sich dann doch gezeigt, dass sich die Partien ähneln und bei Wiederholung nicht an Spannung gewinnen. Was es zu entdecken gab, glaube ich, entdeckt zu haben.
NAVORIA ist sauber komponiert. Der kleine Zock-Mechanismus, einen vielleicht nicht perfekten, aber immerhin akzeptablen Farbstein zu wählen, oder auf den perfekten zu hoffen und in den Beutel zu greifen, ist pfiffig. Aber er ist im Spiel nur ein kleiner Faktor. Die Abwicklung der vielen Wertungen benötigt weitaus mehr Raum – aus dem guten Grund, dass NAVORIA sicher mehr sein soll als nur ein Zockspiel.
Ich sehe es eher als taktisches Sammelspiel. Mit dem Manko allerdings, rein mechanisch konstruiert zu sein und das Entdeckungsthema überhaupt nicht einzulösen. Vermutlich um irgendwie doch eine Welt zu erschaffen, wo eigentlich keine ist, floss viel Augenmerk in die Ausstattung. So sind die hübschen Holzfiguren (für jede Farbe gibt es andere) das am wenigsten Mittelmäßige an NAVORIA.
Nichts an NAVORIA ist misslungen. Doch das Spiel bietet eben auch keinen speziellen Kniff, keine starke Emotion, keine Wiedererkennbarkeit und geht in der Masse unter.


*** mäßig

NAVORIA von Meng Chunlin für zwei bis vier Spieler:innen, Strohmann Games.