Samstag, 6. Dezember 2025

Abroad

Abroad: Cover

Rezensionen am Nikolaustag bringen Missetaten ans Licht. Wer hier keine Einleitung sieht, war das Jahr über nicht brav genug.

Wie geht ABROAD? Wir reisen. Und vor allem planen wir unsere Reise. Um Erholung geht es dabei eher nicht. Im Gegenteil wollen wir möglichst viel in die viermal sieben Tage hineinstopfen.
Wir besitzen Handkarten, die sich jeweils nur in ihrer Heimatregion ausspielen lassen. Um „Ljubljana“ zu spielen, muss meine Figur folglich im Balkan sein. „Ljubljana“ bringt mir Symbole, die für andere Karten und Wertungen interessant sein können. Das Ausspielen kostet mich zwei Tage, was ich markiere, indem ich zwei meiner Chips von meinem Wochenplan nehme und in der Balkanregion platziere.
Am Ende jeder Woche wird in jeder Region die Chipmehrheit festgestellt und gewertet. Da wir dann zwangsläufig alle dieselbe Anzahl Chips platziert haben werden (nämlich sieben, 14, 21 oder 28), kommt es darauf an, a) sich ein bisschen schlauer verteilt zu haben als die Konkurrenz und b) die Chips mittels Boni aufzuwerten. Aufgewertete Chips übertrumpfen normale Chips.
Zwei Chips von meinem Wochenplan zu entfernen, bedeutet nicht nur, dass für mich zwei meiner insgesamt 28 Tage vergangen sind. Es zeigt auch, welcher genaue Wochentag als nächstes kommt. Das ist wichtig, denn etliche Karten sind an bestimmten Wochentagen doppelt stark. „Ljubljana“ etwa besagt, dass ich drei Karten ziehen darf. Falls ich „Ljubljana“ jedoch an einem Mittwoch spiele, darf ich obendrein mein Energie-Einkommen erhöhen.

Abroad: Spielplan

Energie ist eine von vier Währungen im Spiel. Energie und Geld benötige ich, um überhaupt reisen zu können, also meine Figur auf dem Spielplan zu bewegen. Smileys verkürzen die Aufenthaltsdauer, Ortskundige lassen mich Extraaktionen ausführen.
Nicht immer werde ich die passenden Karten haben, um da, wo ich bin, etwas auszuspielen. Und immer mal wieder benötige ich auch Ressourcen. Deshalb kann ich an jedem Ort eine der Basisaktionen ausführen, neue Karten zu ziehen oder Karten gegen Rohstoffe abzuwerfen. 

Was passiert? Bei ABROAD rauchen schnell die Köpfe. Ich will einerseits kurze Wege machen, weil das Ressourcen spart. Andererseits verlangen manche Karten, dass ich Symbole vorweise oder Ressourcen zahle. Und um die Symbole oder Ressourcen vorher einzusammeln und zudem vielleicht lieber am Freitag anzukommen statt schon am Donnerstag, schalte ich möglicherweise noch andere Orte dazwischen, die Umwege bedeuten.
ABROAD ist Dilemma. „Capri“ verlangt zwei Strandliegen. Habe ich nur eine Liege und keine weitere Karte, die mir eine Liege bringt, könnte aufs Ausspielen von „Capri“ natürlich verzichten. Andererseits bin ich nun mal gerade in Italien, und „Capri“ bringt immerhin das Symbol Delikatesse. Und warum interessiert mich das? Weil in Osteuropa in dieser Partie eine Wertungsplättchen für Delikatessen ausliegt.
Denn als hätten wir nicht genug zu bedenken, lockt jede Region auch noch mit je einer Wertung, die wir nur direkt dort beanspruchen können. Und wenn man so verrückt ist, sich für fortgeschritten zu halten, nimmt man für jede Region noch Dauereffekt-Plättchen hinzu, die man nur samstags oder sonntags erwerben kann.


Abroad: Tableau

Was taugt es? Der Reiz von ABROAD liegt in der Überinformation. Unsere Kartenhände bieten oft zu viele verlockende und einander widersprechende Möglichkeiten, gespickt noch mit Wenns und Abers. Ich muss filtern, ich muss priorisieren, ich muss mich fokussieren und mir meinen eigenen roten Faden verordnen, anstatt alles gleichzeitig machen zu wollen.
Ich bin stark damit beschäftigt, meine Karten zu analysieren, sie in eine sinnvolle Reisereihenfolge zu bringen und zu entscheiden, welche ich voraussichtlich am wenigsten brauche und somit abwerfen kann, um Ressourcen zu generieren. Trotzdem spielt sich ABROAD alles andere als solistisch. Wir konkurrieren um Mehrheiten und jagen einander die Wertungen ab. Erweckt jemand den Eindruck, mir die Delikatessen-Wertung im Osten wegschnappen zu wollen, reise ich vielleicht sofort hin, obwohl es eigentlich besser gewesen wäre, erst noch eine andere Aktion vorzuschalten.
Das Hin- und Hergerissensein bei dieser komplexen Timing- und Tüftelaufgabe macht mir sehr viel Spaß. Ich erlebe große Spannung, ich stehe in jeder Partie unter Strom. Mir gefällt dabei die klare Struktur des Spiels. Nicht von den Spielregeln geht die Komplexität aus, sondern sie entsteht aus den Wechselwirkungen der Karten und Wertungen.
Durch den variablen Spielaufbau und die Kartenfülle ist jede Partie hinreichend anders, ich habe nicht das Gefühl, immer dieselben Wege zu gehen. Im Vergleich zu AUF NACH JAPAN!, dem letzten komplexen Reiseplanungsspiel, das mir untergekommen ist, empfinde ich obendrein die Konkretheit von ABROAD als schönen Vorteil: Ich bewege meine Figur auf einer Landkarte umher. Das erzeugt mehr ein Gefühl, tatsächlich zu reisen. Nicht zuletzt fühlt sich ABROAD auch völkerverbindend an. Das Spiel feiert die Schönheit Europas; Ideologie, Politik und reale Reisebeschränkungen spielen keine Rolle.
Nicht verhehlen lässt sich, dass man mit den Karten auch schlichtweg Pech haben kann. Manchmal will nichts zusammenpassen, und die Konkurrenz zieht davon. Ein guter Start, mit dem ich Einkommen und Symbole generiere, ist viel wert.
In meinen Runden waren einige Spieler:innen, denen ich ABROAD zugetraut hätte, mit den überbordenden Möglichkeiten dann doch überfordert. Teilweise hat diese Überforderung auch Frust erzeugt. ABROAD benötigt Zeit und Geduld. Diffuse Informationen zu filtern und sich von Plänen trennen zu können, liegt nicht jede:r.
Redaktionell wäre noch Luft nach oben gewesen. Die Bedeutung mancher Symbole muss man sich herleiten, eine Symbolübersicht für jede Mitspieler:in fehlt. Die Symbole sind außerdem sehr klein. Die Bezeichnungen der Regionen (etwa FBR für Frankreich-Benelux-Region) hat in meinen Runden für Spott gesorgt. Kritikwürdiger finde ich, dass die Grenzen auf dem Spielplan teilweise nicht stimmen. Irland beispielsweise hat laut ABROAD keine Binnengrenze, Luxemburg existiert gar nicht.


***** reizvoll

ABROAD von Rodrigo Rego und Danilo Valente für eine:n bis fünf Spieler:innen, 1 More Time Games.

Sonntag, 30. November 2025

Gern gespielt im November 2025

13 LEAVES: Dass meine Pläne fallen wie Blätter, mag ein Zeichen dafür sein, dass ich mich längst in meinem spielerischen Herbst befinde.

RONIN: Big in Japan.

BOSS FIGHTERS QR: Einheitsfront gegen die Bosse. Marx hätte es gefallen.

TAG TEAM: Zu zweit stirbt man weniger allein.

BIDDLE: Komisch: Wenn ich einfach so einen Kniffel würfeln soll, finde ich’s öde. Wenn ich vorher wette, dass ich ihn würfle, ist es spannend.





UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM NOVEMBER:

DER HOBBIT – HIN UND ZURÜCK: Weniger Seiten als das Original von Tolkien, aber dafür viel dickere Pappe.





Freitag, 28. November 2025

Abgestaubt!

Abgestaubt: Cover

Rezensent:innen sagt man eine Abstaubementalität nach. Es würde erklären, warum ich dieses Spiel mag.

Wie geht ABGESTAUBT? Die Ähnlichkeit mit dem nahezu zeitgleich im selben Verlag erschienenen FLIP 7 ist verblüffend: Auch in ABGESTAUBT decken wir Zahlenkarten auf. Auch in ABGESTAUBT zählen sie Punkte entsprechend ihrer Zahl. Sobald ich eine Zahl aufdecke, die schon vor mir liegt, verliere ich alles. Deshalb sollte ich rechtzeitig vorher aufhören. Die Frage ist nur: Wann?
Anders als in FLIP 7 spielen wir nacheinander. Jede:r zieht solange, bis sie aufhört oder scheitert. Erst dann ist die nächste Person dran. Es gibt also auch nicht die reihum wechselnde Person, die die Karten verteilt und vielleicht ihre Opfer zu überhöhtem Risiko hinquatscht („Na los, eine geht noch!“). Es gibt auch keine Sonderkarten. Und die Zahlenkarten haben eine deutlich andere Häufigkeitsverteilung.
Der größte Unterschied: In ABGESTAUBT sacken wir unsere Beute nicht gleich ein, sobald wir mit dem Aufdecken fertig sind. Die Karten bleiben noch eine Runde lang liegen. Sie gehören mir erst dann, wenn ich wieder an den Zug komme (und sie noch da sind).
Denn wir beklauen einander. Decke ich eine Zahl auf, sagen wir die Acht, die schon vor irgendwem liegt, darf ich auch diese Acht nehmen und habe nun zwei. Und natürlich kommt es vor, dass irgendwer später ebenfalls eine Acht zieht, mir meine Achten wegnimmt und nun schon drei hat. So entstehen teils große Pötte, die zwischen den Spieler:innen hin- und herwandern, bis sie dann endlich jemand einsackt – oder dummerweise doch noch eine Acht aus der Mitte aufdeckt und alles abgeben muss.

Was passiert? Sehr Ähnliches wie in FLIP 7. ABGESTAUBT ist ein Glücksspiel. Der zugrunde liegende Zock (Beute sichern? Oder immer mehr wollen – und eventuell scheitern?) wird nicht zum ersten Mal spielerisch ausgetragen. Man kennt dieses CAN’T STOP-Prinzip spätestens seit CAN’T STOP.

Abgestaubt: Karten

ABGESTAUBT bricht wie auch FLIP 7 das Dilemma noch weiter herunter. Jetzt muss man nicht mal mehr würfeln und Zahlen kombinieren. Die Frage ist lediglich: Karte ja oder nein? Ob das Spaß macht, hängt zweifellos mit der Gruppe zusammen, die da gemeinsam am Tisch sitzt: ob alle bereit sind, sich so sehr dem Zufall zu überlassen. Ob sie Schadenfreude empfinden, wenn andere zu gierig sind oder Pech haben. Und ob sie den Frust wegstecken können, falls sie beklaut werden oder schon nach vier Karten raus sind.

Was taugt es? Spiele mit sehr, sehr ähnlichem Mechanismus hat Reiner Knizia auch bereits vor ABGESTAUBT veröffentlicht, zum Beispiel FAMILY INC. (Piatnik, 2021). Dennoch drängt sich wegen der zeitlichen Nähe vor allem der Vergleich mit FLIP 7 auf.
Für mich endet er unentschieden. Beide Spiele sind gut. An ABGESTAUBT mag ich besonders das Klauen. Obwohl wir nacheinander an die Reihe kommen und ich länger nichts zu tun habe, bange ich auch bei den Spielzügen der anderen mit. Ich zittere um meinen Besitz. Außerdem verleitet mich die Aussicht, irgendwo fünf Neunen abstauben zu können, vielleicht dazu, noch mehr zu zocken, als es eigentlich vertretbar wäre.
Auch FLIP 7 enthält Interaktion – durch die Sonderkarten. Und auch in FLIP 7 lasse ich mich durch äußere Umstände höhertreiben: Wenn meine Konkurrent:in eine weitere Karte nimmt und überlebt, dann will ich auch noch eine!
FLIP 7 finde ich schöner gestaltet. Das Spiel hat Kasino-Atmosphäre, während mich die Staubfusselthematik von ABGESTAUBT nicht wirklich reinzieht. FLIP 7 hat auch eine etwas größere Range, wie viele Personen gut mitspielen können. Bei ABGESTAUBT wird zu dritt eher zu selten und zu sechst eher zu häufig geklaut. Aber das sind winzige Nuancen. Beide Spiele bleiben für mich vom Jahrgang 2024/25 übrig.


***** reizvoll

ABGESTAUBT! von Reiner Knizia für zwei bis sechs Spieler:innen, Kosmos.

Montag, 24. November 2025

Hof-Verrat

Hof-Verrat: Cover

Verrate mir deine Einleitung, und ich sage dir, wie du heißt.

Wie geht HOF-VERRAT? Wir legen Karten aus. Immer drei habe ich auf der Hand, nachdem ich sie am Ende meines vorherigen Zuges gezogen habe. Eine davon muss ich in meine Auslage spielen, eine in die Auslage einer Mitspieler:in und eine in die Mitte, an die „königliche Tafel“.
Die Karten an der königlichen Tafel besagen bei Spielende, welche Kartenfarben in unseren Auslagen Plus- oder Minuspunkte zählen. Man kann Karten nämlich oberhalb oder unterhalb der Tafel ablegen. Und liegen am Ende mehr Karten einer Farbe oberhalb, zählt diese Farbe plus. Und umgekehrt.
Es gibt etliche Sonderkarten: Jede Karte „Adel“ zählt wie zwei Karten. Das gilt sowohl in Auslagen als auch an der Tafel. „Spione“ werden verdeckt gespielt und erst für die Schlusswertung aufgedeckt. „Assassinen“ eliminieren andere Karten, „Wächter“ sind geschützt.

Was passiert? Wenn ich nicht gerade mehrere gleichfarbige Karten auf der Hand habe, muss ich mit Widersprüchen umgehen: Eine Farbe, die ich bei mir auslege, würde ich eigentlich an der königlichen Tafel stärken wollen – aber dann kann ich sie ja nicht bei mir auslegen.

Hof-Verrat: Tafel

In der Theorie möchte ich natürlich Karten zu mir legen, die positiv zählen. Karten, die negativ zählen, sollen zur Konkurrenz. Und in die Mitte gehören Karten, die dazu beitragen, dass Wertungen in meinem Sinne kippen. Ob das alles klappt, hängt erstens von meinen Karten ab und zweitens von meinen Mitspieler:innen. Außer im Spiel zu zweit werden die meisten Karten nun mal von anderen Spieler:innen platziert. Je mehr Leute mitwirken, desto geringer mein Einfluss.
Parallel verfolgen wir noch Geheimmissionen. Die könnten mir beispielsweise Punkte bringen, wenn: die gelben Karten am Ende negativ zählen oder ich mehr blaue Karten habe als die Person links von mir oder mindestens drei Spione vor mir ausliegen. Spielerischer Vorteil dieser Karten ist, dass ich einen Fokus für die gesamte Partie erhalte, während ich ansonsten rein situativ agiere.
Nachteilig ist allerdings, dass auch das Erfüllen mancher Ziele kaum in meiner Hand liegt. Im Spiel zu fünft etwa habe ich sehr wenig Einfluss darauf, ob Gelb nun plus oder minus zählt. Und wenn ich im gesamten Spiel nur einen oder zwei Spione ziehe, wäre ich auf unfreiwillige Mithilfe angewiesen, um drei Spione vor mir versammeln zu können.

Was taugt es? In meinen öffentlichen Runden war HOF-VERRAT in der vergangenen Saison sehr beliebt, während es bei den regelmäßigeren Mitspieler:innen überwiegend Schulterzucken ausgelöst hat.
Ich ordne mich eher bei der Fraktion Schulterzucken ein. Sicher hat das damit zu tun, dass ich aggressive Interaktion nicht so mag. Zu entscheiden, welcher Person ich eine miese Karte reindrücke, macht mir üblicherweise wenig Freude. Immerhin ist bei HOF-VERRAT nicht so deutlich, was denn nun eine miese Karte ist. Vielleicht zählt eine vermeintlich miese am Ende dann doch Pluspunkte.

Hof-Verrat: Karten

HOF-VERRAT ist sehr dynamisch. Erstens im Sinne von schnell: Niemand muss über den eigenen Zug lange nachdenken. Zweitens im Sinne von wechselhaft: Die Assassinen können die Spielstände sehr plötzlich verändern. Und wegen der Spione ist der genaue Spielstand sowieso nicht ersichtlich, und es bleibt spannend bis zum Schluss.
Als unterhaltsam erlebe ich HOF-VERRAT also zweifellos: Ich habe Ziele, ich habe Aufgaben; ich versuche, mich irgendwie durchzulavieren, mich an Mehrheiten anzuhängen, nicht negativ aufzufallen. Und bevor ich eine blöde Karte selbst nehme, würge ich sie doch lieber einer Mitspieler:in rein, sorry. Diese Mixtur kann durchaus Stimmung erzeugen, und so erkläre ich mir die vielen sehr positiven Bewertungen.
Für mein spielerisches Wohlbefinden fühlt sich HOF-VERRAT am Ende jedoch zu oberflächlich und auch zu beliebig an. Klar gibt es Stellschrauben, aber gleichzeitig auch zu viele Personen, die daran herumdrehen. Vom interessanten Twist, drei Karten an drei Orte spielen zu müssen, hätte ich mir mehr Dilemma erhofft.


**** solide

HOF-VERRAT von Romaric Galonnier und Anthony Perone für zwei bis fünf Spieler:innen, Huch.

Donnerstag, 20. November 2025

Bohemians

Bohemians: Cover

Man muss Spielthemen auch leben! Deshalb habe ich mich verpflichtet gefühlt, ausgiebig meinen Tagträumen nachzuhängen. Für eine Einleitung hat es dann nicht mehr gereicht.

Wie geht BOHEMIANS? Paris um 1900. Wir sind Künstler:innen am Anfang unserer Karriere und auf der Suche nach Erfolg. Wir spielen so viele Tage (Runden), bis jemand die vorgegebene Anzahl Erfolgskarten kaufen konnte.
Jede Runde entspricht einem Tag in meinem Künstlerleben. Während dieses Tages sammle ich Inspirationspunkte. Damit kaufe ich bessere Karten für mein Deck oder eben Erfolgskarten, die eine nach der anderen zunehmend teurer werden. Sie werden nicht in mein Deck gemischt.
Pro Runde ziehen wir mindestens fünf Karten und legen vier davon auf unsere Tagesplan-Tableaus. Die Karten besagen, was wir morgens, mittags, abends und nachts tun. Vor allem aber haben sie an ihren linken und rechten Kanten halbe Symbole. Ordne ich meine Karten so an, dass halbe Symbole aneinandergrenzen und auf diese Weise zu kompletten Symbolen werden, sammle ich Inspirationspunkte.

Bohemians: Tagesplan

Meine Tagesplanung ist also ein Puzzle. Und wir puzzeln simultan. Statt einer der vier Karten könnte ich auch mein Job-Plättchen spielen. Das hat keine Symbole, wird also meine Inspirationswertung verschlechtern. Allerdings: Übe ich meinen Job nicht aus, bekomme ich eine Leidenskarte in mein Deck, die – sobald ich sie später ziehe – meinen Tag negativ modifiziert. Positiv sich wirken Musenkarten aus, die ich unter bestimmten Voraussetzungen mit meinen Symbolkarten kombinieren darf.

Was passiert? Am Ende des Tages sollen wir nicht nur schnöde unsere Inspirationspunkte addieren und Karten kaufen, sondern wir sollen den anderen auch von unserem Tag erzählen. Das könnte dann so klingen: „Morgens bin ich ziellos durch die Straßen geschlendert. Mittags habe ich mich darauf eingestimmt, zu komponieren. Abends habe ich dann aber doch lieber an einem Manifest gearbeitet. Unterstützt und inspiriert hat mich dabei mein treuer Freund Pascal. Nachts musste ich mich wie so oft als Straßenmusiker verdingen.“
Diese Erzählungen fangen das Spielthema gelungen ein und lösen schönen Trashtalk aus. Vielleicht sind es nur Klischees, die hier wiedergegeben werden, dennoch kann man sich gut vorstellen, wie hier jemand innerhalb einer progressiven Szene und gleichzeitig am Rande des Abrutschens über die Runden zu kommen und Kunst auszuüben versucht.

Bohemians: Karten

Dass ich letztendlich nur Karten aneinanderpuzzle, finde ich nicht schlimm. Zwar ist das so gar nicht künstlerisch, aber man kann schon nachvollziehen, dass ein bestimmter Tagesverlauf mehr oder weniger kreative Energie freisetzt. Das wäre in der Realität genauso.
Allerdings ist es fürs Spiel völlig unerheblich, was die anderen so von ihrem Tag zu erzählen haben, und es ist auch ermüdend. Denn wir starten mit denselben Decks, und so sehr verändern sie sich auch nicht im Laufe der Partie. Deshalb wiederholen sich die Geschichten bald und nutzen sich ab.
Sogar die Puzzelei selbst ist repetitiv und wird im Laufe der Partie nicht spannender. Und auch die Erfolgskarten bringen keinen Twist. Man kann froh sein, die nötigen Inspirationspunkte zusammengekratzt zu haben, also kauft man meistens einen Erfolg, wenn man es irgend kann.

Was taugt es? Zu den bereits genannten Negativpunkten kommt hinzu: Bei der Übersetzung ist vieles schiefgegangen. Die Anleitung ist lückenhaft. Symbole sind vertauscht. Spielphasen heißen mal so und mal anders. Ein ganz wichtiges Symbol auf Musenkarten ist nicht erklärt, so dass man denken könnte, es sei nur Zierde.
Es hätte gute Gründe gegeben, um BOHEMIANS das Label „misslungen“ zu verpassen. Denn elementare Dinge sind ganz unbestreitbar misslungen. In der Gesamtschau auf das Spiel mag ich das dennoch nicht tun. Denn grafisch, atmosphärisch und thematisch finde ich BOHEMIANS so ansprechend, dass ich allein deswegen freiwillig noch mal eine Partie spielen würde.

Bohemians: Erfolge

Man kann viele authentisch wirkende Details entdecken. Die Erfolge heißen nicht einfach nur „Erfolg“, sondern „Das erste Freunden vorgestellte Kunstwerk“, „Worte des Trostes vom Mentor“ oder „Eine zufriedenstellende Rezension“; Karten heißen „Geh tanzen“, „Übe, übe, übe“ oder „Sage das Ende der Kunst voraus“. Das kommt mir alles sehr treffend vor. Angesichts von Leidenskarten wie „Obdachlosigkeit“ oder „Syphilis“ könnte man BOHEMIANS vielleicht mangelnde Sensibilität vorwerfen oder gar, dass es sich lustig macht. Ich habe das beim Spielen nicht so empfunden.


*** mäßig

BOHEMIANS von Jasper de Lange für eine:n bis vier Spieler:innen, Portal Games / Pegasus Spiele.

Mittwoch, 12. November 2025

Am Goldenen Fluss

Am Goldenen Fluss: Cover

Gewiss wollte ich eine Einleitung schreiben, aber ich kam nicht so recht in den – hahaha – Fluss.

Wie geht AM GOLDENEN FLUSS? Wir sammeln Geld, um damit Häuser am Flussufer zu bauen. Und wir sammeln Waren, um damit Kundenkarten auszuspielen. Diese Karten bringen erstens Spielvorteile, zweitens zählen sie Punkte. Häuser punkten indirekt, indem sie mich bei Regionswertungen unterstützen. Jeder Bauplatz gehört einer der sechs Regionen an. Neubauten bringen mir Schritte auf der Einflussskala ihrer Region. Und am Ende des Spiels bekommen Erst-, Zweit- und eventuell auch Drittplatzierte jeder Region Punkte.
Zudem profitieren meine Häuser, wenn Schiffe – eigene oder fremde – bei ihnen anlegen. Immer dann schüttet das Haus eine Belohnung für den Ankommenden aus sowie eine andere Belohnung für die Hausbesitzer:in. Was genau es gibt, lässt sich am Gebäudeplättchen ablesen: Das könnte etwa Geld sein oder Waren oder Einflussschritte in der Region oder direkt Punkte und so weiter.

Am Goldenen Fluss: Situation

Für jeden Spielzug würfle ich einen Farb-und-Zahlenwürfel. Das Ergebnis lässt mir drei Optionen: Ich könnte a) ein Haus in der erwürfelten Region bauen (sofern ich es bezahlen kann), b) eine zur erwürfelten Region passende Kundenkarte ausspielen (sofern ich die geforderten Waren abgebe), c) mit einem meiner Schiffe um die erwürfelte Anzahl Felder weitersegeln. Das mache ich, um lukrative Häuser zu erreichen, im Idealfall meine. Jedes Flussfeld bietet den Zugriff auf vier Gebäude gleichzeitig. Schön ist es, auf einem Feld zu landen, das an mehrere attraktive Häuser grenzt.
Ich bin nicht komplett vom Würfelglück abhängig: Unter Abgabe von „göttlicher Gunst“ (eine weitere Währung im Spiel) darf ich mein Würfelergebnis verändern.

Was passiert? AM GOLDENEN FLUSS kommt schnell in Gang. Das Startkapital reicht bereits aus, um das erste Haus zu bauen. Zweimal mit dem Schiff zu fahren, kann dann auch schon für das zweite genügen.

Am Goldenen Fluss: Kundschaft

Etwas länger dauert die Beschaffung der Waren. Vielleicht wollen meine Kund:innen bevorzugt Porzellan, aber es kommen keine Gebäude ins Spiel, die Porzellan liefern. Zwar gibt es auch Möglichkeiten, um Karten auszutauschen oder Waren 2:1 zu handeln, aber direkt zum Ziel zu kommen statt über Umwege, ist zweifellos besser.
AM GOLDENEN FLUSS ist ein positives Spiel. Jeder Zug bringt mir einen sichtbaren Fortschritt, indem ich entweder Einnahmen generiere oder irgendwas erwerbe. Und auch die Züge der Gegner:innen können mir helfen, sofern meine Gebäude angesteuert werden. Ob das geschieht, hängt davon ab, ob ich attraktive Häuser gebaut habe oder ob attraktive Häuser direkt nebenan stehen (und der Besuch bei mir so eine Art Beifang ist). Es hängt aber auch von den Würfelergebnissen ab.
Nachteilig ist es auf jeden Fall, wenn zu viele Schiffe an meinen Gebäuden vorbeisegeln – was auch immer der Grund dafür ist. Weil AM GOLDENEN FLUSS ein schnelles Spiel mit nicht allzu vielen Zügen ist, wird sich so etwas auch auf lange Sicht nicht zwangsläufig ausgleichen, zumal diejenigen, bei denen es besser läuft, höhere Geld- und Wareneinnahmen haben und somit auch bessere Chancen, dass es weiterhin gut läuft.
AM GOLDENEN FLUSS bietet Chancen, um mit Glück, aber auch mit Taktik zum Ziel zu kommen. Pro Partie gibt es drei unterschiedliche Spielziele, die mich mit Punkten belohnen, sofern ich sie schneller erreiche als die Konkurrenz. Auch die Regionswertungen variieren. Dort gezielt statt wahllos Einfluss zu sammeln, bewirkt einen Punkteunterschied.

Was taugt es? AM GOLDENEN FLUSS ist sehr schön ausgestattet und gestaltet. Lediglich die Gebäudefarben könnten klarer unterscheidbar sein. Sehr gelungen sind die Übersichten und Hilfen für Spieler:innen.

Am Goldenen Fluss: Tableau

Obwohl es angenehm ist, ständig Erträge zu bekommen und obwohl die drei Aktionsmöglichkeiten gut harmonieren und zusammenspielen, haben sich die Partien für mich selten spannend, sondern eher linear angefühlt.
Dem Spiel fehlen Höhepunkte und knifflige Situationen, Entscheidungen liegen teilweise auf der Hand. Alle Partien verlaufen gleichförmig, und vor allem zu viert habe ich AM GOLDENEN FLUSS auch immer als zu kurz empfunden, als dass sich alle vorhandenen Elemente hätten entfalten können.
Positiv finde ich die schnell getakteten Spielzüge, die klare Zielführung und die durchgehend positive Interaktion. Das Prinzip, entlang eines Rondells Häuser zu bauen und bei deren Betreten Einnahmen zu kassieren, ist mir zuletzt in FAIRY RING begegnet. Auch wenn unter meiner damaligen Rezension genau wie hier „solide“ steht, würde ich FAIRY RING aufgrund seiner Direktheit gegenüber AM GOLDENEN FLUSS bevorzugen.


**** solide

AM GOLDENEN FLUSS von Keith Piggot für zwei bis vier Spieler:innen, Kosmos.

Samstag, 8. November 2025

Vor 20 Jahren (155): Wir sind schwanger

Wir sind schwanger: Cover

WIR SIND SCHWANGER gehört zu den weniger bekannten Werken Uwe Rosenbergs. Auf boardgamegeek hat das Spiel gerade mal 35 Bewertungen. Und auch nicht die allerbesten. Dass ich das Spiel weiterhin besitze, ist trotzdem kein Zu- oder Unfall. Ich mag den Mechanismus.

Worum geht’s? Reihum abwechselnd werden uns Vornamen zugelost, wie unser hypothetisches Neugeborenes heißen könnte. Unseren Nachnamen bringen wir mit. So ergeben sich Kreationen wie „Eros Bartsch“, „Trixi Bartsch“, „Beverly Bartsch“ oder „Fausto Bartsch“.

Dann bewerten wir diesen Namen. Dazu besitzen alle dieselben 20 Karten mit Urteilen wie: „Als Elternteil würde ich mich schämen, auf dem Schulhof den Vornamen dieses Kindes rufen zu müssen.“ Oder: „Erst bekommt das Kind diesen Nachnamen und nun auch noch diesen Vornamen. So ein Pech!“ Fünf dieser Bewertungen wählt jede:r geheim aus. Bin ich anschließend dran, decke ich eine meiner fünf Karten auf. Wer dieselbe hat, muss ebenfalls aufdecken.


Wir sind schwanger: Karten

Sind das alle Mitspieler:innen, ist das schlecht für mich. Ich verliere einen Punkt. Ebenso, wenn ich mit meiner Bewertung ganz allein dastehe. Stimme ich hingegen mit einem Teil der Mitspieler:innen überein, gewinnen wir alle je einen Punkt. Ich will also Bewertungen wählen, die andere auch wählen. Zu offensichtlich sollte es aber auch nicht sein. Haben wir alle dieselbe Karte ausgesucht, will ich zumindest nicht derjenige sein, der sie aufdeckt.

Diesen Mechanismus finde ich nach wie vor reizvoll und gewitzt. Er verbindet ein Partyspiel mit Taktik und Thrill. Dieser Art von Handkartenmanagement mit Spekulation auf die gewählten Karten der anderen bin ich in WIR SIND SCHWANGER zum ersten Mal begegnet. Spätere Spiele mit ähnlichem Mechanismus sind bekannter geworden. Ich denke an WIE VERHEXT (2008 von Andreas Pelikan), DIE GLASSTRASSE (2013 von Uwe Rosenberg) oder STELLA (2021 von Gérald Cattiaux und Jean-Louis Roubira).

Angefangen hatte Uwe Rosenbergs Karriere mit Kartenspielen. Vor 20 Jahren befand der Autor sich schon in seinem zweiten Karriereabschnitt. Es war eine Übergangsphase, in der Rosenberg Kommunikations- und Partyspiele entwickelte, denen viel Textarbeit (in diesem Fall das Recherchieren von 2600 Vornamen) vorausging. WIR SIND SCHWANGER ist für mich das beste Spiel aus dieser kürzeren Periode. Das nächste große Kapitel schlug Rosenberg ab 2007 auf. AGRICOLA und in der Folge all die Figureneinsatzspiele machten ihn in Spieler:innenkreisen weltberühmt.

Schon vor dem Öffentlich-Werden dieser dritten Phase munkelte man in meinem erweiterten Umfeld, dass da etwas ganz Großes kommen würde. Spieler:innen aus Hannover standen irgendwie mit Uwe Rosenberg in Kontakt. Vielleicht wirkten sie in seinen Testrunden mit oder tauschten sich in sozialen Medien mit ihm aus. Im Detail weiß ich das nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich irritiert war über dieses elektrisierte Raunen und die spürbare Vorfreude auf das ganz tolle Vielspieler:innen-Ding. Denn Uwe Rosenberg brachte ich damals mit solchen Spielen nicht in Verbindung. Er stand für Spiele wie BOHNANZA, MAMMA MIA!, SPACE BEANS oder eben WIR SIND SCHWANGER.

Und wer bislang dachte, ich schreibe diese Rückschauen spontan, wie sie mir gerade in den Sinn kommen, wird nun so richtig staunen: Tatsächlich ist alles sorgsam komponiert und baut dramaturgisch aufeinander auf. Der Schritt von WIR SIND SCHWANGER zu AGRICOLA wäre nicht möglich gewesen ohne – tadaaa! – CAYLUS, das vor einem Monat Thema war. Nach Uwe Rosenbergs eigenen Angaben hat CAYLUS ihn zu AGRICOLA inspiriert. Nach der Messe 2005 habe er zwei Wochen lang jeden Abend CAYLUS gespielt und darüber nachgedacht, wie er es zu einem eigenen Spiel weiterentwickeln könne. Aber dazu mehr wohl in zwei Jahren. Für heute sagt der Papa in spe von Hannelore Bartsch, Oswald Bartsch und Ilsebill Bartsch auf Wiedersehen.


Dienstag, 4. November 2025

Meister Makatsu

Meister Makatsu: Cover

Meister Makatsu mag kein Geschwätz.

Wie geht MEISTER MAKATSU? Wer will Minuspunkte? Niemand natürlich. Der strenge Meister Makatsu verteilt sie allerdings sehr großzügig.
Jede:r besitzt dasselbe Deck mit Karten in drei Farben und Werten von Eins bis Acht. Zufällige vier davon bekommen wir pro Runde auf die Hand. Erst spielen wir ohne jede Bedienpflicht reihum eine, dann reihum eine zweite. Die beiden übrigen Karten legen wir für den nächsten Durchgang beiseite.
Nun werten wir für jede der drei Farben die gespielten Karten aus. Wer die höchste gespielt hat, kriegt Strafe: Die höchste blaue Karte bringt einen Minuspunkt, die höchste gelbe zwei, die höchste violette einen und obendrein die sehr unbeliebte Ausspielpflicht.
Man will also niemals hoch spielen. Aber irgendwann muss man das wohl. Schrecklicherweise werden die Minuspunkte im zweiten Durchgang verdoppelt, im dritten verdreifacht. Diese Durchgänge sind erheblich kürzer. Denn wir spielen nur noch mit unseren zuvor beiseitegelegten Karten. Die werden jeweils neu gemischt, und wieder gibt es für jede Runde vier meiner Karten auf die Hand.

Was passiert? Spiele ich anfangs immer kleine Werte, kann ich mich darauf einstellen, die späteren Durchgänge mit den hohen Karten bestreiten zu dürfen. Spiele ich anfangs hoch, nutzen meine Mitspieler:innen das womöglich aus, um als galante Beigabe zu meiner Acht eigene Sechsen und Siebenen zu entsorgen.
Sehr ärgerlich übrigens, wenn man in solchen Situationen nichts Hohes hat. Da spielt jemand – vermutlich aus Verzweiflung – die gelbe Acht vor, man könnte den allergrößten Mist abstoßen … hat gerade aber keinen parat. Oder nur in den anderen Farben. Oder man hat ausgerechnet eine gelbe Acht. Und bei mehreren gleichen Zahlen sticht die später gespielte.

Meister Makatsu: Material

MEISTER MAKATSU ist ein ständiges Dilemma: Ich will niemals die violetten Stiche gewinnen, weil es viel bequemer ist, hinten zu sitzen und reagieren zu können. Gelbe Stiche will ich aber auch nicht. Denn die sind ja besonders teuer. Und immer nur Blau zu legen, ist auch ungünstig. Denn so behalte ich für die späteren Durchgänge zwangsläufig Gelb und Lila.
Vermutlich kann ich ohnehin nicht immer unterbieten. Wann also ist der geeignete Moment, um doch mal klein groß beizugeben? Vielleicht wenn ich zwei hohe Werte einer Farbe auf der Hand habe, sagen wir Sechs und Acht. Und in dem Fall: Spiele ich erst die Sechs an, um zu gucken, was sich ergibt? Vielleicht legt jemand eine weitere Sechs oder die Sieben rein, und ich kann es mir mit der Acht noch mal anders überlegen? Na ja, aber vielleicht spielt aber auch jemand eine Acht, und dann frage ich mich, warum ich nicht auch gleich mit der Acht herausgekommen bin. Jetzt wäre ich sie los.

Was taugt es? MEISTER MAKATSU ist von Partie zu Partie in meiner Gunst von „ganz nett“ zu „echt gut“ gestiegen. Im Grunde ist es ein Legacy-Stichspiel. Auf einfachste Weise: Was ich nicht ausspiele, ist mein Erbe für den nächsten Durchgang. Das kann gut sein oder auch schlecht.
Das Handling allerdings ist etwas kompliziert. Wir müssen unterscheiden zwischen Karten, a) die endgültig raus sind, b) für den nächsten Durchgang beiseitegelegt wurden und c) noch auf unseren Nachziehstapeln des laufenden Durchgangs liegen. Da gab es schon etliche Verwechslungen, Mitspieler:innen haben ihre Karten durcheinandergebracht.
Bei Spielende erwartet uns noch die neueste Variante eines speziellen Knizia-Scorings: Bei Gleichstand gewinnt die Person, die den Startmarker besitzt und also in der Ausspielpflicht wäre – selbst wenn diese Person am Gleichstand gar nicht beteiligt ist. Das ist ungewöhnlich und etwas verrückt. In größerer Besetzung ab fünf Personen habe ich tatsächlich schon Gleichstände erlebt, und dann gewann halt irgendwer … oder stopp: vermeintlich irgendwer. Denn es spricht ja nichts dagegen, einen sehr hohen violetten Wert bin zum letzten Durchgang durchzuschleppen, um sich nun ganz gezielt den Startmarker zu holen. Trotzdem ist es immer noch großer Zufall, ob dann auch der erhoffte Gleichstand eintritt. Ein finaler Zock also, der meistens nicht funktioniert. Und wenn doch: Angesichts der Kürze des Spiels finde ich es okay, wenn das Ergebnis hin und wieder im letzten Moment auf den Kopf gestellt wird.
Durch MEISTER MAKATSU fühle ich mich bestens unterhalten. Ab vier Personen finde ich es am spaßigsten. So einfach die Regeln sind: Ich treffe immer wieder relevante Entscheidungen oder zumindest Risikoabwägungen. Ich bin gespannt auf das, was passiert. Ärger über die ungünstige Verteilung meiner Handkarten und Freude, eine hohe Karte überraschend abgestoßen zu haben, wechseln sich munter ab.


***** reizvoll

MEISTER MAKATSU von Reiner Knizia für zwei bis sechs Spieler:innen, Amigo.

Freitag, 31. Oktober 2025

Gern gespielt im Oktober 2025

ARTENGARTEN: Starkpark.

TAKE TIME: Normalerweise wäre es ja kein so gutes Zeichen, beim Spielen ständig auf die Uhr zu schauen.

ABROAD: Zerrissen beim Verreisen.

TOP OR NOT: Könnte als Light-Version von WIE ICH DIE WELT SEHE durchgehen.

KAVANGO: Tiere brauchen Schutz. Vor uns Menschen. Lösung: Sperren wir die Tiere einfach weg!







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM OKTOBER:

DER HERR DER RINGE – DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT: Angesichts heutiger Edelmetallpreise hat sich Frodo bestimmt schon sehr geärgert.



Mittwoch, 29. Oktober 2025

Der Herr der Ringe – Das Schicksal der Gemeinschaft

Das Schicksal der Gemeinschaft: Cover

Ob der Eine Ring wohl die Macht hätte, mich Einleitungen schreiben zu lassen? Na, mal lieber nicht zu viel erwarten.

Wie geht DER HERR DER RINGE – DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT? Wir sind die Guten und spielen kooperativ; das Spiel ist böse. Je nach Schwierigkeitsgrad müssen wir vier oder mehr Ziele erreichen. Eines davon ist in jeder Partie „Zerstört den Einen Ring“. Dazu muss Frodo auf dem Spielplan zum Schicksalsberg laufen (wofür er auf Karten oder Plättchen jede Menge Symbole „Versteck“ benötigt), vor Ort muss er fünf Symbole „Ring“ abwerfen und schließlich noch einen Schicksalswürfelwurf überstehen, der außer vom Glück auch von anwesenden Nazgûl, Orks und dem Stand der Hoffnungs-Skala abhängt.
Andere Ziele haben Titel wie „Fordert Sauron heraus“ oder „Sichert die Furten des Anduin“ und lassen uns Truppen ausheben und zu vorgegebenen Orten bewegen oder Orte erobern oder bestimmte Symbole sammeln, um sie am Zielort einzusetzen. Alle Aufgaben haben eine inhaltliche Verbindung zu Tolkiens Romantrilogie. Ebenso die Spielplan-Geografie. Und die Eigenschaften der Spieler:innen-Charaktere. Pro Person spielen wir nicht einen Charakter, sondern gleich zwei. Mit einem führe ich in meinem Zug vier Aktionen durch, mit dem anderen eine. Haupt- und Nebenrollen können sich während einer Partie abwechseln.

Das Schicksal der Gemeinschaft: Spielplangewirr

Die Aktionen ähneln denen in PANDEMIE; DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT ist ein weiterer Ableger des erfolgreichen Spielkonzepts: Wir reisen (was manchmal die Abgabe von Symbolen erfordert und für Frodo wegen der Nazgûl obendrein riskant sein kann), wir sammeln Symbole, wir tauschen Karten. Hinzu kommt: Wir rekrutieren Truppen und kämpfen.
Noch mehr an PANDEMIE erinnert die Verwaltung zwischen den Zügen: Ich ziehe zwei neue Handkarten vom Stapel, dann werden vom anderen Stapel anfangs zwei, später mehr Schattenkarten aufgedeckt und ausgeführt. Sie bringen Orks ins Spiel oder sie bewegen Orks. Sie lassen Nazgûl in Frodos Richtung fliegen oder versetzen das Auge Saurons zu Frodo – wo es möglichst nicht lange bleiben sollte, weil sonst immer wieder negative Effekte auftreten. Eine wiederkehrende und ebenfalls buchgetreue Aufgabe der anderen Charaktere ist deshalb, irgendwo Schlachten anzuzetteln. Dadurch wird das Auge von Frodo weggelenkt.

Was passiert? Der Einstieg ist erheblich schwieriger als bei PANDEMIE. Sich auf dem großen und detailbeladenen Spielplan zurechtzufinden und zu erfassen, was die eigenen Charaktere alles können, dauert mindestens eine komplette Partie. Und bis man dann noch draufhat, welche Fähigkeiten die anderen Charaktere besitzen, vergeht mindestens eine weitere.

Das Schicksal der Gemeinschaft: Charaktere

Die Anforderung an die Gruppe ähnelt PANDEMIE und vielen anderen Koop-Spielen: Anhand unserer Karten knobeln wir die bestmöglichen Züge aus. Weil alle Informationen offen sind, können sich alle am Tisch beteiligen. Es geht um Optimierung und Risikomanagement. Viele Unglücke drohen gleichzeitig. Welchem Brandherd widmen wir uns zuerst? Und wie viel Energie verwenden wir darauf, feindliche Truppen zu entfernen? Präventive Kämpfe verschaffen uns einerseits Luft, bringt andererseits für unsere Ziele gar nichts.
Immer wieder werden wir Karten nachziehen, die das Bedrohungs-Level erhöhen und alle bereits gezogene Schattenkarten gemischt auf den Schattenstapel zurückbefördern. Sie werden dann erneut aufgedeckt. Wir können in etwa erahnen, was uns bevorsteht. Allerdings kennen wir nicht den genauen Zeitpunkt.
Wie auch in PANDEMIE tauchen also einige wenige Schattenkarten immer wieder auf und ein Großteil der Schattenkarten nie. Dadurch verlagern sich die Schwerpunkte von Partie zu Partie. Mal ist besonders Gondor bedroht, mal Thal, dann wieder bewegen sich die Orks nicht so sehr, dafür ist Saurons Auge besonders schnell.


Das Schicksal der Gemeinschaft: Würfelturm

Was taugt es? Hätte DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT keine literarische Vorlage, würde man sicherlich sagen: Was sollen all die Kleinregeln? Warum haben die Orte derart verwirrende Namen? Und wieso fassen manche Mini-Gebiete die vielen Figuren nicht? Dieses Spiel müsste man mal gründlich entschlacken!
Nicht die Mechaniken sind es, die DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT herausragen lassen; die hat Matt Leacock anderswo schon eleganter hinbekommen. Es ist die Weise, wie das Spiel Geschichten kreiert: nämlich immer wieder neue und faszinierende Varianten eines schon oft erzählten Plots. Geschichten, die sich ähnlich stimmig anfühlen und im Gedächtnis bleiben: Da erobern wir Dol Guldur, verlieren es wieder und erobern es erneut, Orks marschieren in Bruchtal ein. Gollum eilt ins Auenland, um den ängstlich verharrenden Frodo dort abzuholen. Weil wir die Filme vor Augen haben, entstehen im Kopf besonders leicht Bilder.

Das Schicksal der Gemeinschaft: Ziele

Man staunt, wie gut alles ausbalanciert ist. Das steht die Gruppe nach schwer verpatztem Auftakt schon mit dem Rücken zur Wand – und gewinnt trotzdem noch. Oder die Gruppe glaubt, alles easy im Griff zu haben – und plötzlich überrennen die Orks das Waldlandreich und stehen direkt vor Erebor. Selbst die Vernichtung des Rings verläuft nicht immer identisch. Frodo zieht mit oder ohne Begleitung nach Mordor, mal sogar mit Armeen, ein anderes Mal setzen ihn Adler direkt am Schicksalsberg ab.
Um die Romanvorlage und deren Opulenz und Vielschichtigkeit auch nur annähernd abzubilden, muss das Spiel offenbar genau so sein, wie es ist. Komplex, vieldimensional, überbordend. Episch. PANDEMIE bleibt dagegen abstrakter. Zwar spielen wir auf einer Weltkarte und haben verschiedene Berufe, was für ein Brettspiel eigentlich schon recht konkret ist. Aber ob die Pandemie nun in Asien oder Europa ausbricht, ist ohne große Bedeutung. Die Erzählung bleibt größtenteils dieselbe.
DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT ist sehr variabel. Die 13 Charaktere, 24 Ziele und fünf Schwierigkeitsgrade lassen sich fast beliebig kombinieren. Das Verspechen auf immer mehr ist groß. Das Spiel hat so viel eigenen Charakter und verströmt so viel Atmosphäre und Flair; da fällt überhaupt nicht auf, dass es mal wieder „nur“ eine PANDEMIE-Variante ist.


****** außerordentlich

DER HERR DER RINGE – DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT von Matt Leacock für eine:n bis fünf Spieler:innen, Z-Man Games / Middle-Earth Enterprises.

P.S. Sorry an Sam: Der Doppelcharakter, der nur eine Figur nutzt, heißt eigentlich "Frodo & Sam". Das habe ich im Text oben unterschlagen, um es nicht noch komplizierter zu machen. Wir alle kennen aber Sams überragende Verdienste.

Sonntag, 19. Oktober 2025

Tea Garden

Tea Garden: Cover

Made in China.

Wie geht TEA GARDEN? TEA GARDEN ist ein Aufbauspiel mit Ressourcenmanagement und Deckbau. Wir beginnen mit identischen Kartensätzen, zu Beginn jeder Runde ziehen wir vier Karten auf die Hand. Bin ich am Zug, lege ich eine oder überlappend mehrere Karten vor mir aus. Ihr Gesamtwert bestimmt die Stärke meiner Aktion, die ich anschließend ausführe. Die Symbole meiner obersten gespielten Karte gewähren mir obendrein Nebeneffekte. Pro Runde darf ich maximal vier Aktionen ausführen. Vor allem am Anfang des Spiels gehen mir ohnehin meist schon vorher die Handkarten aus.
Die Hauptwährung im Spiel sind Teeblätter mit einer grünen und einer fermentierten braunen Seite. Die Teeblätter können Qualitätswerte von eins bis sechs annehmen. Fermentierter Tee ist besser. Denn wenn ich grüne Blätter bezahlen muss, darf ich ersatzhalber auch braune abgeben – aber nicht umgekehrt. Außerdem lässt sich brauner Tee besser lagern. Beim Rundenwechsel wird jedes braune Teeblatt um eine Stufe wertvoller, jedes grüne sinkt um eine Stufe ab.
Eine Aktion kann zum Beispiel sein, dass ich mir eine zusätzliche Karte kaufe (die ich dann sofort auf die Hand nehme). Solche Karten sind grundsätzlich stärker als meine Startkarten. Oder ich baue eine Pagode. Das bringt ein kleines Soforteinkommen und erhöht dauerhaft meine Tee-Einnahmen pro Runde. Oder ich verkaufe Tee an eine Karawane. Das bringt Punkte und vor allem Kaisermarker, die ich sammle, um Kaiserkarten zu erwerben. Auch die kommen in mein Deck. Sie gewähren starke Nebenaktionen und zählen in der Schlusswertung viele Punkte.

Tea Garden: Tableau

Um Punkte geht es natürlich. Wofür genau es Punkte gibt, will ich nicht im Detail auflisten. Grob gesagt, für so ziemlich alles. Ebenfalls erspare ich mir eine genauere Schilderung, was außer Aktionsstärke und Tee in bestimmter Menge und Qualität man eventuell noch für Aktionen bezahlen oder vorweisen muss und welche Ketten- und Nebeneffekte ausgelöst werden. Und sogar von den Hauptaktionen lasse ich zwei unerwähnt. Kurzum: TEA GARDEN ist kein Kindergarten.

Was passiert? Bei TEA GARDEN geht es um Tüftelei und Optimierung. An diversen Stellen spielt (gut so!) auch Glück eine Rolle: welche meiner Karten ich auf die Hand bekomme, welche Karawanen gerade zur Verfügung stehen, welche Aktions- und Kaiserkarten zu haben sind.
TEA GARDEN ist ein weiteres der inzwischen sehr vielen Spiele, die nach hinten raus eskalieren. Am Anfang fragt man sich, wie man mit den paar Karten und den paar Aktionen überhaupt irgendwas erreichen soll. Am Ende hat man dann doch viele Ressourcen und viele Möglichkeiten. Dieses Wachstum fühlt sich befriedigend an.

Tea Garden: Spielplan

Der Themenbezug ist nur lose. TEA GARDEN funktionierte mit einem anderen Wirtschafts- oder Produktionsthema genauso gut. Schade ist vor allem, dass die so interessant wirkende Teeblatt-Währung sich nur unwesentlich auf das Spiel auswirkt. So hat TEA GARDEN wenig, um sich von der Masse der Spiele abzuheben, in denen ebenfalls alles irgendwie miteinander verzahnt ist, man vor sich hinoptimiert und mit Aktionen noch Nebenaktionen generiert und durch irgendwelche Ketteneffekte dieses oder jenes bekommt.


Tea Garden: Karten

Was taugt es? TEA GARDEN ist sehr schön gestaltet. Das Spiel verströmt Atmosphäre. Die Mechanismen sind gut komponiert, doch mit Ausnahme des Themas wüsste ich nichts zu nennen, was TEA GARDEN speziell auszeichnet. Um in dem inzwischen riesigen Angebot an ebenso gut komponierten Euro-Games nicht unterzugehen, genügen ausgeklügelte Optimierungsaufgaben – zumindest für meinen Geschmack – nicht mehr. Spiele dieses Genres benötigen einen besonderen Mechanismus; etwas, woran man sich reibt; etwas, worauf man auch nach mehreren Partien immer noch gespannt ist. Dieses Etwas erkenne ich in TEA GARDEN nicht. Ich finde ich TEA GARDEN auch etwas detailüberladen. Obendrein verliefen meine Partien relativ gleichförmig; alle Spieler:innen machten im Spielverlauf dann doch ungefähr dasselbe.


**** solide

TEA GARDEN von Tomáš Holek für zwei bis vier Spieler:innen, Huch! / Albi.