Donnerstag, 18. Dezember 2025

Pyramido – Verschollene Schätze

Pyramido - Verschollene Schätze: Cover

Wären meine Einleitungen Pyramiden, hätte Ägypten ein touristisches Problem.

Wie geht PYRAMIDO – VERSCHOLLENE SCHÄTZE? Wir bauen Pyramiden mit zweifarbigen Domino-Plättchen. Die unterste Lage besteht aus zehn Dominos, die zweite aus sechs, die dritte aus drei, und die abschließende vierte Ebene enthält noch genau einen Domino-Stein.
Jeder Domino zeigt zwei Wertungssymbole, teils verteilt auf beide Hälften, teils auf derselben Hälfte. Ist die erste Ebene fertig, also nach zehn Runden, erhalte ich für die Symbole meiner Farbflächen Punkte. Aber nur, wenn ich einen gleichfarbigen Edelstein (oder zwei weiße Jokersteine) dafür bezahle. Falls ich drei gleichfarbige Edelsteine investiere, bekomme ich sogar zwei Punkte pro Symbol.
Edelsteine sind rar, deshalb werde ich sie nicht für kleine Wertungen verplempern. Und weil ein Edelstein genügt, um eine gesamte Fläche zu werten, will ich große gleichfarbige Gebiete erstellen. Weitere Wertungen erfolgen dann nach dem Bau der zweiten, dritten und vierten Ebene.
Da wir die Ebenen übereinander bauen, wird ein Großteil meines Gebildes durch spätere Dominos überdeckt. Das kann dazu führen, dass Farbflächen auseinandergerissen werden, es kann aber auch Flächen neu verbinden. Als Fläche zählt alles, was sichtbar ist und zusammenhängt, auch wenn es in verschiedenen Ebenen liegt. Vorteilhaft ist es, wenn ich so bauen kann, dass viele Wertungssymbole am äußeren Rand meiner Pyramide liegen und deswegen nicht mehr durch spätere Ebenen überbaut werden.

Pyramido - Verschollene Schätze: Bauteile

Wir komme ich an die Bauteile? Sie sind zu fünf Stapeln angeordnet. Auf drei der Stapel liegt der oberste Domino offen. Einen dieser Dominos muss ich nehmen und verbauen. Gleichzeitig erhalte ich einen der Edelsteine, die an diesem Stapel liegen. Am Ende meines Zuges decke ich das oberste Plättchen eines der Stapel auf. Welche Farben es haben wird, sehe ich schon auf der Rückseite. Nur die genaue Anordnung der Wertungssymbole kenne ich noch nicht.

Was passiert? Die Kombination aus angebotenen Plättchen und Edelsteinen ist selten optimal (oder wenn doch, hat eine Mitspieler:in nicht aufgepasst). Ich muss Zug für Zug gute Kompromisse finden und nehme vielleicht eine Kombination, nur weil das Teil gut passt, während der zugehörige Edelstein wenig Wert für mich hat. Und wenn ich auf diese Weise eins, zwei Flächen schön ausbaue, steigt der Druck, für deren Wertung auch entsprechende Edelsteine zu beschaffen, egal welches Plättchen ich mir damit einhandle.
Dass die Wertungen nach zehn, sechs, drei und dann nach einer Runde erfolgen, zwingt mich (im Rahmen meiner Möglichkeiten) zu vorausschauendem Bauen und Edelstein-Sammeln. Ich will die Dominos so stapeln, dass sich zum Schluss große Flächen mit vielen Symbolen ergeben. Das wird nicht in jeder Farbe gelingen, von einigen Vorhaben muss ich mich im Laufe des Spiels trennen. Und ich will für die letzte und vermeintlich punkteträchtigste Wertung genau die passenden Edelsteine besitzen.
Da man Edelsteine nicht unbegrenzt horten darf, muss ich bei jeder Wertung entscheiden, welche Farben welches Potenzial haben könnten. Große Flächen möchte ich am liebsten doppelt werten. Aber besitze ich dann nicht drei entsprechende Steine, sondern nur zwei, wäre es besser gewesen, einen davon schon eine Runde zuvor für eine Einfachwertung ausgegeben zu haben.

Was taugt es? Die Bauaufgabe in PYRAMIDO – VERSCHOLLENE SCHÄTZE finde ich – mal angesehen davon, dass es sie schon in PYRAMIDO gab – originell. Durch die Kombination der Bauteile mit Edelsteinen ist jede Entscheidung noch kniffliger und spannender als in PYRAMIDO.

Pyramido - Verschollene Schätze: Pyramide

Diese neuere Version des Spiels beseitigt einige Härten und spielt sich intuitiver und eleganter als das Original. Ich empfinde das Spiel als verbessert. Trotzdem steht auch diesmal wieder „solide“ unter dem Text, selbst wenn es das im Vergleich bessere „Solide“ ist.
Nach wie vor hadere ich damit, dass Spieler:innen am Ende ihres Zuges bestimmen, von welchem Stapel aufgedeckt wird. Fraglos bringt das Taktik und vor allem Interaktion ins Spiel. Ich muss genau schauen, welche Farbkombinationen andere Spieler:innen gebrauchen können, damit ich nicht versehentlich eine Vorlage liefere. Will ich für mich selbst ein attraktives Teil ins Spiel bringen, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man es mir nicht gönnt – erst recht, wenn es in Kombination mit einem Edelstein angeboten wird, den irgendwer gebrauchen kann.
Im Spiel zu zweit ergeben sich daraus interessante taktische Scharmützel. Doch bei drei und erst recht bei vier Personen habe ich Zweifel, dass der zusätzliche Zeitaufwand, um sich über solche Dinge Gedanken zu machen, dem Spiel viel bringt. Ich hänge lieber vom Zufall ab als von Stimmungsmache am Tisch oder den für mich günstigen Entscheidungen derjenigen Person, die am wenigsten Lust hat, anderen zu schaden.
Die Autoren sehen das ganz offenbar anders. Deshalb glaube ich nicht, dass es noch eine dritte Version dieses Spieles geben wird, die auch diesen Punkt ändert. Und wenn doch: Ich wäre nicht neugierig darauf. Denn so unendlich fasziniert mich der Baumechanismus nicht, dass ich mich in immer noch anderen Variationen daran versuchen wollte.
PYRAMIDO und PYRAMIDO – VERSCHOLLENE SCHÄTZE haben meine Sympathie. Es sind interessante Bauspiele mit schönen Dilemmata. Hätte ich viel mehr Zeit und viel weniger Spiele, würde ich sie gerne noch ab und zu spielen.


**** solide

PYRAMIDO – VERSCHOLLENE SCHÄTZE von Ikhwan Kwon und Carl Brière für eine:n bis vier Spieler:innen, Synapses Games.

Sonntag, 14. Dezember 2025

7 Wonders Dice

7 Wonders Dice: Cover

Sieben Wunder könnten sieben Einleitungen sein.

Wie geht 7 WONDERS DICE? Wir würfeln die sieben Würfel – nicht. Wir mischen sie. Dafür gibt es eine flache Box mit Deckel. Die rütteln und drehen wir, nehmen den Deckel ab und finden die Würfel zufällig verteilt in vier Fächer mit Preisen von null bis drei Münzen. Wir alle wählen und nutzen nun einen dieser Würfel. Vorab müssen wir ihn bezahlen. Niemand kauft anderen etwas weg. Theoretisch könnten alle denselben Würfel wählen.
Jeder Würfel zeigt verschiedene Symbole und hat eine andere Farbe, die besagt, zu welchem Bereich auf meinem Spieltableau der Würfel gehört. Üblicherweise benutze ich einen Würfel, um ein Feld auf meinem Tableau anzukreuzen. Jedes Feld hat Kosten. Alle zuvor über Rohstoff-Würfel gesammelte Rohstoffe senken diese Kosten permanent um eins. Den Rest muss ich mit Münzen aus meinem Vorrat ausgleichen.
Die Farben entsprechen 7 WONDERS, wie wir es kennen. Der gelbe Bereich hat viel mit Geldvermehrung zu tun, der blaue Bereich bringt Punkte, lila ebenso, aber abhängig von den Fortschritten meiner Nachbar:innen. Eintragungen in meinem linken roten Bereich punkten im Vergleich zur militärischen Macht meiner linken Nachbar:in, der rechte rote Bereich in Konkurrenz zur rechten Nachbar:in.

7 Wonders Dice: Würfelbox

Mit grünen Würfeln und also im grünen Bereich erhalte ich Dauereffekte. Insbesondere kann ich bis zu drei weitere Würfel ins Spiel bringen, die stärker sind als die anderen und nur von denjenigen Spieler:innen genutzt werden dürfen, die diese Würfel ebenfalls freigeschaltet haben.
Alle Tableaus sind ein bisschen unterschiedlich, so wie man das auch von 7 WONDERS kennt. Sobald irgendwer drei Bereiche komplettiert hat, wird nur noch ein weiterer Zug gespielt und wir rechnen Bereich für Bereich unsere Punkte zusammen.

Was passiert? 7 WONDERS DICE hat durchaus 7 WONDERS-Vibes. Die Überlegung, wie viele Rohstoffe ich anhäufen sollte, etwa ist ähnlich. Gewiss: Das Maximum von sechs Rohstoffen bringt mir den maximalen Rabatt. Allerdings hat es mich dann auch sechs Züge gekostet, diesen Rabatt zu erreichen. Und nur wenige, wenn auch besonders wertvolle Ankreuzfelder haben überhaupt Kosten von sechs.
Mich für einen Würfel zu entscheiden, ist nicht trivial. Wenn der grüne, den ich eigentlich wollte, drei Münzen kosten soll, nehme ich vielleicht lieber einen kostenlosen, der akzeptabel ist. Irgendwann wird der grüne Würfel auch wieder billiger zu haben sein. Ob er dann allerdings auch das gewünschte Symbol zeigt, weiß ich nicht. Ähnlich spekulative Überlegungen stellt man auch beim Kartendraften in 7 WONDERS an.

7 Wonders Dice: Tableau

Wie auch 7 WONDERS geht 7 WONDERS DICE zu siebt, und alle spielen parallel. Habe ich bei 7 WONDERS durch die Kartenweitergabe noch mehr den Eindruck, gemeinsam ein Spiel zu spielen und den Aufbau der anderen zu beeinflussen, hinterlässt 7 WONDERS DICE ein solitäreres Gefühl – so wie eben viele andere Mehrpersonen-Solitär-Spiele auch.

Was taugt es? 7 WONDERS DICE ist ein durchschnittliches Würfelspiel. Die Würfelbox und das Freischalten von exklusiven Würfeln finde ich originell. Das allein erzeugt aber noch kein Spielgefühl, das sich von anderen Werken dieser Art nennenswert abhebt. Jede:r kreuzt weitgehend emotionslos seine Kreuzchen und baut sich seine kleine Engine. Die Erklärung, warum es 7 WONDERS DICE überhaupt gibt, ist vermutlich einzig und allein: 7 WONDERS.
Als Vorteil sehe ich, dass 7 WONDERS DICE reibungslos für bis zu sieben Personen funktioniert, relevante Entscheidungen bietet und trotzdem keine Längen hat. 7 WONDERS DICE zeigt aber auch klar auf, welche Qualität 7 WONDERS hat: Während das Würfelspiel gesichtslos, mechanisch und abstrakt wirkt, tragen gerade die Grafiken in 7 WONDERS dazu bei, das Gefühl vermittelt zu bekommen, ein antikes Staatswesen aufzubauen. 7 WONDERS hat ganz viel Atmosphäre, 7 WONDERS DICE ganz viel Nüchternheit.


*** mäßig

7 WONDERS DICE von Antoine Bauza für zwei bis sieben Spieler:innen, Repos Production.

Mittwoch, 10. Dezember 2025

Vor 20 Jahren (156): Fiese Freunde Fette Feten

Fiese Freunde Fette Feten: Cover

Ich erinnere mich noch genau an Dörte. Dörte ist in FIESE FREUNDE FETTE FETEN eine neutrale Person; ein von niemandem geführter weiblicher Charakter, der dennoch Teil des Spielgeschehens ist. Und Dörte hatte es nicht leicht. Ein Mitspieler hatte Dörte im Bibelkreis kennengelernt, und die beiden waren seitdem ein Paar – was diesen Mitspieler aber nicht hinderte, im Laufe der Partie mit diversen anderen neutralen Personen und vielleicht auch Mitspieler:innen anzubändeln. Sein ewig gleicher Kommentar lautete dann: „Dörte macht alles mit.“

Der Typ ist ein echt mieses Arschloch? Na ja, im realen Leben würde man wohl so urteilen. Wenn es in Marcel-André Casasola Merkles und Friedemann Frieses FIESE FREUNDE FETTE FETEN aber um das Megaziel „Sex Maniac“ geht, kommt man zu einem anderen Schluss: Der Typ hat eine echt gute Strategie.

FIESE FREUNDE FETTE FETEN spielt, wie das Leben spielen könnte – aber ganz bestimmt keines dieser Hollywood-Kino-Leben, wie sie uns SPIEL DES LEBENS vorgaukelt, wo wir mit bonbonfarbenen Cabrios durch die Straßen cruisen, um unterwegs viele Kinder und noch mehr Bargeld einzusammeln. Es ist eher das Leben, von dem in Independent-Filmen erzählt wird. Wir saufen, wir rauchen, wir nehmen illegale Drogen, verplempern unsere Zeit und werden dick und krank dabei.

Lebensziele in FIESE FREUNDE FETTE FETEN heißen etwa: „Erster Herzanfall“, „Vom Glauben abfallen“, „Workaholic“, „Sex, Drugs, Rock’n’Roll“, „Fettabsaugen“, „Gesund gelebt, trotzdem krank“, „Beziehungskrüppel“, „Spieleautor“ und so weiter … okay, ein paar weniger ausgeflippte Dinge wie „Arm, aber glücklich“ oder „Familie“ gibt es auch.

Fiese Freunde Fette Feten: Karten

Diese Ziele erreiche ich, indem ich Karten ersteigere, die mein Persönlichkeitsprofil beeinflussen. „Studentenjob“ setzt voraus, dass ich kinderlos bin. Als Folge gewinne ich eine Freundschaft hinzu, und mein Geld- und mein Weisheitsmarker steigen um eins. „Kette rauchen“ erfordert Geld und erhöht Rauchen und Krankheit.
Durch den Erwerb solcher Karten versuche ich, meine Eigenschaften so hinzudrehen, dass sie zu einem meiner Lebensziele passen, das ich anschließend ausspiele. Für „Kommune gründen“ etwa muss ich Drogenerfahrung, Wissen, Trauer, Rauchen und vier Freundschaften vorweisen. Wer fünf Ziele erreicht, gewinnt.

Die Mechanik von FIESE FREUNDE FETTE FETEN habe ich immer als kompliziert und hakelig empfunden. Vieles war regellastig und wenig zielführend, es hat zu lange gedauert, um zum Erfolg zu kommen. Deshalb habe ich FIESE FREUNDE FETTE FETEN viele Jahre nicht mehr gespielt und habe das auch nicht vor.

Dörte

Trotzdem wird das Spiel ganz, ganz sicher in meiner Sammlung bleiben. Das Milieu, das hier porträtiert wird, und die Spielgeschichte sind erfrischend einzigartig. Die großartigen Illustrationen von Lars-Arne „Maura“ Kalusky setzen dem Werk die Krone auf. Jede Karte ist ein Cartoon und enthält neben viel Wahrheit einen kleinen Witz.
Der Künstler hat sich selbst auf „Kette rauchen“ verewigt, die beiden Autoren sind auf „Haare grün färben“, „Kutterpullen“, „Esperanto lernen“ und – natürlich – der Karte „Spieleautor“ zu sehen.


Samstag, 6. Dezember 2025

Abroad

Abroad: Cover

Rezensionen am Nikolaustag bringen Missetaten ans Licht. Wer hier keine Einleitung sieht, war das Jahr über nicht brav genug.

Wie geht ABROAD? Wir reisen. Und vor allem planen wir unsere Reise. Um Erholung geht es dabei eher nicht. Im Gegenteil wollen wir möglichst viel in die viermal sieben Tage hineinstopfen.
Wir besitzen Handkarten, die sich jeweils nur in ihrer Heimatregion ausspielen lassen. Um „Ljubljana“ zu spielen, muss meine Figur folglich im Balkan sein. „Ljubljana“ bringt mir Symbole, die für andere Karten und Wertungen interessant sein können. Das Ausspielen kostet mich zwei Tage, was ich markiere, indem ich zwei meiner Chips von meinem Wochenplan nehme und in der Balkanregion platziere.
Am Ende jeder Woche wird in jeder Region die Chipmehrheit festgestellt und gewertet. Da wir dann zwangsläufig alle dieselbe Anzahl Chips platziert haben werden (nämlich sieben, 14, 21 oder 28), kommt es darauf an, a) sich ein bisschen schlauer verteilt zu haben als die Konkurrenz und b) die Chips mittels Boni aufzuwerten. Aufgewertete Chips übertrumpfen normale Chips.
Zwei Chips von meinem Wochenplan zu entfernen, bedeutet nicht nur, dass für mich zwei meiner insgesamt 28 Tage vergangen sind. Es zeigt auch, welcher genaue Wochentag als nächstes kommt. Das ist wichtig, denn etliche Karten sind an bestimmten Wochentagen doppelt stark. „Ljubljana“ etwa besagt, dass ich drei Karten ziehen darf. Falls ich „Ljubljana“ jedoch an einem Mittwoch spiele, darf ich obendrein mein Energie-Einkommen erhöhen.

Abroad: Spielplan

Energie ist eine von vier Währungen im Spiel. Energie und Geld benötige ich, um überhaupt reisen zu können, also meine Figur auf dem Spielplan zu bewegen. Smileys verkürzen die Aufenthaltsdauer, Ortskundige lassen mich Extraaktionen ausführen.
Nicht immer werde ich die passenden Karten haben, um da, wo ich bin, etwas auszuspielen. Und immer mal wieder benötige ich auch Ressourcen. Deshalb kann ich an jedem Ort eine der Basisaktionen ausführen, neue Karten zu ziehen oder Karten gegen Rohstoffe abzuwerfen. 

Was passiert? Bei ABROAD rauchen schnell die Köpfe. Ich will einerseits kurze Wege machen, weil das Ressourcen spart. Andererseits verlangen manche Karten, dass ich Symbole vorweise oder Ressourcen zahle. Und um die Symbole oder Ressourcen vorher einzusammeln und zudem vielleicht lieber am Freitag anzukommen statt schon am Donnerstag, schalte ich möglicherweise noch andere Orte dazwischen, die Umwege bedeuten.
ABROAD ist Dilemma. „Capri“ verlangt zwei Strandliegen. Habe ich nur eine Liege und keine weitere Karte, die mir eine Liege bringt, könnte aufs Ausspielen von „Capri“ natürlich verzichten. Andererseits bin ich nun mal gerade in Italien, und „Capri“ bringt immerhin das Symbol Delikatesse. Und warum interessiert mich das? Weil in Osteuropa in dieser Partie eine Wertungsplättchen für Delikatessen ausliegt.
Denn als hätten wir nicht genug zu bedenken, lockt jede Region auch noch mit je einer Wertung, die wir nur direkt dort beanspruchen können. Und wenn man so verrückt ist, sich für fortgeschritten zu halten, nimmt man für jede Region noch Dauereffekt-Plättchen hinzu, die man nur samstags oder sonntags erwerben kann.


Abroad: Tableau

Was taugt es? Der Reiz von ABROAD liegt in der Überinformation. Unsere Kartenhände bieten oft zu viele verlockende und einander widersprechende Möglichkeiten, gespickt noch mit Wenns und Abers. Ich muss filtern, ich muss priorisieren, ich muss mich fokussieren und mir meinen eigenen roten Faden verordnen, anstatt alles gleichzeitig machen zu wollen.
Ich bin stark damit beschäftigt, meine Karten zu analysieren, sie in eine sinnvolle Reisereihenfolge zu bringen und zu entscheiden, welche ich voraussichtlich am wenigsten brauche und somit abwerfen kann, um Ressourcen zu generieren. Trotzdem spielt sich ABROAD alles andere als solistisch. Wir konkurrieren um Mehrheiten und jagen einander die Wertungen ab. Erweckt jemand den Eindruck, mir die Delikatessen-Wertung im Osten wegschnappen zu wollen, reise ich vielleicht sofort hin, obwohl es eigentlich besser gewesen wäre, erst noch eine andere Aktion vorzuschalten.
Das Hin- und Hergerissensein bei dieser komplexen Timing- und Tüftelaufgabe macht mir sehr viel Spaß. Ich erlebe große Spannung, ich stehe in jeder Partie unter Strom. Mir gefällt dabei die klare Struktur des Spiels. Nicht von den Spielregeln geht die Komplexität aus, sondern sie entsteht aus den Wechselwirkungen der Karten und Wertungen.
Durch den variablen Spielaufbau und die Kartenfülle ist jede Partie hinreichend anders, ich habe nicht das Gefühl, immer dieselben Wege zu gehen. Im Vergleich zu AUF NACH JAPAN!, dem letzten komplexen Reiseplanungsspiel, das mir untergekommen ist, empfinde ich obendrein die Konkretheit von ABROAD als schönen Vorteil: Ich bewege meine Figur auf einer Landkarte umher. Das erzeugt mehr ein Gefühl, tatsächlich zu reisen. Nicht zuletzt fühlt sich ABROAD auch völkerverbindend an. Das Spiel feiert die Schönheit Europas; Ideologie, Politik und reale Reisebeschränkungen spielen keine Rolle.
Nicht verhehlen lässt sich, dass man mit den Karten auch schlichtweg Pech haben kann. Manchmal will nichts zusammenpassen, und die Konkurrenz zieht davon. Ein guter Start, mit dem ich Einkommen und Symbole generiere, ist viel wert.
In meinen Runden waren einige Spieler:innen, denen ich ABROAD zugetraut hätte, mit den überbordenden Möglichkeiten dann doch überfordert. Teilweise hat diese Überforderung auch Frust erzeugt. ABROAD benötigt Zeit und Geduld. Diffuse Informationen zu filtern und sich von Plänen trennen zu können, liegt nicht jede:r.
Redaktionell wäre noch Luft nach oben gewesen. Die Bedeutung mancher Symbole muss man sich herleiten, eine Symbolübersicht für jede Mitspieler:in fehlt. Die Symbole sind außerdem sehr klein. Die Bezeichnungen der Regionen (etwa FBR für Frankreich-Benelux-Region) hat in meinen Runden für Spott gesorgt. Kritikwürdiger finde ich, dass die Grenzen auf dem Spielplan teilweise nicht stimmen. Irland beispielsweise hat laut ABROAD keine Binnengrenze, Luxemburg existiert gar nicht.


***** reizvoll

ABROAD von Rodrigo Rego und Danilo Valente für eine:n bis fünf Spieler:innen, 1 More Time Games.

Sonntag, 30. November 2025

Gern gespielt im November 2025

13 LEAVES: Dass meine Pläne fallen wie Blätter, mag ein Zeichen dafür sein, dass ich mich längst in meinem spielerischen Herbst befinde.

RONIN: Big in Japan.

BOSS FIGHTERS QR: Einheitsfront gegen die Bosse. Marx hätte es gefallen.

TAG TEAM: Zu zweit stirbt man weniger allein.

BIDDLE: Komisch: Wenn ich einfach so einen Kniffel würfeln soll, finde ich’s öde. Wenn ich vorher wette, dass ich ihn würfle, ist es spannend.





UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM NOVEMBER:

DER HOBBIT – HIN UND ZURÜCK: Weniger Seiten als das Original von Tolkien, aber dafür viel dickere Pappe.





Freitag, 28. November 2025

Abgestaubt!

Abgestaubt: Cover

Rezensent:innen sagt man eine Abstaubementalität nach. Es würde erklären, warum ich dieses Spiel mag.

Wie geht ABGESTAUBT? Die Ähnlichkeit mit dem nahezu zeitgleich im selben Verlag erschienenen FLIP 7 ist verblüffend: Auch in ABGESTAUBT decken wir Zahlenkarten auf. Auch in ABGESTAUBT zählen sie Punkte entsprechend ihrer Zahl. Sobald ich eine Zahl aufdecke, die schon vor mir liegt, verliere ich alles. Deshalb sollte ich rechtzeitig vorher aufhören. Die Frage ist nur: Wann?
Anders als in FLIP 7 spielen wir nacheinander. Jede:r zieht solange, bis sie aufhört oder scheitert. Erst dann ist die nächste Person dran. Es gibt also auch nicht die reihum wechselnde Person, die die Karten verteilt und vielleicht ihre Opfer zu überhöhtem Risiko hinquatscht („Na los, eine geht noch!“). Es gibt auch keine Sonderkarten. Und die Zahlenkarten haben eine deutlich andere Häufigkeitsverteilung.
Der größte Unterschied: In ABGESTAUBT sacken wir unsere Beute nicht gleich ein, sobald wir mit dem Aufdecken fertig sind. Die Karten bleiben noch eine Runde lang liegen. Sie gehören mir erst dann, wenn ich wieder an den Zug komme (und sie noch da sind).
Denn wir beklauen einander. Decke ich eine Zahl auf, sagen wir die Acht, die schon vor irgendwem liegt, darf ich auch diese Acht nehmen und habe nun zwei. Und natürlich kommt es vor, dass irgendwer später ebenfalls eine Acht zieht, mir meine Achten wegnimmt und nun schon drei hat. So entstehen teils große Pötte, die zwischen den Spieler:innen hin- und herwandern, bis sie dann endlich jemand einsackt – oder dummerweise doch noch eine Acht aus der Mitte aufdeckt und alles abgeben muss.

Was passiert? Sehr Ähnliches wie in FLIP 7. ABGESTAUBT ist ein Glücksspiel. Der zugrunde liegende Zock (Beute sichern? Oder immer mehr wollen – und eventuell scheitern?) wird nicht zum ersten Mal spielerisch ausgetragen. Man kennt dieses CAN’T STOP-Prinzip spätestens seit CAN’T STOP.

Abgestaubt: Karten

ABGESTAUBT bricht wie auch FLIP 7 das Dilemma noch weiter herunter. Jetzt muss man nicht mal mehr würfeln und Zahlen kombinieren. Die Frage ist lediglich: Karte ja oder nein? Ob das Spaß macht, hängt zweifellos mit der Gruppe zusammen, die da gemeinsam am Tisch sitzt: ob alle bereit sind, sich so sehr dem Zufall zu überlassen. Ob sie Schadenfreude empfinden, wenn andere zu gierig sind oder Pech haben. Und ob sie den Frust wegstecken können, falls sie beklaut werden oder schon nach vier Karten raus sind.

Was taugt es? Spiele mit sehr, sehr ähnlichem Mechanismus hat Reiner Knizia auch bereits vor ABGESTAUBT veröffentlicht, zum Beispiel FAMILY INC. (Piatnik, 2021). Dennoch drängt sich wegen der zeitlichen Nähe vor allem der Vergleich mit FLIP 7 auf.
Für mich endet er unentschieden. Beide Spiele sind gut. An ABGESTAUBT mag ich besonders das Klauen. Obwohl wir nacheinander an die Reihe kommen und ich länger nichts zu tun habe, bange ich auch bei den Spielzügen der anderen mit. Ich zittere um meinen Besitz. Außerdem verleitet mich die Aussicht, irgendwo fünf Neunen abstauben zu können, vielleicht dazu, noch mehr zu zocken, als es eigentlich vertretbar wäre.
Auch FLIP 7 enthält Interaktion – durch die Sonderkarten. Und auch in FLIP 7 lasse ich mich durch äußere Umstände höhertreiben: Wenn meine Konkurrent:in eine weitere Karte nimmt und überlebt, dann will ich auch noch eine!
FLIP 7 finde ich schöner gestaltet. Das Spiel hat Kasino-Atmosphäre, während mich die Staubfusselthematik von ABGESTAUBT nicht wirklich reinzieht. FLIP 7 hat auch eine etwas größere Range, wie viele Personen gut mitspielen können. Bei ABGESTAUBT wird zu dritt eher zu selten und zu sechst eher zu häufig geklaut. Aber das sind winzige Nuancen. Beide Spiele bleiben für mich vom Jahrgang 2024/25 übrig.


***** reizvoll

ABGESTAUBT! von Reiner Knizia für zwei bis sechs Spieler:innen, Kosmos.

Montag, 24. November 2025

Hof-Verrat

Hof-Verrat: Cover

Verrate mir deine Einleitung, und ich sage dir, wie du heißt.

Wie geht HOF-VERRAT? Wir legen Karten aus. Immer drei habe ich auf der Hand, nachdem ich sie am Ende meines vorherigen Zuges gezogen habe. Eine davon muss ich in meine Auslage spielen, eine in die Auslage einer Mitspieler:in und eine in die Mitte, an die „königliche Tafel“.
Die Karten an der königlichen Tafel besagen bei Spielende, welche Kartenfarben in unseren Auslagen Plus- oder Minuspunkte zählen. Man kann Karten nämlich oberhalb oder unterhalb der Tafel ablegen. Und liegen am Ende mehr Karten einer Farbe oberhalb, zählt diese Farbe plus. Und umgekehrt.
Es gibt etliche Sonderkarten: Jede Karte „Adel“ zählt wie zwei Karten. Das gilt sowohl in Auslagen als auch an der Tafel. „Spione“ werden verdeckt gespielt und erst für die Schlusswertung aufgedeckt. „Assassinen“ eliminieren andere Karten, „Wächter“ sind geschützt.

Was passiert? Wenn ich nicht gerade mehrere gleichfarbige Karten auf der Hand habe, muss ich mit Widersprüchen umgehen: Eine Farbe, die ich bei mir auslege, würde ich eigentlich an der königlichen Tafel stärken wollen – aber dann kann ich sie ja nicht bei mir auslegen.

Hof-Verrat: Tafel

In der Theorie möchte ich natürlich Karten zu mir legen, die positiv zählen. Karten, die negativ zählen, sollen zur Konkurrenz. Und in die Mitte gehören Karten, die dazu beitragen, dass Wertungen in meinem Sinne kippen. Ob das alles klappt, hängt erstens von meinen Karten ab und zweitens von meinen Mitspieler:innen. Außer im Spiel zu zweit werden die meisten Karten nun mal von anderen Spieler:innen platziert. Je mehr Leute mitwirken, desto geringer mein Einfluss.
Parallel verfolgen wir noch Geheimmissionen. Die könnten mir beispielsweise Punkte bringen, wenn: die gelben Karten am Ende negativ zählen oder ich mehr blaue Karten habe als die Person links von mir oder mindestens drei Spione vor mir ausliegen. Spielerischer Vorteil dieser Karten ist, dass ich einen Fokus für die gesamte Partie erhalte, während ich ansonsten rein situativ agiere.
Nachteilig ist allerdings, dass auch das Erfüllen mancher Ziele kaum in meiner Hand liegt. Im Spiel zu fünft etwa habe ich sehr wenig Einfluss darauf, ob Gelb nun plus oder minus zählt. Und wenn ich im gesamten Spiel nur einen oder zwei Spione ziehe, wäre ich auf unfreiwillige Mithilfe angewiesen, um drei Spione vor mir versammeln zu können.

Was taugt es? In meinen öffentlichen Runden war HOF-VERRAT in der vergangenen Saison sehr beliebt, während es bei den regelmäßigeren Mitspieler:innen überwiegend Schulterzucken ausgelöst hat.
Ich ordne mich eher bei der Fraktion Schulterzucken ein. Sicher hat das damit zu tun, dass ich aggressive Interaktion nicht so mag. Zu entscheiden, welcher Person ich eine miese Karte reindrücke, macht mir üblicherweise wenig Freude. Immerhin ist bei HOF-VERRAT nicht so deutlich, was denn nun eine miese Karte ist. Vielleicht zählt eine vermeintlich miese am Ende dann doch Pluspunkte.

Hof-Verrat: Karten

HOF-VERRAT ist sehr dynamisch. Erstens im Sinne von schnell: Niemand muss über den eigenen Zug lange nachdenken. Zweitens im Sinne von wechselhaft: Die Assassinen können die Spielstände sehr plötzlich verändern. Und wegen der Spione ist der genaue Spielstand sowieso nicht ersichtlich, und es bleibt spannend bis zum Schluss.
Als unterhaltsam erlebe ich HOF-VERRAT also zweifellos: Ich habe Ziele, ich habe Aufgaben; ich versuche, mich irgendwie durchzulavieren, mich an Mehrheiten anzuhängen, nicht negativ aufzufallen. Und bevor ich eine blöde Karte selbst nehme, würge ich sie doch lieber einer Mitspieler:in rein, sorry. Diese Mixtur kann durchaus Stimmung erzeugen, und so erkläre ich mir die vielen sehr positiven Bewertungen.
Für mein spielerisches Wohlbefinden fühlt sich HOF-VERRAT am Ende jedoch zu oberflächlich und auch zu beliebig an. Klar gibt es Stellschrauben, aber gleichzeitig auch zu viele Personen, die daran herumdrehen. Vom interessanten Twist, drei Karten an drei Orte spielen zu müssen, hätte ich mir mehr Dilemma erhofft.


**** solide

HOF-VERRAT von Romaric Galonnier und Anthony Perone für zwei bis fünf Spieler:innen, Huch.

Donnerstag, 20. November 2025

Bohemians

Bohemians: Cover

Man muss Spielthemen auch leben! Deshalb habe ich mich verpflichtet gefühlt, ausgiebig meinen Tagträumen nachzuhängen. Für eine Einleitung hat es dann nicht mehr gereicht.

Wie geht BOHEMIANS? Paris um 1900. Wir sind Künstler:innen am Anfang unserer Karriere und auf der Suche nach Erfolg. Wir spielen so viele Tage (Runden), bis jemand die vorgegebene Anzahl Erfolgskarten kaufen konnte.
Jede Runde entspricht einem Tag in meinem Künstlerleben. Während dieses Tages sammle ich Inspirationspunkte. Damit kaufe ich bessere Karten für mein Deck oder eben Erfolgskarten, die eine nach der anderen zunehmend teurer werden. Sie werden nicht in mein Deck gemischt.
Pro Runde ziehen wir mindestens fünf Karten und legen vier davon auf unsere Tagesplan-Tableaus. Die Karten besagen, was wir morgens, mittags, abends und nachts tun. Vor allem aber haben sie an ihren linken und rechten Kanten halbe Symbole. Ordne ich meine Karten so an, dass halbe Symbole aneinandergrenzen und auf diese Weise zu kompletten Symbolen werden, sammle ich Inspirationspunkte.

Bohemians: Tagesplan

Meine Tagesplanung ist also ein Puzzle. Und wir puzzeln simultan. Statt einer der vier Karten könnte ich auch mein Job-Plättchen spielen. Das hat keine Symbole, wird also meine Inspirationswertung verschlechtern. Allerdings: Übe ich meinen Job nicht aus, bekomme ich eine Leidenskarte in mein Deck, die – sobald ich sie später ziehe – meinen Tag negativ modifiziert. Positiv sich wirken Musenkarten aus, die ich unter bestimmten Voraussetzungen mit meinen Symbolkarten kombinieren darf.

Was passiert? Am Ende des Tages sollen wir nicht nur schnöde unsere Inspirationspunkte addieren und Karten kaufen, sondern wir sollen den anderen auch von unserem Tag erzählen. Das könnte dann so klingen: „Morgens bin ich ziellos durch die Straßen geschlendert. Mittags habe ich mich darauf eingestimmt, zu komponieren. Abends habe ich dann aber doch lieber an einem Manifest gearbeitet. Unterstützt und inspiriert hat mich dabei mein treuer Freund Pascal. Nachts musste ich mich wie so oft als Straßenmusiker verdingen.“
Diese Erzählungen fangen das Spielthema gelungen ein und lösen schönen Trashtalk aus. Vielleicht sind es nur Klischees, die hier wiedergegeben werden, dennoch kann man sich gut vorstellen, wie hier jemand innerhalb einer progressiven Szene und gleichzeitig am Rande des Abrutschens über die Runden zu kommen und Kunst auszuüben versucht.

Bohemians: Karten

Dass ich letztendlich nur Karten aneinanderpuzzle, finde ich nicht schlimm. Zwar ist das so gar nicht künstlerisch, aber man kann schon nachvollziehen, dass ein bestimmter Tagesverlauf mehr oder weniger kreative Energie freisetzt. Das wäre in der Realität genauso.
Allerdings ist es fürs Spiel völlig unerheblich, was die anderen so von ihrem Tag zu erzählen haben, und es ist auch ermüdend. Denn wir starten mit denselben Decks, und so sehr verändern sie sich auch nicht im Laufe der Partie. Deshalb wiederholen sich die Geschichten bald und nutzen sich ab.
Sogar die Puzzelei selbst ist repetitiv und wird im Laufe der Partie nicht spannender. Und auch die Erfolgskarten bringen keinen Twist. Man kann froh sein, die nötigen Inspirationspunkte zusammengekratzt zu haben, also kauft man meistens einen Erfolg, wenn man es irgend kann.

Was taugt es? Zu den bereits genannten Negativpunkten kommt hinzu: Bei der Übersetzung ist vieles schiefgegangen. Die Anleitung ist lückenhaft. Symbole sind vertauscht. Spielphasen heißen mal so und mal anders. Ein ganz wichtiges Symbol auf Musenkarten ist nicht erklärt, so dass man denken könnte, es sei nur Zierde.
Es hätte gute Gründe gegeben, um BOHEMIANS das Label „misslungen“ zu verpassen. Denn elementare Dinge sind ganz unbestreitbar misslungen. In der Gesamtschau auf das Spiel mag ich das dennoch nicht tun. Denn grafisch, atmosphärisch und thematisch finde ich BOHEMIANS so ansprechend, dass ich allein deswegen freiwillig noch mal eine Partie spielen würde.

Bohemians: Erfolge

Man kann viele authentisch wirkende Details entdecken. Die Erfolge heißen nicht einfach nur „Erfolg“, sondern „Das erste Freunden vorgestellte Kunstwerk“, „Worte des Trostes vom Mentor“ oder „Eine zufriedenstellende Rezension“; Karten heißen „Geh tanzen“, „Übe, übe, übe“ oder „Sage das Ende der Kunst voraus“. Das kommt mir alles sehr treffend vor. Angesichts von Leidenskarten wie „Obdachlosigkeit“ oder „Syphilis“ könnte man BOHEMIANS vielleicht mangelnde Sensibilität vorwerfen oder gar, dass es sich lustig macht. Ich habe das beim Spielen nicht so empfunden.


*** mäßig

BOHEMIANS von Jasper de Lange für eine:n bis vier Spieler:innen, Portal Games / Pegasus Spiele.

Mittwoch, 12. November 2025

Am Goldenen Fluss

Am Goldenen Fluss: Cover

Gewiss wollte ich eine Einleitung schreiben, aber ich kam nicht so recht in den – hahaha – Fluss.

Wie geht AM GOLDENEN FLUSS? Wir sammeln Geld, um damit Häuser am Flussufer zu bauen. Und wir sammeln Waren, um damit Kundenkarten auszuspielen. Diese Karten bringen erstens Spielvorteile, zweitens zählen sie Punkte. Häuser punkten indirekt, indem sie mich bei Regionswertungen unterstützen. Jeder Bauplatz gehört einer der sechs Regionen an. Neubauten bringen mir Schritte auf der Einflussskala ihrer Region. Und am Ende des Spiels bekommen Erst-, Zweit- und eventuell auch Drittplatzierte jeder Region Punkte.
Zudem profitieren meine Häuser, wenn Schiffe – eigene oder fremde – bei ihnen anlegen. Immer dann schüttet das Haus eine Belohnung für den Ankommenden aus sowie eine andere Belohnung für die Hausbesitzer:in. Was genau es gibt, lässt sich am Gebäudeplättchen ablesen: Das könnte etwa Geld sein oder Waren oder Einflussschritte in der Region oder direkt Punkte und so weiter.

Am Goldenen Fluss: Situation

Für jeden Spielzug würfle ich einen Farb-und-Zahlenwürfel. Das Ergebnis lässt mir drei Optionen: Ich könnte a) ein Haus in der erwürfelten Region bauen (sofern ich es bezahlen kann), b) eine zur erwürfelten Region passende Kundenkarte ausspielen (sofern ich die geforderten Waren abgebe), c) mit einem meiner Schiffe um die erwürfelte Anzahl Felder weitersegeln. Das mache ich, um lukrative Häuser zu erreichen, im Idealfall meine. Jedes Flussfeld bietet den Zugriff auf vier Gebäude gleichzeitig. Schön ist es, auf einem Feld zu landen, das an mehrere attraktive Häuser grenzt.
Ich bin nicht komplett vom Würfelglück abhängig: Unter Abgabe von „göttlicher Gunst“ (eine weitere Währung im Spiel) darf ich mein Würfelergebnis verändern.

Was passiert? AM GOLDENEN FLUSS kommt schnell in Gang. Das Startkapital reicht bereits aus, um das erste Haus zu bauen. Zweimal mit dem Schiff zu fahren, kann dann auch schon für das zweite genügen.

Am Goldenen Fluss: Kundschaft

Etwas länger dauert die Beschaffung der Waren. Vielleicht wollen meine Kund:innen bevorzugt Porzellan, aber es kommen keine Gebäude ins Spiel, die Porzellan liefern. Zwar gibt es auch Möglichkeiten, um Karten auszutauschen oder Waren 2:1 zu handeln, aber direkt zum Ziel zu kommen statt über Umwege, ist zweifellos besser.
AM GOLDENEN FLUSS ist ein positives Spiel. Jeder Zug bringt mir einen sichtbaren Fortschritt, indem ich entweder Einnahmen generiere oder irgendwas erwerbe. Und auch die Züge der Gegner:innen können mir helfen, sofern meine Gebäude angesteuert werden. Ob das geschieht, hängt davon ab, ob ich attraktive Häuser gebaut habe oder ob attraktive Häuser direkt nebenan stehen (und der Besuch bei mir so eine Art Beifang ist). Es hängt aber auch von den Würfelergebnissen ab.
Nachteilig ist es auf jeden Fall, wenn zu viele Schiffe an meinen Gebäuden vorbeisegeln – was auch immer der Grund dafür ist. Weil AM GOLDENEN FLUSS ein schnelles Spiel mit nicht allzu vielen Zügen ist, wird sich so etwas auch auf lange Sicht nicht zwangsläufig ausgleichen, zumal diejenigen, bei denen es besser läuft, höhere Geld- und Wareneinnahmen haben und somit auch bessere Chancen, dass es weiterhin gut läuft.
AM GOLDENEN FLUSS bietet Chancen, um mit Glück, aber auch mit Taktik zum Ziel zu kommen. Pro Partie gibt es drei unterschiedliche Spielziele, die mich mit Punkten belohnen, sofern ich sie schneller erreiche als die Konkurrenz. Auch die Regionswertungen variieren. Dort gezielt statt wahllos Einfluss zu sammeln, bewirkt einen Punkteunterschied.

Was taugt es? AM GOLDENEN FLUSS ist sehr schön ausgestattet und gestaltet. Lediglich die Gebäudefarben könnten klarer unterscheidbar sein. Sehr gelungen sind die Übersichten und Hilfen für Spieler:innen.

Am Goldenen Fluss: Tableau

Obwohl es angenehm ist, ständig Erträge zu bekommen und obwohl die drei Aktionsmöglichkeiten gut harmonieren und zusammenspielen, haben sich die Partien für mich selten spannend, sondern eher linear angefühlt.
Dem Spiel fehlen Höhepunkte und knifflige Situationen, Entscheidungen liegen teilweise auf der Hand. Alle Partien verlaufen gleichförmig, und vor allem zu viert habe ich AM GOLDENEN FLUSS auch immer als zu kurz empfunden, als dass sich alle vorhandenen Elemente hätten entfalten können.
Positiv finde ich die schnell getakteten Spielzüge, die klare Zielführung und die durchgehend positive Interaktion. Das Prinzip, entlang eines Rondells Häuser zu bauen und bei deren Betreten Einnahmen zu kassieren, ist mir zuletzt in FAIRY RING begegnet. Auch wenn unter meiner damaligen Rezension genau wie hier „solide“ steht, würde ich FAIRY RING aufgrund seiner Direktheit gegenüber AM GOLDENEN FLUSS bevorzugen.


**** solide

AM GOLDENEN FLUSS von Keith Piggot für zwei bis vier Spieler:innen, Kosmos.

Samstag, 8. November 2025

Vor 20 Jahren (155): Wir sind schwanger

Wir sind schwanger: Cover

WIR SIND SCHWANGER gehört zu den weniger bekannten Werken Uwe Rosenbergs. Auf boardgamegeek hat das Spiel gerade mal 35 Bewertungen. Und auch nicht die allerbesten. Dass ich das Spiel weiterhin besitze, ist trotzdem kein Zu- oder Unfall. Ich mag den Mechanismus.

Worum geht’s? Reihum abwechselnd werden uns Vornamen zugelost, wie unser hypothetisches Neugeborenes heißen könnte. Unseren Nachnamen bringen wir mit. So ergeben sich Kreationen wie „Eros Bartsch“, „Trixi Bartsch“, „Beverly Bartsch“ oder „Fausto Bartsch“.

Dann bewerten wir diesen Namen. Dazu besitzen alle dieselben 20 Karten mit Urteilen wie: „Als Elternteil würde ich mich schämen, auf dem Schulhof den Vornamen dieses Kindes rufen zu müssen.“ Oder: „Erst bekommt das Kind diesen Nachnamen und nun auch noch diesen Vornamen. So ein Pech!“ Fünf dieser Bewertungen wählt jede:r geheim aus. Bin ich anschließend dran, decke ich eine meiner fünf Karten auf. Wer dieselbe hat, muss ebenfalls aufdecken.


Wir sind schwanger: Karten

Sind das alle Mitspieler:innen, ist das schlecht für mich. Ich verliere einen Punkt. Ebenso, wenn ich mit meiner Bewertung ganz allein dastehe. Stimme ich hingegen mit einem Teil der Mitspieler:innen überein, gewinnen wir alle je einen Punkt. Ich will also Bewertungen wählen, die andere auch wählen. Zu offensichtlich sollte es aber auch nicht sein. Haben wir alle dieselbe Karte ausgesucht, will ich zumindest nicht derjenige sein, der sie aufdeckt.

Diesen Mechanismus finde ich nach wie vor reizvoll und gewitzt. Er verbindet ein Partyspiel mit Taktik und Thrill. Dieser Art von Handkartenmanagement mit Spekulation auf die gewählten Karten der anderen bin ich in WIR SIND SCHWANGER zum ersten Mal begegnet. Spätere Spiele mit ähnlichem Mechanismus sind bekannter geworden. Ich denke an WIE VERHEXT (2008 von Andreas Pelikan), DIE GLASSTRASSE (2013 von Uwe Rosenberg) oder STELLA (2021 von Gérald Cattiaux und Jean-Louis Roubira).

Angefangen hatte Uwe Rosenbergs Karriere mit Kartenspielen. Vor 20 Jahren befand der Autor sich schon in seinem zweiten Karriereabschnitt. Es war eine Übergangsphase, in der Rosenberg Kommunikations- und Partyspiele entwickelte, denen viel Textarbeit (in diesem Fall das Recherchieren von 2600 Vornamen) vorausging. WIR SIND SCHWANGER ist für mich das beste Spiel aus dieser kürzeren Periode. Das nächste große Kapitel schlug Rosenberg ab 2007 auf. AGRICOLA und in der Folge all die Figureneinsatzspiele machten ihn in Spieler:innenkreisen weltberühmt.

Schon vor dem Öffentlich-Werden dieser dritten Phase munkelte man in meinem erweiterten Umfeld, dass da etwas ganz Großes kommen würde. Spieler:innen aus Hannover standen irgendwie mit Uwe Rosenberg in Kontakt. Vielleicht wirkten sie in seinen Testrunden mit oder tauschten sich in sozialen Medien mit ihm aus. Im Detail weiß ich das nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich irritiert war über dieses elektrisierte Raunen und die spürbare Vorfreude auf das ganz tolle Vielspieler:innen-Ding. Denn Uwe Rosenberg brachte ich damals mit solchen Spielen nicht in Verbindung. Er stand für Spiele wie BOHNANZA, MAMMA MIA!, SPACE BEANS oder eben WIR SIND SCHWANGER.

Und wer bislang dachte, ich schreibe diese Rückschauen spontan, wie sie mir gerade in den Sinn kommen, wird nun so richtig staunen: Tatsächlich ist alles sorgsam komponiert und baut dramaturgisch aufeinander auf. Der Schritt von WIR SIND SCHWANGER zu AGRICOLA wäre nicht möglich gewesen ohne – tadaaa! – CAYLUS, das vor einem Monat Thema war. Nach Uwe Rosenbergs eigenen Angaben hat CAYLUS ihn zu AGRICOLA inspiriert. Nach der Messe 2005 habe er zwei Wochen lang jeden Abend CAYLUS gespielt und darüber nachgedacht, wie er es zu einem eigenen Spiel weiterentwickeln könne. Aber dazu mehr wohl in zwei Jahren. Für heute sagt der Papa in spe von Hannelore Bartsch, Oswald Bartsch und Ilsebill Bartsch auf Wiedersehen.


Dienstag, 4. November 2025

Meister Makatsu

Meister Makatsu: Cover

Meister Makatsu mag kein Geschwätz.

Wie geht MEISTER MAKATSU? Wer will Minuspunkte? Niemand natürlich. Der strenge Meister Makatsu verteilt sie allerdings sehr großzügig.
Jede:r besitzt dasselbe Deck mit Karten in drei Farben und Werten von Eins bis Acht. Zufällige vier davon bekommen wir pro Runde auf die Hand. Erst spielen wir ohne jede Bedienpflicht reihum eine, dann reihum eine zweite. Die beiden übrigen Karten legen wir für den nächsten Durchgang beiseite.
Nun werten wir für jede der drei Farben die gespielten Karten aus. Wer die höchste gespielt hat, kriegt Strafe: Die höchste blaue Karte bringt einen Minuspunkt, die höchste gelbe zwei, die höchste violette einen und obendrein die sehr unbeliebte Ausspielpflicht.
Man will also niemals hoch spielen. Aber irgendwann muss man das wohl. Schrecklicherweise werden die Minuspunkte im zweiten Durchgang verdoppelt, im dritten verdreifacht. Diese Durchgänge sind erheblich kürzer. Denn wir spielen nur noch mit unseren zuvor beiseitegelegten Karten. Die werden jeweils neu gemischt, und wieder gibt es für jede Runde vier meiner Karten auf die Hand.

Was passiert? Spiele ich anfangs immer kleine Werte, kann ich mich darauf einstellen, die späteren Durchgänge mit den hohen Karten bestreiten zu dürfen. Spiele ich anfangs hoch, nutzen meine Mitspieler:innen das womöglich aus, um als galante Beigabe zu meiner Acht eigene Sechsen und Siebenen zu entsorgen.
Sehr ärgerlich übrigens, wenn man in solchen Situationen nichts Hohes hat. Da spielt jemand – vermutlich aus Verzweiflung – die gelbe Acht vor, man könnte den allergrößten Mist abstoßen … hat gerade aber keinen parat. Oder nur in den anderen Farben. Oder man hat ausgerechnet eine gelbe Acht. Und bei mehreren gleichen Zahlen sticht die später gespielte.

Meister Makatsu: Material

MEISTER MAKATSU ist ein ständiges Dilemma: Ich will niemals die violetten Stiche gewinnen, weil es viel bequemer ist, hinten zu sitzen und reagieren zu können. Gelbe Stiche will ich aber auch nicht. Denn die sind ja besonders teuer. Und immer nur Blau zu legen, ist auch ungünstig. Denn so behalte ich für die späteren Durchgänge zwangsläufig Gelb und Lila.
Vermutlich kann ich ohnehin nicht immer unterbieten. Wann also ist der geeignete Moment, um doch mal klein groß beizugeben? Vielleicht wenn ich zwei hohe Werte einer Farbe auf der Hand habe, sagen wir Sechs und Acht. Und in dem Fall: Spiele ich erst die Sechs an, um zu gucken, was sich ergibt? Vielleicht legt jemand eine weitere Sechs oder die Sieben rein, und ich kann es mir mit der Acht noch mal anders überlegen? Na ja, aber vielleicht spielt aber auch jemand eine Acht, und dann frage ich mich, warum ich nicht auch gleich mit der Acht herausgekommen bin. Jetzt wäre ich sie los.

Was taugt es? MEISTER MAKATSU ist von Partie zu Partie in meiner Gunst von „ganz nett“ zu „echt gut“ gestiegen. Im Grunde ist es ein Legacy-Stichspiel. Auf einfachste Weise: Was ich nicht ausspiele, ist mein Erbe für den nächsten Durchgang. Das kann gut sein oder auch schlecht.
Das Handling allerdings ist etwas kompliziert. Wir müssen unterscheiden zwischen Karten, a) die endgültig raus sind, b) für den nächsten Durchgang beiseitegelegt wurden und c) noch auf unseren Nachziehstapeln des laufenden Durchgangs liegen. Da gab es schon etliche Verwechslungen, Mitspieler:innen haben ihre Karten durcheinandergebracht.
Bei Spielende erwartet uns noch die neueste Variante eines speziellen Knizia-Scorings: Bei Gleichstand gewinnt die Person, die den Startmarker besitzt und also in der Ausspielpflicht wäre – selbst wenn diese Person am Gleichstand gar nicht beteiligt ist. Das ist ungewöhnlich und etwas verrückt. In größerer Besetzung ab fünf Personen habe ich tatsächlich schon Gleichstände erlebt, und dann gewann halt irgendwer … oder stopp: vermeintlich irgendwer. Denn es spricht ja nichts dagegen, einen sehr hohen violetten Wert bin zum letzten Durchgang durchzuschleppen, um sich nun ganz gezielt den Startmarker zu holen. Trotzdem ist es immer noch großer Zufall, ob dann auch der erhoffte Gleichstand eintritt. Ein finaler Zock also, der meistens nicht funktioniert. Und wenn doch: Angesichts der Kürze des Spiels finde ich es okay, wenn das Ergebnis hin und wieder im letzten Moment auf den Kopf gestellt wird.
Durch MEISTER MAKATSU fühle ich mich bestens unterhalten. Ab vier Personen finde ich es am spaßigsten. So einfach die Regeln sind: Ich treffe immer wieder relevante Entscheidungen oder zumindest Risikoabwägungen. Ich bin gespannt auf das, was passiert. Ärger über die ungünstige Verteilung meiner Handkarten und Freude, eine hohe Karte überraschend abgestoßen zu haben, wechseln sich munter ab.


***** reizvoll

MEISTER MAKATSU von Reiner Knizia für zwei bis sechs Spieler:innen, Amigo.

Freitag, 31. Oktober 2025

Gern gespielt im Oktober 2025

ARTENGARTEN: Starkpark.

TAKE TIME: Normalerweise wäre es ja kein so gutes Zeichen, beim Spielen ständig auf die Uhr zu schauen.

ABROAD: Zerrissen beim Verreisen.

TOP OR NOT: Könnte als Light-Version von WIE ICH DIE WELT SEHE durchgehen.

KAVANGO: Tiere brauchen Schutz. Vor uns Menschen. Lösung: Sperren wir die Tiere einfach weg!







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM OKTOBER:

DER HERR DER RINGE – DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT: Angesichts heutiger Edelmetallpreise hat sich Frodo bestimmt schon sehr geärgert.