Mittwoch, 30. November 2022

Gern gespielt im November 2022

QE: Demnächst auf Rezensionen für Quadrilliarden.

COUNCIL OF SHADOWS: Ich dachte ja, im ominösen Schattenclub sei ich längst drin; aber nun gut, bewerbe ich mich eben noch einmal.

IKI: Die Brände bringen zusätzliches Feuer ins Geschehen.

MARRAKESH: Wie soll ich ein Spiel wohl finden, wenn die Figuren Cashies heißen …?

CHALLENGERS: Als alternder Rezensent tröstet mich, dass die Teams in CHALLENGERS mit vielen Neulingen und Talenten an den Start gehen, sich am Ende aber die langjährige Erfahrung eines T-Rex durchsetzt.




UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM NOVEMBER:


ATIWA: Irgendeine Planung geht doch immer schief ... obwohl die Wechselwirkungen in ATIWA gar nicht so komplex sind. Und indem ATIWA über den eigenen Spielplanrand hinausweist, ahnt man, wie viel mehr schief gehen kann, wenn unsere Eingriffe nicht nur ein Spiel, sondern ein hochkomplexes System wie die Natur betreffen.



Montag, 28. November 2022

Jekyll vs. Hyde

Der Jekyll in mir würde zu gern eine Einleitung schreiben, doch mein innerer Hyde macht alles wieder kaputt.

Wie geht JEKYLL VS. HYDE? Es ist ein Stichspiel für zwei Personen. In jeder der drei Runden werden zehn Stiche gespielt. Jekyll möchte Ausgeglichenheit, also im Bestfall, dass beide Seiten je fünf Stiche gewinnen. Hyde möchte das Gegenteil. Für jeden Stich, den irgendwer mehr hat als sein Gegenüber, zieht die „Identitätsfigur“ bei Rundenende einen Schritt weiter. Nach zehn Schritten gewinnt Hyde, bei weniger Schritten Jekyll.
Das Blatt umfasst drei Farben und farbneutrale Tränke. Normalerweise müssen angespielte Farben bedient werden, ein Trank aber kann immer gelegt werden. Der ist nun nicht etwa Trumpf, sondern bewirkt einen Sondereffekt, zum Beispiel einen erzwungenen Kartentausch oder einen Wechsel der Farbhierarchie. Die sich übrigens erst im Laufe des Ausspielens ergibt. Die erste gespielte Farbe einer Runde ist die niedrigste, die letztgespielte ist die höchste. Wie nicht anders zu erwarten, gewinnt die höchste Karte den Stich und spielt neu aus.


Was passiert? JEKYLL VS. HYDE spielt sich ungewöhnlich, weil es mit üblichen Stichspiel-Mustern bricht. Das Bewerten der eigenen Kartenhand ist nicht so eindeutig. Auch an den sinnvollen Einsatz der Tränke muss man sich erst herantasten. Zumal die Wirkung des Tranks nicht von Beginn an feststeht, sondern immer von der Farbe der anderen Karte im Stich abhängt.
JEKYLL VS. HYDE gleicht einem gegenseitigen Abtasten. Als Jekyll weiß ich natürlich, dass Hyde entweder ganz viele oder ganz wenige Stiche machen möchte, doch welche der beiden Optionen er anpeilt, erfahre ich erst im Laufe der Runde. (Und zwischendurch kann es sich noch wieder ändern.)
JEKYLL VS. HYDE ist sehr dynamisch. Runden, die schon erfolgreich aussehen, kippen möglicherweise, weil irgendetwas passiert, mit dem ich nicht gerechnet habe. Letztendlich bin ich mir gar nicht sicher, ob das Spiel tatsächlich komplex ist oder nicht einfach nur chaotisch. Also ob ich Wendungen hätte einplanen können oder ob sie passieren, weil sie eben passieren bzw. weil mein Gegenüber eine plötzliche Gelegenheit ergriffen hat, die sich unversehens bot.


Was taugt es? Zum Glück bleibt trotzdem das gute Gefühl, dass Entscheidungen, die ich treffe, relevant sind. Und dass es sich lohnt, hier und da einen Moment nachzudenken. Menschen ohne Stichspielerfahrung haben meist wenig zu melden. Allzu zufällig kann JEKYLL VS. HYDE folglich nicht sein.
Die atmosphärische Kartengrafik finde ich sehr gelungen, die thematische Einkleidung jedoch etwas hergeholt und die Begrifflichkeiten deswegen eher gewollt als hilfreich. JEKYLL VS. HYDE ist ein spezielles Spiel für eine vermutlich schmale Zielgruppe. Wer es nicht seltsam findet, sich zu zweit in einem Stichspiel gegenüberzusitzen, hat hier eines, das immer wieder für eine Überraschung gut ist.
Ich habe lange überlegt, ob ich JEKYLL VS. HYDE aufgrund der Originalität nicht doch als „reizvoll“ bewerten sollte. Ich weiß, es gibt glühende Fans des Spiels, aber dies ist ja mein Blog und nicht deren. Und mein Bauchgefühl sagt: Nee, zu zweit käme bei mir anderes auf den Tisch. In diesem Stichspiel fehlt mir der Flow. JEKYLL VS. HYDE ist wie ein permanenter Eiertanz. In kurzen Abständen müssen Situationen neu bewertet werden und dann wieder neu. Was für viele vermutlich genau den Reiz ausmacht, kippt in meinem Empfinden schon etwas in Richtung Effekte-Überdosis.


**** solide

JEKYLL VS. HYDE von Geon-il für zwei Spieler:innen, Nice Game / Mandoo Games.

Donnerstag, 24. November 2022

Clinic Rush

Ja, es riecht ein wenig nach Geldmacherei, wenn sich Spiele allzu direkt an Vorgängerspiele anhängen. Aber na und? Ich möchte das gar nicht groß kritisieren. Als Rezensent nehme ich nämlich noch einen anderen Duft wahr: Es riecht nach Schreib-Erleichterung. Mmmh! Ein verführerisches Odeur!

Wie geht CLINIC RUSH? So ähnlich wie KITCHEN RUSH. Kooperativ betreiben wir ein Restaurant eine Klinik. Gäste Patient:innen kommen in unser Haus und bestellen Gerichte Blitzheilung. Wir wieseln durch Vorratskammern und Küche Abteilungen, schaffen die benötigten Zutaten Infusionsbeutel und Medikamente ran und brutzeln sie auf dem Herd verabreichen sie.
Das alles findet ohne festgelegte Reihenfolge in Echtzeit statt. Wer etwas tun möchte, stellt eine Sanduhr auf einem der Einsatzfelder ab und führt die zugehörige Aktion sofort durch. Ist der Sand durchgelaufen, darf die Uhr für eine neue Aktion verwendet werden.
Das machen wir vier Minuten lang, dann prüfen wir unsere Erfolge. Der Zustand von Patient:innen, die wir aufgenommen, aber noch nicht kuriert haben, verschlechtert sich, was uns eine negative Wertung einbringt. Danach geht es weiter in eine zweite und eventuell noch in eine dritte Runde, die genauso ablaufen.


Was passiert? KITCHEN CLINIC RUSH ist ein Optimierspiel mit eigentlich simplen Handlungen, die nur deshalb zur Herausforderung werden, weil uns die Zeit im Nacken sitzt.
Das Spiel verlangt gutes Teamwork. Wir müssen uns koordinieren und absprechen, Arbeitsteilung empfiehlt sich. Unweigerlich wird es trotzdem chaotisch. Sanduhren kippen um, Hände stoßen aneinander. Man übersieht, dass man längst einen Zug machen könnte. Man macht unnötige Aktionen oder blockiert sich, weil die Vorräte nicht optimal nachgefüllt wurden. Immer mal wieder gerät man an die Grenzen des Erlaubten. Manche Runden spielen da strenger als andere. Das ist eine Frage der Selbstkontrolle und des Eigenanspruchs.

Während KITCHEN RUSH mit einer sympathisch erzählten Geschichte punkten konnte, aber spielerisch für mein Empfinden begrenzt freudvoll war und eher an einen Manager:innen-Stresstest erinnerte, besitzt CLINIC RUSH größere komödiantische Qualitäten.
Denn stationäre Patient:innen müssen zuerst untersucht werden. Dazu wird ihr Bett in einen anderen Bereich des Krankenhauses verschoben, wo je nach Art der Untersuchung alberne Prozeduren durchzuführen sind. Bei der Blutbildanalyse müssen kleine Holzzylinder mit der Pinzette in eine bestimmte Formation gebracht werden. Ein MRT verlangt, dass eine Sanduhr einen Durchlauf lang auf der Bettkante der Patient:in stehen bleibt und nicht herunterkippt. Geschicklichkeit erfordert auch das Aufziehen von Spritzen, wobei man in berufstypischer Eile kleine farbige Holzzylinder in eine schmale Plastikröhre fummeln muss.


Was taugt es? Als Stressspiel soll CLINIC RUSH natürlich anstrengen. Und es strengt auch einerseits auf eine gute Weise an. Aber ebenso auf eine lästige Weise: Jedes Szenario verlangt gründliche Vorbereitung: Diverses Material muss abgezählt, sortiert und an den richtigen Stellen bereitgelegt werden. Und dies für einen kurzen Moment Spiel, das sich trotz verschiedener Aufgaben doch immer wieder ähnlich anfühlt.
CLINIC RUSH hat keine so elegante Spielplanstruktur wie KITCHEN RUSH und benötigt einen sehr großen Tisch; dennoch ist dann nicht gewährleistet, dass jede:r an alles herankommt. So muckelt zwangsläufig jede:r in den Bereichen direkt vor der eigenen Nase und macht häufig dasselbe.
Die Gimmicks sind für mich der entscheidende Faktor, um CLINIC RUSH ein kleines bisschen mehr zu mögen als KITCHEN RUSH. Bei aller Arbeit ist es auch mehr Fun, wenn man angestrengt mit der Plastikpinzette irgendwelche lächerlichen Organe aus Holz transferiert.
Der Aufwand, den CLINIC RUSH vorab bereitet, verhindert aber doch, es immer mal wieder auf den Tisch bringen zu wollen. Baute sich das Spiel von selbst auf, ließe ich mich durchaus gerne mal zu ein paar Kurpfuschereien verleiten.


**** solide

CLINIC RUSH von Dávid Turczi, Anthona Howgego und Konstantinos Kooinis für eine:n bis vier Spieler:innen, Pegasus Spiele.

Sonntag, 20. November 2022

Wald der Wunder

Es wäre auch ein Wunder gewesen.

Wie geht WALD DER WUNDER? Wir bepuzzeln unsere Tableaus. Die Puzzleteile sind Tetrominos, also unterschiedliche TETRIS-Steine der Größe vier. Alle Steine zeigen auf ihren vier Feldern diverse Motive. Es geht nicht nur darum, die TETRIS-Formen passend ins Raster zu legen, sondern auch die Motive auf bestimmte Art anzuordnen.
Beispielsweise sollen (auf der A-Seite der Tableaus) Rosen eine große zusammenhängende Fläche bilden, Pilze in Senkrechten mehrfach vorkommen, Bäume in Waagerechten einen möglichst großen Abstand voneinander haben.
Wer am Zug ist, bestimmt, von welcher Puzzleteilform vier zufällige in den Markt gelegt werden. Anschließend wählen reihum alle Spieler:innen ein Teil, um es bei sich einzubauen. Falls möglich. Falls nicht möglich, endet die Partie.


Was passiert? Wir haben es mal wieder mit einem mehrdimensionalen Puzzle zu tun. Das gewählte Teil soll lückenlos passen, und alle Symbole sollen dazu beitragen, dass ich mehr Punkte gewinne. Voraussichtlich wird das nicht zu hundert Prozent klappen. Deshalb wäre ich auch schon zufrieden, wenn wenigstens einige Symbole Punkte abwerfen. Tja, und wenn selbst das nicht zu klappen scheint, probiere ich herum und herum und noch mehr herum. Vielleicht lässt sich ja wenigstens ein Ablageort finden, der für die Zukunft Optionen eröffnet?
Obwohl wir uns aus einem gemeinsamen Teile-Pool bedienen, spielt sich WALD DER WUNDER solitär. Ich habe genug mit meinen eigenen Problemen zu kämpfen; da werde ich mich nicht noch detailliert in die Tableaus der Gegner:innen eindenken, um abzuwägen, was ich ihnen wegschnappen sollte. Höchstens sehr offensichtliche Dinge wie Rosen ziehe ich mal in Betracht, wenn ich registriere, dass jemand kurz vor der Vollendung eines wertvollen Beets steht.

Man könnte annehmen, es sei eine tolle Idee, destruktiv Puzzleteilformen in den Markt zu werfen, die irgendwer nicht mehr einbauen kann. Meine Erfahrungen damit sind allerdings uneindeutig. Weil es nicht etwa Minuspunkte für leere Felder, sondern für leere Flächen gibt, schade ich anderen womöglich weniger als erwartet. Oder gar mir selbst.
Ohnehin ist die Minuspunkt-Wertung etwas unintuitiv. Während der Partie sammle ich Bonusplättchen, indem ich Spielkarten-Symbole benachbart zueinander platziere. Die ein Feld großen Bonusplättchen setze ich bei Spielende ein, um hässliche Lücken zu füllen. Und noch besser ist es, wenn die (zufällig gezogenen) Bonusplättchen passende Symbole mitbringen. Merke: Bonusplättchen sind super. Aber vergiss es gleich wieder, denn: Jedes Bonusplättchen, das ich am Schluss nicht mehr unterbringen kann, weil ich zu wenige Lücken habe, zählt fett Minuspunkte. So werde ich (zugegebenermaßen in seltenen Fällen) überraschend bestraft.


Was taugt es? WALD DER WUNDER ist schön ausgestattet, allerdings riechen die Materialien beim ersten, zweiten und dritten Auspacken nicht sehr gesund. Die Optik ist an „Alice im Wunderland“ angelehnt, was inhaltlich ohne Belang bleibt, aber immerhin netter ist als eine rein abstrakte Symbolik.
WALD DER WUNDER hat den Reiz, den andere Spiele dieser Art auch haben: Es fordert wiederholt heraus, weil nahezu kein Teil so passt, wie es soll. Jedes Anlegen ist ein Abschätzen und Gewichten, ein Kompromiss. Den Königsweg – oder Herzköniginnenweg, um im Thema zu bleiben – gibt es nicht. Auf der B-Seite der Tableaus gelten ohnehin noch mal andere Punktebedingungen.
Die Regeln sind schnörkellos. Bislang hat noch jede:r verstanden, was zu tun ist. WALD DER WUNDER ist stimmig, jedoch ohne sehr originell zu sein. Das abwechselnde Aussuchen der Formen ist ungewöhnlich, macht aber fürs Spielgefühl keinen großen Unterschied.


**** solide

WALD DER WUNDER von Ikhwan Kwon für eine:n bis vier Spieler:innen, Schmidt.

Mittwoch, 16. November 2022

Vor 20 Jahren (119): Meine Schafe, deine Schafe

Natürlich habe ich ein bisschen vorausgeplant. Und so stehen auf meinem Zettel noch etwa zehn Spiele aus dem Jahr 2002, die ich potenziell in dieser Rubrik verwursten könnte. Zu etwa neun davon fällt mir jetzt aber gar nicht so richtig was ein. Das ist wohl die unvermeidliche Konsequenz, wenn neue Spiele nach spätestens einem Jahr vom Radar verschwinden, um durch noch neuere ersetzt zu werden. Berufskrankheit. Doch zum Glück läuft das Jahr 2022 auch nur noch zwei Monate. Mit etwas routiniertem Blabla sollte es also über die Bühne zu bringen sein.

Apropos: Auch vor 20 Jahren hatte ich mittlerweile eine gewisse Schreibroutine entwickelt. Anders hätte ich es auch gar nicht geschafft, zehn verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften regelmäßig mit meinen Artikeln zu bespaßen. Trotzdem – das fällt mir auf, wenn ich Sachen von früher lese – schrieb ich damals anders als heute. Böse Zungen werden behaupten: kritischer, gemeiner, unverbrauchter. Besser.

Und vielleicht haben die bösen Zungen Recht; es gibt Indizien. Vor 20 Jahren flatterten mir immerhin ein- bis zweimal jährlich lobende Zuschriften ins Haus, rund gerechnet also ein- bis zweimal häufiger als heutzutage. Einer schrieb mir 2002, wie lustig er meine Fairplay-Rezension von MEINE SCHAFE, DEINE SCHAFE gefunden habe. Dass ich mit dem Spiel etwas rüpelig umgegangen war, kam bei ihm offenbar sehr gut an.

Jahre später trat derselbe Leserbriefschreiber noch einmal mit mir in Kontakt. Da hatte ich ein von ihm erfundenes Spiel rezensiert – und diesmal traf ich seinen Geschmack anscheinend nicht ganz so ... (Aber wir haben die Sache seinerzeit in einem Mailwechsel, den ich als sehr konstruktiv empfunden habe, ausgeräumt.)

Im Rückblick wundere ich mich, wie sicher ich mir damals war, manche Spiele rotzig abkanzeln zu dürfen. Diese Sicherheit speiste sich nicht etwa daraus, dass ich mehr Spielerfahrung und mehr Feedback in mehr Gruppen gesammelt hätte als heute – eher ganz im Gegenteil. Ich wusste weniger über Spiele und Spieler:innen als jetzt, machte mir aber weniger Gedanken darüber und hatte weniger Zweifel. Das hat vieles wunderbar vereinfacht.


Freitag, 11. November 2022

Kleine Völker, großer Garten

Kleine Einleitung, großer Erfolgsdruck.

Wie geht KLEINE VÖLKER, GROSSER GARTEN? Wir bauen Türme. Dabei folge ich meinen beiden Geheimaufträgen, die beispielsweise besagen können, ich soll bei Spielende viele dreistöckige Türme und außerdem die Mehrheit an Stockwerken in den Gebieten 3 und 5 besitzen. Zusätzlich liegen immer vier öffentliche Aufträge aus. (Beispiel: Baue auf zwei direkt nebeneinander liegenden grünen Bauplätzen einen zwei- und einen einstöckigen Turm.) Wer einen dieser Aufträge erledigt, sackt Punkte ein, und ein neuer Auftrag kommt ins Spiel.
Bin ich an der Reihe, darf ich bis zu zwei Bauaktionen ausführen. Die kosten „Bevölkerung“. (Bevölkerung ist im Spiel die Währung.) Bin ich illiquide, kann ich alternativ auch einen meiner Türme abreißen und bekomme Bevölkerung.

Agieren darf ich nicht irgendwo, sondern nur in dem Gebiet, wo der Schildkrötenkran steht. Der Kran wiederum wechselt nach fast jeder Bauaktion seinen Ort. Der Gesamtspielplan besteht aus sieben Gebieten, die wiederum jeweils sieben Bauplätze zeigen. Baue ich auf einem Bauplatz unten rechts, zieht anschließend der Kran in das Gebiet unten rechts; baue ich auf einem Bauplatz in der Mitte, zieht der Kran in das mittlere Gebiet.
Mein erster Zug dient somit auch immer der Vorbereitung des zweiten. Denn um Aufträge zu erfüllen und Gebietsmehrheiten zu erreichen (die zwischen den Runden für Einkommen sorgen), will ich nun mal an ganz bestimmten Stellen bauen. Weil ich bestimmen darf, wer nach mir an die Reihe kommt (ich wähle unter denen aus, die im Durchgang noch nicht an der Reihe waren), darf mein zweiter Zug auch gerne den Kran in ein möglichst uninteressantes Gebiet schicken.


Was passiert? Jede Bauaktion soll im Bestfall drei Zwecken gleichzeitig dienen: die Schildkröte zum gewünschten Ort ziehen, einen Beitrag zur Auftragserfüllung und einen Beitrag zu einer der Mehrheitswertungen leisten. In jeder Aktion darf ich nur eine Etage bauen, und will ich einen Dreierturm errichten, muss ich die Schildkröte dreimal in dasselbe Gebiet bekommen und den Turm nach und nach aufschichten.
Die Schildkröte macht das Spiel knifflig. Wenigstens eine meiner Aktionen soll sinnvoll sein, also tüftele ich aus, wie ich es anstelle, das Tier dorthin zu lotsen, wo ich es gebrauchen kann. Mit zunehmender Spieldauer wird das schwieriger, weil mehr Bauplätze von anderen Spieler:innen besetzt sind und mögliche Richtungen blockieren. Vor allem zu viert kann KLEINE VÖLKER, GROSSER GARTEN lang werden. Zum Glück besitzt jede:r vier „Listplättchen“, die eingesetzt werden dürfen, um Dinge zu tun, die eigentlich gegen die Regeln sind. Ihr Einsatz rettet so manche Situation.
Immer wieder ist man von fremdbestimmten Gegebenheiten abhängig. Es sind gar nicht nur die Mitspieler:innen, die mir gezielt etwas kaputtmachen. Sondern Dinge geschehen einfach, weil sie geschehen. Neue Aufträge, die in den Markt kommen, passen oder passen nicht; ein Bauplatz, den ich gut gebrauchen könnte, wird von anderen bebaut oder freigelassen; ich werde im passenden oder unpassenden Moment als nächster Ziehender bestimmt.
Wer in einem Durchgang zuletzt an der Reihe war, beginnt auch den nächsten – darf dann aber nur eine Aktion ausführen. Das hat immerhin den Vorteil, dreimal in Folge zu ziehen und so die Schildkröte besser steuern zu können. Allerdings hat man eine Bauaktion weniger als die anderen und gerät, wird man häufiger zuletzt ausgewählt, bei den Mehrheiten und somit beim Einkommen ins Hintertreffen.


Was taugt es? In einem überwiegend knobeligen Spiel frustriert es manche, wenn vieles doch nicht in ihrer Hand liegt und die eigenen Züge dazu da sind, eine unverschuldet miese Ausgangslage auszubügeln.
Ob man die rein destruktive Interaktion als störend oder herausfordernd begreift, dürfte eine Geschmacksfrage sein. Aber unabhängig davon: Dass man erst sinnvoll planen kann, wenn man an die Reihe kommt, verschleppt das Tempo und fühlt sich deshalb generell nicht gut an. Insbesondere wenn zufriedenstellende Züge mit zunehmender Spieldauer immer schwieriger werden.
So originell der Baukranmechanismus ist: Dieser Kniff allein genügt nicht, um aus einem herkömmlichen und durchschnittlichen Spiel (bauen, zahlen, Ziele erfüllen) ein gutes zu machen. Ich habe keine Gruppe gefunden, die KLEINE VÖLKER, GROSSER GARTEN als besonders empfunden hätte und häufiger spielen wollte.
Optik und Titel hatten zunächst viele sehr neugierig gemacht. Doch das Spiel löst sein visuelles Versprechen nicht ein. KLEINE VÖLKER, GROSSER GARTEN kommt mit aufgemotzten Plastikfiguren daher und erfindet in der Anleitung seitenlange Geschichten zu den einzelnen Spielfarben: Trotzdem ist das Spiel rein abstrakt und transportiert in seinem Ablauf nichts, das mit Völkern oder Gärten zu tun hätte.


*** mäßig

KLEINE VÖLKER, GROSSER GARTEN von Nathalie und Rémi Saunier für zwei bis vier Spieler:innen, Board Game Circus.

Freitag, 4. November 2022

Planet B

Das „B“ in Planet B steht natürlich für Bartsch, und eine Partie PLANET B ist dazu da, auch die anderen Beteiligten hiervon zu überzeugen.

Wie geht PLANET B? Als böse Politiker:innen streben wir nach Ämtern, machen Geschäfte, platzieren News. Ziel bei allem: Das meiste Schwarzgeld auf die eigene Seite zu bringen.
In jedem Zug wähle ich eines von drei ausliegenden „Konzernplättchen“ und damit eine festgeschriebene Kombination aus drei Aktionen. Beispielsweise darf ich a) Rohstoffe produzieren und b) ein Gebäude bauen und c) eine News platzieren.
Um zu bauen, wähle ich eine von drei Gebäudekarten aus meiner Hand, bezahle die Kosten und erhalte auch gleich etwas Schwarzgeld. In einer späteren Aktion („Workie setzen“) darf ich Workie-Figuren aus meinem Besitz auf das Gebäude stellen und dort arbeiten lassen. Die Pharmafabrik beispielsweise benötigt eine violette und eine orangefarbene Figur, um Globuli herzustellen. Anschließend steigt die Stimmung in meiner Bevölkerung, und ich kassiere einen Batzen Geld.

Habe ich Gebäude, will ich also auch Workie-Aktionen. Ich muss mir erstens einen Workie-Vorrat zulegen und die Figuren zweitens möglichst effektiv einsetzen. Wofür ich manchmal wiederum bestimmte Rohstoffe benötige. Lama-Hotdogs in meinem Stadion zu servieren, bringt richtig viel Schwarzgeld, verbraucht allerdings Fleisch und … psst … Plastik.
Und mehrmals während der Partie wird gewählt. Jede:r bekleidet hinterher ein Amt von Präsidentin über Vize bis hin zu den tieferen Rängen. Standesgemäß bringt das höchste Amt das meiste Schwarzgeld ein, außerdem darf die Präsidentin in jedem ihrer Züge eine „Gesetzeskarte“ ziehen und einen von zwei dort aufgeführten Vorteilen wählen.
Wahlen finden zwischen den Spieler:innenzügen statt. Es gibt Möglichkeiten, Wahltermine zu beschleunigen oder zu verzögern. Wer schon alle Workies eingesetzt hat, möchte die Wahl meistens beschleunigen, denn die Workies kehren vor der Wahl aus den Produktionsstätten zurück und können endlich neu arbeiten gehen. Die Präsidentin mag vielleicht an einer Verschleppung der Wahl interessiert sein, weil sie dann etwas länger ihre Amtsvorteile genießt.
Wie läuft die Wahl ab? Im Verlauf des Spiels bewirken Aktionen immer wieder mal, dass jemand Stimmsteine in den Wahlbeutel werfen darf. Aus diesem Beutel ziehen wir reihum drei Steine (bei Freischaltung bestimmter Fähigkeiten auch mehr), bis er leer ist. Wer die meisten eigenen Stimmen gezogen hat, wird Präsidentin. Fremdfarben werden einfach ignoriert.


Was passiert? PLANET B bietet eine Fülle von Optionen: Ich kann auf drei Skalen aufsteigen, was mir ein Zusatzeinkommen generiert; ich kann betont viel bauen, weil allein das schon eine ganzen Packen Schwarzgeld bringt; ich kann versuchen, eine lukrative Engine ins Laufen zu bringen.
Dass ich mich für ein Bündel aus drei Aktionen entscheiden muss, provoziert gründliche Abwägungen, weil ausgerechnet die Aktionen, die ich am besten gebrauchen könnte, selten in Kombination angeboten werden. Ich muss, um die richtige Entscheidung zu treffen, meine Ressourcen genau durchrechnen. Wenn mir etwas fehlt, muss ich planen, ob ich es im Rahmen meines Zuges nicht doch noch besorgen kann … und all das dauert. Vor allem zu viert gibt es lange Wartezeiten.
Dabei sind viele der komplexen Auswirkungen meines Zuges gar nicht wirklich zu überblicken: Ob die Stimmen im Beutel mir tatsächlich den Wahlsieg bringen. Ob ein Wahlsieg angesichts des nötigen Aufwandes überhaupt wichtig ist. Ob ich meine Engine klein halten sollte oder ob das Spiel noch lange genug dauert, um größer zu planen. Und so weiter. PLANET B fühlt sich auch nach mehreren Partien noch diffus an.
Vieles, was ich machen oder nicht machen kann, hängt von der Situation ab. Bei der News-Aktion darf ich zwischen drei ausliegenden Newskarten wählen, um dann eine anzuwenden. Und da geschieht es immer wieder, dass Person A eine ideale Karte vorfindet, während für Person B alle drei News uninteressant oder nicht ausführbar sind. Und man hat nicht den Eindruck, dass A irgendwas für sein Glück getan hätte. Es ergab sich einfach.
Ähnliche Effekte gibt es bei den Konzernplättchen. Sie werden nach einer gewissen Zeit ausgetauscht und es kann vorkommen, dass jemand über mehrere Züge hinweg keine einzige Produktionsmöglichkeit vorfindet. Was natürlich sehr bremst, wenn das Warenlager leer ist.


Was taugt es? Der Grundmechanik von PLANET B fehlt Eleganz. Der einzelne Zug ist sehr umfangreich. Die anderen Spieler:innen können währenddessen wenig vorplanen. Obendrein kommen die Mechaniken nicht auf einen Punkt. Statt zu reduzieren oder zu fokussieren oder neuartig zu komponieren, häufen sie an und mixen viel mit vielem.
Aber jenseits der Mechaniken sind da ja noch die Spielgeschichte, die Illustrationen und die Wahlen. – Oder? Ja, PLANET B ist zynisch und frech, es lässt uns freundvoll unmoralische Dinge tun. Jedoch nur in den Texten. Indem ich Klötzchen von hier nach da verschiebe, habe ich „Social Media verboten“. Allein deswegen fühlt sich PLANET B aber nicht so an, als steckten wir in einer Geschichte. PLANET B findet nur frechere Benennungen für etwas, das in anderen Eurogames anders heißt.
Die Wahlen sind der ungewöhnlichste und, vor allem im Spiel zu viert, auch spannendste Mechanismus. Man kann riesiges Pech und riesiges Glück haben. Die meisten Stimmen im Beutel, selbst gepaart mit hilfreichen Features, garantieren für nichts. Die Wahlen bringen Emotionen ins Spiel. Thematische Tiefe bewirken aber auch sie nicht.
Die Wahlen machen nicht das, was Wahlen eigentlich machen. Sie verteilen nicht die Machtverhältnisse neu, es gibt keine Gesetzesinitiativen oder politischen Ziele. Die Wahlen sind nur ein weiterer Faktor im großen Siegpunkte-Salat. Sie bewirken lediglich, dass die Präsidentin vorübergehend mehr Schwarzgeld kassiert als die anderen.
Dass Wahlen nichts bedeuten, kann man nun als die bitterböse, zynische Aussage von PLANET B interpretieren. Meine Auffassung allerdings ist anders: Es ist nicht die Aussage von PLANET B, sondern der Makel. PLANET B spielt sein Thema nicht, sondern bildet es nur vordergründig ab. Das würde ich, wenn der Mechanismus mehr Spaß machte, gar nicht weiter kritisieren, schließlich ist es in vielen Spielen so. Aber – siehe oben – der Mechanismus macht nun mal nicht so viel Spaß.


*** mäßig

PLANET B von Johannes Natterer für zwei bis vier Spieler:innen, Hans im Glück.