Gewiss gibt es Gründe, warum DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER so heißt, wie es heißt. Allerdings wüsste ich schon gern, welche. Denn: Im Spiel fahren wir nicht, wir handeln nicht, und als Gilde empfinde ich uns auch nicht, weil jede:r solitär vor sich hinmuckelt.
Wie geht DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER? Wir breiten uns auf unseren Landschafts-Tableaus aus. Dazu setzen wir kleine Holzwürfel auf sechseckige Landschaftsfelder. Zufällig gezogene Karten bestimmen, was jede:r angrenzend besetzen darf, zum Beispiel zwei Felder auf Grasland oder drei Felder in gerader Linie auf Wasser.
Sind alle Karten gezogen, endet die Ära. Alle Würfel werden abgeräumt. In der nächsten Ära startet man wieder auf dem zentralen Feld und muss wieder dieselben Distanzen überbrücken – außer man hat Dörfer gegründet. Dörfer werden nicht wieder entfernt und sind fortan mögliche Startpunkte. Also sind Dörfer gut. Und man gründet eins, indem man ein komplettes Landschaftsgebiet mit Würfeln befüllt. Einen der Würfel ersetzt man dann durch ein Dorf.
Das zählt sogar ein paar Punkte. Die ganz dicken Punkte aber macht man auf andere Weise: indem man Handelsposten miteinander verbindet; indem man Türme am Rand des Spielplans erschließt; indem man Aufträge erfüllt, möglichst schneller als die anderen Spieler:innen.
Damit wir uns nicht alle auf dieselbe Weise ausbreiten, befinden sich im Stapel Platzhalter-Karten, die für jede:n am Tisch etwas anderes bedeuten. Taucht ein Platzhalter erstmals in der Partie auf, ziehe ich zwei „Erforschungskarten“. Eine davon suche ich mir aus, und sie definiert für den Rest der Partie, was ich tun darf, wenn der entsprechende Platzhalter wieder aktiviert wird. Beispielsweise darf ich dann ein Bergfeld und die fünf angrenzenden Felder auf einmal bebauen. Oder vier Wüsten und ein Gewässer in beliebiger Reihenfolge. Die Effekte sind deutlich stärker als die Effekte der Standardkarten.
Was passiert? Die Platzhalter erweisen sich als der große Clou des Spiels. Sie bestimmen die weitere Strategie und führen zu unterschiedlichen Spielweisen. Es ist sehr spannend, wenn ich mal wieder zwei alternative Erforschungskarten ziehen darf. Meistens ist die Wahl knifflig. Und jede Partie wird durch meine unterschiedlichen Fähigkeiten ein bisschen anders.
Ansonsten dominiert die Taktik: Ich weiß, welche Karten in der laufenden Ära noch kommen werden. Doch deren Reihenfolge kenne ich nicht. Ich versuche, mich für verschiedene Möglichkeiten zu wappnen. Oder ich zocke, weil die optimale Variante einfach zu lukrativ wäre, um sie sich entgehen zu lassen.
Gelegentlich gibt es zwar auch Züge, die mir fast gar nichts bringen. Meistens aber schwanke ich zwischen Ausbreitung und Beute: Will ich noch ein Dorf bauen und in der nächsten Ära von dort aus weitermachen? Oder versuche ich, mich direkt zum Turm durchzuschlagen und breite mich in kommenden Ären lieber ganz woanders aus?
Natürlich ist auch Glück dabei. Ob Karten in der gewünschten oder in einer unpassenden Reihenfolge kommen, kann einen riesigen Unterschied bedeuten. Aber gerade das macht DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER so spannend: Jede Karte bringt eine Überraschung, jeder Karte wird entgegengefiebert.
Was taugt es? DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER hat das Potenzial für ein Spitzenspiel – falls man Mehrpersonen-Solitärspiele nicht grundsätzlich ablehnt. Selbst das Wettrennen um die Aufträge bringt kaum Interaktion.
Andere Qualitäten aber machen das wett: DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER hat keinen Durchhänger. Von Beginn an ist jeder Zug ein wichtiger Zug. Indem ich die gewonnen Punkte direkt einkassiere und die Schlusswertung klein ausfällt, erhalte ich eine direkte Rückmeldung auf mein Tun. DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER ist konstruktiv. Fast alles fühlt sich nach Fortschritt und Wachstum an. Und ich bin es, der den Fortschritt steuert. Selbst wenn es nicht optimal läuft, bleibt stets die Hoffnung, mit einem Alternativplan auch noch ganz gut zu Punkten zu kommen.
Es gibt eine Lernkurve, trotzdem gibt es nicht die perfekte Partie. Man kann sich vornehmen, beim nächsten Mal noch ein wenig besser abzuschneiden. Vier verschiedene Spielpläne bringen Variation und verändern die Wertigkeiten der Erforschungskarten.
Kurzum: Ich hätte „außerordentlich“ unter diese Rezension geschrieben, wäre die Handhabung nicht so mies. Die Spielfelder sind winzig. Kleine Klötzchen und kleine Pappen liegen eng an eng. Es erfordert Konzentration und Geschick, um beim Abräumen am Ende der Ären keine Unfälle zu produzieren. Wenn Pappen und Dörfer verrutschen, lässt sich nicht immer nachträglich ermitteln, wo sie hingehören.
Noch störender finde ich die Punkte-Münzen, die, wohl aus Geheimhaltungsgründen, nur einseitig mit Zahlen bedruckt sind. Meiner Meinung nach gibt es allerdings kaum Gründe, um den Punktestand zu verbergen; andere Spieler:innen haben sowieso keinen Einfluss darauf. Und so nerven die Münzen. Ständig müssen Einer zu Zehnern und Zehner zu Fünfzigern gewechselt werden, und dazu muss man im Vorrat erst mal alles auf die richtige Seite drehen. Einige Spieler:innen sammeln ihre Münzen dann tatsächlich verdeckt und brauchen deswegen beim Wechseln doppelt so lange, legen die Münzen verkehrt herum in den Vorrat zurück und so weiter … grr!
Und ich bin noch nicht fertig: Die Tableaus reflektieren sehr. Auch die kontrastarmen Farben behindern die Spielbarkeit. Und je häufiger ich DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER spiele, desto mehr Zweifelsfälle tauchen bei der Auslegung von Karten auf. Redaktionell ist das in Summe schon auffallend schlecht.
***** reizvoll
DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER von Matthew Dunstan und Brett J. Gilbert für eine:n bis vier Spieler:innen, Skellig Games / AEG.