Der Beitrag mit den schlechtesten Klickzahlen 2009 war der über die Jugendbücher von Kevin Brooks. Ich kann das verstehen; schließlich ist das hier ein Spiele-Blog.
Andererseits ist es mein Blog. Somit haben die Leser einfach Pech, wenn sie sich nicht für das interessieren, wofür ich mich interessiere. Eine desaströse Quote führt noch lange nicht zur Absetzung der Serie. REZENSIONEN FÜR MILLIONEN nimmt seinen Bildungsauftrag bitterernst.
Eine kleine Änderung gibt es allerdings doch. Ich habe festgestellt, dass ich einerseits gern das aktuellste Buch eines Autors vorstellen möchte, andererseits sollte es auch immer das superbeste sein. Oft passt das nicht zusammen. Deshalb gibt es jetzt immer zwei Bücher: das aktuelle und das, wodurch ich zum Fan wurde.
Das aktuelle Buch:
ANFANG UND ENDE ALLEN KUMMERS IST DIESER ORT
Ein Buch, das so heißt, muss wohl in Irland spielen. Genauer gesagt in Nordirland, 1981, zur Zeit des IRA-Hungerstreiks. Beim Versuch, Torf aus einer Baugrube zu stehlen, entdeckt der 18jährige Fergus eine Moorleiche. Mit dem Fund kommen die Wissenschaftler, mit den Wissenschaftlern eine Archäologin, und mit der Archäologin kommt ihre Tochter: Cora.
Die wenig gradlinig verlaufene Romanze ist nur ein Teilaspekt des Romans. In Fergus´ Städtchen lässt sich das Private vom Politischen nicht trennen. Fergus´ Bruder, als Mitglied der IRA ebenfalls in Haft, schließt sich den Hungerstreikenden an und löst damit eine Familienkrise aus. Fergus zwingt man, kleine Päckchen unbekannten Inhalts über die Grenze zu schmuggeln.
Siobhan Dowd erweist sich wieder einmal als Meisterin der überraschenden Wendungen. Gerade als die Kurierdienste aufzufliegen drohen und jeder den großen Knall erwartet, zeigt sich, wie geschickt Fergus samt Leser an der Nase herumgeführt wurden. Und kaum lehnt man sich in Erwartung eines Happy Ends erleichtert zurück, geht dann unvermittelt doch noch die Bombe hoch.
Dowd gelingt es, auch ohne spektakuläre Szenen zu fesseln. Die Spannung ergibt sich aus den Figuren heraus. Und aus dem traurigen Widerspruch zwischen herrlicher Landschaft und Hass, Gewalt, Perspektivlosigkeit.
Fan wurde ich durch:
EIN REINER SCHREI
Shells Geschichte spielt 1984, aber eher meint man sich ins Jahr 1894 zurückversetzt. So erzkatholisch und provinziell ist die Umgebung der 16-Jährigen, so arm und weltfremd verläuft ihr Leben. Nach dem Tod der Mutter widmet der Vater sein Dasein Gott. In seiner eigenwilligen Übersetzung bedeutet dies, nicht mehr zu arbeiten, sondern mit der Sammelbüchse die Gemeinde abzuklappern, einen Bruchteil des Erlöses der Kirche zu spenden und den Rest in der Kneipe zu versaufen.
Shell versorgt unterdessen allein ihre jüngeren Geschwister. Die Schule besucht sie nur sporadisch, Fernseher oder Bücher besitzt die Familie nicht. Derart isoliert aufwachsend hat die junge Frau gerade mal den Wissensstand eines Kindes. Nachdem ein Schulfreund sie verführt, erkennt sie deshalb auch lange nicht die Anzeichen ihrer Schwangerschaft.
Die Geburt verläuft heimlich, doch das Baby stirbt. All das wäre tragisch genug, aber welche Dramatik sich anschließend aus der Verwechslung mit einem anderen toten Säugling, üblem Dorftratsch, harten Polizeiverhören und falschen Geständnissen entwickelt, ist schlichtweg atemberaubend.
Siobhan Dowd: ANFANG UND ENDE ALLEN KUMMERS IST DIESER ORT, Carlsen, 368 Seiten.
Siobhan Dowd: EIN REINER SCHREI, Carlsen, 318 Seiten.