Samstag, 10. Juni 2017

Vor 20 Jahren (42): Activity

Es können nun mal nicht alle Menschen große Pädagogen sein. Okay, vom Seminarleiter Pädagogik in meinem Zweiten Staatsexamen hätte man es vielleicht schon erwarten dürfen. Aber er war es halt nicht. Er dachte es bloß. Viele in meinem Kurs verzweifelten bei dem Gedanken, wer da über ihre berufliche Zukunft entschied. Ich hatte zum Glück die perfekte Entspannungstechnik: Während des Referendariats spiele ich so viel wie nie zuvor.

Was damals wirklich kein pädagogisch geschickter Einstieg war: Schon vom ersten Tag an schwärmte unser Seminarleiter von dem Seminar-Jahrgang, den er vor uns gehabt hatte. Die Besten! Alle so toll! Alle so positiv! Alle so harmonisch! Unglücklicherweise kristallisierte sich zunehmend heraus, dass wir anders waren als unsere Vorgänger. Und das machte den Chef ganz schön betroffen.

Eine hatten wir in der Gruppe, die etwas psychopathisch wirkte und bei der jeder dachte: Es wäre wohl besser, wenn die nicht Lehrerin wird. Besser für die Kinder, besser für sie selbst, besser für die Welt. Korrektur: Fast jeder dachte es. Der Seminarleiter gab ihr am Ende allen Ernstes eine Eins. Begründung: „Sie will es am meisten.“

Unser Seminarleiter war ein großer Freund von Wochenendseminaren. Mit unseren Vorgängern hatte er da tolle gruppendynamische Prozesse erlebt. Mit uns erlebte er die nicht, aber trotzdem war auch ich ein Freund von Wochenendseminaren. Denn jedes Wochenendseminar bedeutete: Es fallen zum Ausgleich Seminarstunden unter der Woche aus. So hatte ich mehrmals donnerstags frei. Und um am Mittwoch ausschweifend in meiner Lieblings-Spielerunde zu spielen, gab es nun mal nichts Schöneres als freie Donnerstage.

Nun zu den Nachteilen eines Wochenendseminars: Es sind die gruppendynamischen Prozesse. Mit unseren Vorgängern hatte der Seminarleitern gerne gespielt. Und immer dasselbe. Ein Spiel, das sie alle liebten und das unheimlich lustig war: ACTIVITY.
Ich allerdings hatte KARRIERE POKER im Gepäck. Alle fanden es super und waren insgeheim froh, nicht ACTIVITY spielen zu müssen. Ach ja, Korrektur: Einer war natürlich nicht froh, übrigens derselbe, der auch am häufigsten den Rang des Tellerwäschers bekleidete. Wie ein quengelndes Kind und ohne jedes Gespür, wie sehr er damit die Stimmung tötete, setzte unser Ausbilder durch, dass wir unbedingt noch sein Lieblingsspiel mit ihm spielen mussten.

Ich erinnere mich nicht mehr an viele Details, und das ist auch gut so. Ich musste ausgerechnet mit der Psychopathin ein Zweier-Team bilden, und ich schätze mal, wir wurden Letzte, weil es niemandem von uns gelang, eine Pantomime des anderen zu erraten. Was ich noch sehr sicher weiß: Nach dem Spiel war Feierabend. Alle erklärten sich für sehr, sehr müde und verzogen sich auf ihre Zimmer.

Im Pädagogikseminar wurde uns eingeimpft, wie wichtig es sei, die Lerngruppe bei ihren Bedürfnissen abzuholen. Man dürfe nicht jedem Schüler und jeder Gruppe dasselbe Curriculum aufpfropfen. Sie alle seien Individuen, deshalb gelte es zu differenzieren und blablabla … Und derselbe Typ, der das von uns forderte und uns dafür benotete, verhielt sich dann so. Man könnte das ein bisschen verrückt finden. Aber im Rahmen des Referendariats waren solche Erfahrungen vollkommen normal.

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