Freitag, 25. Juni 2021

Praga Caput Regni

Woran erkennt man ein Eurogame? Es spielt in Prag.

Wie geht PRAGA CAPUT REGNI? Wir bauen Prag: den Königsweg, die Karlsbrücke, die Hungermauer, den Dom, die Innenstadt und noch eine weitere Mauer, weil wir so schön im Flow sind. Natürlich brauchen wir dafür Geld und Steine. Und natürlich bekommen wir Punkte und schöne Dinge, die das Bauen fortan leichter machen.
Leider haben wir nur 16 Spielzüge Zeit, und am Anfang denkt man, das sei viel zu wenig, aber dann geht es doch irgendwie – dank zahlreicher Verkettungen: Tue ich dies, kriege ich gleich noch das. Baue ich dies, steige ich dort auf. So erspiele ich mir Zusatzeinkommen und Doppelzüge.

Zentral ist das Aktionsrad. Dessen Drehmechanik organisiert, dass Aktionen, die länger niemand gewählt hat, attraktiver werden. Außerdem koppelt es an jede Aktion zufällig einen kleinen Bonus. Manchmal gibt dieser Bonus den Ausschlag, für welche Aktion ich mich entscheide.
Zwischen sechs Grundaktionen wähle ich. Drei davon bringen mir gar keinen unmittelbaren Baufortschritt. Sondern ich kassiere Geld oder Steine oder schaffe mir gar nur bessere Voraussetzungen, um später mehr Geld oder Steine zu kassieren. Oder ich werte Aktionen auf, indem ich sie für die Zukunft mit Boni ausstatte. Die anderen drei Aktionen sind Bauaktionen, verursachen also Kosten, und weil ich irgendwann blank bin, kann ich logischerweise nicht jedes Mal bauen.
Die Verflechtungen sind perfide. Beispielsweise gewinne ich durch den Bau von Mauerstücken rote Plättchen, deren Wert in der Schlussabrechnung von meinem Engagement für den Dom abhängt. Am Dom wiederum komme ich als Nebeneffekt voran, wenn ich Stadthäuser baue. Also leider nicht Mauern. Kurzum: PRAGA CAPUT REGNI legt nahe, alle Bereiche zu beackern. Dafür ist aber gar nicht die Zeit. Und die Punktesalatwertung belohnt in vielen Belangen das Gegenteil, nämlich Spezialisierung.


Was passiert? Die innere Zerrissenheit ist groß. Es ergibt Sinn, Steinbruch und Goldmine zuerst auszubauen, damit sie später mehr abwerfen. Es ergibt zusätzlich Sinn, Steine und Gold zu horten, denn volle Lager schalten Boni frei. Andererseits ist es schmerzhaft, schöne Baugelegenheiten immer nur anderen Spieler:innen zu überlassen. Und dann ist da noch das Aktionsrad, das mich wiederholt dazu zwingt, irgendwas zu tun, das ich nicht optimal finde. So gebe ich vielleicht doch Ressourcen aus und aktiviere doch wieder nicht die Boni für volle Lager.
PRAGA CAPUT REGNI verdichtet viele Elemente und Nebeneffekte auf wenige Züge. Weshalb man sich mit vielen Kleinigkeiten beschäftigen muss. Baue ich dieses Haus, bekomme ich einen Schritt auf der Technologieskala und darf mir ein Plättchen aussuchen, das mir fortan unter bestimmen Voraussetzungen einen Mini-Bonus bringt. Zusätzlich ist aber noch wichtig, wo auf dem großen Spielplan ich das Häuserplättchen ablege und wie ich es ausrichte. Und – ach ja! – weil ich ein anderes Plättchen habe, bekomme ich jetzt noch einen Stein. Und, Moment mal, wenn ich das Haus an ganz anderer Stelle ablege, dann …
Das typische Schema „Kosten X, Belohnung Y“ wird in PRAGA CAPUT REGNI vielfältig verwoben und dadurch komplex. Auch das erhöht die innere Zerrissenheit. Da liegt ein Mauerplättchen im Angebot, das man gerade so bezahlen könnte und dessen Belohnung attraktiv erscheint. Doch haben viele Plättchen auch Rand-Boni, die nur dann ausschütten, wenn man sie so anlegt, dass sich die Symbole berühren. Und auf meinem Wunschplättchen sind die Symbole leider unpassend angeordnet. Ignoriere ich das und nehme das Teil nun trotzdem… ? Ich rechne. Ich puzzle. Ich optimiere auf allen Ebenen.


Was taugt es? Generell mag ich Optimierspiele, deswegen finde ich es herausfordernd, auch in Prag das Beste herauszuholen. Das Spiel erlaubt, den Schwerpunkt mal so, mal anders zu setzen. Und auch der Spannungsbogen hält. Jeder Zug ist interessant. Ich starte klein und baue mir immer mehr auf. Wie viel Energie in die Entwicklung meiner Fähigkeiten stecke und wie oft ich meine Fähigkeiten nutze, ist ein kniffliger Balance-Akt.
PRAGA CAPUT REGNI ist nicht nur spielmechanisch gut ausgetüftelt. Besonders gefällt mir, wie das Spielmaterial Handhabung und Verwaltung erleichtert. Vertiefungen und Blockaden im Aktionsrad und in den 3D-Tableaus verhindern Spielfehler.
In meinen Augen ist PRAGA CAPUT REGNI aber zu detailverliebt. Für Menschen, die Spielreiz darin sehen, noch mehr bedenken und noch mehr berechnen zu müssen, um auch wirklich den allerletzten Punkt mitzunehmen, mag jeder zusätzliche Schnörkel ein spielerischer Gewinn sein. Für mich ist es lediglich ein zusätzlicher Schnörkel. Mehr Rechnen, aber nicht mehr Spielreiz.
Ich vermisse in PRAGA CAPUT REGNI eine tragende neue Idee oder einen überraschenden Leitmechanismus, um ein spezielleres Spielgefühl oder originelleres Dilemma zu erzeugen. Das Spiel greift bauliche Gegebenheiten der tschechischen Hauptstadt auf und verknüpft sie mit diversen Optimier-Mechanismen. Statt thematisch wirkt es trotz allem montiert.


**** solide

PRAGA CAPUT REGNI von Vladimír Suchý für zwei bis vier Spieler:innen, Delicious Games.

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