Mir fallen verschiedene Autor:innen ein, von denen ich gedacht hätte, sie gewinnen eines Tages mal die Auszeichnungen Spiel / Kennerspiel / Kinderspiel des Jahres – ohne dass es bislang geschehen wäre. Stefan Dorra ist einer davon. Mitte der 90er-Jahre wurde sein Name in der Spieleszene durch viele bemerkenswerte Veröffentlichungen bekannt. Wenn ich zurückblicke, was seine Spiele ausmachte, dann war es neben vergleichsweise schlanken, klaren Regeln und oft überraschender Spieltiefe ein hohes Ausmaß an Interaktion, das bis zur Gemeinheit gehen konnte.
Wer seinerzeit Brettspiele spielte, hat fast zwangsläufig auch Spiele von Stefan Dorra gespielt. MEDINA ist deshalb nicht das erste Dorra-Spiel in dieser Rubrik: Unter anderem haben sich meine Spielerunden auch an INTRIGE gerieben, MARRA CASH gehasst oder geliebt und sind LAND UNTER gegangen: das von mir (und somit auch von meinen Runden) meistgespielte Dorra-Spiel überhaupt.
Stefan Dorras Handschrift zeigt sich auch in MEDINA: Bin ich am Zug, baue ich zwei meiner Holzteile in die auf dem Spielplan wachsende Stadt ein. Das war’s. Na gut, so ganz war es das natürlich noch nicht. Denn das Einsetzen folgt bestimmten Regeln und nicht zuletzt folgt es bestimmten Zielen.
MEDINA lässt sich mit RA oder COLORETTO oder (als moderneres Beispiel) KRÄUTERGARTEN vergleichen: Gemeinsam befüllen wir einen oder mehrere Gewinnpötte. Die werden voller und voller und somit auch attraktiver – bis jemand zugreift. In MEDINA sind es statt Plättchen- oder Kartenpötte Häuserkomplexe auf dem Spielplan, die wir mit unseren Holzteilen vergrößern, bis wer ein eigenes Dach draufsetzt und das Gebäude so in Besitz nimmt.
Damit das Haus viele Punkte zählt, sollte es möglichst groß sein, an möglichst viele Mauerteile grenzen und von möglichst vielen Passanten umringt sein. Logisch, dass wir auf den Verlauf der Menschenschlange und den Bau der Mauer ebenfalls mit unseren Holzteilen Einfluss nehmen. Jede:r hat zu Spielbeginn denselben Teilevorrat bekommen und hält hinter dem Sichtschirm geheim, was schon verbraten ist und was noch da.
MEDINA spielt sich subtil. Von jeder Gebäudefarbe gibt es im Viererspiel 20 Teile. Pro Farbe darf ich nur ein Haus in Besitz nehmen, also will ich tendenziell keins mit weniger als fünf Teilen. Allerdings kommt es auch auf die Lage an. Mit Passanten fällt die Rechnung schon günstiger aus. Und mit Mauer obendrein noch günstiger. Wobei ich möglichst spät an eine Mauer anschließen möchte, weil der späteste Anschluss mit Sonderpunkten belohnt wird.
Eine Häuserfarbe zu übernehmen, eröffnet mir auch die Möglichkeit, das nächste Gebäude dieser Farbe an völlig unattraktiver Stelle zu beginnen. Am eigenen Haus darf ich nämlich nicht mehr weiterbauen, aber meine Steine muss ich trotzdem loswerden. Kurzum: Alles sehr verzwickt.
So gut das nun vielleicht klingen mag: Auch mit MEDINA hat Stefan Dorra nicht den Titel Spiel des Jahres gewonnen. An CARCASSONNE ging 2001 einfach kein Weg vorbei. Auch beim Deutschen Spielepreis nicht, wo MEDINA hinter CARCASSONNE Platz zwei belegte. Recht überraschend hat es MEDINA aber nicht einmal auf die Empfehlungsliste von Spiel des Jahres geschafft.
Folgt man Herbert Hellers Darstellung in Fairplay 56, lag es daran, dass die Juror:innen das Spiel nicht verstanden und mit dem Material lieber Türmchen gebaut haben. Damals fand ich das eine ganze Ecke lustiger als jetzt so im Nachhinein. Keine Ahnung, ob da nun der Witz schlecht gealtert ist oder ich. Wie MEDINA gealtert ist, weiß ich übrigens auch nicht. Die letzte Partie ist lange her.
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3 Kommentare:
Habe gerade gelernt, dass es 2014 eine neue Auflage gab, mit einem Brunnen, der noch Sonderpunkte abwirft. Ändert nicht viel, außer dass es dn Start des Spieles etwas mehr Struktur gibt. Die Version habe ich online gespielt - die Implentation ist gar nicht übel - aber man kann mit den Holzteilen da halt keine Türmchen bauen.
Man kann es inzwischen auf BGA spielen, wenn man es (wieder) entdecken möchte.
Ich hab das Spiel eine Zeit lang geliebt und dann... war das irgendwie vorbei. Ich glaub es fühlte sich irgendwann zu mechanisch an.
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